Annäherung an die Miasmen der Klassischen Homöopathie

                                               

[Angelika Franz]

Praktische Ärztin in München

1. Die Entwicklung des ersten homöopathischen Miasmenkonzeptes durch Hahnemann

Das Wort "Miasma" -von griechisch miaíno: ich beflecke- entstammt der medizinischen Fachsprache und war bis zum angehenden 19. Jahrhundert in Gebrauch.

Es bedeutete in etwa das, was wir heute als "infektiöses Agens" bezeichnen würden, war aber wesentlich weiter gefaßt und umschloß alle negativen Umwelteinflüsse,

die krankheitsauslösend sein konnten, wie z.B. klimatische Faktoren.

H. der Entwickler der Klassischen Homöopathie benutzte diesen Begriff zunächst auch in diesem Sinne, wenn er z.B. von den "akuten Miasmen" spricht oder von "festständigen Krankheiten" = "festständigen Miasmen" wie etwa bei Masern, Scharlach etc. Er war einer der ersten, denen bewußt war, daß die Krätze und die Cholera

von kleinen Tierchen -in der Sprache der Zeit "Animalcula"- übertragen werden. Dennoch maß er dem materiellen Erreger bei der Entstehung von Krankheiten nicht die entscheidende Rolle zu.

Im Zentrum seiner Betrachtungen stand stets die "dynamisch verstimmte Lebenskraft". Gänzlich verläßt er die Vorstellung einer materiellen Übertragung von Krankheiten

bei der Entwicklung seines Konzeptes von den chronischen Krankheiten. Ausgehend von jahrzehntelangen Beobachtungen bei der homöopathischen Behandlung seiner Patienten entwickelte er die Vorstellung, daß jeder chronischen Krankheit eines von den drei "chronischen Miasmen" "Psora" (Krätze), "Sykose" (Feigwarzen, Gonorrhoe)

und "Syphilis" zugrunde liege. Alle beobachtbaren Symptome einer chronischen Krankheit seien lediglich Manifestationen des zugrundeliegenden chronischen Miasma.

Zu behandeln sei dann dieses Miasma durch die entsprechende "antimiasmatische" homöopathische Arznei.

Dabei komme freilich der Psora eine Sonderstellung zu, da sie allen chronischen Krankheiten als Urgrund der Krankheit, als "Mutter aller Krankheiten" zugrunde liege.

So müsse man zunächst -sofern vorhanden- die darüberliegende Sykose oder Syphilis behandeln, was ziemlich schnell vonstatten gehe, sofern nicht eine unterdrückende allopathische Vorbehandlung oder stark ausgeprägte Psora den Fall verkompliziert habe. Jede chronische Krankheit müsse dann sorgfältig mit der passenden "antipsorischen" Arznei therapiert werden, ehe sie stabiler Gesundheit weichen könne.

Geschehe dies nicht, sondern würden vielmehr nur die jeweils offen zutage liegenden aktuellen Symptome mit dem aktuell auf die Hauptbeschwerden passenden Mittel behandelt, so folge der ersten Manifestation der nicht geheilten Psora bald eine andere und dieser wiederum eine neue mit immer schlechterer Prognose. Hier wird er nicht müde zu betonen, daß es auf das immaterielle Krätzmiasm ankomme, auch dynamisches Krätzmiasm genannt, welches sich aber gleichwohl von Mensch zu Mensch übertragen lasse, aber eben nicht nur im Sinne einer materiellen Ansteckung etwa durch die Skabiesmilbe, sondern durch eine immaterielle, dynamische Ansteckung. Und das, obwohl

er selbst die Milben unter der Lupe gesehen und sie beschrieben hatte und um ihre Beteiligung an dem Krankheitsphänomen "Krätze" wußte. Auch die Ansteckung mit den beiden anderen chronischen Krankheiten beim "unreinen Beischlaf" wird immateriell gedacht. Doch nicht nur per Ansteckung könne man ein Miasma erwerben, vielmehr könne es auch von Eltern an ihre Nachkommen vererbt werden. Auch hierbei handele es sich um eine dynamische Weitergabe. Später wurden noch zwei weitere Miasmen,

die sich aus den klassischen Miasmen zusammensetzen, sogenannte Mischmiasmen, beschrieben: das tuberkulinische Miasma, auch Pseudopsora genannt als eine Mischung

aus Psora und Syphilis (J.H. Allen, 1987), und das Krebsmiasma als eine Verbindung von Sykose und Syphilis.

Obwohl H. dem Begriff des Miasma schon eine deutlich andere Bedeutung gibt als seine Zeitgenossen es taten, trennt er sich nirgendwo ausdrücklich von der überkommenen Begrifflichkeit. Sein Miasmen begriff bleibt seltsam in der Schwebe zwischen alter Bedeutung eines schädlichen Umwelteinflusses als Krankheitsverursachung, vor allem bei den akuten Krankheiten, und einer neuen inhaltlichen Ausfüllung bei den chronischen Leiden. Dies erschließt sich mühsam aus dem Gesamtzusammenhang, wird aber von ihm nicht klar definiert. Dies liegt daran, daß H. in erster Linie Praktiker war.

Eine nach seinen Anweisungen vorgenommene Behandlung einer chronischen Krankheit führt zur Heilung, heute wie vor 150 Jahren. Dieser kompromißlose Pragmatismus ist seine Stärke und hebt seine Werke weit über diejenigen seiner   zeitgenössischen Fachkollegen hinaus; mochten sie auch eine größere akademische Reputation haben, so sind ihre Werke heute weitestgehend nur noch von historischem Interesse. Wenn wir heute weitergehende theoretische Bedürfnisse haben, dann müssen wir selbst seine begonnene Theoriebildung fortführen. Eine Annäherung daran soll der vorliegende Aufsatz sein.

2. Vorschläge für ein modernes Verständnis der Miasmen - Das Miasmenmodell

In meinem Verständnis handelt es sich bei einem Miasma um einen bestimmten dynamischen Ordnungsgrad eines Organismus in seiner Gesamtheit von Körper, Seele und Geist, das heißt um einen bestimmten Ordnungsgrad seiner Fließgleichgewichte in den Reifeprozessen des Lebens. Dieser Ordnungsgrad geht mit einer bestimmten Erkrankungsbereitschaft einher, also mit einer Disposition zu einer Klasse von Krankheiten mit bestimmten gemeinsamen Struktureigenschaften. Benannt wird diese Krankheitsklasse nach dem Namen einer Modellkrankheit von großer epidemischer Bedeutung in unserem Kulturkreis, die zu dieser Krankheitsklasse gehört, wobei ich

die Krankheitsnamen, mit denen auch heute noch (Infektions-) Krankheiten bezeichnet werden, leicht abwandle, um zu verdeutlichen, daß sich die Krankheitsklassen nicht

in der jeweiligen einen Modellkrankheit erschöpfen.

Bei diesen Krankheitsklassen, den Miasmen, handelt es sich selbstverständlich -wie bei allen Kategorienbildungen- um theoretische Konstrukte, da die verbindenden Struktureigenschaften nur dem ordnenden und einordnenden Verstande erkennbar sind; daher möchte ich auch lieber von einem Miasmenmodell als von einer Miasmentheorie sprechen.

Dieses Modell hat eine zweifache praktische Relevanz: Zum einen wird so der Schweregrad der Krankheit eines erkrankten Menschen für die besonderen Belange der Klassischen Homöopathie beschreibbar oder -anders ausgedrückt- das energetische Niveau, wobei hier nicht der physikalische Energiebegriff zugrunde gelegt wird, sondern der auf die Lebenskraft (Vis vitalis) bezogene.

Denn die fünf großen Miasmen -Psora, Tuberkulinie, Sykose, Karzinosinie und Syphilinie- entsprechen in dieser Reihenfolge einer zunehmenden Schwere der Krankheit

eines Organismus aufgrund von zunehmender Unordnung. Dem entsprechend läßt sich sowohl die Zeitdauer abschätzen, die die antimiasmatische Behandlung einer chronischen Krankheit bei optimalem Verlauf benötigt, als auch deren Prognose, da die Heilungschancen bei stark entwickelter syphilinisch-zerstörerischer Komponente zweifelhaft werden (Karzinosinie, Syphilinie; fortgeschrittene Organdestruktion, Sucht, Psychose etc.).

Zum anderen hilft uns das Miasmenmodell bei der Wahl des passenden homöopathischen Heilmittels bei der Behandlung einer chronischen Krankheit, da die miasmatische Dynamik dieser Arznei der derzeit vorherrschenden miasmatischen Dynamik des erkrankten Menschen ähnlich sein muß.

3. Die grundlegenden Struktureigenschaften der Miasmen

Der in Mexiko lebende homöopathische Arzt Proceso Sanchez Ortega beschrieb in seinem Buch "Anmerkungen zu den Miasmen oder chronischen Krankheiten im Sinne Hahnemanns" seine in Jahrzehnten homöopathischer Praxis entwickelte Philosophie zu den Miasmen. Dabei erkannte er für jedes der drei klassischen Miasmen Hahnmanns eine vorherrschende Struktureigenschaft, die alles Handeln, Denken, Fühlen und Erleben eines Menschen durchzieht, seine körperlichen Funktionen prägend beeinflusst

und zu bestimmten Krankheiten prädisponiert. Auch ordnete er jedem Miasma ein Grundgefühl und eine Farbe zu.

Die Psora ist hierbei gekennzeichnet durch Mangel und Hemmung auf allen Ebenen; funktionelle Beschwerdekomplexe, körperliche Abwehrschwäche, seelische Überempfindlichkeit, Ängstlichkeit, Schüchternheit und Mangel an Selbstwertgefühl belasten die Patienten. Häufige Infekte der Atemwege, Allergien, Neurodermitis und Asthma sind hier die häufigsten Erkrankungen. Die zugehörige Farbe ist blau.

Die Sykose ist durch Übermaß und Exzeß charakterisiert. Das Metabolische Syndrom mit einem erhöhten Blutspiegel an Fetten (Cholesterin oder Triglyzeride), Zucker (Diabetes mellitus, Typ II b) oder Harnsäure, "essentieller" Hypertonus, Herz-Kreislauf-Krankheiten und Tumoren aller Art gehören auf der körperlichen Ebene zu diesem Miasma. Psychisch führen Ehrgeiz, übertriebene Erfolgsorientiertheit, aufgeblähtes Selbstbewußtsein, übermäßiges Verantwortungsgefühl, Hypersexualität und Raubbau

an den energetischen Quellen nur allzu leicht zu einem kompensatorischen Missbrauch von Kaffee, Tabak, Alkohol oder Medikamenten. Die zugehörige Farbe ist gelb.

Das syphilinische Miasma, das ich zur Unterscheidung von der klinischen Syphilis (Treponemeninfektion) Syphilinie nennen will, bringt eine erhöhte Neigung zu zerstörerischen und pervertierten Prozessen mit sich. Hierzu gehören unheilbare und stigmatisierte Krankheiten wie AIDS und Syphilis sowie andere Erkrankungen, die mit massiver Gewebezerstörung einhergehen wie Autoaggressionskrankheiten (Kollagenosen, MS, etc.), nicht heilen wollende Geschwüre usw. Psychisch können Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit zu Suizidalität (Gewalt gegen sich selbst) oder zu Haß, Gewalt und zum Verlust aller moralischen Werte führen. Auch eine brüchige Identität (Borderline-Syndrom) oder der Verlust der persönlichen Identität (Psychose) gehört zu diesem Miasma. Die zugehörige Farbe ist rot.

 

Die Mischmiasmen

Tuberkulinie

J.H. Allen beschrieb in seinem zweibändigen Werk "Die chronischen Krankheiten - Die Miasmen" die Tuberkulinie als viertes Miasma und verstand darunter eine Mischung von psorischer Schwäche und syphilinischer Zerstörungsneigung. Er nannte es auch Pseudopsora. Ausdrücklich wollte er das tuberkulinische Miasma geschieden wissen von der manifesten Infektion mit Tuberkelbakterien, der klinischen Tuberkulose. Die massive Durchseuchung der Bevölkerung mit Tuberkulose in der zweiten Hälfte des 19.

und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Gefolge der Industriellen Revolution brachte Allen auf diese Idee; zu Hahnemanns Zeiten hatte die Tuberkulose noch längst nicht diese Rolle gespielt. Psychisch ist dieses Miasma meines Erachtens durch Depression und das Gefühl der Verlassenheit gekennzeichnet.

Karzinosinie

Heute läßt sich unschwer ein weiteres Mischmiasma beschreiben, das Krebsmiasma, das ich Karzinosinie nennen möchte. Es liegt auf der Hand, daß es aus Sykose (Übermaß: autonomes Zellwachstum) und Syphilinie (Zerstörung: infiltratives Zellwachstum, Tumornekrose) zusammengesetzt ist.

Psychisch gehören zu diesem Miasma nach meinem Dafürhalten eine ausgeprägte Unsicherheit gegenüber den eigenen Gefühlen, unterdrückte, nach innen gerichtete Aggressionen und eine ausgeprägte Abneigung oder Scheu, sich mit der eigenen seelischen Befindlichkeit zu befassen. Kompensationsmöglichkeiten sind Arbeitssucht und legale Drogen (Alkohol und Tabak) weshalb es vielleicht kein Zufall ist, daß beide anerkanntermaßen karzinogen sind.

 

[Darius Ploog]

Erstes Trauma - Verlusttrauma Einführung

Das Thema des Verlassenwerdens ist eines der häufigsten Traumata, das Kinder, teilweise sehr früh in ihrem Leben, erfahren. Häufig denken wir dabei an die hohe Scheidungsrate, die bei über 50% liegt, oder den Tod eines Familienmitgliedes, wodurch sich Kinder (und Eltern) verlassen fühlen. Aber nicht nur die scheinbar großen Ereignisse führen zu einem Verlusttrauma, auch die alltäglichen Geschehnisse können traumatisch erlebt werden.

Wenn die Schwangerschaft gut lief (was nicht immer der Fall ist), birgt allein die Geburt ein großes Potenzial für das Kind traumatisch zu enden. Es wird von der Mutter getrennt, abgenabelt - aber häufig sind Mutter und Kind noch gar nicht bereit dazu. Das kann daran liegen, dass die Schwangerschaft nicht sehr bewusst erlebt wurde oder nicht viel Zeit für die Veränderungen bei Mutter und Kind war. In der heutigen Gesellschaft geht die Schwangerschaft schnell in dem schnellen Tempo und den Anforderungen unserer Zeit unter.

Auch die Ereignisse, die der Mutter in der Schwangerschaft widerfahren sind, haben große Wirkung auf das Kind. Wird die Mutter in der Schwangerschaft von dem Partner verlassen oder muss sie einen großen familiären Verlust hinnehmen, kann das Ungeborene traumatisiert sein, da es die Emotionen der Mutter eins zu eins übernimmt.

Die Geburt an sich kann traumatisch sein. Nach der Geburt können Kinder das Trauma des Verlassenwerdens erfahren, denn einige müssen medizinisch versorgt werden oder sind zu früh geboren und verbringen die erste Zeit ihres neuen Lebens auf der Intensivstation. Jedes Frühchen erfährt die frühe Trennung von der Mutter, obwohl es noch nicht reif ist.

Nicht immer muss das traumatische Folgen haben, aber immer wieder erleben wir, dass viele dieser Kinder große Schwierigkeiten mit der Trennung haben.

Das früheste Trennungstrauma, das ein Kind erleben kann, ist der Verlust des eigenen Zwillings in der Schwangerschaft. Jede zehnte Schwangerschaft ist eine Zwillingsschwangerschaft, davon werden aber bei Weitem nicht alle Kinder geboren. Die emotionale Verbindung zwischen Zwillingen ist sehr tief und intensiv, auch wenn sie nur kurze Zeit zu Teil zusammen im Mutterleib verbracht haben. Verlässt ein Geschwisterkind das andere während der Schwangerschaft, sucht das verbliebene ein Leben lang nach dieser innigen Verbindung.

In der Regel kann man sagen:

■ Je kleiner das Kind ist, desto schwerer fällt ihm eine Trennung.

■ Kleine Kinder haben keine Zeitvorstellung. Erst größere Kinder lernen die Zeit kennen. Deshalb fallen Kleinen auch kurze Trennungen schwer.

■ Ein Verlusttrauma kann nicht nur durch die Trennung von den Eltern, sondern auch von anderen nahestehenden Personen wie Erziehern, Lehrern, Freunden, Geschwistern, Haustieren etc. ausgelöst werden. Ursachen eines Trennungstraumas

■ Geburt, Abnabelung, Abstillen, Auszug aus elterlichem Bett, Schnullerentzug

■ Übergang in Kindergarten, Schule oder weiterführende Schule

■ Auszug und Umzug der Eltern

■ Scheidung oder Trennung der Eltern

■ Krankenhausaufenthalt, medizinische Eingriffe

■ schwere Krankheit oder Tod eines Elternteils, der Oma, eines Tier u.v.m.

■ Tod eines Geschwisterkindes (Abort der Mutter)

■ Verlaufen in der Stadt oder am Strand

■ lange Arbeitszeiten oder Abwesenheit der Eltern oder alleinerziehenden Eltern

■ psychische Krankheit der Eltern u.v.m,

Einige Kinder fühlen sich von Gott verlassen, besonders wenn sie große Probleme in der eigenen Familie haben und nicht verstehen können, dass Gott ihnen nicht hilft.

Das Resultat in der Psyche des Kindes ist die Vorstellung: Ich kann mich nicht auf diese Menschen verlassen, ich habe sie verloren und werde sie wieder verlieren. Ich kann mich nur auf mich selbst verlassen, selbst Gott hat mich verlassen.

- Verlusttrauma

Die Folge ist, dass die Kinder sehr früh Verantwortung für sich und andere Menschen übernehmen, versuchen, eigene Regeln aufzubauen, und später

als Erwachsene kein Vertrauen haben, dass der Partner bei ihnen bleibt.

Durch das Erwarten des Verlassenwerdens ziehen diese traumatisierten Menschen genau diesen Umstand an und werden häufig verlassen oder fühlen sich verlassen.

Peter-Pan-syndrom

In der Literatur finden wir Helden wie Peter Pan und seine „verlorenen Kinder“, die nach ihren eigenen Regeln leben und den Erwachsenen (im Buch von James Matthew Barrie den Piraten) auf der Nase herumtanzen.

Diese verlassenen Kinder ziehen sich in ihr eigenes Reich zurück, denn nur dort sind sie sicher. Homöopatisch betrachtet verkörpert Peter Pan Teile des

Argentum-nitricum-Kindes, das verlassen wurde, das Gefühl hat, den Boden unter den Füßen zu verlieren, jedem Impuls, der ihm in den Sinn kommt, spontan folgt und ständig am Kämpfen ist.

Die Erwachsenen (Eltern oder Lehrer) sind die Gegner. Die Kinder stellen ihre eigenen Regeln auf und können sich nur auf sich selbst verlassen, leben in der eigenen, sicheren Welt, sind ständig überfordert von der frühen Verantwortung und bleiben schulisch weit hinter ihren Möglichkeiten zurück.

Selbst im Erwachsenenalter bleiben diese Kinder Rebellen und weigern sich, Verantwortung zu tragen. (Das Peter-Pan-Syndrom ist die Furcht vor

Verpflichtungen.) Sie meiden feste Bindungen, leben lieber allein, neigen zur Verbitterung oder klammern sich kontrollierend und eifersüchtig an einen Partner.

Verlassenheit: Wichtige Rubriken im Complete Repertory zu dem Thema „Verlassenheit“ sind:

■ Gemüt, verlassen zu sein, Gefühl, Isolation, Vereinsamung, Gefühl von

■ Gemüt, Wahnidee, verlassen, im Stich gelassen

■ Gemüt, verlassen zu sein, Gefühl

■ Gemüt, Wahnidee, allein zu sein, meint

Verlassen und zornig: Verlassen und ängstlich: Anac. Phos. Lyc. Carc. Aur-met. Puls.

Verlassen und introvertiert:

Verlassen und ruhelos: Puls. Aur. Nat-m. Arg-n. Aur-m-n. Lac-h. Lach. Mag-c. Carc. Sacch-a. Anac.

■ Verlassenwerden, Ignoriert werden, als ob er nicht existieren würde, Demütigung, Mobbing, Folgen von Dominanz und Unterdrückung, unterdrückt durch Vater, Kummer

■ Missbrauch, Misshandlung in der Familie

■ Folgen von Bestrafung, übertriebene Strenge der Eltern, hohe Erwartungen

■ Erwartungsspannung, Prüfungsangst, Überanstrengung beim Lernen

■ unerträglicher innerer Konflikt, unterdrückte Wut (Staph.)

■ Kummer durch Kränkung

Reaktionsweise/Miasma:

■ L - Lähmung, Gedächtnisschwäche (schwerhörig, schwache Verdauung)

■ T - Zittern, Nervosität, wechselhaft, Mangel an Achtung

■ C - Dissoziation

Klinik:

■ Minderwertigkeitsgefühle, Grausam-/Hartherzigkeit, Dissoziation, Depression, Legasthenie, Lernstörungen, Alkohol- und Drogenmissbrauch, manisch-depressiv, suizidal, Verhaltensstörungen

Psyche:

■ ist den ganzen Tag fleißig, hat jedoch das Gefühl, nichts geleistet zu haben

■ muss sich ständig beweisen, dass er ein Recht hat, existieren zu dürfen; will es anderen und sich beweisen, erträgt dafür viel, aber nichts klappt

■ glaubt aus zwei Personen zu bestehen, Gespaltenheit (Lach. Lac-h. Lac-c. Phos.)

■ glaubt verfolgt zu werden (Chin. Lach. Ign.)

■ große Vergesslichkeit (Namen, Lyc.), unentschlossen, da Entscheidungen Leiden bringen

■ Lachen bei ernsten Themen (Ign. Nat-m.)

■ Hellsichtigkeit, Furcht, es sei jemand hinter ihm (Med. Lach. Thuj.)

■ Boshaftigkeit, Furcht vergiftet zu werden, schnell jähzornig, Grausamkeit gegen Tiere (Med.), flucht gern (Nit-ac. Nux-v. Verat.), kämpft mit anderen

■ Wechsel zwischen Laune und Ausgeglichenheit, psychische Spaltung, innere Zerrissenheit, fehlende Moral

■ Angst vom Teufel geholt zu werden (Manc.) (Engel - Teufel)

DD.: Nux-v. Med. Staph. Lyc.

 

[Roland Methner]

Miasmen in der Homöopathie

Hahnemanns Miasmenmodell

a) Definition von Chronischen Erkrankungen

Chronische Erkrankungen sind für Hahnemann alle Krankheiten, welche im Laufe des Lebens stetig zunehmen, nie von alleine heilen und auch

bei bester Lebensführung und Ernährung nicht besiegt werden können. Er teilt sie in drei Untergruppen ein:

I) Chronische Krankheiten, verursacht durch chronische ungesunde Lebensweise.

Hahnemann nennt sie ..uneigentliche" Krankheiten und zählt sie nicht zu den chronischen Erkrankungen, da sie -bei Vermeidung der Schädlich

keiten- von selber wieder verschwinden.

„Uneigentlich werden diejenigen Krankheiten chronische benannt, welche Menschen erleiden, die sich fortwährend vermeidbaren Schädlichkeiten aussetzen, gewöhnlich schädliche Getränke oder Nahrungsmittel genießen, sich Ausschweifungen mancher Art hingeben, welche die Gesundheit

untergraben, zum Leben nöthige Bedürfnisse anhaltend entbehren, in ungesunden, vorzüglich sumpfigen Gegenden sich aufhalten, nur in Kellern,

feuchten Werkstätten oder ändern verschlossenen Wohnungen hausen, Mangel an Bewegung oder freier Luft leiden, sich durch übermäßige Körper

oder Geistes-Anstrengungen um ihre Gesundheit bringen, in stetem Verdrusse leben, u.s.w. Diese sich selbst zugezogenen Ungesundheiten vergehen,

(wenn nicht sonst ein chronisches Miasm im Körper liegt) bei gebesserter Lebensweise von selbst (!) und können den Namen chronischer Krankheiten 

II) Chronische Krankheiten, verursacht durch allopathisch angewendete Arzneien und Kunstfehler, die sogenannte Arzneikrankheit {1/§ 74, § 204}.

Diese beurteilt Hahnemann äußerst kritisch und sieht für sie fast keine Heilungsmöglichkeit (siehe Kapitel Arzneikrankheit).

III) Chronische Krankheiten, erworben durch miasmatische Ansteckung mit Psora, Syphilis oder Sykose.

Nur diese drei Miasmen sind für Hahnemann natürliche chronische Erkrankungen.

,Die wahren natürlichen, chronischen Krankheiten sind die, von einem chronischen Miasm entstandenen, welche, sich selbst überlassen und ohne Gebrauch gegen sie specifischer Heilmittel, immerdar zunehmen und selbst bei dem besten, geistig und körperlich diätetischen Verhalten, dennoch

steigen und den Menschen mit immerdar erhöhenden Leiden bis ans Ende des Lebens quälen.

Außer jenen, durch ärztliche Misshandlung (§ 74) erzeugten {und den uneigentlichen chronischen Krankheiten}, sind diese die allerzahlreichsten und größten Peiniger des Menschengeschlechts, indem die robusteste Körper-Anlage, die geordnetste Lebensweise und die thätigste Energie der

Lebenskraft, sie zu vertilgen außer Stande sind."

b) Anzahl und Einteilung der Miasmen: Es gibt für Hahnemann nur drei chronische Miasmen: Psora, Sykose, Syphilis

Hahnemann unterteilt die Miasmen nochmals in akute und chronische Miasmen:

Akute Miasmen: akute Infektionserkrankungen mit festen Krankheitsabläufen, z.B. Pocken, Masern, Keuchhusten, Scharlach, Mumps, Pest, Gelbfieber, Cholera u.a. Neben den „akuten Miasmen" führt Hahnemann als Ursachen für akute Erkrankungen auf: Epidemien, mechanische oder psychische Traumen, Erkältungen oder Überhitzungen, Überessen oder Essensmangel.

Chronische Miasmen: Psora, Sykose, Syphilis.

Sein Schwerpunkt in Theorie und Praxis sind aber fast ausschließlich die chronischen Miasmen. Daher spricht man auch heute in der Homöopathie nur noch von „akuten Erkrankungen" und (chronischen) „Miasmen", d.h. der Begriff Miasma impliziert immer etwas Chronisches, länger zurückliegendes.

c) Definition von Miasma - Miasmen sind Infektionskrankheiten

- Eine Ansteckung mit diesen Miasmen ist leicht möglich.

Sie haben mindestens zwei verschiedene Stadien (Zustand des beschwichtigendes „Lokalübels" und einen chronischen Zustand.

Psora Lokalübel: krätzeähnliche Bläschen, mit spezifischem und starkem Juckreiz.

Chronischer Zustand: diverse Hautausschläge, unzählige verschiedene Erkrankungen und Störungen (s.o.).

Syphilis Lokalübel: lokales Geschwür im Genitalbereich (Schanker), evtl. gefolgt von einer Schwellung der Leistenlymphknoten (Schooß

beule){2/214 - 217}

Chronischer Zustand: schmerzhafte Geschwüre der Tonsillen; kupferfarbene Flecke auf der Haut; nicht juckende Ausschläge auf blau-rotem Grund;

Geschwüre; nächtliche Exostosen-Schmerzen {2/231}

Sykose Lokalübel: Feigwarzen, evtl. mit tripperartigem Ausfluss {2/206}

Chronischer Zustand: filiforme Warzen („große, erhabene, braune, trockene Knollen") und ähnliche „Auswüchse" {2/207}; Leukoplakien („weißliche,

schwammige, empfindliche, platte Erhöhungen in der Mundhöhle") {2/207};

Dupuytren-Kontrakturen {2/207}

Alle Miasmen sind in ihren Anfangsstadien, während dem Bestehen des Lokalübels, leicht und schnell durch ihr Spezifikum zu heilen.

- Sie schreiten -trotz gesunder Lebensführung u.a.- unaufhaltsam Richtung Destruktion voran und enden unbehandelt mit dem Tod {!/§ 79}; hierin

ähneln sie der Syphilis. {2/32}

- Die Lebenskraft kann - ohne die Hilfe der Homöopathie - diese Miasmen nicht heilen oder loswerden, nur die Bildung von Lokal-Übeln kann die miasmatische Dynamik „beschwichtigen", quasi auf die Haut „ableiten".

- Diese drei Miasmen Psora, Syphilis und Sykose (plus die Arzneikrankheit) sind getrennte Krankheiten, die sich zwar addieren können und dann komplizierter zu behandeln sind, aber sie bilden keine festen untrennbaren Zusammenschlüsse (wie später von J.H. Allen, Laborde, u.a. behauptet wird).

„Nach genauen Versuchen und Heilungen dieser Art complicirter Krankheiten, bin ich nun fest überzeugt, daß sie keine Zusammenschmelzung sind, sondern daß in solchen Fällen die eine nur neben der ändern im Organism besteht, jede in den Theilen, die für sie geeignet sind, denn ihre

Diesen - fast zwangsläufig erscheinenden - Fortgang kann man aus heutiger Sicht nicht uneingeschränkt bestätigen. Es gibt bei chronischen Erkrankungen

auch die Möglichkeit von phasenhaften Verläufen mit - mehr oder weniger langen - Ruhezeiten, sowie Spontanremissionen. Wovon diese Erholungen und sogar Ausheilungen dann abhängen, ist eine höchst interessante Frage, welche in der modernen Medizin leider fast völlig unbeachtet und unerforscht bleibt.

Heilung wird vollständig bewirkt durch eine zeitgemäße Abwechselung der besten antisyphilitischen mit den die Krätze heilenden Mitteln (...)"

{l/Fuß note zu § 40}

d) Ursache der Miasmen - Ansteckung oder Vererbung?

Dynamisch, nicht materiell (genaueres s.u. bei Krankheitsbegriff). Eine Infektion bzw. durch Ansteckung erworben. Da Hahnemann nicht mehr als eine Ahnung über Erreger als Ursachen der Infektionskrankheiten hatte, bedeutet Infektion oder Ansteckung bei ihm primär ein nicht sichtbarer (daher vermutet energetischer) Übertragungsweg. Miasmen sind für ihn ansteckende Erkrankungen oder „Ansteckungsmiasmen" {§ 33}.

„.. solche Krankheiten, welche (...) sie {die Lebenskraft} aber, durch eigne Kraft, nicht in sich selbst auslöschen kann, sondern unmächtig dieselbe fortwuchern und sich selbst immer in normaler umstimmen lassen muß, bis zur endlichen Zerstörung des Organism; man nennt sie chronische

Krankheiten.

Sie entstehen von dynamischer Ansteckung durch ein chronisches Miasm."

{§ 72}

Dieser Punkt ist insofern von besonderer Bedeutung, da fast alle späteren „Miasmatiker" - z.B. Kent, J.H. Allen, Ortega, Sankaran, Gienow - zwar die Hahnemannischen Worte (Miasma, Psora, Sykose, etc.) beibehalten haben, aber die Bedeutung dieser Worte veränderten. Sie veränderten den Sinn von „Miasma", variierten teilweise oder vollständig das gesamte Denksystem und produzierten damit ein „Miasmen-Chaos", welches der Homöopathie

insgesamt, v.a. ihren Studenten, zunehmend Probleme bereitet. Damit der Ausgangspunkt - Miasmen sind ansteckende Infektionserkrankungen - klar bleibt, hier nochmals die Miasmen-Sicht Bönninghausens (1785-1864), der ja Hahnemanns engster Vertrauter war: Chronische Krankheiten entstehen durch die Ansteckung mit einem Miasma, durch einen, Ansteckungsstoff ein „Kontagium". Dieses Kontagium ist „..ein Krankheitsstoff, welcher durch Krankheit in einem lebenden Organismus ausgebildet, die Kraft besitzt, in einem anderen gesunden lebenden Körper, wenn er damit in Berührung

gebracht wird, dieselbe Krankheit zu erzeugen."{Bönninghausen, Die Homöopathie, 1834; in Klunker, S. 23}.

Und zur Präzisierung: Dass Miasmen „.. umso mehr das Prädikat kontagiös verdienen, weil hier die Ansteckung gewöhnlich nur durch wirkliche Berührung entsteht." {Bönninghausen, Die Homöopathie, 1834; in Klunker, S. 23}

Seine Miasmen-Definition:

„In der Homöopathie bezeichnet man (...) mit dem Wort Miasma (...) jeden eine Krankheit erzeugenden Ansteckungsstoff, mit Beifügung des Wortes

Chronisch die drei unter sich verschiedenen Siechtume Psora, Syphilis und Sykosis, worin, soviel jetzt bekannt ist, alle chronischen Krankheiten ihren Ursprung zu haben scheinen." {Bönninghausen, Die Homöopathie, 1834; in Klunker, S. 24}

Es wurde unter Homöopathen viel darüber gerätselt, ob Hahnemann schon die Vererbung von chronischen Erkrankungen (bzw. Miasmen) kannte oder beobachtet hatte.

Er vermutet z.B. 1831 in seinem „Ein Appell an denkende Menschenfreunde bezüglich der Übertragungsweise der asiatischen Cholera" dass die Ursache der Cholera „..möglicherweise aus Millionen dieser miasmatisch belebten Wesen zusammengesetzt ist..". Erst 1882 wurde diese Idee durch Koch mit

der Entdeckung des Cholera-erregers bestätigt.

„Auch eine Enttäuschung, wenn sie nur gründlich und endgültig ist, bedeutet einen Schritt vorwärts" (Max Planck)

 

Versuch einer Zusammenfassung:

22 Aussagen zu den Miasmen

l.) Nachdem ich versucht habe, die Entwicklungsgeschichte der verschiedenen Miasmenrichtungen mit deren Gemeinsamkeiten und v.a. deren

Unterschieden herauszuarbeiten, und nachdem ich versucht habe die Aussagen mehrerer Miasmenrichtungen zu verifizieren, sind einige Aspekte und Zusammenhänge klarer geworden. Es bleibt aber noch vieles unklar und ungelöst.

2.) Es wäre falsch, die Erkenntnisse der Miasmenlehre grundsätzlich zu verwerfen.

Es gibt zahlreiche auffällige und statistisch signifikante Zusammenhänge zwischen Erkrankungen. Diese Zusammenhänge sind z.T. in der Medizin bekannt (z.B. Rachitis bzw. pathologischer Vitamin D-Spiegel zu Knochenerkrankungen), z.T. aber noch nicht ausreichend erforscht.

Im Grunde füllt die miasmatische Homöopathie Lücken in der medizinischen Grundlagenforschung welche durch die derzeitige reduktionistische und

profitorientierte Medizin entstanden sind. Voraussetzung für eine fruchtbare Forschung von Medizin und Homöopathie ist, dass die Sprache und Methodik der Miasmatiker (weiter-)entwickelt wird, damit sie endlich wissenschaftlichen Kriterien entspricht.

3.) Es wäre genauso falsch, den bisherigen zahlreichen Miasmensystemen gläubig zu folgen.

Alle derzeitigen Miasmensysteme sind falsch und unvollständig.

Dies bezieht sich auf: Alle Miasmatiker haben falsche Aussagen zu miasmatischen Zuordnungen gemacht.

Alle Miasmenrichtungen beruhen auf Glauben statt auf Verifizierung.

Alle Miasmatiker lassen ihre Entstehungsgeschichte, ihre Methodik, ihre Unterschiede zu anderen Systemen im Unklaren.

Alle Miasmenrichtungen fokussieren auf eine Strategie für alle Erkrankungen.

4.) Die Miasmenforschung war und ist methodisch völlig unzureichend.

Es gibt keine definierten oder gar einheitlichen Kriterien wie Zuordnungen (Symptome/Zeichen/Erkrankungen und Mittel) erforscht werden sollen.

- Zuordnungen werden/wurden meist deduktiv bzw. aufgrund unzulässiger Analogien erarbeitet.

Beispiele: Nosode = Miasma oder Lues connata {Zahndeformationen, Zwillinge Foumier = syphilitisches Miasma oder Exostose = Wucherung = Sykose.

- Es werden Kausalitäten angenommen, die letzlich nur in der Welt des Betrachters existieren (siehe die Beschreibung des „Weil-Denkens" im Kapitel 7).

Beispiel: Die Beobachtung: Gonorrhö => Fluor => Ovariitis/Prostatitis => Arthritis; daraus dann die falsche Schlussfolgerung:

So ist Fluor, Ovariitis/Prostatitis, Arthritis gonorrhoisch/sykotisch; Cave: „Wenn es regnet sind Wolken am Himmel - wenn Wolken am Himmel sind regnet es".

- Der Blick ist i.d.R. subjektiv, das Problem selektive Wahrnehmung wird nicht reflektiert („Das sehe ich doch täglich in der Praxis") und es wurde bisher nirgends der Versuch einer Objektivierung unternommen.

- Miasmatiker benutzen für ihre Argumentation meist einen Zirkelschluss.

Damit wird ihre Theorie unbeweisbar.

Die Miasmenlehre kann sogar keine „richtige" Theorie sein, weil ihr die Grundlage jeder wissenschaftlichen Theorie fehlt, nämlich die Möglichkeit einer Widerlegung. Sie ist ein Zirkelschluss, der nirgends widerlegbar ist.

Beispiele:

- Wenn viele der sykotischen Symptome bei 40-50% unserer Patienten auftreten, kann man in die Mehrheit der Fälle eine Sykose rein lesen.

- Wenn in einem Fall z.B. syphilitische Zeichen bei Geburt auftreten (etwa Skoliose oder Hüftdysplasie) und dann den Rest des Lebens nicht mehr, dann ist die Syphilis eben „im Untergrund ", d.h. die Abwesenheit von Miasmen lässt sich immer mit ihrer „Latenz" erklären.

- Wenn die Psora die Grundlage aller Erkrankungen bzw. Miasmen sein soll, wird sie immer „nachweisbar" sein.

- Wenn jede Krankheit und jede Pathologie miasmatisch bedingt ist, wird man immer irgendwelche Miasmen „sehen" können

- Wenn fast alle wichtigen derzeitigen homöopathischen Mittel psorisch oder so gar mehr-miasmatisch bedeutsam sind, kann ich jede Heilwirkung eines Mittels auch irgendwie eine miasmatische Bestätigung sehen.

5.) Solange das Bedürfnis bei Homöopathen nach schematischen Lösungen bleibt, solange nicht verstanden wird, das Homöopathie eine individuelle

Therapie ist, solange wird es immer wieder neue Miasmenmodelle und einfache Scheinlösungen

Wie der Philosoph Karl Popper bereits nachwies, ist die Falsifizierbarkeit (das heißt die Möglichkeit einer Widerlegung) die conditio sine qua non jeder wissenschaftlichen Theorie.

Nach den Zahlen meiner Untersuchung an 400 Patienten ergibt sich z.B. folgende Verteilung: 41% hatten/haben filiforme Warzen, 42% red moles,

41% Verruca vulgaris, 53% der Frauen hatten Vaginalpilz, 55% der Frauen Zystitis.

 

[Anne Vervarcke]

Aber zuerst muss ich die Miasmen noch etwas mehr erklären.

Sankaran hat bis jetzt 10 Miasmen beobachtet. Durch das Studium der Repertoriums-Rubriken hat er die folgenden Miasmen vorgeschlagen: akute Panik, Krise, Anstrengung, versuchen/aufgeben, bedauernswert, Veränderung oder Ersticken, das Chaos kontrollieren, Ausgestoßener und Abscheu, unerträglich und tödlich.

Da er zuerst mit der Idee der grundlegenden Wahnidee kam, bevor er verstand, dass es sogar noch tiefere Schichten in einem Menschen gibt, sah er Miasmen als Bewältigungsmechanismen an, entwickelt als eine Überlebensstrategie.

Seine Logik war: Wenn Miasmen eine Klassifikation von Krankheiten sind und wenn Krankheit gleich Wahnidee ist, dann müssen Miasmen eine Klassifikation von Wahnideen sein.

Wenn die Person die Wirklichkeit als eine akute Bedrohung ihres Lebens wahrnimmt, wird sie mit akuter Angst und Panik reagieren. Die Person wird unmittelbar handeln, bevor sie nachdenken kann, und ihre Handlung wird plötzlich und gewaltsam sein. Sie wird aufschrecken, schreien, versuchen zu entkommen, sich den Weg freikämpfen, herausspringen oder jemanden ergreifen. Es ist wie eine Reflexantwort oder wie die Handlung eines Kindes. Wenn die wahrgenommene Bedrohung vorbei ist, ist der Patient wieder ruhig und nicht mit dem Problem beschäftigt. Wenn es eine Angst vor Hunden

gibt, wird der Patient in Panik geraten, wenn er mit einem Hund konfrontiert wird, es aber vergessen wenn kein Hund in der Nähe ist. Warum Sankaran es Miasma nennt, ist weil der Patient immer in diesem Zustand ist: Immer wenn ein löser da ist, verfällt er wieder in den Panikzustand. Seine physischen Symptome werden die gleichen Merkmale zeigen:

plötzlich, gewaltsam und bedrohlich. Wenn sie überwunden werden, verschwinden sie spurlos.

Das nächste klassische Miasma ist Psora. Hahnemann nennt es die Mutter aller Miasmen und chronischen Krankheiten und tatsächlich: Es scheint das Fundament zu sein, auf dem chronische Krankheit aufbaut. Die zugrundeliegende Wahnidee ist, dass das Problem chronisch ist, aber durch Anstrengung überwunden werden kann. Es erfordert eine angemessene Handlung, um es zu lösen. Dies bedeutet, dass die geistige Haltung optimistisch und positiv ist, obwohl das Problem chronisch ist und nicht verschwinden wird, aber ruhigere Abschnitte haben könnte. Der psorische Patient hat Selbstzweifel und ist sich seiner Leistungsfähigkeit ungewiss, aber dies wechselt mit neuer Energie und Zuversicht ab.

Das Zwischenmiasma ist Typhus und hat Eigenschaften beider Miasmen: Den akuten lebensbedrohlichen Aspekt kombiniert mit der Chronizität. Der Patient erlebt jedes Problem als eine Krise, die heftige und umgehende Handlung erfordert, um sie zu überwinden. Das Gefühl der Dringlichkeit ist wie in einem sinkenden Schiff zu sitzen: Es gibt keine Zeit zu verlieren; etwas muss jetzt getan werden.

Der Patient wird sich an jeden klammem und um Hilfe schreien. Er wird um eine dringende Konsultation bitten und schafft es, den Homöopathen zu überreden, ihn spät am Abend oder am Wochenende zu empfangen, nur um ihm dann eine Hautkrankheit zu erklären, die er seit sieben Jahren hat. Er kann Tag und Nacht anrufen oder sieht völlig verloren aus, wenn der Homöopath seinen Urlaub ankündigt. Er ist in einem chronischen Zustand von Alarmiertheit.

Das sykotische Miasma ist gekennzeichnet durch Unveränderlichkeit und Chronizität: Das Problem beginnt zu einem bestimmten Zeitpunkt, um nie wieder aufzuhören. Die Bedrohung ist jedoch nicht tödlich: Sie kann nicht geheilt oder ausgebessert werden, aber sie wird nicht umbringen. Der Bewältigungsmechanismus ist, zu akzeptieren, damit zu leben, zu resignieren. Man kann das offen tun oder versuchen, das Problem zu vermeiden, zu leugnen oder zu verstecken. Da die Schwäche oder der Makel als Bestandteil der Person angesehen wird, besteht immer eine Angst, bloßgestellt zu werden.

Die körperlichen Beschwerden werden das gleiche Muster der Dauerhaftigkeit, überschüssigen Ausfluss und Chronizität ohne jegliche Heilung zeigen. Der Arzt erzählt diesem Patienten, dass er damit leben müssen wird. Klingt das vertraut?

Ringwurm ist das Miasma zwischen Psora und Sykose: Es gibt einen Aspekt der Bemühung und einen Aspekt der Resignation. Im Ringwurm kommt dies in Perioden im Leben eines Menschen, wo er

all seine Bemühungen in das Überwinden eines Problems steckt, zu Ärzten geht, einer Ernährungskur folgt, Sport treibt oder trainiert, und wenn alles vergeblich scheint und ihm die Energie ausgeht, wird er das Problem akzeptieren: Es ist schließlich nicht tödlich. Aber wenn ihn die Symptome wieder plagen und er genug Mut und Energie aufgebaut hat, wird er eine neue Episode anhaltender Bemühung beginnen.

Wir haben ein Miasma zwischen Akut und Sykose: das Malaria-Miasma. In diesem Zustand erlebt der Patient sein unveränderliches Problem als eine Behinderung und ein Hindernis für die Dinge, die er

im Leben tun will. Es macht ihn verbittert und klagend. Er fühlt „Warum ich?" „Was habe ich getan, um das zu verdienen?" Aber er tut nicht wirklich etwas, um sein Problem zu überwinden, er fühlt sich bloß bedauernswert und beschwert sich darüber, das ist alles. Neben dem chronischen Geplagtsein von seinem Problem hat er dazu noch diese akuten Attacken. Wenn die Attacken vorbei sind, hat er immer noch die nie endende Sorge. Wie ein Migräne-Patient, der heftige akute Attacken hat, aber dazwischen ist er immer noch der Migräne-Patient, der dies und jenes nicht essen oder trinken kann

und der es sich nicht leisten kann, auf Parties zu gehen und lange draußen zu bleiben. Oder er hat Hyperventilations-Attacken und sogar, wenn er nicht inmitten einer akuten Attacke ist, ist er immer

noch ein Hyperventilations-Patient. Das wird sein tägliches Leben einschränken. Auf der körperlichen Ebene könnte man in allen Fällen von chronischen Krankheiten, die in Attacken auftreten, das

Malaria-Miasma erwägen. Das heißt: wenn die begleitende Geisteshaltung vorliegt.

Syphilis ist der Gemütszustand, bei dem das Problem als tödlich und unheilbar wahrgenommen wird. Man kann nichts tun, aber gleichzeitig ist das Verweilen in der Position, in der er sich befindet, unerträglich. Das einzige, was man tun kann, ist eine verzweifelte Handlung zu unternehmen: Er weiß, es wird nicht helfen, aber er kann so auch nicht bleiben. Daher die zerstörerische Aktion von Syphilis: die Süchte oder der zerstörerische Lebensstil, die das Problem nicht lösen werden.

Wenn die Anforderung übermenschlich ist und die Anstrengung trotzdem unternommen wird, wird sie die Person zerstören, wie edel es auch auf den ersten Blick scheinen mag.

Selbstverständlich wird dieser Zustand sehr oft kompensiert sein, da es unerträglich ist, ihn zu leben. Oder er wird sich als die schwärzeste Depression und als Suizidneigung präsentieren. Alle körperlichen Beschwerden, die dem syphilitischen Miasma angehören, weisen die Merkmale der Zerstörung auf: von Gewebe, Fähigkeit, Blut oder Immunität.

Zwischen Sykose und Syphilis haben wir drei weitere Miasmen, und dies kann durch die Geschichte der Homöopathie erklärt werden. Als Hahnemann die Miasmen-Idee einführte, schrieb er über drei Miasmen: Psora, Sykose und Syphilis. Seine Nachfolger jedoch sahen manche sehr häufige zerstörerische Krankheiten als Kombinationen dieser an: Krebs und Tuberkulose. Im Laufe der Zeit wurden

sie zu eigenen Miasmen mit ihren eigenen Nosoden (krankheits-/miasmenspezifisches Arzneimittel).

Zur Zeit als Sankaran an Miasmen arbeitete, gab es diese 5 Miasmen. Akute Erkrankungen gehörten laut Hahnemann zu einer anderen Gruppe, aber Sankaran bezog sie in seine Miasmen-Theorie ein,

da er sie ebenfalls als auf einer Wahnidee basierend interpretierte.

Weil wir Miasmen zwischen Sykose und Syphilis hatten, schloss er, es müsse auch weitere Zustände zwischen den anderen Miasmen geben. Das war wiederum ziemlich logisches Denken.

Es war nicht so schwierig, den Krebs-Miasma-Zustand zu erkennen, da wir eine umfassende Prüfung und viele geheilte Fälle von Carcinosinum haben. Die Kombination eines unveränderlichen Problems, das potenziell tödlich ist, ist das gleiche wie beim Tuberkulose- und Lepra-Miasma, -wir kommen noch dazu- aber die Art damit umzugehen ist anders. Im Krebs-Miasma-Zustand nimmt der Mensch

Chaos als tödlich wahr und all seine Bemühungen fokussieren sich darauf, es zu kontrollieren.

Kontrolle und Perfektionismus sind seine Handlungen: nicht in einem spezifischen Bereich, sondern in allen Bereichen die ganze Zeit über. Man kann sich vorstellen, dass diese Anstrengung der Person keine Minute Pause lässt. Es ist ein andauernder Stress Tag und Nacht.

Die Person im Tuberkulose-Miasma mit den gleichen Eigenschaften von unveränderlich und potenziell tödlich fühlt sich unterdrückt: seine Zeit ist zu kurz, er fühlt sich erstickt, er braucht eine Veränderung der Luft, des Arztes, der Arbeit, des Partners, was auch immer... solange es eine Veränderung ist.

Er fühlt, dass er nicht einfach an der gleichen Stelle bleiben kann oder er wird sterben, daher ist Veränderung als Selbstzweck das zentrale Thema. Daher kennen wir Tuberkulinum als das weltoffene Arzneimittel, doch ist das lediglich ein Ausdruck des Bedürfnisses nach viel und unterschiedlichem Input. Er wird immer beschäftigt sein, zeigt hektische Aktivität, als ob die Kerze an beiden Enden brennt.

Das Lepra-Miasma verstand ich als das Miasma, das die Probleme des Krebs-Miasmas von Perfektionismus und Kontrolle, die Tuberkulose-Probleme von rasch, veränderlich und geschäftig plus die Lepra-Eigenschaften von Abscheu und ausgestoßen hat.

Der Lepra-Patient fühlt sich sehr nieder, er ist ungewollt und völlig allein, er hat keinen, er ist verachtet und verstoßen, schlecht behandelt selbst von den Mitgliedern seiner eigenen Familie. Er kann keinem trauen und muss sich auf sich selbst verlassen: Er wird in der Tat wie ein Aussätziger behandelt.

Weil er sich schmutzig fühlt, wird er kompensieren durch übertriebene Hygiene, weil er sich so nieder fühlt, werden sein Streben und seine Leistung extrem hoch sein.

Scham und Abscheu können auf ein Objekt außerhalb des Patienten projiziert sein (Ekel vor Gerüchen, gewissen Krankheiten, Müll, Körperabsonderungen) oder kann in Träumen von Stuhl auftauchen (erwischt oder bloßgestellt während dem Stuhlgang, Träume von der Gosse, bedeckt sein mit Stuhl, schmutzige Toiletten, Toiletten ohne Türen).

Das Lepra-Miasma ist Krebs plus Tuberkulose plus Lepra.

Es ist nicht so selten wie es auf den ersten Blick scheint; tatsächlich ist es überhaupt nicht selten. In modernen Städten leben viele Leute alleine, obwohl von Leuten umgeben, können sie völlig isoliert sein.

Während der Hitzewelle 2003 waren alleine in Paris tausende Menschen gestorben, die erst später in ihren Wohnungen gefunden wurden, weil keiner sie vermisst zu haben schien. Die Fürsorge und Unterstützung der Familie ist für viele Leute schlicht nicht vorhanden. Der „normal" gewordene Grad an Perfektionismus ist so extrem hoch in unserer Gesellschaft, dass viele den gnadenlosen

Konkurrenzkampf von vornherein verlieren und zurückgelassen werden. Was wir Hygiene nennen grenzt an Hysterie: zu häufiges Waschen mit zu viel Seife, jegliches Anzeichen eines Körpergeruchs hinweg nehmend, Wegwerfen von Utensilien, Desinfizieren unserer Umgebung und eine wahre Bakterienphobie, die unser Immunsystem faul und träge macht.

Wenn die Empfindung einer Pflanze der „was"-Aspekt eines Falls ist, ist das Miasma das „wie".

Im Beispiel der Pflanzenempfindung eines gehinderten Gefühls, als ob der Fluss gestaut ist, als ob die Bewegung von einem Hindernis gehemmt wird, ist dann die Frage: Ist der gestoppte Fluss zu akzeptieren, eine unglückliche Situation, eine akute Bedrohung, eine potenziell tödliche?

Anders als im Tierreich sind Miasmen im Pflanzenreich eine ungeheure Hilfe, um das Heilmittel zu bestimmen. Sankaran hat angefangen, Tabellen von Pflanzenfamilien mit Miasmen gekreuzt zu erstellen und fügte das passende Arzneimittel ein, soweit es bekannt oder geprüft ist. Die Arbeit ist noch nicht beendet: Es gibt viele leere Kästchen, es fehlen Familien in den Tabellen und Anpassungen werden gemacht in Übereinstimmung mit einem besseren Verständnis oder neueren Aktualisierungen. Die Tabellen müssen als Hilfe, nicht als endgültig angesehen werden.

Der Vorteil ist klar: Sagen wir, wir haben verstanden, dass der Patient eine Vitalstörung der Rutaceae-Familie hat und sie entsprechend dem Ringwurm-Miasma bewältigt. Wir müssen noch nicht einmal das spezifische Arzneimittel in diesem Kästchen (Aegle marmelos) kennen, sondern können in der Tabelle nachschauen, um zu sehen welches dort aufgelistet ist. Dann können wir zu unserer Materia Medica gehen, um zu prüfen, ob es zu dem Patienten passende Symptome gibt.

Sehr oft wird dies der Fall sein, was den Vitalen Ansatz als verlässlich bestätigt. Aber oft steht das Mittel überhaupt nicht in der Materia Medica oder nur mit ein paar Zeilen erwähnt.

Trotzdem können wir das Mittel mit vollem Vertrauen geben.

Oft sind wir dann versucht, das besser bekannte Arzneimittel der Familie zu geben: Im Fall des Beispiels wäre das Ruta.

 

 

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