Liebe Anhang

 

[Inge Kutter]

https://www.zeit.de/zeit-wissen/2014/05/psychologie-momente-zeit-minute

 

[Didier Grandgeorge]

Unterwegs nach Japan – 8. April 2004

Im Jahr 1810 unterzeichnete Christian Samuel Hahnemann in Torgau das Vorwort zum »Organon der Heilkunst«, die Grundsäule der homöopathischen Lehre.

Diese »Vorerinnerung« endet mit folgenden Worten:

»So viel warne ich im Voraus, dass Indolenz, Gemächlichkeit und Starrsinn vom Dienste am Altare der Wahrheit ausschließt, und nur Unbefangenheit und ermüdeter Eifer

zur heiligsten aller menschlichen Arbeiten fähig, zur Ausübung der wahren Heilkunde. Der Heilkünstler in diesem Geiste aber schließt sich unmittelbar an die Gottheit, an

den Weltenschöpfer an, dessen Menschen er erhalten hilft, und dessen Beifall sein Herz dreimal beseligt.«

Zu einem späteren Zeitpunkt, als er die chronischen Krankheiten seiner Zeitgenossen studierte, unterteilte er sie in 3 Kategorien, die er wiederum mit 3 »Miasmen« verband:

der Psora

der Sykose

der Luesinie

Nach seinem Verständnis ist die

Psora mit der Krätze , einer Krankheit, die sich durch Hautkontakt überträgt, die

Sykose mit dem Tripper, also den Gonokokken

Luesinie mit der Syphilis, wobei die beiden letzteren sexuell übertragbare Krankheiten sind.

In meinem früheren Werk »Homöopathie – ein Lebensweg«, beschreibe ich wie man diese drei Hahnemannschen Miasmen den drei von Freud beschriebenen Phasen der

seelischen Entwicklung zuordnen kann:

Orale Phase,

anale Phase und

ödipale Phase (die Phase des Ödipuskomplexes, die der griechischen Mythologie entlehnt ist).

Die Alten Griechen: die Liebe umfasst drei Dimensionen und belegten sie daher mit drei verschiedenen Begriffen:

Eros

Philos

Agape

Vor 2000 Jahren predigte Jesus an den Ufern des galiläischen Meeres »Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern

wird das Licht des Lebens haben.« (Joh8, 12).

Nun teilt sich aber das Licht in drei Grundfarben auf: das blaue, das gelbe und das rote Licht. Jede dieser drei Farben verkörpert eine der Dimensionen der Liebe.

Das blaue Licht bildet die verschmelzende Urliebe ab, die jeder von uns durch seine Mutter erfahren haben sollte.

Das gelbe Licht steht für den Vater – die Sonne, die uns anzieht und von der Mutter trennen wird.

Das rote Licht repräsentiert das ödipale Opfer, mit seinem Drang zum Töten, und für das vergossene Blut. Dem gilt es zu widerstehen, um – wie Christus – den Wein zu wählen, als Symbol des Jubels, der Agape, der geselligen Gemütlichkeit und der unendlichen Liebe für unsere Nächsten.

Man kann diese Begriffe als folgt zusammenfassen:

Weißes Licht Ganzes Spektrum (Prisma)

Blaues Licht »Ich«, Ego, Eros, orale Phase, Psora Die unendlich verschmelzende Liebe zwischen Mutter und Kind

Gelbes Licht »Wir« anale Phase, Sykose Das Nein des Vaters. Die begrenzte Liebe in der Gruppe

Rotes Licht »Sie« (Plural), ödipale Phase, Luesinie Opfer, Blut Verzicht auf Mord, Wein Unendliche, bedingungslose Liebe

Christus kannte die Liebe in all ihren drei Dimensionen, und er versprach sie jedem Menschen, der seinem Weg folgen würde.

Daher schien es mir spannend, eine Beziehung zwischen dem homöopathischen und dem christlichen Gedankengut herzustellen – inspiriert von Françoise Dolto, die vor einigen Jahren in ihrem Werk »Ein neuer Weg zum Evangelium:

Impulse aus der Psychoanalyse« bereits eine ähnliche Beziehung zwischen der Psychoanalyse und dem Evangelium verwirklicht hat.

Wir erwähnten bereits, dass das blaue Licht der Mutter entspricht, ihrer unendlichen Liebe sowie dem Ich, das sich in ihrem Schoß ausformt. Dieser erste Lebensschritt ist unverzichtbar. Man muss sich zuerst selbst lieben lernen – oder man bringt sich um. »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.«, spricht Christus (Mt 22, 39).

Das gelbe Licht, das Gold und die Sonne versinnbildlichen hingegen den Vater. Dank ihm »verlieren« wir die verschmolzene Beziehung mit der Mutter. Erst das erlaubt uns, andere Menschen zu lieben. Der Vater ist der Repräsentant der Gesellschaft, und wir tragen seinen Namen und sein Nein.

Dieses Nein kastriert unseren Allmachtswahn. Christus lehrte uns ein einziges Gebet: das »Vaterunser«.

Zu guter Letzt bezieht sich das rote Licht, das vergossene Blut, auf Ödipus und seinen Trieb, den Vater zu ermorden, um wieder in die Mutter zurücktauchen zu dürfen. Obendrein symbolisiert es das Opferblut, das Christus beim Abendmahl durch den Wein ersetzte, um so Mord und Gewalttätigkeit auszurotten. Schon bei der Hochzeit von Kanaan hatte er durch das erste Wunder, bei dem er Wasser in »Wein« verwandelte, auf jene geistige Dimension hingewiesen, die ihn in zur dritten Dimension der Liebe hinübertrug.

 

Francoise Dolto, Gerard Sévérin: Ein neuer Weg zum Evangelium. Impulse aus der Psychoanalyse, Walter Verlag 1984 (Französisch: L‘Evangile au risque de la psychanalyse, 1980)

Phon. Ähnlichkeit zwischen »le nom« (frz.) »der Name« und »non« (Nein)

4. Vaterunser Matthäus 6, 9

Christus lehrt uns ein Gebet, das folgendermaßen beginnt:

»Vater unser, der Du bist im Himmel«.

Das Wort »unser« bedeutet, dass wir alle den gleichen Gott haben, den gleichen Vater, dessen Kinder wir sind. Dieser Glaube an einen einzigen Gott wird von allen drei Buchreligionen geteilt.

Die Funktion des Vaters ist grundlegend, denn seine Rolle besteht darin, uns aus der unendlich verschmolzenen Liebe mit der Mutter, in der sich unser Ich formte, herauszuführen.

Indem uns die Vaterliebe Grenzen setzt und Regeln zuweist, eröffnet sie uns eine Dimension, die es uns möglich macht, unseren Nächsten zu lieben. Damit gelangen wir zunächst in die zweite Dimension der Liebe – das Wir –

um dann, im ödipalen Geschehen, der Versuchung des Tötens zu widerstehen und die unendliche, universelle Liebe zu unseren Nächsten zu entdecken, die wir als »Sie« bezeichnen.

Man kann sagen, dass der Vater der Botschafter der Gesellschaft ist, denn wir verdanken es ihm, dass wir das mütterliche Nest verlassen und so den Nächsten begegnen können.

Abbé Pierre wiederholte oft: »...und die Nächsten?«.

Bernard, ein Freund aus den Bergen, machte mich darauf aufmerksam, dass man auch heraushören könne: »Vaterunser, der Du auch »Sie« bist!«

Für Schwester Emmanuelle lag das Paradies in »den Nächsten«. Sie vertrat damit den Gegenpol zu Jean-Paul Sartre, für den die Nächsten die Hölle waren (Meli.).

 

Abbé Pierre, bürgerlich Henri Antoine Grouès (1912-2007), katholischer Priester und Gründer der humanitären Bewegung Emmaus in Frankreich, laut Umfragen Jahrzehnte lang beliebtester Franzose.

Gemeint ist: Notre père, qui est aux cieux – notre père, qui est aussi eux »aux cieux« (in den Himmeln), »aussi eux« (auch sie)

Schwester Emmanuelle, bürgerlich Marie-Madeleine Cinquin (1908 - 2008), französische Ordensschwester, auch als »Mutter der Müllmenschen von Kairo« bekannt, lebte lange Zeit mit den Müllkindern in den Slums der ägyptischen Hauptstadt Kairo.

So wird der Vater auch durch Pegasus symbolisiert, das geflügelte Pferd, das uns auf seinen Rücken hievt, um uns ins Paradies zu tragen – Gott näher, den Nächsten näher!

»Dein Name werde geheiligt«. Wir tragen den Namen unseres Vaters und wir sind seinem Nein unterworfen, was unser Ego begrenzt. Das ist der väterliche Kastrationsvorgang, eine schwierige Lebensetappe zwischen 18 Monaten und 2 Jahren, in der das Kind auf seine unbeschränkte Macht verzichten und die sogenannte »orale Phase« verlassen muss, um in die »anale Phase« einzutauchen. Hier erlernen wir Kontrolle und Grenzsetzung. Paranoide tun sich schwer mit der Anerkennung dieser Grenzen. Es ist aber notwendig, sie anzuerkennen, denn erst dadurch wird ein Leben mit den Nächsten möglich.

Wenn zwei Männer sich im gabonesischen Urwald treffen, sagen sie: »Guten Tag, wie heißt Du?« (»M’Bolo, Kumbouaou«). Ohne Namen (und ohne Nein) existieren wir nicht: Das Leben wird zerbrechlich.

Ein krebskranker Mensch beispielsweise, der aufgrund seiner Angst, die verschmelzende Mutterliebe zu verlieren, weder wirklich Nein sagen, noch Grenzen setzen kann, findet sich in einer Krankheit wieder, die ihn mit Zellen befällt, deren besondere Eigenart es ist, sich ungebremst auszubreiten.

Nehmen wir das Beispiel von Valérie, die an Lungenkrebs litt. Es handelte sich um eine junge Frau von 39 Jahren. Ihre beiden Kinder hatte ich schon seit einigen Jahren behandelt. Bei den ärztlichen Untersuchungen verhielten sie sich immer unerträglich. Sie benahmen sich unhöflich, fassten alles an, waren ruhelos, kurzum: Kinder, die selbst für einen Kinderarzt anstrengend waren. Dank Homöopathie waren sie glücklicherweise nur selten krank und kamen einmal halbjährlich zu Routineuntersuchungen, die ich leider nicht hinausschieben konnte. Dabei kam nie der Vater mit, und die Mutter wirkte überfordert. Gegen ihre Kinder, die ihre Grenzen ganz offensichtlich austesteten, sagte sie nie etwas.

Am 13. Juli 2000 erzählte mir die Frau Mama, dass sie große gesundheitliche Sorgen habe. Man hatte Lungenkrebs festgestellt. Sie musste sich operieren lassen und sich danach einer Chemotherapie unterziehen. Es handelte sich um ein Adenokarzinom des oberen linken Lungenlappens.

Ich schlug ihr vor, noch einmal ohne Kinder am Abend zu kommen, um eine tiefgreifende Arznei für sie zu finden und sie für die anstehenden Untersuchungen fit zu machen. Sie erschien wie verabredet und erzählte mir, dass sie seit ihrer Pubertät zehn Zigaretten am Tag rauche. Vor einem Monat hatte sie eine Lungenentzündung des linken unteren Lungenflügels erlitten, die sich nur wenig später wiederholt habe. Vorschriftsgemäß ordnete ihr behandelnder Arzt daraufhin eine Bronchoskopie sowie eine Tomographie an. Dabei kam der tumoröse Prozess ans Licht.

Die Rubrik »Lungenerkrankung des linken Unterlappens« im Repertorium von Kent führt drei Arzneien auf: Chel. Nat-s. Sulph.

Als ich Chelidonium entdeckte, kam mir eine andere Kentsche Rubrik in den Sinn: »Verlangen, seine Kinder zu schlagen«, wo diese Arznei als einzige aufgeführt ist.

Das hätte eine Empfindung sein können, die einem in Gegenwart ihrer Kinder ins Bewusstsein kam! Und so stellte ich ihr die Frage: »Haben Sie niemals Verlangen,

Ihre Kinder zu schlagen?« Sie wurde blass und ihr Gesicht verfiel: »Aber ich, Herr Doktor – ich bin es, die früher als Kind geschlagen wurde! Das ist das geheime Drama meines Lebens!«

Auf einmal wurde mir klar: Angst, etwas in die Tat umzusetzen und sich nicht mehr kontrollieren zu können – und möglicherweise eines von ihnen zu töten?

Da zog sie es doch vor, gar nichts zu sagen und sich lieber von ihren Kindern überwuchern zu lassen... Übrigens ließ sie sich von allen Seiten überwuchern.

Sie übte eine Arbeit aus, die ihr nicht gefiel – Sekretärin  (»Geheimnisverwalterin«) – nur um ihren Ehemann zufriedenzustellen. Sie schaffte es nicht »Nein« zum Tabak zu sagen, dessen blauer Dunst in sie eindrang. Und letztlich ließ sie sich von den tumorösen Zellen überwuchern. Ihr Ehemann warf ihr vor, sich von den Kindern durcheinander bringen zu lassen. Er selbst setzte ihnen jedoch ebenfalls keinerlei Grenzen.

Ich verordnete ihr eine Gabe Chelidonium C15, gefolgt von einer Gabe Tabacum C15 acht Tage später. Danach Potenz-akkorde von Chelidonium C18, C24, C30.

Wiedervorstellung am 20. Oktober 2000: Man hatte bei ihr links oben eine Lobektomie durchgeführt. Seither unterzog sie sich einer Chemotherapie in Marseille.

Sie fühlte sich mit den Chelidonium-Gaben sehr fit und verblüffte die Klinikangehörigen, weil sie trotz der schweren Behandlungen keinerlei Nebenwirkungen zeigte.

Ein Detail: Seit der Arzneieinnahme hatte sie bemerkt, dass ihr Stuhl nicht mehr in der Toilette herumschwamm. Das wiederum bestätigte die Arznei, von der uns dieses Symptom bekannt ist.

Nach einer Riechgabe Carcinosinum XM fuhr ich fort mit Chelidonium 200K, M, XM, LM, CM, eine Gabe pro Monat, in der angegebenen Reihenfolge.

8. Februar 2001: Es ging ihr gut, sie war glücklich und hatte keine Ängste mehr, wie ihr sehr erholter Gesichtsausdruck bestätigte.

11. März 2001: »Dank dieser Erkrankung haben sich viele Dinge geregelt, selbst in unserer Ehe«, sagte sie mir. Sie hatte beschlossen, ihre Sekretariatsarbeit aufzugeben und ihren Traum zu verwirklichen: eine Gastpension mit provençalischer Küche zu eröffnen.

Verordnung: Chelidonium LM1 bis LM15, eine Gabe monatlich. (»secrétaire – secret taire«: »secret« (Geheimnis) und »taire« (verheim-

lichen). Sekretär bezeichnete ursprünglich einen Geheimschreiber und Geheimnisverwalter, später allgemein einen Schreiber oder Schriftführer

7. September 2001: Es ging ihr gut. Die Chemotherapie war im Mai beendet worden. Kürzlich hatte sie Unbehagen im linken Brustraum verspürt, woraufhin sie spontan zu den Globuli von Chelidonium C7 griff, und sich alles zum Besten wendete. Sie hatte ihr Gästehaus eingerichtet und blühte dort zusehends auf.

29. Januar 2002: Die tomographische Kontrolle war normal.

Sie nahm gelegentlich Chelidonium C7, beispielsweise wenn sie vor den klinischen Kontrollen in Marseille Angst bekam.

13. Juli 2005: Die Bilanz nach fünf Jahren: Es wurde nichts Ungewöhnliches mehr festgestellt. Es ging ihr gut, alle klinischen Untersuchungen waren ohne Befund.

Man betrachtete sie als geheilt. Im Jahr 2009 zog die Familie nach Nordamerika um, weil ihr Ehemann beruflich dorthin versetzt wurde. Gesundheitlich ging es ihr gut.

Chelidonium, das Schöllkraut, ist vor allem wegen seiner Wirkung auf die Leber bekannt, darüber hinaus durch eine Betrachtung, die uns E. Valero in seinem Buch »Exakte

Homöopathie« (Band 2) mitteilt.

In der biblischen Geschichte heilt Tobias die Erblindung seines Vaters, indem er ihm aufgrund der Vorgaben des Engels Raphael, der ihn begleitet, Fischgalle auf die Augen legt (Tob 6, 1-15). Chelidonium ist eine Pflanze, deren Saft an die Galle erinnert. Das Wappen der Stadt Saint-Raphael zeigt einen Engel, der einem Kind die Hand reicht, das einen Fisch trägt.

Was bedeutet das Symptom »Verlangen, seine Kinder zu schlagen«? Wir haben gelernt, dass der Mensch auf dem Weg der Erkenntnis seinen »inneren Tieren« gegenübertreten muss. Sie treten besonders während der Kindheit auf klare »la grande éclaire« (der große Aufklärer, Beleuchter)

Der Fisch symbolisiert die Galle (»la gale«)

Weise in Erscheinung, solange die tiefgründigen tierischen Triebe noch nicht vom Über-Ich kontrolliert werden.

Chelidonium wählt eine falsche Taktik und projiziert sein inneres Ringen nach außen. Anstatt sich seiner eigenen Kindheit zuzuwenden und zu versuchen, sich seinen ungelösten Problemen zu stellen, wendet er sich gegen die Kinder in seinem Umfeld. Er hält ihr »abnormes Verhalten« nicht aus und versucht sie »auf körperliche Weise« zu korrigieren.

Cereus bonplandii: ist eine Arznei für jene Menschen, die Gott am liebsten zur Mutter haben möchten. Also einen Gott, der keine Grenzen setzt, der Einfluss nimmt, der sie überwältigt und mit ihnen verschmilzt. Sie selbst leben »unter dem Einfluss fremder Mächte«, erlauben anderen, sich in ihnen auszubreiten, lassen sich verhexen und in ihren Bann ziehen. Gleichzeitig betören sie wiederum die anderen und dringen in sie ein. Doch schon im Namen der Arznei versteckt sich die Lösung. Es ist Reus, der gute Plan, sich Gott und anderen zu nähern: Reus – der König, der Vater, derjenige, der Grenzen setzt. (Wortspiel: Ce-Reus Bon-Plandii, »bon plan« = guter Plan)

Es kann sich um eine Heranwachsende handeln, deren charakterliche Veränderung die Eltern beklagen. »Seit sie unter dem Einfluss einer Freundin steht, erkennen wir sie nicht wieder: Sie nimmt Drogen, lügt, stiehlt und tut nichts mehr für die Schule!«

Oder es handelt sich um ein Kindergartenkind, das sich gemeinsam mit einem Kameraden so sehr von den anderen absondert, dass man sie voneinander trennen muss, um ihm wenigstens noch ein bisschen eigene Kreativität zu entlocken. »In allem ahmt er seinen Freund nach und löscht damit seine eigene Persönlichkeit aus.« Etwas derartiges kann man auch bei manchen Zwillingen beobachten.

»Dein Reich komme, Dein Wille geschehe, im Himmel wie auf Erden.

« Während unseres Erdenlebens beherrschen uns Abgötter, unter denen das Geld unangefochten an der Spitze steht. Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte werden

wir heute vom Geld völlig beherrscht – somit von der analen Phase. Diese Verunreinigung bedroht unmittelbar die bloße Existenz des Menschen, was Malraux

zu der Aussage veranlasste, das dritte Jahrtausend werde ein spirituelles sein oder gar keines.

»Gib uns unser täglich Brot...«, um die psorischen Ängste zu beruhigen, die Ängste der »oralen Phase«, mit der Angst vor einem Nahrungsmangel an erster Stelle.

Psorinum ist die homöopathische Arznei der Verlassenheit, eine Hauptarznei für alle Allergiker, welche die Außenwelt nicht vertragen, weil sie sich nie von dem Umstand erholt haben, aus der Gebärmutter verjagt worden zu sein!

»Vergib’ uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern«. Hier handelt es sich um sykotische Ängste.

Man verletzt den Nächsten, indem man seine Grenzen nicht respektiert. Nur die Vergebung erlaubt es uns, zur dritten Dimension fortzuschreiten. »Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe.« (Mt 5, 23-24). Anderenfalls ist das Gebet nutzlos!

Acidum nitricum: das Mittel für jene, die niemals vergeben können. Sie sind streng und hart wie eine Eiche, die der Sturm bald entwurzeln wird, wohingegen das Schilfrohr, bescheiden, sich bedacht beugend und flexibel, diese Prüfung ohne Schaden überstehen wird!

»Und führe uns nicht in Versuchung«, damit wir vom dritten  Hahnemannschen Miasma, der Luesinie, befreit werden: vom ödipalen Drang zu morden, durch den wir die Peiniger vernichten und die Macht behalten wollen. Dabei kann es sich auch um die Verführung zum Ehebruch, zur verbotenen Liebe,

handeln, die uns auf das Verbot des Inzests zurückführt. Dieses Thema werde ich später noch etwas mehr vertiefen.

 

André Malraux, (1901-1976), französischer Philosoph, Schriftsteller,

verarbeitet in seinen Romanen die Erfahrungen als Teilnehmer der Revolutionskriege in Indochina

 

[Anna Kemper]

Früher war das Wort Liebe für das Gefühl zwischen zwei Menschen reserviert, heute hat es sich in unserem Sprachgebrauch inflationär breitgemacht. Höchste Zeit, Schluss

zu machen

70 Kommentare

Es mag seltsam sein, kurz vor Weihnachten weniger Liebe zu fordern. Aber es muss sein. Denn es reicht. Egal in welches Schaufenster wir blicken oder in welche Bäckereiauslage, welche Zeitschrift wir aufblättern oder welche Fernsehwerbung wir sehen: Die Liebe macht sich seit Jahren im öffentlichen Raum breit. Inflationär breit.

Es wird, so verrät es uns die Werbung, praktisch nur noch aus Liebe gehandelt: aus Liebe zur Kartoffel, zum Teig, zum Menschen, aus Liebe zum Bad, zum Backen, zum Pferd, zum Tee, zum Parkett, zur Wurst und sogar (von wegen German angst) aus Liebe zur Zukunft. Der gesamte Berliner öffentliche Personennahverkehr beruht auf Liebe ("Weil wir dich lieben"). War der Slogan "Wir lieben ..." früher praktisch unbekannt, wird mittlerweile alles mit Liebe überschüttet: "Wir lieben Bio", "Wir lieben Tierärzte", "Wir lieben Autos"; Naheliegendes wird geliebt wie zum Beispiel Hunde, Pizzen, Kinder, Rosen, Urlaub, Musik und Bücher; Städte sind auch dabei (Forchheim, Hamburg, Dresden, Leipzig, Chemnitz); Dinge, die schon lange auf ein bisschen Liebe gewartet haben (Möbel, Namensschilder, Böden, Horrorfilme, Technik, Lebensmittel, IT,  Rechnungen, Logistik, der Bocksbeutel, Frottee und Männer), und sogar (was ich bei einem Blick nach unten stark bezweifeln möchte) meine Schuhe. Ihre übrigens auch.

Früher beruhte das deutsche Wirtschaftswunder auf technischer Verlässlichkeit, heute scheint es ein reines Liebeswunder zu sein. Es wird mit Liebe gebacken, gebraut, gekocht, gebrüht und überhaupt: gemacht. Ein absurder Liebesboom, dem man nicht entkommen kann. Auslöser scheinen zwei Werbekampagnen im Jahr 2003 gewesen zu sein. Eine deutsche Agentur erfand damals den McDonald’s-Slogan "Ich liebe es", und ProSieben wirbt seitdem mit "We love to entertain you". In den 70 Jahren davor

gab es nur 150 Werbeslogans, in denen "Liebe" oder "lieben" vorkam, in den 15 Jahren danach mehr als 600.

Zuerst fiel es bei der Autowerbung auf, die plötzlich mit Emotionen warb statt mit technischen Details. Die Modelle derselben Fahrzeugklasse unterschieden sich qualitativ nicht mehr so stark, und wenn Produkte im Prinzip gleich gut sind, bleiben nur Gefühle, um sie unterscheidbar zu machen. Und Emotionen wirken tiefer als Argumente.

Seit unsere Welt durch das Internet immer technischer geworden ist, hat die Liebesinflation sich rasant verstärkt. Denn die Anbieter von Mobiltelefonen, Internetportalen

und Handyverträgen wissen, dass ihre Produkte austauschbar sind, und preisen ihre Produkte über im Gegenlicht fotografierte Gefühle an. Der Wirklichkeit, in der auch

wir alle immer gleicher werden, wird die Individualisierung entgegengestellt: Schau, hier ist etwas, das extra für dich gemacht wurde, wir haben an dich gedacht, du wirst

in der Masse mit deinen Bedürfnissen gesehen. Ich tu dir etwas Gutes. Wir gehören zusammen. Du und ich. Ein warmes Gefühl, das genau das zurückfordert: Liebe mich! Was ganz schön unverschämt ist: Schließlich ist ein Handyvertrag am Ende doch ziemlich egal. Und so verschwindet das warme Gefühl auch so schnell, wie es gekommen ist. Bis uns ein neuer Liebesantrag umwirbt. Dass die romantische Liebe eine Ehe tragen soll, ist ja eine relativ neue Idee. Dass sie jetzt auch noch den Kapitalismus ölen soll, ist eine erstaunliche Karriere für ein Gefühl.

Nach all den Jahren hat diese Inflation unsere Sprache und uns verändert. Im Englischen wurde schon immer deutlich großzügiger mit den Wörtern Liebe und lieben umgegangen. Im Deutschen aber war Liebe lange sehr exklusiv für das große Gefühl zwischen zwei Menschen reserviert. Nicht für Brokkoli. Seit uns aber unsere Sprache suggeriert, dass nur noch das etwas wert ist, was geliebt wird, prägt das unsere Ansprüche. An die Arbeit zum Beispiel: Es reicht nicht mehr, dass man etwas gut kann und

gut dafür bezahlt wird – nein, man muss es lieben. Das schafft Raum für Ausbeutung, schließlich sind wir bereit, für Liebe auf Geld und Sicherheit zu verzichten. Alles geht nur noch mit übersteigertem Gefühl: Wir wollen unsere Hobbys lieben, die Stadt, in der wir leben, das Essen, das vor uns auf dem Teller liegt. Bleibt die Emotion aus, glauben wir, dass etwas fehlt – so als würde man von einem Videospiel aufschauen und das Gefühl haben, der Realität seien die Farben entzogen. Dabei ist es doch meistens vollkommen okay, wenn Dinge einfach ganz gut sind. Oder schön. Oder Spaß machen. Oder gut schmecken.

Und während die Liebe Dinge aufwerten soll, passiert das, was bei jeder Inflation passiert: Das Wort Liebe selbst verliert an Wert, weil es auf den Wohlfühlfaktor reduziert wird. Dabei ist die Liebe schöner und schmerzhafter, aufregender und gefährlicher, erhebender und zerstörerischer, einfach: viel größer als ein in den Milchschaum gezeichnetes Herz. Und welches Wort wollen wir verwenden, wenn wir wirklich einmal von dem Gefühl für unseren Partner oder unsere Kinder sprechen wollen, wenn

wir "Liebe" schon für Getriebeöl benutzt haben? Es ist Zeit, den rhetorischen Liebesrausch hinter uns zu lassen und wieder etwas auszunüchtern. Machen wir Schluss.

Aus Liebe zur Liebe.

 

[Susi Weichselbaumer]

Liebe & Chemie

Wenn Liebe wie der Blitz einschlägt

Die Liebe auf den ersten Blick setzt uns die rosarote Brille auf. Dann rattern im Körper komplexe chemische Prozesse los. Die Hormone steigen in die Achterbahn. Botenstoffe werden ausgeschüttet. Wir sind wie berauscht.

Plötzlich verliebt: Was in unserem Körper passiert

Das Hormon Adrenalin beispielsweise macht dem Herzen Beine, indem es den Herzschlag beschleunigt. Es lässt Schmetterlinge im Bauch fliegen, färbt Wangen rot und weitet Pupillen. Dazu schießt die Konzentration von Phenylethylamin im Körper in die Höhe und löst erotisches Verlangen nach genau der einen auserwählten Person aus.

Ist die Nase krumm? Der Schwarm einen Kopf kleiner? Egal! Hat Amors Pfeil getroffen, sind für uns sämtliche andere Menschen weniger attraktiv als das Objekt der Begierde. Das zeigen Studien. Bewusst suchen wir uns Partner nicht aus, das übernehmen chemische Prozesse im Körper.

Was passiert beim Verlieben und beim Sex bei Mann und Frau? IQ - Aus Wissenschaft und Forschung erklärt's in der Sex-Serie: "Chemie der Liebe - Das weiß die Wissenschaft über Sex". Chemie der Liebe: Kribbeln im Bauch

Ausser Rand und Band: Im Rausch der Botenstoffe

Durch den Anstieg des Neurothrophin-Spiegels, ein Botenstoff, sind wir zu allem bereit, was auch zu irrationalen Handlungen führen kann, sagt die Gynäkologin Maria Frank vom Hormon- und Kinderwunschzentrum der LMU München. Auch die Hemmschwelle sinke.

Dazu aktiviert leidenschaftliche Liebe noch Hirnareale, die mit Euphorie, Belohnung und Motivation zusammenhängen. An diesen Stellen docken auch Opiate oder Kokain an und treiben den Dopaminwert hoch. Wer verliebt ist, ist dauereuphorisch, vergisst jedes Hunger- und Schlafbedürfnis. Durchschnittlich vier Stunden pro Tag denken Verliebte ausschließlich an den oder die Geliebte. Die Umwelt rückt in den Hintergrund.

Liebe und Sex: Lust und Leidenschaft auf dem Campus

Ausnahmezustand Liebe: Warum sich Verliebte seltsam verhalten

"Warum bekomme ich keine Antwort?!" Verliebte neigen zu zwanghaftem Verhalten. (Symbolbild)

Der Körper dreht noch weiter auf - oder in diesem Falle zu: Während viele Botenstoff-Pegel bei Verliebten ansteigen, sinkt der Serotonin-Spiegel. Verliebte leiden unter Entzugserscheinungen und sind traurig, wenn der geliebte Mensch nicht da ist oder sich nicht sofort auf Kurznachrichten meldet. Am zwanghaften Verhalten von Verliebten ist der Botenstoff Serotonin schuld.

Gesagt: Ferngesteuert durch Serotonin?

    "Serotonin ist ein wichtiger Botenstoff, der sogenannte Glücksbotenstoff, der bei Verliebtheit interessanterweise abnimmt. Dieser Widerspruch lässt sich dadurch erklären, dass es ähnlich wie bei einer Zwangsstörung zu einer Serotonin-Abnahme kommt. Und somit das zwanghafte Verhalten, das wir ja auch von Verliebten kennen, dadurch begründet sein kann."

 

Maria Franz, Gynäkologin, München

Audio: Warum wir jemanden anziehend finden

Musiknote / Logo für PULS Playlist | Bild: BR

Attraktivität: Was finden wir sexy?

Nähe: Warum Verliebte ständig kuscheln wollen

Homosexuelles Paar beim Kuscheln. | Bild: colourbox.com

 

Durch Streicheln, Umarmen und Küssen steigt der Spiegel des Bindungs- oder Kuschelhormons Oxytocin an und Verliebte finden schnell heraus, ob sie sich gut riechen und schmecken können. In der Evolutionsbiologie ist das ein Zeichen dafür, dass die Immunsysteme der Partner gut zusammenpassen. Eine ideale Voraussetzung für Nachwuchs.

Liebelei oder Liebe? Das zeigt sich nach sechs Monaten

Nach drei bis sechs Monaten lässt bei den meisten Menschen das Gefühl des Verliebtseins nach. Manche Paare trennen sich, bei anderen geht es intensiver weiter:

Das Gehirn schaltet dann auf Langzeitbindung um und produziert Hormone wie Oxytocin und Vasopressin.

Der Dopaminspiegel sinkt. Damit werden im Gehirn wieder Regionen eingeschaltet, die während der heißen Phase des Verliebtseins nahezu ausgeschaltet waren.

Zum Beispiel die Regionen, die für das Empfinden von Angst und für das Lösen von Problemen zuständig sind. Wir legen die rosarote Brille ab und sehen wieder klar.

 

 

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