Lycopodium clavatum Anhang

 

[Klaus Löbisch]

Nachdem ich diesem Mittel innerhalb eines Jahres in den Gaben von C 30 bis C 10000 begegnet bin und eine nicht zu leugnende heilsame Wirkung erfahren habe, fällt es mir immer noch schwer, mich mit dem

herkömmlichen Arzneimittelbild Lycopodium anzufreunden.

Ich habe mir überlegt, ob nicht auch Lycopodium, wie z.B. Sepia, eine "Modernisierung" des AMB nötig hätte. Wer möchte denn von so einem Mittel geheilt werden.

Vassilis Ghegas und Vithoulkas beschreiben Lycopodium als aufgeblasen und feige. Kent führt ihn III-wertig unter der Rubrik diktatorisch und machtliebend auf.

Wut entwickelt er nur gegenüber Schwächeren, nämlich Frau und Kindern. Wenn er ehelicht, dann nur aus Statusdenken heraus. Bei der Vorstellung, ein Leben lang mit einer Frau zusammen zu sein, wird Lycopodium impotent und flieht aus der Familie, um sich seiner (untergebenen) Sekretärin in die Arme zu werfen. Für Candegabe sind Hochmut, Minderwertigkeit und Erwartungsspannung im Zentrum eines Lycopodium-AMB.

Ein bedauernswertes Wesen also, das fahrradfahrender Weise, aufgeblasen hinter einem Mercedeslenkrad sitzt, nach oben buckelt und nach unten tritt.

Intelligenz und Organisationstalent sind die einzig en Attribute, die nicht den Beigeschmack von Verachtung tragen.

Wie realistisch sind diese beabsichtigt übertriebenen Arzneimittel-Beschreibungen?

Repräsentieren sie noch ein griffiges Bild, das es dem Behandler erleichtert, Lycopodium zu erkennen? Sankaran bemerkt bei der Darstellung von Lycopodium, dass es alles tun wird, damit die Wahrheit über seine

wirkliche Situation nicht ans Tageslicht kommt. Insofern ist es für mich schon fast ein Koan, meine Reaktionen zu dem herkömmlichen Arzneimittelbild zu beschreiben. Wie leicht könnte ich doch die unbequeme "Wahrheit" nicht vertragen und meine "scheinbare" Wirklichkeit in ein besseres Rampenlicht stellen.

Eine gewisse Blindheit für die eigene Situation leugne ich gar nicht, doch verhilft, wie bei anderen Mitteln auch, die "Inkorporation" der verordneten Globulis zu einem bescheidenen Erkenntniszuwachs.

Da die verschiedenen Gaben mehr als nur meine Verdauungsprobleme gebessert haben, beschloss ich endlich, die Wirkung des Arzneimittels zur Kenntnis zu nehmen.

Mein Behandler hatte mich auch gewarnt, ich sollte mich von den Lycopodium-Darstellungen nicht abschrecken lassen. Ich habe den Eindruck, dass die vielen aneinander gereihten Beobachtungen zum Lycopodiumbild keinen Sinn machen, wenn sie nicht in einen größeren Zusammenhang gestellt werden. Ich arbeite noch nicht lange genug in der Homöopathie, um diese Arbeit leisten zu können, möchte aber ein wenig von meinem psychotherapeutischen Hintergrund und meiner eigenen Erfahrung mit dem Arzneimittel berichten. Vielleicht fühlen sich auch andere angeregt, sich zum psychologischen und mythologischen Lycopodiumbild einige Gedanken zu machen.

Den ersten Zugang bekam ich, als ich über Candegabes Kreisschema nachgedacht habe. Minderwertigkeit steht im Zentrum. Warum fühlt sich ein Mensch minderwertig? Ich stellte Candegabes Beobachtung nicht in Frage, war aber mit diesem Menschenbild unzufrieden. Was steht dahinter? Ich erinnerte mich an ein Buch über Muttersöhne, das mich vor Jahren im Urlaub fasziniert hatte. Volker Pilgrim arbeitete an einigen Stellen im Buch den Unterschied zwischen einem Muttersohn (Lyc.) und einem Vatersohn heraus, den ich mit dem homöopathischen Aurum-Menschen vergleichen möchte. Das gesunde Aurum verfügt über eine natürliche Autorität und übernimmt

Verantwortung für andere, ist religiös, im Sinne des Wortes "rückgebunden" an seine Herkunft. Sein Konflikt liegt darin, sich von den übertriebenen Wünschen und Vorstellungen des Vaters zu befreien und seinen eigenen Weg zu finden. Der Aurum-Sohn hat also einen väterlichen Zuspruch gehabt und konnte eine innere Wertigkeit, eine eigene Identität entwickeln. Bei dem Lycopodium-Sohn ist das anders: er musste auf das männliche Wohlwollen fast gänzlich verzichten. Im Märchen "Der goldene Vogel" ist nachzuvollziehen, wie der Fuchs (als das männliche Unbewusste) den Königssohn fordert und immer wieder trotz seiner "Fehler" unterstützt, damit der Prinz in der Welt, die er später regieren soll, Erfahrungen macht.

Der Lycopodium-Sohn wächst mit einem Vater-Defizit auf. Um die Bedeutung dieses Defizits etwas deutlicher zu machen, gehe ich in Anlehnung an R. Bly's Buch etwas näher darauf ein:

Eine männlich geistige Identität wird nicht in den Genen mitgeliefert, sondern steckt in den kulturellen Werten, die die Männer z.B. in Mythen, Märchen, Liedern, Gedichten usw., als eine Art menschliche Software von Generation zu Generation weitergegeben haben. Ein Mensch wird nicht von selbst ein Mensch. Ohne die

Beherrschung der Sprache entfällt ein wesentliches menschliches Merkmal, (z.B. das symbolhafte Denken). Ausgesetzte Kleinkinder, die von Tieren großgezogen wurden, verfügen nicht über menschliche Qualitäten. Auch ein Sohn kann sich nur zu einem Mann entwickeln, wenn er nahen Kontakt zu einer Vaterfigur hatte. Die Notwendigkeit

für den Knaben, von einem bestimmten Alter an in eine männliche Rolle zu schlüpfen, sind in erster Linie durch den Geschlechtsunterschied bestimmt, der als Information in Gesellschaft und Familie existiert. Es ist die Aufgabe des Vaters, der den Sohn unterstützen muss, sich aus dem Bezirk des Weiblichen zu lösen, um die Einheit mit der Mutter zu überwinden.

Robert Bly beschreibt ein afrikanisches Initiationsritual, wo der Knabe aus der weiblichen Wohnstätte entführt wird und die Frauen mit gut gespieltem Ärger den Verlust bedauern. Der Knabe muss nun an einem abgelegenen Ort 3 Tage alleine fasten. Am Ende der Fastenzeit wird er von den Männern aufgefordert, sich eine Vene aufzuschlitzen und das Blut in eine Schüssel fließen zu lassen. Die Schüssel geht im Kreis und jeder Mann lässt sein Blut hinein. Dieses Blut des männlichen Kollektivs wird dem Knaben zum Trinken überreicht. Durch das nächtliche Ritual wird der Knabe in den Kreis der Männer aufgenommen und symbolisch auch von ihnen genährt.

Steht nun der Vater psychisch nicht zur Verfügung, so dauert die Einheit zwischen Mutter und Sohn länger, denn aus dieser Einheit herauszutreten heißt dann, die Gefahr einer ungewissen Zukunft auf sich zu nehmen.

Seitdem ein Großteil der Männer außerhalb der Familie arbeiten, haben die Söhne keine Vorstellung mehr, was ihre Väter machen. Alexander Mitscherlich hat den Begriff der vaterlosen Gesellschaft geprägt. Er sagt, daß die Knaben das durch die Abwesenheit entstehende psychische Defizit mit Dämonen füllen.

Hinzu kommt, daß wir seit dem kollektiven Wahn des 2. Weltkrieges einen Verfall all jener männlichen Werte haben, die auch als Korsett für die weltweite  Massenvernichtung eine Rolle gespielt haben. (Ehre, Treue, Vaterland, Pflicht) Ein großer Teil unserer Väter stand damit vor einer schweren Aufgabe. An das Alte konnten

sie nur mit Scham zurückdenken – wirkliche männliche Werte waren auch schon vor dem III. Reich versunken. Mir war lange Zeit nicht klar, wieviel Schmerz in der Verleugnung der eigene in Staatsbürgerschaft steckte. Wenn ich im Ausland unterwegs war, verständigte ich mich gut mit Englisch, so dass ich meine deutsche Identität oft nicht preisgeben musste. Heute wird mir auf einer anderen Ebene klar, dass ich nie vom Mutterboden aus das Land der Väter erreichen konnte. Zu viel unverarbeitete Geschichte lastete kollektiv auch auf mir. Scham und Vorwurf war lange Jahre meine Reaktion auf die Vergangenheit.

Die Lycopodiumfamilie oder die Tradition der Muttersöhne

Die Mutter wird in einer Verbindung, in der ein "Lycopodium"-Miasma besteht, den Mann als Partner und Bezugsperson vermissen. War es anfangs wirtschaftliche Not, die die Männer zu Überstunden trieb, so wird die Arbeit mit den Jahren zu einer Flucht aus der Partnerschaft. Die Konsequenzen aus einer solch verarmten Beziehung sind den Paaren weitgehend unbewusst. Eine Partnerschaft zwischen Mann und Frau dient nicht nur dem Großziehen von Kindern, sondern ist auch eine Verbindung, in der die Partner in jahrelanger Arbeit ihre gegengeschlechtlichen Anteile (Jung nennt sie Anima und Animus) entwickeln können. Erst nach diesem psychischen Reifeprozess kann eine zweite, innere Hochzeit vollzogen und damit die Beziehung erneuert werden. Negiert der Mann, regrediert die lebendige Beziehung zu seiner Frau, regradiert er direkt

in den Schoß der Großen Mutter, die den Namen BETRIEB-FABRIK-UNTERNEHMEN trägt, die ihn statt mit Milch mit Überweisungen auf sein Konto nährt. Die Ehefrau leidet unter dem Beziehungsverlust und lenkt ihre Kraft meist auf ihre Kinder. Ein Kind ist einfach überfordert, das Defizit zu füllen, das der Vater in der Partnerschaft hinterlässt. Wie jedes Kind braucht das Lycopodium-Kind Unterstützung und Zuwendung, aber auch Raum für Entwicklung. Und genau diesen Raum hat ein Muttersohn nicht, wenn er zum emotionalen Partnerersatz missbraucht wird.

Ich selbst konnte mich gar nicht mehr an eine Geschichte erinnern, die meine Mutter vor Jahren mal zum Besten gab: "Nach der Geburt meiner Schwester wurden ihre Hände so steif, dass sie keine Flasche mehr halten, geschweige denn sie zubereiten konnte." Mein Vater habe sich einfach, als er von der Arbeit kam, ins Bett gelegt und sie ihrer Hilflosigkeit überlassen. Es ist an sich nichts Verwerfliches dabei, wenn ein Junge seine Fertigkeiten unter Beweis stellt, viel problematischer ist Leere, die sich durch Vorfälle dieser Art zwischen Mann und Frau entwickelt.

Der Junge wird jetzt zum zuverlässigen Ritter seiner Mutter und kann seine Chance nicht nutzen, wenn der Zugriff der Mutter z.B. durch ein zweites Kind nachlässt.

Diese Familiensituation wäre für ein Lycopodium-Kind die Chance, sich endlich von der Mutter abzulösen. Diese "Mangel"-Situation wird ihn zwar in eine Krise stürzen, aber aus der heraus er, seinen Weg in ein einsames Dasein entwickelt.

Er lernt, dass er mit Sprache und Intelligenz die Mutter und auch seine eigenen Gefühle auf Distanz halten kann. Irgendwann ist dies bei mir auch geschehen, doch durch die durch das Alter bedingte Ambivalenz zwischen dem Wunsch nach Geborgenheit und Eigenständigkeit rutschte ich immer wieder in den "verschlingenden Schoß" der Mutter. Ich war vielleicht 6, aber ich erinnere mich noch gut daran, wie sehr ich die Umarmungen meiner Mutter abwehrte, mir das Befummeln beim Anprobieren von selbst gestrickten Sachen höchst zuwider war. Mit der Zeit entwickelte ich eine Art Hassliebe zu ihr. Je älter ich wurde, desto mehr verachtete ich das Weibliche. Ich tat es, um mich abzugrenzen. Mir fehlte das männliche Vorbild, und so "trat" ich sie weg, um Andersartigkeit zu demonstrieren, verlor den seelischen Bezug zur Mutter, ohne in

der Welt des Vaters aufgenommen worden zu sein. Es ist die Welt eines "Vollwaisen", der psychisch umherirrt - ständig auf der Suche nach seiner Heimat.

Vielleicht wird langsam deutlich, was sich hinter der beobachteten Feigheit oder Minderwertigkeit von Lycopodium versteckt. Es ist das Vater-Defizit, das einen Lycopodium-Menschen an seiner Identität zweifeln lässt. Sein männlicher Kern, seine männlichen Emotionen sind durch den Vater nie geformt worden. Er kennt die Seele der Mutter, ihre Emotionen. Aber seine männliche Seele konnte er nicht danach ausrichten. Sie bleibt deshalb unbewusst und diffus. Aber gerade das Fühlen ist jene Bewusstseinsfunktion, die dem Menschen ein Gefühl von Identität gibt, Sicherheit in Entscheidungen vermittelt. Hinzu kommt noch, dass in der Lycopodiumfamilie das Väterliche dem Sohn oft feindlich gegenübertritt, bedingt durch die kindlich ritterliche Vorstellung, dass er, der Sohn, der viel "bessere" Partner" der Mutter sei. Damit wird das Kind zum Konkurrenten seines Vaters. Der Ödipusmythos "is still alive". Ich erstaune bei Anamnesen immer wieder, welche Mutter-Sohn-Bindungen gerade bei Lachesis-Müttern existieren. Der Vater ist psychisch draußen. Dennoch wird ein Knabe diesen ungleichen Kampf gegen den Vater nie befriedend gewinnen können.

Im Mythos erschlägt Ödipus zwar seinen Vater und zeugt mit seiner Mutter sogar Kinder, verliert aber nach Bekanntwerden seiner Tat das Königreich. So geht es auch dem Sohn, selbst wenn es den Schein hat, dass er die Mutter gewonnnen hat, so verliert er mit diesem Phyrrossieg endgültig jenen Zugang zur und damit Rückhalt in der väterlichen Welt. Was der kleine Mann in diesen Familien auf jedenfall lernt, ist das Taktieren. Wie kann er bei der Übermacht der Riesen überleben? In solchen Familienkonstellationen werden Helden wie das tapfere Schneiderlein geboren, die ihren Minderwertigkeitskomplex nicht mehr loswerden, selbst wenn sie ganz oben sind.

Eigene Träume

Während der Arzneimitteleinnahme konnte ich in den Träumen einen gestaltenden Prozess beobachten. Am Anfang spielten aggressive Träume mit verschiedenen unangenehmen Vaterfiguren eine Rolle. Ich er lebte die kollektive Verachtung, selbst wenn ich "berechtigte" Aggressionen auslebte. Dann driftete das Traumgeschehen in einen Bereich ab, vor dem ich immer einen Bogen gemacht hatte: sexueller Missbrauch an Kindern. In den Träumen war es immer so, dass von den Kindern die Aktivität

ausging, und mein erwachsenes Traum-Ich erregt erstarrte und hoffte, dass die Attacke bald vorbeigehen würde. In der nächsten Traum-Nacht habe ich dann den  vergewaltigenden, übergreifenden mütterlichen Aspekt wieder erlebt, der mich zutiefst beschämt hat. An dieser Stelle habe ich meinen Vater vermisst, der psychisch stark,

bewusst und verständnisvoll gewesen wäre, den mütterlichen Zugriff zu begrenzen. Erst danach, und das steckt offensichtlich auch in der Heilungspotenz von Lycopodium, verbündete ich mich mit den autonomen, wilden Männern im Wald und konnte so dem Weiblichen begegnen, ohne verschlungen zu werden. In diesem Traumzyklus wurde mir klar, dass ein rückgebundenes, erdhaftes Männliches keine Angst haben muß vor der verschlingenden großen Mutter, sondern dass sich die beiden Kräfte gleichberechtigt und lustvoll in einem Tanz begegnen können.

Traum: Nach der 10000er meldete sich Adolf Hitler gegen Ende des Krieges im Traum und meinte, dass es Zeit für seine Hinrichtung sei. Er gab mir sein Bajonettgewehr. Als er an der Wand stand und ich anlegte, brach er zusammen. Ich dachte zornig, so leicht kommst du mir nicht davon und stach ihn mit der breiten Klinge viermal ins Herz. Im Traum war ich sehr verwirrt, Hitler sich durch meine Tat in einen Menschen verwandeln zu sehen. Bevor ich diesen Zustand realisierte, verstarb er. - - - -

Die Leber

Bei einem Lycopodium-Menschen ist meist die Leber als zentrales Stoffwechselorgan nur eingeschränkt funktionsfähig. Sie ist unser größtes Organ und fungiert als Industriekomplex. In den Leberzellen werden die zerlegten Nahrungsbestandteile so zusammengefügt, wie es der Organismus braucht und stellt uns Energie zur Verfügung. Sie entgiftet und speichert, unterstützt mit der Ausscheidung von Galle den Verdauungsprozess.

Bei den Chinesen ist die Leber dem Element Feuer zugeordnet. Störungen der Leber haben zur Folge, dass dem Menschen nicht genügend Kraftreserven zur Verfügung stehen. Gutman vermutet, dass die heilende Wirkung des potenzierten Lycopodiumsamens, in dem sich viele Fettsäuren befinden, auf der Regulierung des gesamten Fettstoffwechsels beruht. Fett ist der Energieträger mit dem höchsten Brennwert. Wenn es mobilisiert wird, dann steht dem Organismus sehr viel Kraft und Ausdauer

zur Verfügung. In der Angstrubrik finden wir Lycopodium: Hat Angst, sein Ziel nicht zu erreichen. Vielleicht fehlt ihm wegen dieser Leberschwäche die (Fett)-Kraft, aus sich heraus seine hochgesteckten Ziele zu erreichen.

In der Astrologie ist die Leber symbolisch (Leber = Leben, liver = to live) dem Jupiter/Zeus zugeordnet. Das Schütze/Jupiterprinzip stellt ebenso wie die Leber Einzelinformationen in einen größeren Zusammenhang, um sie so zu einem größeren Sinnzusammenhang zu formen. Auch die Leber fügt die "analysierte" Nahrung für

den Gesamtorganismus synthetisch zusammen. Jupiter/Zeus ist der olympische Vater, und auf jenes Prinzip musste Lycopodium verzichten.

Im übertragenen Sinn hat der Vater dem Jungen nicht gezeigt, was er mit der (geistigen) Nahrung machen soll. Er ist auf sich allein gestellt, probiert dieses und jenes aus. Das bringt uns zum nächsten Thema.

Prometheus

In der griechischen Mythologie gibt es eine Gestalt, nämlich den Prometheus (der Vorbedachte), der die psychologische Lycopodium geschichte spiegelt. Prometheus ist ein Titan aus dem alten Geschlecht, und da er voraus denkt, sieht er den Aufstand der Olympier um Zeus voraus und schlägt sich auf deren Seite. Das verbindet ihn mit dem

Gewächs Lycopodium, das einstmals vor Millionen Jahren ein 40 m hoher Baum war. Nach dem geologischen Umsturz, wie auch der Umwälzung bei den Göttern, spielte der einstige Titan

nicht mehr eine so bedeutende Rolle. Er zeigte sich dem Zeus zwar hilfreich, aber er ging auch seine eigenen Wege. Der Ursprung des Menschengeschlechtes (die kleinen Menschen) soll auf ihn zurückgehen und da er ständig bemüht war, seine Schöpfung zu unterstützen mit der Vermittlung des Schmiedens, der Landwirtschaft usw. wurden die Menschen in Zeus' Augen zu mächtig.

Der erste große Konflikt zwischen Prometheus, der jetzt eher eine Jugendlichenposition (vielleicht der älteste Bruder) innehat, und dem himmlischen Vater-Gott entsteht, als es darum geht, was bei einem von den Menschen zu errichtenden Tieropfer den Göttern zukommt. Prometheus überlistet Zeus, so dass den Göttern für alle Zukunft die Knochen und das Fett zukommt, während die Menschen die Innereien und das Muskelfleisch erhalten. Zeus, darüber sehr erzürnt, verweigert den Menschen das Feuer. Prometheus aber, der zu Athene ein gutes Verhältnis hat, entführt mit

ihrer Hilfe das Feuer und bringt es den Menschen.

Zeus' Rache an der Sohnfigur ist grausam. Er kettet den Prometheus an den kaukasischen Felsen. Tagsüber wird der Gefesselte von dem Zeus-Adler heimgesucht, der seine Leber frisst, die nachts wieder regeneriert. Also auch hier, im griechischen Mythos, in dem sich ein unbewältigter Vater-Sohn-Konfliktes spiegelt, liegt eine Leberschwäche vor. Obwohl Prometheus mythologisch als der Ältere gilt, gibt es zwischen ihm und Zeus ein deutliches Machtgefälle.

Er wird der Vaterfigur Zeus zu mächtig und wird grausam in seine Schranken gewiesen. Die Titanen, bis auf Prometheus und Epimetheus in den Tartarus verbannt,

hatten noch etwas von der Weisheit der Alten Zeit, die in die olympische "Gegenwart" reichte. Zeus stand symbolisch für das neue Zeitalter, während Prometheus als

Titan aus der magischen Welt stammte und sicher noch mehr Verbindung mit der ganzen Welt hatte. So wie auch der wachsende Sohn, der noch viel Ganzheit in sich trägt, bemerkt, auf welch dünnen Pfaden sich der väterliche Intellekt bewegt und dem Vater aus einer scheinbaren Überlegenheit begegnet.

Prometheus hält sich nicht an Zeus' Gesetze und muss 30.000 Jahre an den Ketten hängen. Lycopodium hat viel mit Recht, Gesetz und Ordnung zu tun. Ob Lycopodium-Menschen je Gesetze brechen werden, mag offen bleiben. Ich jedenfalls hatte meine Zeit, in der ich mit einen causticum-mercurialen Zug nicht immer mit legalen Mitteln die Welt verändern wollte.

Zwischen Zeus und Prometheus gibt es eine klare Hierarchie, und es gibt auch das indirekte Durchsetzen eigener Vorstellungen; insbesondere dann, wenn die anderen als zu mächtig eingestuft werden. Diesen Zug kann ich auch in mir wieder finden. Kann ich jemanden auf einem Schlachtfeld nicht besiegen, weil ich meinen Waffengang nicht geübt habe, dann versuche ich eine andere Möglichkeit, mich durchzusetzen.

Noch etwas anderes will Zeus dem Gefesselten entlocken. Prometheus weiß, wer den olympischen Vater stürzen wird und behält sein Geheimnis. Es wird jener Halbgott Jesus sein, der mit einer Leberwunde am Kreuz stirbt, der die Bedeutung und damit den Sturz der Olympier besiegelt.

Jesus erleidet einen Speerstoß im rechten Rippenbogen. Er ist gefesselt, zwar an das Kreuz, aber doch auch vom Vater verlassen. Er muss sterben, um in das Reich des Vaters zu gelangen. Aber die Geschichte um Prometheus ist noch nicht zu Ende. Am Schluss dieses Mythos tauchen noch zwei weitere Gestalten auf:

Es ist der Zentaur Chiron, der sich schließlich für den Angeketteten opfert. Auch Chiron gehört wie Prometheus zum alten Geschlecht. Er war als ein den Menschen und Göttern wohlgesonnener Pferdemensch und Lehrer so vieler Helden wie Theseus, Perseus, Herakles usw. Letzterer verwundete den Chiron versehentlich bei einem Kampfe mit anderen Zentauren. Das von der besiegten lernaiischen Hydra stammende Pfeilgift verletzte Chirons Knie und da er unsterblich war, musste er qualvolle Schmerzen

an dieser nicht heilenden Wunde erleiden.

Herakles kann Zeus zu der Freilassung Prometheus unter bestimmten Bedingungen überreden, und der Vater-Sohn Herakles erschießt den leberfressenden Adler mit einem Pfeil (astrologisches Schützesymbol). Der Heiler Chiron tauscht mit Prometheus den Platz.

Vielleicht ist das Ende dieses Mythos ein Heilungsweg für Lycopodium. Wie Chiron verfügt er über das Wissen und die Weisheit der alten Zeit und könnte zum Lehrer für die neuen Helden werden, die mehr Energie und Kraft haben. Er wirkt im Hintergrund und erst sein Leiden (an der Leber oder die unheilbare Wunde am Knie machen ihn zum Heiler und Lehrer für die neue Generation. Chiron hat anders als Prometheus seine Rolle als "Rentner" im neuen Machtgefüge des Olymps schneller gefunden und als Lehrer und Heiler dem Helden einen Dienst erweisen können.

Ein Vater für Prometheus

Wenn wir die im herkömmlichen AMB beschriebene arrogante "Zeus"-Haltung eines Lycopodium-Patienten einnehmen, dann werden wir als homöopathische Therapeuten der eigentlichen Dramatik des hilfesuchenden Lycopodiums nicht gerecht; im Gegenteil, wir fallen einer Gegenübertragung zum Opfer und zeigen es diesem "Hanswurst", wer hier im Recht ist.

Erst die Wunde des Chiron (die eigene Verletzung des Therapeuten) hat ihn zum Heilkundigen gemacht, und erst durch seine Aufopferung konnte die mythologische Gestalt des durch die lange Gefangenschaft verwandelten Sohn-Prometheus befreit werden und in die Welt zurückkehren.

Der verlorene Sohn Prometheus hat, und das ist meine Weise, es zu sehen, in Chiron endlich Kontakt zu einem Vater bekommen, der ihn angenommen hat. Meine Reise mit Lycopodium hat sicher noch kein Ende gefunden. Was sich aber kaum merklich verändert hat ist, dass mir die institutionellen Machtstrukturen deutlicher bewusst geworden sind.

Immer wenn sich Menschen längere Zeit zusammenfinden, geben sie sich eine Form. Die Wahrnehmung und Sensibilisierung für den Menschen in Macht-Strukturen hat mein Verhaltensspektrum gegenüber dem Lycopodium-Miasma erweitert.

Ausführungen von Phillip M. Bailey:

Unfähigkeit:

Lycopodium ist ein "großes" Arzneimittel. Gemessen an der Häufigkeit, mit der es in der Bevölkerung der zivilisierten Nationen vorkommt, rangiert es an zweiter Stelle hinter Natrium muriaticum. Lycopodium ist prinzipiell ein männliches Konstitutionsmittel, und ungefähr ein Fünftel aller Männer in den Industrienationen gehört diesem Typ an. Weil Lycopodium so häufig vorkommt, gibt es innerhalb dieses Typs ein weites Spektrum unterschiedlicher Persönlichkeiten. Der Homöopath muss lernen, sie alle zu erkennen, wenn er nicht die Mehrheit der Lycopodium-Typen verfehlen will. Einmal assistierte eine frisch ausgebildete Homöopathin in meiner Praxis. Nachdem sie den Fall eines neuen Patienten analysiert hatte, den wir gerade zusammen aufgenommen hatten, meinte sie, der Patient könne nicht Lycopodium sein, weil er sportlich und nicht

sehr intellektuell war. Er passte nicht in das Standardbild von Lycopodium mit seinem "wachen Intellekt, aber schwachen Muskeln".

Gleichwohl war der Patient ein ziemlich typischer Lycopodium-Mann, und er reagierte auch auf das Mittel. "Unfähigkeit" ist ein sehr umfassender Begriff. Die große Mehrheit der Lycopodium-Menschen hat eine Art von innerer Unfähigkeit, obwohl sie so wirken, als hätten sie ein relativ starkes Selbstvertrauen oder sogar große innere Kräfte. Doch sie haben kein Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten, und dieser Mangel an Selbstvertrauen kann gewöhnlich bis in die Kindheit zurückverfolgt werden.

Es gibt zwei weitverbreitete Szenarios für die häuslichen Verhältnisse eines Lycopodium-Kindes.

1. die Situation, in der ein Elternteil, gewöhnlich der Vater, das Selbstvertrauen des Kindes untergräbt. Vielleicht erwartet er, dass das Kind sehr sportlich ist, und kritisiert mehr, als er lobt. Diese Art von Vater kommentiert gerne: "Als ich in deinem Alter war ... ", und dann folgt wieder eine Beschreibung sein er großartigen Leistungen als Kind bei allem und jedem, von sportlichen Erfolgen bis zu Erfolgen bei Mädchen. Bei einer solchen Behandlung entwickelt das Kind natürlich sehr bald Versagensängste und fürchtet sich vor je der Aufgabe, bei der erwartet wird, dass es sie gut bewältigt. Diese Angst schwächt seine Leistungsfähigkeit nur noch mehr, und dadurch wächst wiederum seine Versagensangst weiter. Später im Leben kämpft das Kind ständig darum zu beweisen, dass es gut genug ist. Eine sehr ähnliche Konstellation findet man bei vielen Natrium-Kindern. Letztere werden jedoch Perfektionisten, weil sie dauernd versuchen, ihre perfektionistischen Eltern zufriedenzustellen. Anders als das Lycopodium-Kind glauben solche Natrium-Kinder an ihre Fähigkeiten, weil sie im Fall des Erfolgs von ihren Natrium-Eltern meist eine positive Bestätigung bekommen. Das Natrium-Kind hat jedoch trotz seiner hervorragenden Leistungen das Gefühl, nicht gut genug zu sein, weil die Liebe seiner Eltern an

Bedingungen geknüpft ist. Das Lycopodium-Kind fühlt sich dagegen als Versager, weil seine Leistungen nicht gut genug sind.

2. das Elternteil, der das selbe Geschlecht wie das Kind hat, ebenfalls Lycopodium ist und unter mangelndem Selbstvertrauen leidet, so dass das Kind diesen Mangel durch sein Beispiel eben falls entwickelt. Das Kind mag zwar bessere Chancen haben als seine Eltern, es wird vielleicht auch stärker ermutigt, und deshalb erreicht es im Leben auch mehr als seine Eltern. Trotzdem wird es die nagende Angst vor dem Versagen behalten, weil der kleine Junge während der persönlichkeitsbildenden Jahre die Angst seines Vaters sozusagen durch psychische Osmose absorbiert hat.

Ganz gleich wie die Situation in der Kindheit war, wird der Lycopodium Mensch, dem es bei seiner Arbeit und in seiner Partnerschaft gut geht, im Hintergrund meist die permanente Sorge haben, dass er geschäftlich Bankrott erleiden oder dass seine Ehe zerbrechen könnte. Auch hier gibt es wieder Ähnlichkeiten mit Natrium, der gerade dann, wenn alles im Leben glatt läuft, mit dem Schlimmsten rechnet. Der Unterschied zwischen beiden ist subtil, aber wichtig. Lycopodium erwartet insgeheim, dass er versagt, während Natrium erwartet, dass er unglücklich sein wird.

Lycopodium ist glücklich (und erleichtert), solange er alles gut bewältigt, während Natrium trotz seiner offensichtlichen Erfolge im Inneren oft unglücklich ist, weil er sich

als Kind trotz seiner guten Leistungen ungeliebt fühlte. Wegen seiner Angst zu versagen leidet Lycopodium unter Erwartungsängsten. Vor einem wichtigen Gespräch wird er in großer Sorge sein, er könnte einen Fauxpas begehen (Kent: "Er hat Angst, dass er Fehler machen könnte"), und er wird seine Angst als Übelkeit und Unwohlsein im

Magen spüren. Lycopodium bewältigt die Dinge gewöhnlich besser, als er selbst erwartet, denn sein Gefühl der Unzulänglichkeit hat nichts mit einem Mangel an Fähigkeiten oder Vorbereitung zu tun, sondern mit einer "Verlierer" Situation in der Kindheit. Mit der Zeit lernt er vielleicht, seine Erwartungsängste zu ignorieren, und

stellt sich mehr und mehr auch den Herausforderungen öffentlicher Auftritte, etwas, was er ursprünglich am meisten gefürchtet hat.

Der Gefällige:

Nichts stärkt das Selbstvertrauen mehr als Popularität. Das Lycopodium Kind lernt von früh auf, sich einzuschmeicheln, um bei seinen Altersgenossen beliebt zu sein.

Er wird die Phrasen und das Verhalten imitieren, um den anderen zu gefallen; er wird alle möglichen Forderungen erfüllen, sowohl bei den brutalen Typen als auch bei den anderen, die gerade lernen, wie man am besten seinen Willen durchsetzt; und er wird im allgemeinen versuchen, nett zu sein. Natrium-Kinder sind entsetzt, wenn ihre

Freunde sie zurückweisen. Lycopodium ist entsetzt, wenn irgend jemand ihn nicht mag, selbst wenn es ein völlig Fremder ist. Er entwickelt eine gewisse Toleranz

(Kent: "Milde"), weil er Angst vor Konfrontationen hat, und er gibt um des lieben Friedens willen eher nach. In extremen Fällen kann daraus ein kriecherischer Speichel lecker werden, dessen verzweifelte Versuche, es den anderen recht zu machen, in einem direkten Verhältnis zu seiner Angst vor Strafe stehen. Und die Strafe, die er am meisten fürchtet, ist oft die soziale Zurückweisung.

In seinem Bemühen, beliebt zu bleiben, wird der Lycopodium-Mann sich selbst untreu, um seinen Freunden zu gefallen. Gewöhnlich hat er eher eine größere Zahl guter Bekannter als einige wenige enge Freunde wie Natrium. Es ist sehr charakteristisch für Lycopodium, dass ihm seine Freunde wichtiger sind als seine Familie. Obwohl

es sich nicht um enge Freundschaften handelt, wird er alles tun, um in ihrer Gunst zu bleiben. Dabei vernachlässigt er oft seine Familie, weil er sich auf deren Loyalität ja schon verlassen kann. Ich kannte einmal einen Tennistrainer, der wie die meisten Lycopodium-Menschen sehr leutselig war. Er war mit einer seit langem leidenden

Natrium Frau verheiratet, die ihn nur selten zu sehen bekam. Auf seinen Wunsch hin hatten sie sich von der Stadt, in der die Familie lebte, in eine kleine Kreisstadt zurückgezogen. Eines Tages sprachen wir darüber, welche Vorzüge das Stadt- bzw. Landleben hat, und seine Frau machte deutlich, dass sie sich so weit weg von der

Familie unglücklich fühlte und nur auf sein Drängen fort gezogen war. Mein Lycopodium-Trainer antwortete, er könne überall glücklich sein, denn er sei gerne mit jedermann Freund und lasse sich mit niemandem zu nahe ein. Wann immer ihn jemand abends zu einer Runde Tennis einlud, nutzte er die Chance, mit anderen zusammen zu sein (und zu tun, was er gut konnte - Tennis spielen), und ließ seine Frau als eine Art Tenniswitwe zurück. Schließlich konsultierte er mich wegen chronischer Verdauungsstörungen, die nach einigen Dosen Lycopodium 10M vollständig verschwanden. Weil er gefallen möchte, ist Lycopodium im allgemeinen auch ein

diplomatischer Mensch. Selbst wenn er den anderen nicht respektiert, verhält er sich gewöhnlich beschwichtigend und freundlich. Das ist ein Grund, warum Lycopodium so ein guter Verkäufer ist. Vor allein Autoverkäufer sind sehr oft Lycopodium. Dafür gibt es viele Gründe. Erstens sorgt die vermittelnde persönliche Art von Lycopodium dafür, dass sich die Leute wohl fühlen, und deshalb werden sie eher geneigt sein, viel Geld auszugeben. In den meisten Fällen ist Lycopodium auch gerne mit Menschen

zusammen und genießt das Gespräch mit völlig Fremden. Selbst wenn er jemanden nicht mag, kann er das gut mit einer Mischung aus Nonchalance und Schmeichelei verbergen. Weiterhin ist Lycopodium ein großer Opportunist. Er neigt viel mehr als Natrium dazu, persönlichen Gewinn über die Moral zu stellen, und deshalb ist er nicht nur geeignet, Neuwagen mit drei Jahren Garantie zu verkaufen, sondern er ist auch der richtige Mann beim zwielichtigen Geschäft mit Gebrauchtwagen. Und schließlich machen die meisten Lycopodium-Typen gerne Eindruck, und das Auto ist ein wichtiges Symbol für Macht und Prestige. Selbst wenn es nicht sein eigenes ist, wird es den durchschnittlichen Lycopodium-Verkäufer mit einigem Stolz erfüllen, die Vorzüge eines schnittigen, PS-starken neuen Wagens aufzuzählen, und er wird sich in seiner Männlichkeit angegriffen fühlen, wenn der zukünftige Eigentümer entscheidet, dass ihm die Maschine doch nicht stark genug ist.

Gastgeber von Fernsehshows müssen ähnliche Eigenschaften wie Autoverkäufer haben, und so sind auch sie gewöhnlich Lycopodium. Im Unterschied zu der subtilen Freundlichkeit des Lycopodium-Diplomaten im Dienste seines Vaterlandes muss der Gastgeber bei einer Fernsehshow den Teilnehmern gegenüber oft so nett sein, dass einem schon vom Zusehen übel wird. Er betont seine Beliebtheit beim Publikum, indem er sich kumpelhaft freundlich gibt, ohne einem anderen wirklich nahezukommen. Diese lockere Kumpelhaftigkeit repräsentieren auf typische Weise einige der bekannten und beliebten Showmaster.

Obwohl Lycopodium anderen gefallen muss, um sich sicher zu fühlen, findet er oft anspruchsvollere Erklärungen für seine Freundlichkeit. Ich habe einmal an einer "Encounter-Gruppe" teilgenommen, wo man lernt, die verborgenen Motive hinter den Handlungen eines Menschen zu erforschen, um sich selbst und andere besser zu verstehen. In diesem Kurs war ein Mann von ungefähr 50 Jahren, der trotz seines Alters jungenhaft gut aussah, mit langen Haaren und Blue Jeans, Er hatte gerade an einem anderen, mehr "spirituellen" Kurs teilgenommen, wo er gelernt hatte, dass man jeden Menschen lieben muss. Während unserer Veranstaltung hatte dieser Mann große Schwierigkeiten, die Aggressionen zu akzeptieren, die bei einigen Teilnehmern auftraten und auch ausgedrückt wurden. Wann immer es jemandem gelang, in Kontakt mit alten unterdrückten Gefühlen der Wut zu kommen und diese auszudrücken, versuchte unser Lycopodium-Friedensstifter mit ihnen auf einer rationalen Ebene zu diskutieren, indem er hervorhob, dass jeder, der sie verärgert hatte, doch nur nach Liebe gesucht habe. Verständlicherweise half dieses Verhalten den Teilnehmern nicht im geringsten, Zugang zu ihrer Wut zu bekommen, und unser Lycopodium-Freund wurde bald sehr unbeliebt. Doch er blieb unerschrocken bei dem, was er gelernt hatte, und verkündete der Gruppe: "Ich finde, wir sollten alle einander lieben." An diesem Punkt wurde er jedoch von dem kollektiven Ruf "Blödsinn!" mundtot gemacht. Er lernte in diesem Kurs auf die harte Tour, dass seine Freundlichkeit nichts mit bedingungsloser Liebe zu tun hatte, sondern eher eine Bitte um Akzeptanz war.

Eine andere Gruppe von Leuten, die ihre Freundlichkeit und ihre Fähigkeiten, beredsam zu argumentieren, auf eine scheinbar lobenswerte Weise nutzen, sind die amerikanischen Fernsehprediger. Ich bin sicher, dass viele von ihnen Lycopodium sind, besonders diejenigen, die mehr Druck machen und ihren Schäfchen mit demselben Eifer Zuwendungen entlocken, mit dem ein Verkäufer seine Autos anpreist. Diese angeblich spirituellen Männer benutzen zynische emotionale Manipulationen, um Menschen mit Schuldgefühlen das Geld aus der Nase zu ziehen, das sie dann für Frauen und schnelle Autos ausgeben. Glücklicherweise haben die meisten Lycopodium-Charmeure mehr Moral und weniger Macht als diese Fernsehevangelisten. (Einige wenige Fernsehprediger sind wahrscheinlich Natrium oder Sulfur.)

Prahlerei:

Prahlerei findet man bei Lycopodium öfter als bei irgendeinem anderen Typ. Es ist der Versuch, die Angst zu verbergen, indem man so handelt, als sei man voller Selbstvertrauen. Obwohl die grundlegende Essenz von Lycopodium Unfähigkeit ist, stellt die Aufgeblasenheit ein starkes sekundäres Element dar. Auf der körperlichen

Ebene wird das sichtbar an dem von Gasen aufgetriebenen Bauch, aber auch an erweiterten Venen und Hämorrhoiden.

Dies sind Beispiele der körperlichen Aufblähung, die als Folge von Schwäche (der Verdauung oder der Gefäßwände) auftritt. Auf der psychischen Ebene gilt für die Prahlerei ähnliches: Sie ist ein Fall von Aufgeblasenheit ohne jede Substanz, die als Folge eines Gefühls der Schwäche erscheint.

Nicht alle Lycopodium-Typen erliegen der Versuchung zu prahlen. Der Einfachheit halber können wir Lycopodium in drei Untertypen aufteilen:

1.                  "Schwächling"

2.                  "Prahlhans" oder Angeber

3.                  durchschnittlichen Lycopodium-Typ, macht nach meiner Erfahrung etwa die Hälfte aus, die beiden ersten jeweils ein Viertel.

Der "Schwächling" (wie ich ihn etwas unfreundlich der Deutlichkeit halber nenne) flüchtet sich nicht in Prahlerei. Seine Nervosität tritt offen zutage und kann bisweilen recht lähmend sein. Er ist der 50-Kilo-Angsthase, dem man Sand ins Gesicht wirft, der Feigling, der beim ersten Schuss vom Schlachtfeld rennt, der Tölpel, der beim Vorstellungsgespräch so nervös ist, dass er seinen Kaffee voll über den Tisch seines zukünftigen Chefs schüttet.

Er hat nicht gelernt, seine Angst hinter den subtilen Abwehrmechanismen des durchschnittlichen Lycopodium zu verbergen oder die gröberen Methoden des "Prahlhans" anzuwenden. Diese "Schwächlinge" zeigen all die offensichtlicheren Anzeichen der Nervosität, die in den älteren Arzneimittellehren beschrieben werden

(Kent: "fürchtet sich vor neuen Bekanntschaften", "fürchtet sich, irgend etwas zu unternehmen", "fürchtet sich vor Lappalien").

Sie haben oft Schwierigkeiten, sich auszudrücken, verwechseln Worte oder stottern.

Sie sind diejenigen, die am stärksten versuchen, anderen zu gefallen, und sie reagieren auf Widerspruch eher mit Furcht als mit Ärger. Die tragikomischen Charaktere, die Jerry Lewis und Norman Wisdom gespielt haben, sind gute Karikaturen dieses Typs.

Im direkten Gegensatz zum "Schwächling" kompensiert der "Prahlhans" sein Gefühl der Unfähigkeit, indem er seine männliche Kraft übertrieben betont. Das kann auf verschiedene Art geschehen. Die einen blasen sich körperlich auf, indem sie Bodybuilding und Kampfsportarten betreiben, so dass sie den Schwächlingen Sand ins Gesicht werfen können (oder zumindest so aussehen, als würden sie es können). Viele begeisterte Anhänger von körperlichem Fitnesstraining sind Lycopodium, aber diejenigen, die es übertreiben, sind oft die Angeber, die Wert darauf legen, dass andere sehen, wie stark sie sind. Der körperliche Prahlhans ist meist auch sehr stolz auf seine sexuellen

Leistungen, zumindest nach außen. Er wird mit seinen Kumpels in dieser Beziehung konkurrieren wollen, sich bei einem Bier mit seinen sexuellen Eroberungen brüsten und hübschen Frauen anzügliche Blicke zuwerfen. Da er das Männliche überbewertet, unterbewertet er das Weibliche, und deshalb ist der Prahlhans ein sehr  chauvinistischer Mann. Er denkt gerne, dass Frauen nur da sind, um ihn zu versorgen oder mit ihm zu schlafen, und dass er der Boss ist. Überflüssig zu sagen, dass Frauen,

die mit einem solchen Angeber verheiratet sind, insbesondere mit einem körperlichen Prahlhans, ein hartes Leben haben.

Der Prahlhans dominiert gern über andere (Kent: "diktatorisch"). Körperliche Angeber tun das durch körperliche Bedrohung. Wenn er heimkommt und das Essen ist noch nicht auf dem Tisch, schreit er seine Frau wahrscheinlich an oder tut noch Schlimmeres. Weil sie Feiglinge sind, neigen die körperlichen Angeber dazu, Frauen zu schikanieren und Männer zu fürchten, und sie versuchen, die stärkeren zu beeindrucken. Sie tragen Kleidung, die ihre ausgeprägten Muskeln betont, fahren PS-starke Autos

und geben eine Menge Geld für Alkohol aus. Wenn sie auf einen selbstbewussten Intellektuellen treffen, werden sie am stärksten in die Defensive gedrängt, weil sie damit nicht konkurrieren können. Folglich neigt der körperliche Prahlhans dazu, selbst den schwächlichsten Akademiker mit Respekt zu behandeln. Brutale Männer sind konstitutionell meist entweder Natrium muriaticum oder Lycopodium, weil der Brutalo innerlich ein tiefes Gefühl von Unzulänglichkeit hat. Wie der Natrium-Brutalo legt auch der brutale Lycopodium großen Wert darauf, dass man ihn mag, und er wird sich selbst verleugnen, um nett zu denen zu sein, die zu ihm stehen.

Intellektuelle Prahlerei (auch als "Aufschneiderei" bezeichnet) ist der prinzipielle Abwehrmechanismus des intellektuellen Angebers.

Letzterer ist nicht zwangsläufig besonders intelligent oder intellektuell, hält sich aber dafür und vermag auch einige Leute zu beeindrucken, die weniger intellektuell sind als er. Ein gutes Beispiel für diesen Typus ist Colonel Manwaring in der britischen Fernsehkomödie Dad's Army. Der Colonel macht das Beste aus seiner unbedeutenden Stellung und benutzt sie als Plattform, um das große Wort zu schwingen und dabei diejenigen herunterzumachen, deren Unwissenheit er bloßstellen kann. Wie alle intellektuellen Angeber bedient er sich einer pompösen, blumigen Sprache, die extrem umständlich ist. Viele lange Worte sind ihm lieber als wenige kurze, obwohl letztere wesentlich besser geeignet wären, seine Botschaft rüberzubringen. Das Resultat besteht darin, dass die meisten intellektuellen Angeber furchtbar langweilig sind. Sie präsentieren ihre Perlen der Weisheit (dafür halten sie sie jedenfalls) entweder mit der Intensität eines Predigers, die ihren Worten große Bedeutung verleihen soll, oder auf eine blumige Art, als ob sie sagen wollten: "Ha! Seht nur, wie schlau ich bin!" (Es erinnert mich an Yul Brunners Filmversion in Der König und ich.)

Der intellektuelle Prahlhans ist im allgemeinen überzeugt, dass er fast immer recht hat, und duldet keinen Widerspruch (Kent: "erträgt keinen Widerspruch"). Er lernt ein wenig von allem und hält sich dann für einen Experten in jedem Bereich. Folglich erlebt man oft, dass er sich in Gespräche einschaltet, um Aussagen zu korrigieren, die er für falsch hält. Manchmal tut er das sogar bei völlig Fremden (Kent: "neigt zum Widerspruch"). Diese Tendenz, sein Wissen zur Schau zu stellen, erinnert an Sulfur, der seine Zuhörer auch bis zum Gähnen langweilen kann und immer glaubt, dass er recht hat. Grundsätzlich könnte man sagen, dass Sulfur vor allem sein eigenes Wissen schätzt, während es ihm nur sekundär darauf ankommt, sein Wissen mit anderen zu teilen. Deshalb ist Sulfur gewöhnlich gut über seine Lieblingsthemen informiert und lässt sich seltener dazu herab, seine Kenntnisse mitzuteilen, als der intellektuelle Lycopodium-Angeber, dessen Hauptinteresse nicht dem

Inhalt seiner Aussagen gilt, sondern der Bewunderung, die er damit ernten kann.

Dem intellektuellen Prahlhans geht es zum Teil auch darum, mit großem Aufwand sein Versagen zu rechtfertigen oder die Aufmerksamkeit davon ab zulenken. So habe ich beispielsweise einen jungen Mann kennengelernt, der viele Jahre nicht gearbeitet hatte und seine Rechnungen von Vater Staat bezahlen ließ. Er sagte, er habe ein Attest von einem befreundeten Arzt (der intellektuelle Prahlhans ist immer mit seinem Arzt persönlich befreundet), dass er aufgrund von "nervöser Spannung" nicht arbeiten könne. Nun war er zwar tatsächlich ein wenig nervös, aber er schien durchaus fähig zu arbeiten und gab das auch zu. Er rechtfertigte seine Arbeitsscheu jedoch mit dem Hinweis, die therapeutische Tätigkeit, mit der er beschäftigt sei, erfordere seine ganze Zeit. Er hatte an vielen Kursen über alternative Medizin teilgenommen, und seine Wände waren mit den entsprechenden Zertifikaten gespickt. Sie lauteten auf den Namen "Jonathan Erdgeist", den er angenommen und eintragen lassen hatte. In seiner Wohnung veranstaltete er örtliche Meditationstreffen. An einer solchen Veranstaltung habe ich teilgenommen. Wir waren nur eine Gruppe von vier Leuten, doch unbeeindruckt davon erklärte er in einer Pseudotrance, er sei berufen, ein Zentrum der Heilung für seine Gemeinde zu bilden. Später suchte er mich auf, um seine nervösen Verdauungsstörungen behandeln zu lassen. Ich gab ihm Lycopodium 10M, und er verfiel danach in eine kurze, aber tiefe Depression. Anschließend beendete er seine Meditationstreffen, nahm seinen richtigen Namen wieder an und fand einen richtigen Job. Das Simillimum ist (zumindest manchmal) so mächtig, dass es das Falsche einfach ausradiert.

Ich kann der Versuchung nicht widerstehen, noch an einem weiteren Beispiel zu zeigen, wie die Arznei falschen Stolz ausmerzen kann. Der vorher schon erwähnte Lycopodium-Mann mittleren Alters, der gelernt hatte, dass man jeden Menschen lieben müsse, war sehr stolz auf seine jugendliche Erscheinung. Wenn man mit ihm sprach, lächelte er sofort gewinnend mit strahlend weißen Zähnen. Er war ein Schürzenjäger und ehemaliger Handelsreisender und hatte seinen jungenhaften Charme auf beiden Gebieten gewinn bringend eingesetzt. Auch er hatte jedoch jahrelang nicht gearbeitet und sich darauf verlassen, dass die bei ihm diagnostizierte Epilepsie ihm eine Rente sicherte. (Obwohl er nicht mehr als einen Anfall pro Jahr hatte.) Ich behandelte ihn schließlich wegen dieser Epilepsie mit Lycopodium 10M. Einen Tag nachdem er die Arznei eingenommen hatte, war sein falscher Schneidezahn ausgefallen und hatte eine unansehnliche Lücke hinterlassen, die er verzweifelt zu füllen versuchte, indem er den Zahn mit einem Superkleber wie der einklebte. Es scheint so, als habe die Arznei seinen Körper veranlasst, nicht nur die psychische, sondern auch die physische

Künstlichkeit abzustoßen. Nachdem er die Arznei eingenommen und seine Medikamente gegen Epilepsie abgesetzt hatte, bekam er noch einen Grand-Mal-Anfall, dem zu nächst eine Phase der Depression und dann eine grundlegende Neubewertung seines Lebens folgte. Wie Jonathan Erdgeist entschloss er sich ebenfalls, wie der zu arbeiten, und schrieb sich mit seinen über 50 Jahren

für ein Studienprogramm ein. Einige Monate nach der Behandlung hatte er keinen Anfall mehr gehabt und alle Medikamente

abgesetzt.

Der Durchschnittliche:

Die meisten Lycopodium-Typen sind weder Schwächlinge noch Angeber. Sie haben ein bisschen von beidem an sich, aber auch ein gewisses Maß an ursprünglichem Selbstvertrauen und der Fähigkeit, zumindest gelegentlich ohne jede Abwehrhaltung auf andere einzugehen. Die meisten Lycopodium Typen geben beim Homöopathen auch zu, dass sie sich oft Sorgen machen,

besonders über ihre Arbeit und auch darüber, ob sie bei anderen beliebt sind. Sie neigen auch dazu, ihre Schwächen herunterzuspielen oder zu leugnen. Insofern halten sie sich manchmal für

stärker, als sie sind. Oft hat nur die Ehefrau von Lycopodium eine Ahnung, welche Sorgen ihrem Mann im Kopf herumgehen. Er mag ein prominenter Geschäftsmann sein oder ein anerkannter Dozent, der gewöhnlich ruhig und selbstsicher wirkt, aber innerlich macht er sich Sorgen darüber, dass etwas falsch laufen könnte. Da er etwas von der Art des Angebers in sich hat, brüstet er sich gerne gelegentlich auf subtile Weise. Beispielsweise kauft er vielleicht ein protziges neues Auto und erwähnt das eine Zeitlang im Gespräch. Oder er benutzt für seine private Korrespondenz Briefköpfe, die seine beruflichen Qualifikationen nennen. (Er redet sich selbst ein, dass er Geld spart, wenn er sein geschäftliches Briefpapier auch zu Hause benutzt, aber anders als der Prahlhans weiß er, dass mehr dahintersteckt, und gönnt sich trotzdem diesen kleinen Luxus.)

Der durchschnittliche Lycopodium ist sehr unbeschwert. Er ist ein sehr "vernünftiger" Mensch, der nicht zu besonderen Stimmungsschwankungen neigt, weder himmelhoch jauchzend noch zu

Tode betrübt. Wie der intellektuelle Prahlhans neigt er zu Rationalisierungen, die aber nicht so defensiv sind. Lycopodium ist ein mentaler Typ in dem Sinne, dass er mehr in seinem Kopf als in

seinen Gefühlen lebt. Er verlässt sich gewöhnlich auf seinen ratio na en Verstand, um seine Welt sinnvoll zu interpretieren, und er respektiert diejenigen, die sich logisch ausdrücken. Er kann ein bisschen chauvinistisch sein und seine Freundinnen wegen ihrer unlogischen Emotionalität mit freundlicher Herablassung behandeln.

Auf der anderen Seite mag der durchschnittliche Lycopodium-Mann im allgemeinen Frauen und kommt gut mit ihnen aus. Lycopodium ist oft eine Art Charmeur und hat eine Schwäche für

hübsche Frauen. Er lässt sich gerne bemuttern, und Frauen, denen das liegt, scharen sich um ihn und flirten mit ihm, ganz gleich ob es sich um seine Schwiegermutter oder seine Tochter handelt.

Weil er sanft und jungenhaft ist, wirkt er harmlos, und das macht ihn beliebt bei Frauen, die niemals mit tiefgründigeren oder stärkeren Typen flirten würden.

Distanziertheit:

Emotional wird der durchschnittliche Lycopodium-Mann nie richtig erwachsen. In seinen Beziehungen ist er entweder angenehm, aber reserviert oder abhängig. In einer engen Beziehung ist

er meist auf der Suche nach einer Mutterfigur, denn er will bedingungslos geliebt werden, ohne dabei selbst allzu viel zurückgeben zu müssen.

Die meisten Lycopodium-Männer hatten als Kinder eine sehr enge Beziehung zu ihrer Mutter, und das mag sie daran hindern, sich später eng an andere Frauen zu binden. Sie haben ihre Mütter geliebt, deren Liebe aber auch für selbstverständlich gehalten, und ihre Liebe war eher freundlich als leidenschaftlich. Dieses Muster wiederholen sie oft als Erwachsene in ihren Beziehungen

zu Frauen, die sie mehr als Mütter denn als Geliebte behandeln.

Manche Lycopodium-Männer würden lieber mit den Jungen (oder Mädchen) spielen, statt mit ihrer Partnerin intim (im Gegensatz zu sexuell) zu sein, weil sie sich bei wirklicher Intimität unwohl fühlen. Wirkliche Intimität erfordert ein gewisses Maß an Verantwortlichkeit, und Lycopodium drängt sich nicht nach Verantwortlichkeit, jedenfalls nicht, wenn sie mit emotionalen Verpflichtungen verbunden ist. In den älteren Arzneimittellehren er scheint das als Tendenz, Frau und Kinder plötzlich und ohne Gewissensbisse zu verlassen. Während viele Lycopodium-Männer hingebungsvolle Ehemänner und Väter sind, gibt es auch viele andere, die die Verbindlichkeit einer Ehe scheuen, außereheliche Affären suchen oder ihre Familie verlassen, wenn eine hübsche junge Frau in ihrem Leben auftaucht. Lycopodium ist kein tiefgründiger emotionaler Typ, sondern eher ein emotionales "Leichtgewicht", der die Nähe zu einer Partnerin ohne große Leidenschaft oder Intimität sucht.

In der Ehe ist Lycopodium gerne ein guter Freund seiner Frau, mit der er gemeinsame Interessen teilt und der er bei der Hausarbeit und den Kindern hilft, aber im Grunde bleiben die Partner getrennt. Diese Art von Distanz versetzt viele Frauen in Wut, wirkt auf andere jedoch beruhigend. Die obige Beschreibung mag den Eindruck erwecken, als sei Lycopodium ein kalter Typ, aber das ist gewöhnlich nicht der Fall. Der durchschnittliche Lycopodium ist wärmer als der durchschnittliche Natrium-Mann (das heißt, er zeigt seine Zuneigung mehr), und er   genießt es durchaus, zu kuscheln und zu küssen. Er hat keine Schwierigkeiten "Ich liebe dich" zu sagen, und er meint, was er sagt. Es ist nur so, dass seine Liebe mehr freundliche Zuneigung als Leidenschaft ist. Er ist ein sanfter, unbeschwerter Mensch, der gerne hilft, wenn er darum gebeten wird, aber nicht scharf darauf ist, sich selbst zu bin den, und der nur selten sehr tiefe Gefühle hat. Solche Männer können bei ihren Partnerinnen heftige emotionale Ausbrüche hervorrufen, und die Frauen würden alles tun, damit der Mann mehr Gefühle zeigt, weil sie das mit Liebe gleichsetzen.

Eine andere traditionelle Rubrik, unter der Lycopodium im Repertorium steht, ist seine Vorliebe für die Leute im Nebenzimmer sind. Das trifft oft buchstäblich zu.

Wenn Lycopodium allein zu Hause ist, fühlt er sich einsam, gerät aber andererseits auch unter Druck, wenn er sein Leben zu intim mit jemandem teilen soll. Die "Vorliebe für die Leute im Nebenzimmer" ist eine gute Metapher für sein gesamtes emotionales Leben. Er braucht die Unterstützung anderer Menschen, aber er braucht auch seinen Freiraum. Das mag eine Folge davon sein, dass er eine überfürsorgliche Mutter hatte, wodurch er sich weiterhin abhängig fühlt, aber gleichzeitig auch oft unterdrückt.

Während die distanzierte Haltung von Lycopodium in engen Beziehungen zu Schwierigkeiten führen kann, ist sie bei der Arbeit von Vorteil. Die meisten Jobs verlangen einen logischen, distanzierten Verstand, und das gilt ganz besonders für wissenschaftliche Aufgaben. Wie Kalium können auch Lycopodium-Typen sehr gute Wissenschaftler sein. Beide lieben die Logik und können Regeln und Vorschriften folgen. Der Besuch der Fakultäten für Natur- oder Ingenieurwissenschaften an einer beliebigen Universität wird zeigen, dass die Studenten mehrheitlich Lycopodium sind (weil dieser Typ viel verbreiteter ist als andere hochrationale Typen wie Kalium oder Sulfur). Diese Studenten haben viele gemeinsame Charakteristika. So passt auf die meisten beispielsweise die traditionelle Lycopodium-Beschreibung "intellektuell

wach, aber von schwacher Muskelkraft" mit einem ziemlich mageren, knochigen Körper und einer Tendenz, die Augenbrauen zu runzeln, entweder aus Sorge oder als Ausdruck intellektueller Konzentration. Ihre Hobbys sind oft praktische Tätigkeiten, die wenig körperliche Anstrengung verlangen, wie beispielsweise Modellbau oder

der Nachbau von Motoren. Im Sozialverhalten neigen sie eher zu Konformismus als zu Individualismus, was damit zu tun hat, dass sie gerne dazugehören und beliebt sein möchten. Das spiegelt sich oft auch in der Kleidung von Lycopodium, die zugleich modisch und konventionell ist. Ingenieurstudenten sind besonders bekannt dafür, dass sie gemeinsam große Mengen Alkohol trinken, und meine bescheidenen Erfahrungen mit ihnen bestätigen das. Diese Gruppenkameraderie ist sehr charakteristisch für

Lycopodium, und sie wird erleichtert durch Alkohol, der Charaktere auflockert, die sonst durch ihre rationale Natur gehemmt sein würden.

Der durchschnittliche Lycopodium-Mann ist sowohl vorsichtig als auch ehrgeizig, wenn es um materielle Vorteile geht. Als Folge davon arbeitet er sich beruflich

oft von unten hoch. Weil er angepasst und gefällig ist, passt er in große Konzerne, wo er ständig auf der Karriereleiter weiter nach oben steigt, bis er die Position erreicht hat, die seinen Vorstellungen entspricht. Obwohl er kein natürlicher Anführer wie Nux vomica oder Sulphur ist, kann Lycopodium oft allmählich die Fähigkeiten und das Selbstvertrauen erwerben, das man braucht, um Autorität über eine große Zahl von Menschen auszuüben. Indem er sich ständiger Förderung versichert, kann er seine

Position inner halb des Konzerns allmählich ausbauen, ohne dass seine Versagensängste übermäßig aktiviert werden. Der durchschnittliche Lycopodium ist ein angenehmer Chef, der vernünftig und verständnisvoll ist und bis zu einem gewissen Grad ein freundschaftliches Verhältnis zu seinen Mitarbeitern genießt. Natrium-Chefs sind oft ganz ähnlich. Es ist die eigene Verletzlichkeit, die diese beiden am weitesten verbreiteten Konstitutionstypen menschlich und ansprechbar macht, wenn sie eine Position mit Autorität innehaben. (Nux vomica und Arsenicum sind härter, während Sulfur nicht aus Verletzlichkeit, sondern wegen seiner Geistesgröße großzügig ist.)

Die Distanziertheit von Lycopodium ist zum Teil das Ergebnis seiner rationalen, nichtemotionalen Natur, zum Teil ist sie aber auch aufgesetzt, um seine Unsicherheit zu

verbergen. Einige Lycopodium-Männer sind sehr geradeaus, nur wenig eitel und ohne das Bedürfnis zu beeindrucken. Andere legen sich ein "cooles" Image zu, das der kühlen Maske gleicht, die so viele Natrium Männer aufsetzen, die unter allen Umständen den Eindruck von Ruhe und Gelassenheit vermitteln wollen. Diese kühlen Lycopodium-Typen erinnern im Sprechzimmer an Natrium oder an Nux vomica, aber in persönlichen Beziehungen wird ihre Sanftheit und Verletzlichkeit oft deutlicher. Selbst der kühlste Lycopodium-Typ lässt sich von seiner Partnerin meist gerne bemuttern und spricht mit ihr offener über seine Sorgen als ein durchschnittlicher Natrium-Mann. Der kühle Lycopodium lässt sich vielfach leichter identifizieren, wenn man mit seiner Partnerin spricht, es sei denn, er ist ein "Prahlhans". In diesem Fall sind seine Versuche, nonchalant zu wirken, so offensichtlich, dass sie überall den Lycopodium-Stempel tragen.

Der Opportunist:

Als Opportunist muss man sowohl emotional distanziert als auch flexibel sein. So stellen die stärker emotionalen Typen wie Natrium und Sepia emotionale Loyalitäten über den eigenen Vorteil, und die distanzierten, aber rigiden Typen wie Kalium und Arsenicum neigen dazu, ihre Sicherheit und ihre Prinzipien höher zu bewerten als Opportunismus. Zu den distanzierten, flexiblen Typen gehören Phosphor, Lycopodium, Argentum, Medorrhinum, Nux vomica, Staphisagria und Tuberculinum, die alle zu Opportunismus neigen. Nach meiner Erfahrung sind Lycopodium und Tuberculinum die opportunistischsten von allen.

Tuberculinum ist opportunistisch, weil sein Freiheitsbedürfnis so groß ist und weil er jede Gelegenheit ergreift, um diese Freiheit zu erlangen.

Lycopodium ist auch freiheitsliebend, aber nicht so mutig oder so rücksichtslos wie Tuberculinum. Sein Opportunismus hängt teilweise mit seiner Freiheitsliebe zusammen, teilweise aber auch mit seiner Neigung, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen und ohne viel Arbeit und Mühe Vorteile zu erlangen.

Vielleicht fühlt er sich immer noch in der Mutter-Kind-Beziehung, nur dass jetzt die ganze Welt seine Mutter ist, die ihn mit allem versorgt, ohne eine Gegenleistung

zu erwarten. (Deshalb ist die Zahl der Lycopodium-Männer, die nicht arbeiten, überproportional groß.) Wie Phosphor erwartet Lycopodium, dass er mit seinen Spielchen davonkommt, weil er einerseits eine schnelle Auffassungsgabe hat und andererseits so charmant ist. Lycopodium zeigt seinen Opportunismus oft als Schürzenjäger.

Romeo Typen, die eine Frau nach der anderen vernaschen und sich immer abseilen, wenn Probleme auftauchen, sind sehr oft Lycopodium. Viele Lycopodium Männer sind die reinsten Gigolos und verlassen sich darauf, dass sie Frauen um den kleinen Finger wickeln können, statt emotionale und berufliche Verpflichtungen einzugehen. Es ist nicht unüblich für einen Lycopodium-Mann, sich auf finanzielle Zuwendungen seiner Partnerin zu verlassen, wozu auch gehört, dass sie für seine Schulden aufkommt und ihn aus anderen selbst verschuldeten Miseren befreit. Im Gegenzug bietet er ihr sexuelles Vergnügen und eine angenehme Gesellschaft und geht davon aus, dass dies

für die Frau ein annehmbares Geschäft ist.

Der Gauner ist eine andere Variante des Lycopodium-Opportunisten, und viele Lycopodium-Gauner sind auch Schürzenjäger. Zu den Lycopodium Gaunern gehören beispielsweise der zwielichtige Gebrauchtwagenhändler, der Schwarzhändler, der alles verkauft, was "vom Lastwagen heruntergefallen" ist, und andere Lebenskünstler jeder Art. Was sie abgesehen von ihrem Mangel an moralischem Bewusstsein gemeinsam haben, ist ein rascher, raffinierter Verstand, mit dem sie jede Gelegenheit ergreifen, eine schnelle Mark zu machen. Vor allem die kleinen Gauner sind höchstwahrscheinlich Lycopodium. Um ein großer Gauner zu sein, braucht man gute Nerven und einen rücksichtslosen Charakter, was nicht zu den typischen Lycopodium-Eigenschaften gehört. Der Lycopodium-Gauner mag gegenüber den Konsequenzen seiner

Gaunereien auf einem Auge blind sein (alle Lycopodium-Typen werden gerne auf einem Auge blind, wenn es ihnen in den Kram passt), aber er ist nicht kaltblütig genug, um einen Mord zu begehen, es sei denn, er wäre einer der körperlichen Prahlhanse, der eine Menge Wut im Inneren aufgestaut hat. Kleine Gauner gehen nach Möglichkeit den Weg des geringsten Widerstands, und das ist ein weiterer typischer Zug bei Lycopodium.

Ein wunderbar humorvolles und exaktes Porträt des kleinen Lycopodium Gauners findet man in der Gestalt des Gastwirts Thonardier im Musical Les Miserables nach dem Roman von Victor Hugo (die deutschen Liedtexte stammen von Herbert Kretzmer):

Immer herein! Ich krieg Sie satt!

Ich bin der beste Wirt in der Stadt.

Die Konkurrenz panscht und betrügt,

rechnet euch schwindlig, knausert und lügt.

Selten finden Sie soviel Sympathie,

ein Ehrenmann bin ich, drum beehr'n Sie mich!

Ich bin Herr im Haus, schleimig und charmant.

Halte meine auf und küsse Ihre Hand.

Ich bring euch in Schwung, manchmal auch in Wut,

meine Gäste lieben mich als Tunichtgut.

Alles gäb ich her für Freunde, aber wie ein jeder weiß:

Gehört dir nichts, dann biste gar nichts,

jedes Ding hat seinen Preis.

Ich bin Herr im Haus, ich bin hier Dompteur.

Nehm euch einen Sou ab oder auch mal mehr.

Wasser in den Wein! Wenn ihr nicht mehr steht,

krall ich euren Klunker,

weil ihr doppelt seht!

Waren Sie mit mir zufrieden? Hat's euch wieder Spaß gemacht?

Für euch tu ich doch alles, aber wartet, wer als letzter lacht!

Ich bin Herr im Haus, wer's auch immer sei, keiner kommt an diesem Schwadroneur vorbei.

Bei den Armen groß, bei den Reichen klein, jedem Kunden will ich Freund fürs Leben sein.

Jeder möchte mit mir trinken, jeder mag mein Fuchsgesicht - Aufschlag für die Laus, Extra für die Maus,

zwei Prozent sind Stufengeld fürs Treppenhaus.

Zeiten sind brutal, Schulden sind horrend, bei geschloss'nem Fenster schlafen: drei Prozent!

Gott diktiert mir nicht die Preise - da gibt's eine Menge Tricks!

Wie das immer mehr wird, wie die Börse leer wird, nein, nicht nur die Kosten sind hier fix!

(Madame Thomardier, die Frau des Gastwirts:)

Ich träumte oft, ein Prinz wollt mich entführ'n ...

warum im Himmel mußt mir son Kerl passiern?!

Der und Herr im Haus? Selten so gelacht!

Stammtischphilosoph, der nichts als Bockmist macht!

Taschendiebgehirn, glaubt, er hätt' Esprit.

Glaubt, er wäre gut im Bett, bloß ICH merk's nie!

Welcher böse Dreh des Schicksals gab mir statt 'nein Pelz 'ne Laus?

Was hab ich erduldet neben diesem Bastard hier im Haus!

Nicht alle Lycopodium-Typen sind skrupellos, aber die meisten sind bis zu einem gewissen Grad opportunistisch. Wie Sulfur schmieden einige ständig große Pläne, um  schnell reich zu werden,

die ausnahmslos zunichte gemacht werden. Andererseits haben viele Lycopodium-Typen genug "Köpfchen", um ein profitables eigenes Geschäft aufzubauen, indem sie Marktlücken nutzen und Werbung und Geschäftsverbindungen geschickt ausnutzen. Der durchschnittliche Lycopodium hat wie der durchschnittliche Natrium etwas von einem Kämpfer. Am liebsten hätte er einfach ein leichtes Leben, aber er weiß, dass er dafür kämpfen muss. Zwar genießt er diesen Kampf nicht wie Nux vomica, und er nimmt auch nicht wie Sulfur an, dass er immer erfolgreich sein wird.

Aber er ist vernünftig genug zu wissen, dass es der Mühe wert ist, und er hat genug Verstand und Geschick im Umgang mit Leuten, um schließlich sein Ziel zu erreichen.

Da wir gerade bei Lycopodium-Geschäftsleuten sind, möchte ich einen Fehler erwähnen, den einige unerfahrene Homöopathen machen. Viele Lycopodium-Geschäftsleute sind von ihrer Arbeit ziemlich besessen und wirken im Sprechzimmer wie echte Draufgänger, die vor Selbstvertrauen strotzen. Da durch kann sich der Homöopath in ihnen

täuschen und Nux vomica verschreiben, das jedoch nicht wirkt. Die Unterscheidung kann subtil und schwierig sein, besonders wenn die körperlichen Symptome bei beiden Mitteln vorkommen,

was oft der Fall ist (etwa Verdauungsstörungen bei Stress). Ich finde es gewöhnlich hilfreich, dann zu fragen, welchen Charakter der Patient als Kind hatte. Sehr oft wird der selbstbewusste Lycopodium dann zugeben, dass er Prüfungsängste hatte oder dass er seine Fähigkeiten als Kind unterschätzt hat, auch wenn er für die Gegenwart keine Schwächen einräumt. Auch wenn man fragt: "Wovor haben Sie im Leben die größte Angst?", wird man überrascht sein, wie viele selbstbewusste, erfolgreiche Lycopodium-Typen antworten: "Dass ich mein Leben vergeude" oder "Dass ich keinen geschäftlichen Erfolg habe". Solche Gedanken würden Nux vomica nie in den Sinn kommen.

Der durchschnittliche Lycopodium ist kein ausgemachter Romeo, aber er wird oft etwas von einem sexuellen Opportunisten haben. Dabei geht es viel leicht nur darum, mit Mädchen zu flirten

oder sie in den Hintern zu kneifen.

Auf der anderen Seite wird der verheiratete Lycopodium-Mann eher als andere den Versuchungen einer Affäre erliegen, wenn er seine Frau erst einmal als selbstverständlich betrachtet.

Es ist nicht so, dass er sie nicht lieben würde. Auf die ihm eigene, freundliche und distanzierte Weise tut er das immer noch, aber der Nervenkitzel einer neuen Affäre erweist sich vielleicht als unwiderstehlich.

Beim Stichwort Romeo passt es ganz gut, kurz auf die Sexualität von Lycopodium einzugehen. Lycopodium ist bei diesem Thema besonders empfindlich, weil es viel mit dem allgemeinen

Problem der Unfähigkeit zu tun hat. Die meisten Lycopodium-Männer sind nicht impotent, aber viele haben Angst davor, was nur ein weiterer Aspekt der allgemeinen Versagensangst ist.

Der durchschnittliche Lycopodium hat eine ziemlich starke Libido und schwelgt gerne in sexuellen Phantasien, wenn er gerade keine Partnerin hat (und auch wenn er eine hat). Die mehr

körperlich orientierten Typen wie der körperliche Prahlhans und auch einige der Romeos genießen Sex am liebsten jede Nacht und können ihre Partnerin verlassen, wenn sie unbefriedigt sind.

Die intellektueller orientierten Lycopodium-Typen haben eine eher durchschnittliche Libido, die aber immer noch recht stark ist. Wie auch andere Konstitutionstypen können Lycopodium-Männer während des Geschlechtsverkehrs Schwierigkeiten mit der emotionalen Intimität haben. Das ist nur eine weitere Version der "Vorliebe für die Leute im Nebenzimmer" - nah, aber nicht zu nah.

Die meisten Lycopodium-Männer überbewerten ihre sexuelle Kraft etwas, oder sie sind übermäßig besorgt darum. Vielleicht war ihre Libido in früheren Jahren sehr stark, und wenn sie dann

etwas gemäßigter wird, interpretieren sie das als Zeichen nachlassender Manneskraft und machen sich Sorgen, wo hin diese Entwicklung noch führen wird. Wenn sie tatsächlich Schwierigkeiten haben, eine Erektion zu halten, oder wenn es zur vorzeitigen Ejakulation kommt, was den meisten Männern irgendwann im Leben passiert, besonders wenn sie unter Stress stehen oder eine neue Partnerin haben, dann neigen Lycopodium-Männer zu Überreaktionen, und das kann zu einer quälenden Angst vor sexuellem Versagen führen, die langfristig die gefürchtete Situation herbeiführt (Kent: "sexuelle Leidenschaft verringert"). Als Folge davon beginnen solche Männer, in einem verzweifelten Versuch, ein weiteres Nachlassen der Sexualfunktionen zu verhindern, Aphrodisiaka

zu benutzen, und vielleicht fragen sie den Homöopathen zögernd, ob das Mittel auch in dieser Hinsicht helfen wird.

Ich erinnere mich an einen alten Herrn von etwa 70 Jahren, der mich wegen einer homöopathischen Behandlung aufsuchte. Er war Witwer, traf sich aber gelegentlich mit einer befreundeten Dame. Seine einzige Beschwerde bestand darin, dass er bei der mehrfach täglich praktizierten Masturbation nicht mehr zum Höhepunkt kam. Über seine Qualitäten als Liebhaber machte er sich weniger Sorgen, obwohl er auch hier keinen Höhepunkt mehr erlebte. Es war interessant zu sehen, wie unbefangen er über dieses Thema sprach. Er beschrieb seine Beschwerden im Detail ohne Anzeichen

von Verlegenheit und ohne sich bewusst zu sein, dass dies für einen Mann in seinem Alter eine ungewöhnliche Sorge war. Seine äußere Erscheinung und der Rest des Falls passten zu Lycopodium, und nach einer Dosis 1M kam er wieder, um mir zu sagen, dass eine erhebliche Besserung eingetreten sei.

Ein anderer, wesentlich jüngerer Mann suchte mich wegen desselben Problems auf. Er war sehr schlank und hielt sich selbst für einen Experten in Bezug auf Yoga und östliche Mystik. Mit großem Stolz erzählte er mir, er habe früher den Liebesakt über sechs oder acht Stunden ohne Unterbrechung ausgeübt, aber jetzt hatte er eine neue Partnerin und Schwierigkeiten, die Erektion zu halten.

Ich war nicht überrascht, als er mir sagte, er habe untersuchen lassen, ob ein Durchblutungsproblem die Ursache seiner Impotenz sein könne. (Ein Durchblutungsproblem klingt irgendwie weniger nach persönlichem Versagen als andere Ursachen, die stärker mit persönlicher Verantwortung zusammenhängen könnten.) Sein Stolz, sowohl auf seine früheren sexuellen Kräfte als auch auf seine Yoga-Kenntnisse, war so offensichtlich und so übertrieben, dass mir die Mittelwahl keine Schwierigkeiten machte. Nach einer Dosis Lycopodium 10M war er deutlich weniger von sich überzeugt und machte sich auch deutlich weniger Sorgen über sein Problem, das sich mit dem Ende seiner Beziehung gewissermaßen von selbst erledigt hatte.

Der Intellektuelle:

Trotz der Gefahr, die Leser/innen mit einer allzu gründlichen Unterteilung in Subtypen zu verwirren, muss ich nun doch genauer definieren, wie ich den  pseudointellektuellen Lycopodium vom echten Lycopodium-Intellektuellen unterscheide. Der pseudointellektuelle Typ liegt irgendwo zwischen dem intellektuellen Prahlhans und dem echten Intellektuellen. Man kann ihn sich als eine

Art intellektuellen Angeber vorstellen, der nicht genügend Selbstvertrauen hat, um seine Ideen mit besonderem Nachdruck anzupreisen, dessen Ideen aber - um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen - meist etwas subtiler sind als die des intellektuellen Angebers.

Der Pseudointellektuelle hat nicht die geistige Tiefe und den Scharfsinn des wahren Intellektuellen, aber sein analytischer Verstand ist die meiste Zeit damit beschäftigt, einen Gedanken nach

dem anderen zu verschlingen, so wie ein Kind, das sich von jedem Dessert auf dem Büfett etwas nimmt. Mit dieser Art von intellektuellem Dilettantismus versuchen einige Lycopodium-Typen,

das Gefühl ihrer eigenen Wichtigkeit zu stärken. Sie empfinden (in den meisten Fällen unterbewusst), dass sie um so bedeutender sind, je mehr sie wissen. Gewöhnlich sind sie zurückhaltender

als der intellektuelle Angeber und sprechen über ihre Kenntnisse nur mit Freunden, von denen sie keine Zurückweisung befürchten müssen und die sie nicht auslachen.

Der Pseudointellektuelle besetzt oft ein Thema, wie sich die Biene auf eine Blume setzt, und grast es mehrere Wochen oder Monate ab, bevor er sich einem anderen Thema zuwendet.

Während dieser Zeit widmet er der betreffenden Sache viel Aufmerksamkeit und liest ein Buch nach dem anderen darüber, um eine Art Experte zu werden.

Ich habe einmal einen solchen Mann behandelt, dessen hauptsächliche Beschwerde ein empfindlicher Magen war. Er sagte mir, er sei gerade dabei, die Chaostheorie zu studieren. Er sagte das

auf eine sehr gewichtige Art, als wolle er die Bedeutung seiner Studien betonen, und erklärte, er wolle ein Buch über das Thema schreiben. Als ich jedoch mehr von ihm über die Chaostheorie wissen wollte, wurden seine Auskünfte immer verschwommener, und er erklärte etwas zögernd, er interessiere sich dafür, wie "Ordnung aus dem Chaos entsteht, besonders im menschlichen Organismus". Beruflich arbeitete er am Computer und abgesehen von dem Buch, das er gerade las, hatte er sich noch nie mit der Chaostheorie beschäftigt. Mir war bald klar, dass er sich für das Thema nur deshalb begeisterte, weil es eindrucksvoll klang und er dadurch hoffte, interessanter zu wirken. Er war ein einsamer Mann ohne enge Freunde, und er hatte Schwierigkeiten, Frauen kennenzulernen, weil er sich vor Zurückweisung fürchtete. Sehr zögernd und erst nachdem ich ihm viele Fragen gestellt hatte, gab er diese Probleme zu. Wie bei anderen pseudointellektuellen Lycopodium-Typen bestand sein hauptsächliches Lebensziel darin, interessant genug zu wirken, um Freunde und eine Partnerin zu finden und Respekt von anderen Menschen zu erlangen, und nur zu diesem Zweck sammelte er Fakten und versuchte, andere Menschen dafür zu interessieren.

Ich gab ihm Lycopodium 10M, und als ich ihn das nächste Mal sah, war ich sehr beeindruckt von den Wirkungen des Mittels. Zunächst hatte er sich ein oder zwei Tage lang ruhig und gedämpft gefühlt. Danach war ihm aufgefallen, dass seine Verdauungsstörungen verschwunden waren und seine Füße nicht mehr taub wurden, wenn er sich mit überkreuzten Beinen zur Meditation hinsetzte. Er schien mir entspannter zu sein und versuchte nicht mehr, mit seinen Studien Eindruck zu machen. Als ich ihn fragte, wie er mit seiner Untersuchung über die Chaostheorie weiterkomme, sagte er, er habe in letzter Zeit nicht viel darüber nachgedacht.

Der echte Lycopodium-Intellektuelle ist nicht so verbreitet wie der Pseudointellektuelle. Er ist wirklich fasziniert von den Themen, die er studiert, und will nicht primär andere Menschen beeindrucken. Er ist im allgemeinen ein Experte in einem bestimmten Bereich, ganz gleich ob das nun Quantenphysik, Linguistik o. Philosophie ist.

Für den Lycopodium-Intellektuellen ist seine wissenschaftliche Arbeit häufig der Lebensmittelpunkt. Sie nimmt ihn während der meisten Zeit des Tages vollständig in Anspruch und gibt ihm ein Gefühl der Befriedigung und einen Lebenszweck. Er ist wahrscheinlich der trockenste Lycopodium, weil er sich so ausschließlich auf intellektuelle Fragen konzentriert. Da er sich die meiste Zeit seines Lebens in Büchern vergraben hat, ist er wahrscheinlich schüchtern, und obwohl er als Dozent kompetent sein mag, hat er nicht die Ausstrahlung eines Sulfur-Intellektuellen und auch nicht die Überzeugungskraft und Ausdrucksstärke eines Nux-vomica-Intellektuellen.

Seinen Zuhörern gegenüber ist er jedoch geduldig und gewissen haft, und ersetzt sich mit seinem Thema gründlich auseinander. Der Lycopodium-Intellektuelle ist der

Experte im weißen Kittel mit der hohen Stirn, der sein Leben im Labor verbringt, wo er eine hochspezifische wissenschaftliche Frage untersucht, die er immer wieder zerlegt und analysiert. Er ist weniger inspiriert als das Sulfur-Genie, aber er arbeitet voller Hingabe und empfindet dabei echte Befriedigung. Er ist eher ein Theoretiker als ein praktischer Wissenschaftler, seine Vorstellungen hat er wahrscheinlich im Rahmen einer üblichen Ausbildung entwickelt, anders als Sulfur-Intellektuelle, die ausgesprochen originell sind und mit Theorien aufwarten können, die sie aufgrund von scheinbar völlig unzusammenhängenden Beobachtungen entwickelt haben und mit Informationen aus einer Vielzahl von Disziplinen untermauern. Wissenschaftliche Lehrer und Professoren sind sehr oft Lycopodium-Intellektuelle.

Ich erinnere mich an meinen eigenen Physiklehrer, und wenn ich an seinen Unterricht zurückdenke, bin ich sicher, dass er Lycopodium war. Er war gründlich, aber entspannt (anders als Kalium oder Arsenicum, die höchstwahrscheinlich gründlich und bevormundend sein würden), und er war ein sehr bescheidener Mensch, der nie versuchte, Macht über seine Schüler auszuüben. Er war ein stiller Mann, der sein Wissen gerne mitteilte und manchmal vor Begeisterung strahlte, wenn er vom Lehrplan

abschweifte und uns aufregende Dinge über schwarze Löcher und Relativität er zählte, aber meist war er sehr ruhig. Er war ein bisschen schüchtern und jedes Mal sichtlich verlegen, wenn wir ihn freundlich auf den Arm nahmen.

Der Hippie:

In den sechziger Jahren schlossen sich viele junge Leute bis zu einem gewissen Grad der Hippiebewegung an. Darunter waren zweifellos ganz verschiedene Konstitutionstypen. Ich habe jedoch festgestellt, dass die Mehrheit der Menschen, die immer noch an diesem Lebensstil festhalten, entweder eine Lycopodium- oder eine Natrium-Konstitution haben. Zum Hippielebensstil gehört, dass man aus den geltenden gesellschaftlichen Normen aussteigt, und während es zunächst so aussieht, als

widerspreche das dem Konformitätsstreben von Lycopodium, entspricht es doch sehr stark seiner Tendenz, sich vor Verantwortung zu drücken.

Die meisten Hippies der Gegenwart gehen keiner regelmäßigen Arbeit nach, und viele leben von der Sozialhilfe. Sie rechtfertigen das gewöhnlich, indem sie sagen, das System sei korrupt und dürfe deshalb auch missbraucht werden, oder indem sie ihren Lebensstil als positives Beispiel für die Gesellschaft bezeichnen. Beide Rechtfertigungen machen deutlich, wie Lycopodium rationalisieren kann. Zum Hippielebensstil gehört auch die "freie Liebe", was gewöhnlich Sex ohne emotionale Bindung bedeutet, und das ist für viele Lycopodium-Typen ebenfalls sehr attraktiv. Außerdem ist die Hippiegesellschaft für diejenigen, die dazugehören, ein Hort

bedingungsloser Liebe und Bestätigung, was der durchschnittliche Lycopodium ebenfalls sehr zu schätzen weiß. Ich habe einmal ungefähr zehn Mitglieder einer Gemeinschaft behandelt, die Jünger des verstorbenen indischen Gurus Bhagwan Shree Rajneesh waren. Rajneesh hatte einen sehr liberalen Ansatz und ermutigte seine Anhänger vor allem, das Leben zu genießen. Das führte innerhalb der Gemeinschaft zu einem sehr lockeren Sexual verhalten. Jeder dieser Patienten klagte über Verdauungsstörungen, und jeder von ihnen war konstitutionell Lycopodium. Es war irgendwie witzig - ich hielt das Lycopodium bereit und wartete auf den nächsten "Sannyasin" (Anhänger von Rajneesh). Ich tat mein Bestes, jeden neuen Fall unvoreingenommen zu prüfen, aber sie reagierten alle auf die Arznei.

Die Hippiegemeinschaft von heute ist stark von Marihuana abhängig, um das Leben angenehm zu machen, und das ist vielleicht ein Beispiel für die Fluchttendenzen von Lycopodium. Um Sorgen, Arbeit und das Gefühl von Unzulänglichkeit angesichts eines Konfliktes zu vermeiden, entwickeln viele Lycopodium-Typen eine spezifische Blindheit gegenüber Problemen. Diese beeinträchtigte Wahrnehmung wird durch den Gebrauch von Alkohol und Marihuana erleichtert, und das ermöglicht es vielen Lycopodium-Typen, ein schließlich der meisten Hippies, in einer Art Narrenparadies zu leben. Ein eher konventionelles Beispiel finden wir in der Cartoon-Gestalt

des Andy Capp. Wann immer seine seit langem leidende Ehefrau ihm Vorwürfe macht, weil er sein Geld verspielt, statt die Rechnungen zu bezahlen, lautet seine Antwort: "Mach dir nichts draus, Liebling, komm und trink was." Innerhalb einer Gemeinschaft, wie sie die Hippies bilden, fühlt sich Lycopodium akzeptiert und dazugehörig, und deshalb macht es nichts aus, wenn er im Hinblick auf den Rest der Gesellschaft gegen den Strom schwimmt, denn er verhält sich immer noch konform zu einer akzeptablen Norm. (Denken Sie an die außergewöhnliche Konformität der Hippiekultur mit ihren Blumenhemden, den langen Haaren, dem selbst gemachten Schmuck und dem Ethos von Frieden und Liebe.) Der relativ sichere Lycopodium kann mehr Individualität entwickeln, und dieser Prozess wird oft durch eine Dosis Lycopodium 10M ausgelöst.

Sentimentalität und ein weiches Herz:

Lycopodium hat meist einweiches Herz. Selbst der körperliche Angeber wird seiner Mutter zum Muttertag wahrscheinlich Blumen schicken.

Die meisten Lycopodium-Typen empfinden echte Menschenliebe, wenn sie auch eher freundlich-zurückhaltend und ziemlich unpersönlich sind. Sie haben ein weiches Herz und lassen sich gewöhnlich durch Berichte über Kummer und Elend bewegen. Lycopodium hat selbst so oft unter dem Gefühl der Unzulänglichkeit gelitten, dass seine Sympathien in der Regel dem Verlierer gehören, in den er sich bis zu einem gewissen Maß einfühlen kann. (Aber er bewundert auch den Erfolg in jeder Form und versucht, dem Gewinner nach zueifern.) Der durchschnittliche Lycopodium-Mann ist ein recht guter und aufmerksamer Partner und ein nachsichtiger Vater. Das gilt besonders gegen über seinen Töchtern, während er mit seinen Söhnen etwas härter umgeht, weil er durch sie einen Teil seiner unerfüllten Träume ausleben will. Der Lycopodium-Familienvater setzt seine unbeschwerte Freundlichkeit und seinen Charme zu Hause mit gutem Erfolg ein, und weil er immer noch etwas von einem Kind hat, spielt er wahrscheinlich gerne mit seinen Kindern und wirkt oft mehr wie ein Kumpel als wie ein Vater. Er ist wahrscheinlich sehr stolz auf seine Kinder und genießt es, mit den Jungen viele "Männer-Sachen" zu unternehmen wie Angeln und Fußballspielen. Simpson-Anhänger werden hier Homer Simpson erkennen. Der Vater der weltberühmten Cartoon-Figur Bart Simpson ist eine wundervolle Karikatur des durchschnittlichen Lycopodium-Familienvaters. Er ist ein Feigling, der von Größe träumt, er ignoriert seine

Familie die halbe Zeit, weil er zu sehr damit beschäftigt ist, mit seinen Kumpels zu spielen, und die andere Hälfte der Zeit verwöhnt er seine Familie mit großer Sentimentalität. Obwohl Frau und Kinder sich oft über ihn beklagen, zweifeln sie doch nicht ernsthaft an seiner Liebe, und sie wissen, dass sie sich auf ihn verlassen können, wenn es darauf ankommt. Den Rest der Zeit improvisieren sie.

Weil Lycopodium nach Anerkennung sucht (und deshalb unterbewusst das Gefühl hat, nicht anerkannt zu sein), kann er eine charakteristische Art von Sentimentalität

zur Schau tragen – die Tendenz zu weinen, wenn man ihm herzlich dankt (Kent: "weint, wenn man ihm dankt"). Wie der verlorene Sohn, der aus der Fremde zurückkehrt,

wird er oft von Gefühlen überwältigt, wenn man ihm Liebe entgegenbringt, die er nicht verdient zu haben glaubt. Lycopodium-Männer weinen im allgemeinen viel leichter als Natrium-Männer, und sie weinen auch eher in der Öffentlichkeit. Obwohl einige ihre Partnerinnen und Söhne beschimpfen, wissen die meisten Lycopodium-Männer sehr wohl, wie stark ihr Glück von der Familie abhängt, und sie können beim Abschied oder Wiedersehen ziemlich emotional werden, ebenso bei Gelegenheiten wie Hochzeitstagen oder wenn sie eine Rede halten sollen, und sie weinen dann wirklich aus Dankbarkeit für die Liebe ihrer Frau und ihrer Kinder.

Depression und Verzweiflung:

Normalerweise denkt man bei einem depressiven Typ nicht an Lycopodium, und die Mehrheit der depressiven Patienten braucht andere Mittel. Aber jeder Konstitutionstyp kann unter widrigen Umständen depressiv werden, und Lycopodium bildet dabei keine Ausnahme. Ich habe nicht viele depressive Lycopodium-Typen gesehen, und deshalb sind meine Anmerkungen hierzu nur kurz.

Die depressiven Lycopodium Menschen, die ich kennengelernt habe, hatten ein schwieriges Leben und hatten als Kinder wenig Bestätigung oder Liebe von ihren Eltern bekommen. Ihre depressiven Phasen waren ähnlich wie bei Natrium muriaticum, mit einigen zusätzlichen typischen Lycopodium-Zügen. So neigten sie dazu, sich bei Depressionen von anderen Menschen zurückzuziehen, fanden es jedoch angenehm, wenn jemand im Nebenzimmer war. Meist saßen sie da und brüteten über ihren Sorgen und über der Vergangenheit, und sie hatten sehr wenig Selbstrespekt. In diesem Stadium der Depression sind sie schwer von Sepia oder Natrium zu unterscheiden, und deshalb sollte man die Persönlichkeit vor der Erkrankung mit berücksichtigen. Gewöhnlich hat auch der depressive Lycopodium-Patient einige typische Lycopodium-Züge wie beispielsweise Erwartungsängste oder eine unrealistische Furcht zu versagen. Solche Ängste treten während einer depressiven Phase meist sogar verstärkt in Erscheinung. Meine depressiven Lycopodium-Patienten zeigten ein hohes Maß an Verzweiflung, als wären sie kurz davor, das Leben aufzugeben. Einige hatten Selbstmordgedanken, die sich im Zuge der Erstverschlimmerung nach der Arznei noch verstärkten (obwohl ich keinen Fall kenne, in dem sich ein depressiver Patient während der homöopathischen Erstverschlimmerung das Leben genommen hätte). Kent sagt über den depressiven Lycopodium Patienten: "Möchte nicht

angesprochen oder zum Denken angeregt werden und vermeidet jede Anstrengung; aber wenn er zu einer Tätigkeit gezwungen wird, findet er manchmal dadurch Erleichterung." Unglücklicherweise passen solche Bemerkungen auf die meisten depressiven Patienten. Wenn man Lycopodium bei einem Fall von Depression in Erwägung zieht, muss man die gesamte Geschichte des Patienten mit berücksichtigen. Ein wichtiger Hin weis auf Lycopodium besteht darin, dass die Depression beim Erwachen meist am schlimmsten ist und sich im Laufe des Tages tendenziell bessert (Kent: "Selbstmordgedanken beim Erwachen"). Dem depressiven Natrium geht es auch besonders schlecht, wenn er aufwacht, aber sein Zustand bessert sich im Laufe des Tages nicht so sehr.

Senilität und Demenz:

Lycopodium hat etwas Ähnlichkeit mit Barium in dem Sinne, dass der Typ durch eine gewisse Unreife gekennzeichnet ist, die sich in Fällen von Senilität verschärft. (Dasselbe kann man von Sulfur sagen.) Die wesentlichen Züge des dementen oder senilen Lycopodium sind eine Übertreibung der Charakteristika, die man beim jüngeren Lycopodium findet.

Vergesslichkeit ist bei allen Fällen von Senilität verbreitet, aber es gibt eine für Lycopodium charakteristische Form von Vergesslichkeit, die auch bei nichtsenilen Menschen auftritt, im Laufe der Jahre und bei nachlassenden Geisteskräften jedoch immer offensichtlicher wird. Es handelt sich um die Neigung von Lycopodium, Namen zu vergessen. Wenn er einen Bekannten trifft, kann Lycopodium in Angst und Verlegenheit geraten, weil ihm der Name nicht einfällt, obwohl sich die beiden vorher schon oft gesehen haben (Kent: "schlechtes Gedächtnis - Namen"). Der senile Lycopodium hat die Angewohnheit, bei nahezu jedem, auch bei Familienmitgliedern, den Namen durch "Wie heißt der doch gleich" zu ersetzen. Mit zunehmendem Alter tendiert Lycopodium

dazu, weniger nachgiebig und mehr streitsüchtig zu werden. (Kent: wortkarg", "streitsüchtig", "Grobheit".) Der ältere Lycopodium-Mann hat manchmal etwas von einem kleinen Tyrannen, wenn

er die Leute herumscheucht, als seien sie Dienstboten (Kent: "überheblich"). Es ist so, als sei er am Ende mutig genug, die Schlachten zu schlagen, die er immer vermieden hat. Da er sich nun

jedoch außerhalb des Schlachtfelds befindet, richtet er sein Feuer statt dessen auf seine Begleiter. Demente Lycopodium-Männer in Pflegeheimen haben die Angewohnheit, ihre Pflegerinnen anzugreifen, wenn sie ausgezogen oder gebadet werden sollen. Dann stoßen sie obszöne Verwünschungen aus und treten und beißen. Sie flirten auch ganz offen mit ihren Pflegerinnen oder

machen sexuelle Annäherungsversuche und wirken dann wie eine komische Imitation des jüngeren Lycopodium-Romeo.

Die chronische Furchtsamkeit vieler Lycopodium-Typen kann sich im Alter in Argwohn verwandeln (Kent: "misstrauisch, argwöhnisch und ständig auf der Suche nach Fehlern"). In echter Lycopodium-Manier wird der demente Lycopodium einen Satz auseinandernehmen, nach Anzeichen von Aggression darin suchen, um dann Einwendungen gegen einen Punkt nach dem anderen

zu erheben und dabei zu predigen, als sei er die letzte Autorität für die Wahrheit. Diese Wortgefechte sind eine Übertreibung der Neigung des intellektuellen Angebers, zu predigen und zu widersprechen. (Die Demenz von Sulfur hat viele Ähnlichkeiten. Der hauptsächliche Unterschied besteht darin, dass Sulfur sich selbst für noch wichtiger hält als der dementeLycopodium - ein Beispiel für den klassischen Größenwahn von Sulfur. Sulfur kann auch endlos über irgendwelche sachlich korrekten Informationen faseln, die er im Laufe seines Lebens gesammelt hat, weil sie ihn faszinierten.)

Die Lycopodium - Frau:

Ich habe das Thema der Lycopodium-Frau nicht aus Chauvinismus bis zu letzt aufgespart, sondern eher, weil viel von dem, was ich schon geschrieben habe, für beide Geschlechter gilt.

Nach meiner Erfahrung ist nur etwa ein Zehntel aller Lycopodium-Typen weiblich. Im Hinblick auf den hohen Anteil der Bevölkerung, der mit dieser Arznei in Resonanz steht, bedeutet das,

dass es trotzdem ziemlich viele Lycopodium-Frauen gibt. Unter meinen Patientinnen sind sie ungefähr so häufig wie Sepia-Frauen und häufiger als Pulsatilla oder Silicea.

Lycopodium-Frauen sind im allgemeinen aufrichtiger als die Männer, weil sie nicht versuchen, ihre Unsicherheit hinter einer Maske von Prahlerei und intellektuellem Rationalisieren zu verbergen.

Alle Lycopodium-Frauen, die ich behandelt habe, konnten sehr offen über ihre Ängste sprechen, die in den meisten Fällen beträchtlich waren und manchmal sogar lähmend wirkten. Es sind dieselben Versagensängste, die wir auch bei den Lycopodium-Männern finden. Bei Frauen entwickelt sich daraus oft die Furcht, als Frau und Mutter unzulänglich zu sein. Die erwerbstätigen Frauen machen sich oft große Sorgen über ihre Leistungen bei der Arbeit, besonders wenn sie vor größeren Gruppen von Menschen sprechen müssen. Eine Lycopodium-Frau suchte mich auf, um ihre nervösen Durchfälle behandeln zu lassen. Sie war leitende Angestellte und musste von Zeit zu Zeit Vorträge halten. Ihre Erwartungsangst hatte sich allmählich so weit gesteigert, dass sie vor Beginn jeder Sitzung zur Toilette rennen musste und

dann noch einmal während der Sitzung, bevor sie selbst das Wort ergreifen sollte. Diese Art von Angst findet man in einem solchen Ausmaß bei Lycopodium-Männern nicht so häufig, weil sie

über effektivere Mechanismen zur Angstvermeidung verfügen, indem sie ihr Ego entsprechend aufblähen. Die nervösen Durchfälle der Dame traten nach einigen Dosen Lycopodium 10M zusammen mit ihrer Erwartungsangst in den Hintergrund. Die einzige Art von Ego-Inflation, zu der Lycopodium-Frauen nach meiner Erfahrung neigen, ist körperliche Fitness, vor allem durch Gymnastik und Bodybuilding. Viele Gymnastiklehrerinnen, die ich kennengelernt habe, waren  Lycopodium. (Allerdings sind auch viele weibliche Fitnessenthusiasten Natrium oder Tuberculinum.)

So wie sie offensichtlich nervöser sind als Männer, versuchen Lycopodium-Frauen insgesamt noch stärker, sich beliebt zu machen. Sie sind im all gemeinen ziemlich nachgiebig und furchtsam und bieten anderen rasch Lob und Unterstützung an. Ich erinnere mich an eine Lycopodium-Frau von etwa 20 Jahren, die aufgrund ihrer Furchtsamkeit viel jünger wirkte. Sie berichtete mir, sie sei als Mädchen in der High-School aufgefordert worden, mit einigen dreisteren Jungen "hinter den Schuppen" zu gehen. Schon monatelang hatte sie mit einer Mischung aus Horror und Faszination den Erzählungen der früh reifen Mädchen gelauscht, die regelmäßig mit den Jungen hinter den Schuppen gingen, und schließlich hatte sie gedacht, irgend etwas könne mit ihr nicht stimmen, weil sie noch nicht dazu aufgefordert worden war. Als es schließlich soweit war, fühlte sie sich in ihrer Entscheidungsfähigkeit gelähmt, hin und her gerissen zwischen ihrem Bedürfnis nach Beliebtheit und ihrer Angst vor den Jungen. Sie hatte diese Erfahrung nie ganz verkraftet und spielte sie in verschiedenen Verkleidungen immer wieder durch. Dieses charakteristische Bemühen um Beliebtheit findet man genauso häufig bei Natrium-, Pulsatilla- und Staphisagria-Frauen, und der Homöopath ist gut beraten, wenn er sich im Falle einer nachgiebigen Frau an diese vier erinnert.

Auf alle Lycopodium-Frauen, die ich kennengelernt habe, passt der Aus druck "Mädchen" besser als Frau. Das kann nicht nur mit ihrer Angst zusammenhängen oder mit ihrem Wunsch zu gefallen, denn ich habe Natrium-Frau en behandelt, die ähnlich furchtsam waren und auf ähnliche Weise zu gefallen versuchten, die aber mehr wie Frauen als wie Mädchen wirkten. Auf ähnliche Weise wirken viele Lycopodium-Männer irgendwie jungenhaft im Vergleich zu ihren Natrium-Altersgenossen. Ich vermute, dass dieser jugendliche Eindruck bei Lycopodium etwas mit dem Mangel an emotionaler Tiefe zu tun hat und mit der Tendenz, sich vor Verantwortung zu drücken, obwohl auch der charakteristische Mangel an Selbstvertrauen seinen Teil zu dieser Wirkung beiträgt. Der mädchenhafte Eindruck bei den Lycopodium-Frauen ist nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv. Ich habe gehört, wie Lycopodium-Frauen sagten, sie seien sich ihrer "Fraulichkeit" nicht ganz sicher, genauso wie viele Männer an ihrer Männlichkeit zweifeln. Ich glaube, das ist in beiden Fällen das Ergebnis eines inneren Gefühls von Unfähigkeit.

Was eine Frau als Fraulichkeit empfindet, hat ebensoviel mit persönlicher Kraft zu tun wie das Männlichkeitsgefühl eines Mannes, und genau daran fehlt es Lycopodium. Bei Frauen wird das oft durch ihre körperliche Erscheinung unterstrichen, die häufig knochig, flachbrüstig und deshalb ziemlich androgyn wirkt. Wie der Lycopodium-Mann hat auch die Frau gewöhnlich gute analytische Fähigkeiten (wenn sie nicht gerade von Angst besessen ist). Sie hat auch eine Art abgeklärter Distanz zum Männlichen und wirkt dadurch weniger emotional als die durchschnittliche Natrium-Frau. Wenn sie nicht besorgt ist, wirkt sie locker und oft verspielt, fast wie Phosphor, wenn auch etwas weniger strahlend. Obwohl es ihr nicht an erotischem Charme fehlt, hat die Lycopodium-Frau mehr schwesterliche Eigenschaften, eine lockere und freundschaftliche Art. Sie ist ein "feiner Kerl", der gerne spielt und auch gerne plaudert, wenn die anfängliche Schüchternheit erst einmal überwunden ist. Als Mutter und Ehefrau hat Lycopodium viele Ähnlichkeiten mit Sepia. Beide haben eine gewisse Distanziertheit gegenüber ihren Angehörigen, ob wohl sie gleichzeitig übermäßig um sie besorgt sind. Das ist in der Regel eine gesunde Haltung, denn sie kombiniert Liebe mit einem relativen Mangel an Anhänglichkeit und erlaubt es den Frauen, ein Gefühl von Unabhängigkeit und eigener Identität zu bewahren (etwas, das Natrium, Staphisagria und Pulsatilla oft fehlt). Diese Distanziertheit ist gewöhnlich geringer als bei Lycopodium-Männern, aber gelegentlich kann sie stark genug sein, um Probleme zu verursachen, wenn die Lycopodium-Frau ähnlich wie ihre Sepia-Schwester sich nicht genügend an ihre Familie gebunden fühlt (Kent: "indifferent gegenüber ihren Kindern"). In ihrer Mehrheit haben die Lycopodium-Frauen jedoch ein noch weicheres Herz als ihre männlichen Gegenstücke, und ihre Liebe gleicht einer stillen, aber stetigen Flamme. Der Mann – eine erotische Leistungsschau (Leseprobe von Bombardt):

Lycopodium ist eines der wichtigsten Arzneimittel für Männer, die ihre Sexualität entwickeln oder verändern möchten. Wie bereits vorher beschrieben, können homöopathische Arzneimittel sowohl psychische als auch körperliche Symptome verändern und auflösen. Die Essenz einer Arznei, also ihre Charakteristik, zieht sich in ihren Ausprägungen wie ein roter Faden durch die verschiedenen Ebenen.

Lycopodium spricht als Arznei besonders die männliche Sexualität an sowie bestimmte, häufig eher Männern zugeordnete Verhaltensweisen und Eigenschaften. Eine dieser Eigenschaften lässt sich beschreiben als das Bestreben, eigene Unzulänglichkeiten und Schwächen zu vertuschen, z.B. in der Sexualität oder im persönlichen Gespräch.

Die eigenen Unzulänglichkeiten zu verbergen ist ja an sich ein sehr sinnvolles Verhalten – warum sollte man seine Unzulänglichkeiten denn auch zur Schau stellen?

Bei einem Lycopodium-Mann hat sich dieses Verhalten jedoch so sehr verselbständigt, dass es so etwas wie eine permanente innere Abwehr gibt. Diese Abwehr ist andauernd nur damit beschäftigt, die Umgebung und die Äußerungen der Mitmenschen auf potentielle Angriffe hin zu untersuchen. Dazu kommt, dass viele Gefühle für eine Lycopodium-Persönlichkeit persönliche Schwächen und Unzulänglichkeiten darstellen, die man verbergen muss. In Wirklichkeit handelt es sich bei den meisten dieser vermeintlichen Unzulänglichkeiten um ganz menschliche und folgerichtige Empfindungen. Hinter diesem Verhaltensmuster verbirgt sich die Befürchtung, aufgrund dieser menschlichen Seite abgelehnt oder angegriffen zu werden. Die wichtigste Ursache für dieses sehr weit verbreitete Verhaltensmuster liegt sicher auch in der traditionell

leistungsorientierten Erziehung von Männern. Dieses Verhaltensmuster kann auch für das Entstehen von Erektionsstörungen verantwortlich sein.

Der lycopodische Mann ist leistungsorientiert erzogen und hat schon sehr früh in seinem Leben gelernt, dass Jungen nicht weinen und dass ein Indianer keinen Schmerz kennt. Sein Lebensweg ist gepflastert mit Medaillen, akademischen Abschlüssen und beruflichen Erfolgen. Er ist erfolgreich und arbeitet oft als Unternehmensberater, Arzt, Jurist oder Betriebswirt in einer Führungsposition in der freien Wirtschaft oder als Mitglied der Regierung. Diese leistungsbezogenen und erfolgsorientierten

Männer sind von der panischen Vorstellung getrieben, dass sie ihre ehrgeizigen privaten und beruflichen Ziele vielleicht nicht erreichen könnten. Sie befinden sich meist in

einer Arbeitssituation, in der die Luft zum Durchatmen dünn geworden ist. Sie sind so weit oben auf der Karriereleiter, daß sie einen großen Teil ihrer Energie darauf verwenden müssen, in Deckung zu bleiben, sich zu schützen und ein Image von Vollkommenheit und Unangreifbarkeit aufzubauen.

Das ist unglaublich anstrengend und kostet viel Energie, die in anderen Lebensbereichen fehlt.

Sexuelle Erregung ist jedoch nicht wirklich kontrollierbar und so kann bei auftretender sexueller Erregung das Gefühl von Ausgeliefert sein und Schutzlosigkeit entstehen. Ein Lycopodium-Mann versucht häufig, solche Empfindungen zu verhindern, da sie ihn ängstigen. Er empfindet Gefühlsregungen als persönliche Niederlage. Sex ist für ihn eine weitere Bühne für seine persönliche Leistungsshow. Traurigkeit, Freude, Liebe, Lust – all diese Regungen versucht er zu verbergen, damit er unangreifbar bleibt.

Er bemüht sich darum, seine Sexualität und seine Gefühle zu kontrollieren. Dies geschieht fast immer auf Kosten der Lust und der sexuellen Leistungsfähigkeit. Leistungsfähigkeit ist jedoch wiederum sehr wichtig für den Lycopodium-Mann, da Leistungskompetenz ihm ein Gefühl von Macht gibt. Außerdem ist jemand, der gut

funktioniert und alle Anforderungen erfüllt, weniger angreifbar. So entsteht ein Dilemma, aus dem es anscheinend keine Möglichkeit gibt zu entrinnen.

Hier bietet die homöopathische Behandlung mit dem Arzneimittel Lycopodium einen Ausweg aus dem Teufelskreis.

Lycopodium kann einem Mann, der in diesen Teufelskreis geraten ist, helfen, wieder in seine männliche Kraft zu kommen. Zustände oder Phasen im Leben eines Mannes, die nach Lycopodium verlangen, treten auch gerade dann auf, wenn neue Anforderungen gestellt werden. Das kann eine neue Beziehung sein, eine Hochzeit, die Geburt eines Kindes oder eben Sex mit einer noch weitgehend unbekannten Frau.

Die lycopodische Erektionsstörung, also die Art von Erektionsschwäche, die durch das homöopathische Arzneimittel Lycopodium geheilt werden kann, ist wirklich sehr weit verbreitet. Für den lycopodischen Mann ist der Penis so etwas wie der Anlasser seines Autos. Wenn dieser kaputt ist, bringt er das Auto in die Werkstatt und lässt den

Anlasser auswechseln. Wenn es im therapeutischen Gespräch um seine Erlebnisfähigkeit geht, spricht er von einer „Performance“.

Hier wird deutlich, dass seine Wertmaßstäbe auf Leistung bezogen sind. Es ist oft schwierig, mit diesen Männern ins Gespräch zu kommen. Sie rufen in der Praxis an,

weil sie ein Problem haben, fragen vorsichtig danach, was ich denn da mit ihnen „mache“ und wenn ich ihnen freundlich erklärt habe, wie der erste Gesprächstermin aussieht, vereinbaren sie schließlich einen Termin. Meistens möchten sie ihre Telefonnummer und ihren Namen verschweigen. Wenn sie mir eine Telefonnummer

hinterlassen, ist das bereits ein Ausdruck von innerer Größe, der eine gute Prognose ermöglicht. Häufig geben lycopodische Männer falsche Namen und Telefonnummern an, weil sie die Phantasie haben, dass ich sie am Arbeitsplatz oder zu Hause kompromittieren könnte. Im Erstgespräch geben sie sich verschlossen und wenden immer wieder Techniken an, die sie sich in Rhetorikkursen antrainiert haben. Sie gehen davon aus, dass Angriff die beste Verteidigung ist und so fragen sie mich: „Was machen Sie denn da mit mir? Wo haben Sie das denn gelernt? Wie geht denn das? Wie lange dauert die Behandlung? Woher weiß ich, ob das funktioniert?“ Hinter diesen oft aggressiv formulierten Fragen verbergen sich Unsicherheit und ohnmächtige Wut auf die Situation, die aufgrund des beschriebenen Abwehrmechanismus als sehr bedrohlich erlebt wird. Einerseits vergeht mit der Beantwortung dieser Fragen viel Zeit, in der ich lieber Fragen zum Verständnis der Problematik stellen würde. Andererseits entsteht bei der Beantwortung dieser Fragen das für die therapeutische Beziehung so wichtige Vertrauen. In Wirklichkeit ist es ja ein eher absurdes Verhalten, wenn man sich aus der Not heraus einen Termin geben lässt und die zur Verfügung stehende Zeit damit verbringt, die Therapeutin anzugreifen und über die Wirksamkeit der Behandlungsmethode zu diskutieren. Ich spreche diesen Sachverhalt deshalb auch gerne direkt an: „Sie sind ja freiwillig hier und haben sich einen Termin geben lassen, weil Sie ein sexuelles Problem haben. Es stellt sich die Frage, ob Sie es verändern möchten oder ob Sie lieber recht behalten möchten.“

Lycopodische Männer sind hinter ihrer Fassade von Unangreifbarkeit sehr unsicher und brauchen in einer therapeutischen Situation, in der es um die Schwächeanfälle ihres Penis geht, die größtmögliche Sicherheit. Oft haben sie keine therapeutische Vorerfahrung und befürchten, dass sie hereingelegt werden und dass man sich an ihnen nur bereichern möchte. Auf der anderen Seite steht die Ohnmacht gegenüber der eigenen Erektionsschwäche, die sie dazu motiviert, meine Praxis aufzusuchen. Eine häufig zu Beginn der Behandlung gestellte Frage des Patienten an mich lautet: „Wie lange brauchen Sie denn?“ Ich antworte dann gerne mit einer Gegenfrage: „Wie lange brauchen Sie denn? Der Therapieerfolg hängt auch davon ab, wie weit Sie Veränderungsprozesse zulassen können und inwieweit Sie dazu in der Lage sind, sich auf Ihre eigenen unbewussten Ebenen einzulassen.“

Der Patient behält also seine Eigenverantwortlichkeit. Anschließend frage ich ihn: „Was glauben Sie denn, was passieren müsste, damit Sie wieder guten Sex haben können?“

Auf diese Frage bekomme ich immer eine Antwort und bereits während der Patient mir die Antwort gibt, merkt er, dass er etwa s Grundlegendes verändern müsste...

Im Anschluss daran frage ich ihn: „Glauben Sie denn, dass Sie das, was Sie da beschrieben haben, auch erreichen können?“ Und nur, wenn dann er dann mit „Ja“ antwortet, beginne ich mit der Arbeit. Wenn er mit „Nein“, „Ich weiß nicht“, „Vielleicht“ oder „Ja, wenn Sie mich dahin bringen“ antwortet, lehne ich eine psychotherapeutische

Zusammenarbeit zunächst ab. Dann bekommt er erst einmal nur Lycopodium und nach vier Wochen sieht das Ganze dann oft schon viel einfacher aus...

Hier ein Beispiel für eine Gesprächssituation mit einem lycopodischen Mann ca. zehn Tage nach der ersten Einnahme:

Er erzählt, dass er nur unter Erektionsstörungen leidet, wenn er mit einer Frau schlafen möchte und beschreibt, dass er keine Probleme hat, wenn er sich selbst befriedigt.

Ich stelle Fragen, bei deren Beantwortung er feststellen kann, was er innerlich gerade tut.

MS: Wie ist es, wenn Sie sich selbst befriedigen... Was tun Sie innen?

P: Wenn ich mich selbst befriedige, bin ich ja nur mit mir selbst beschäftigt. Da ist ja niemand sonst dabei.

MS: Und wenn Sie nur mit sich selbst beschäftigt sind, was sehen Sie dann?

P: Dann sehe ich nur die Frau. Ich stelle mir vor, wie es ist, wenn ich mit ihr...

(Patient schweigt, wechselt die Gesichtsfarbe und den Atemrhythmus...)

Er ist also mit sich selbst assoziiert, während er sich befriedigt.

Wir phantasieren zusammen, dass es so auch mit einer Frau funktionieren müsste...

MS: Stellen Sie sich doch mal diese eine Situation vor, von der Sie mir eben erzählt haben...

Sie sind mit einer Frau zusammen und wollen Sex haben... Sie erinnern sich... Wie ist es da, sehen Sie sich von außen oder sehen Sie nur die Frau...

P(Lacht... lacht?): Nein, da ist es ganz anders... ich schaue mir zu und frage mich dabei, ob ich hier eine angemessene Performance hinlege...

In dieser Situation ist der Mann dissoziiert. Eigentlich müsste es umgekehrt sein: Wenn er sich die Frau nur vorstellt, ist es leichter, dissoziiert zu sein und wenn er mit einer leibhaftigen Frau zusammen ist, sollte er assoziiert sein.

Bei einem lycopodischen Mann ist das aber nicht so. Ein lycopodischer Mann hat vor einer realen Frau mehr Angst als vor der Frau in der Phantasie. Und diese Angst führt dazu, dass er sich dissoziiert, um die Situation zu kontrollieren.

Die Fähigkeit, sich zu dissoziieren, also sich selbst und die eigene Leistungsshow von außen anzusehen, ist eine wichtige Fähigkeit, die in anderen Kontexten sehr wertvoll sein kann, so z.B. in Vorträgen. Wenn man vor einer Gruppe steht, ist es ganz gut, sich immer mal wieder von außen zuzusehen, damit der Vortrag auch gelingt. Beim Sex ist Vollkontakt zu sich selber jedoch besser.

Man kann das üben, in dem man sich in unverfänglichen Situationen die Frage stellt: „Woran merke ich eigentlich, dass ich jetzt hier bin...?“

Tun Sie das doch mal... und achten Sie darauf, was Ihnen als erstes einfällt. Sehen, hören oder fühlen Sie zuallererst?

Irgendwann sollten Sie wahrnehmen, wie Ihre Schuhe den Boden berühren und wie Ihr Körper die Unterlage berührt. Dann sehen Sie die Welt aus Ihren Augen, nehmen Sie wahr, wie es ist, wenn der Rahmen aus dem Blickwinkel verschwindet und Sie die Umgebung so farbig sehen können, wie sie gerade auch ist.

Und wenn Sie das alleine geübt haben, üben Sie es dann einmal in Gegenwart von Menschen.

Konzentrieren Sie sich immer wieder auf die Frage: „Woran merke ich, daß ich jetzt gerade hier bin?“ Und irgendwann wird auch ein Bauchgefühl dazukommen, das mal angenehm und auch mal unangenehm sein kann. Nehmen Sie es einfach nur wahr und lassen Sie es so sein, wie es ist.

Lernen Sie wahrzunehmen, wann Sie dissoziiert sind und wann assoziiert.

Wenn Sie als lycopodischer Mann Lycopodium nehmen, werden Sie das assoziierte Leben irgendwann angenehmer finden als das dissoziierte, und es wird Ihnen auch möglich sein, im Zusammensein mit einer Frau assoziiert zu bleiben. Den Begriff „assoziiert“ kann man auch mit „bei sich sein“ umschreiben.

Bert Hellinger: ein impotenter Mann verweigert einer Frau den Dienst. Dem setzt er voraus, dass es die Aufgabe des Mannes ist, einer Frau zu dienen. Die Aufgabe der Frau ist es, dem Mann zu folgen. Das lassen wir besser mal dahingestellt. Mit dem Dienen und dem Folgen ist das ja so eine Sache. Männer und Frauen wissen ja nicht mehr

so recht, wie alles in der Ordnung ist mit dem „Männlichsein“ und dem „Weiblichsein“. Wenn Männer aufhören, Frauen gegenüber bestimmt, fordernd und offensiv zu sein, wird bundesweite Trauer über den deutschen Schlappschwanz ausgerufen. Wenn Männer jedoch auf eine traditionell männliche Art auftreten, versucht man ihnen beizubringen, sich wie eine weibliche Seele zu verhalten und auch so zu empfinden. Das Resultat dieser häufig in Therapiegruppen und/oder nächtelangen Diskussionen stattfindenden Prozeduren sind so genannte Diplomsofties, die selbst nicht mehr genau wissen, wo der Hammer hängt. Das zeigt sich z.B. bei Balzritualen in Großstadtjagdrevieren. Männer denken, wenn sie eine Frau ansprechen, dann denke die Frau, dass er „etwas“ von ihr wolle, also dass sie denke, er wolle ja nur Sex. Natürlich will er Sex, warum sollte er sie sonst auch ansprechen? Es ist das natürlichste der Welt, eine Frau anzusprechen, weil sexuelles Interesse entstanden ist. Natürlich

will er etwas, warum sollte er sich sonst die Mühe machen? Fast alle Frauen, die ich kenne, fragen sich, warum sie so selten von Männern angesprochen werden. Sie denken tatsächlich, es hinge mit ihrem Aussehen zusammen und verbringen daraufhin noch mehr Zeit damit, ihr Aussehen zu optimieren. Frauen fragen sich, warum Männer sie nicht mehr ansprechen und Männer denken, wenn sie eine Frau ansprechen, sei es offensichtlich, dass sie etwas von ihr wollen.

Natürlich ist es offensichtlich, dass Sie etwas wollen von der Frau, die Sie ansprechen. Irgendetwas an ihrer Art gefällt Ihnen und jetzt möchten Sie herausfinden, ob Ihnen der Rest auch gut gefällt. Gehen Sie davon aus, dass Frauen erwachsene Menschen sind, die „Ja“ und „Nein“ sagen können und die in der Lage sind, verantwortlich mit sich umzugehen. Wenn Sie eine Frau freundlich ansprechen und eine barsche Abfuhr erhalten, sollten Sie davon ausgehen, dass diese Frau schlecht erzogen ist oder kontaktgestört. Eine Frau kann ein Kontaktangebot von Seiten eines Mannes auch freundlich ablehnen: „Nett von Ihnen, dass Sie mich ansprechen, aber ich möchte mich lieber nicht unterhalten, sondern weiter hier alleine sein.“ Das ist eine deutliche, klare und höfliche Absage, die man respektieren kann, ohne sich zurückgewiesen zu fühlen. Je größer die Angst eines Mannes ist, sich selbst, sein Interesse oder sein Begehren zu zeigen, desto größer ist die Chance, dass er durch eine homöopathische

Behandlung mit Lycopodium selbstbewußter und männlicher wird. Durch die Behandlung mit Lycopodium entsteht Souveränität, und aus diesem Gefühl heraus wird es dann immer leichter, Frauen kennenzulernen und darüber hinaus auch, erotisch anziehend zu wirken. Je größer und stärker diese neue Selbstsicherheit ist, desto leichter lässt es sich verschmerzen, wenn eine supergestylte Zicke für eine freundliche Einladung zu einem Glas Wein nur ein cooles Schulterzucken übrig hat und es noch nicht einmal für nötig hält „Nein danke“ zu sagen. Einer meiner Patienten beschrieb die Ambivalenz zwischen Anziehung und Abgestoßensein so: „Ich verstehe Frauen nicht.

Sie kommen mir so fremd vor und ich weiß nie, woran ich bin. Einerseits ist es verlockend, weil es warm und geborgen ist, andererseits habe ich Angst, weil mein Penis in ihrem Bauch verschwindet.“

Frauen sind und bleiben für Männer unberechenbar und unkontrollierbar. Ihr Körper, ihr Wesen, ihre Sexualität, sind und bleiben spanische Dörfer für einen Mann, der in der rationalen, erfolgs- und ergebnisorientierten Welt zu Hause ist. Es ist ihm fremd, und was fremd ist, macht Angst und Angst macht klein.

Lycopodium bewirkt auf fast schon magische Art und Weise, dass die Brücke zwischen Verstand und Gefühl wieder neu errichtet wird. In der Praxis sieht das so aus, dass ein Mann nach der Erstanamnese, also dem Interview zur Auffindung des passenden homöopathischen Mittels, sehr ungeduldig und fast schon aggressiv wird, weil er nicht verstehen kann, wieso dieses Gespräch dazu beitragen soll, seine impotenten Zustände zu beheben. Im Repertorium (einer Sammlung von Symptomen mit den zugeordneten homöopathischen Arzneien) finden wir dieses Symptom unter der Rubrik „Wahnidee, erreicht sein Ziel nicht“. Er will wissen, ob das denn hilft oder ob er Zeit vergeudet und Geld zum Fenster hinausgeworfen hat, indem er sich für diese Behandlung entschieden hat. Es ist seine Unsicherheit und die Unfähigkeit, seine Gefühle  wahrzunehmen, die ihn diese Fragen stellen lässt. Meistens gebe ich das Arzneimittel sofort nach der Anamnese, damit diese destruktiven Selbstzweifel aufhören und ich sicher sein kann, dass der Patient das Mittel einnimmt. Ich habe es schon erlebt, dass Patienten sich über die Wirkungslosigkeit der Arznei beschwert haben, nachdem sie sich das Mittel aus der Apotheke holen sollten. Nach einigen Fragen habe ich ihnen auf den Kopf zugesagt, dass sie die Arznei gar nicht genommen haben und sie haben mir Recht gegeben. Das fanden sie so beeindruckend, dass die Therapie von diesem Moment an erfolgreich verlief.

Mit den Wahrnehmungsübungen beginne ich bei Lycopodium frühestens zwei Wochen nach Einnahme der Arznei. Vorher ist es ziemlich sinnlos. Die Patienten haben noch so große Angst vor dem Kontakt mit sich selbst, dass sie vorher weder die Situation noch die Fragen aushalten.

Nach zwei Wochen kommt jedoch ein veränderter Mann in meine Praxis. Meistens ist er immer noch misstrauisch, aber er freut sich, über seine Gefühle sprechen zu können. Es ist ungewohnt für ihn, diese wahrzunehmen und auszudrücken, aber er merkt, dass es ihn befreit. Wenn dieser Punkt erreicht ist, beginnen wir mit einer genauen Problembestimmung und einer konkreten Zielvision. Von diesem Zeitpunkt an macht den meisten Patienten die Zusammenarbeit großen Spaß, weil sie merken, dass sie durch die Veränderung ihrer mentalen Landschaft neue und intensivere erotische Gefühle bekommen.

Lycopodische Männer sind nach einer Behandlung mit Lycopodium durchaus in der Lage, ihre Gefühle wahrzunehmen und zu artikulieren. Gleichzeitig nehmen sie wahr, dass etwas in ihnen wächst. Manche Patienten sagen: „Ich spüre mich mehr. Einerseits fühle ich mich Frauen gegenüber größer, andererseits bin ich ehrlicher und zeige mehr von mir. Dadurch wird alles intensiver.“

Lycopodium ist das wichtigste Mittel für männliche Impotenz in allen Formen, weil es einem Mann das Gefühl für die innere Größe zurückgibt, unabhängig von Alter,

Körperlänge, Penislänge oder -umfang, unabhängig auch von Schulabschluss und Einkommen.

Fallbeispiel:

Lycopodium oder "Von Frauenhass und Frauenliebe" oder "Die Geschichte einer lycopodischen homöopathischen Ehe."

Ich möchte heute die Geschichte einer Behandlung vortragen, die über 12 Jahre hauptsächlich mit diesem homöopathischen Arzneimittel durchgeführt wurde und an ihr aufzeigen, wie eng verknüpft die Entwicklung des Therapeuten mit der des Patienten ist und wie üppig uns unsere große Mutter Homöopathie dafür belohnt, wenn wir ihren Arzneien, wie in diesem Fall, über Jahre die Treue gehalten haben.

Als Hermann (alle Namen mit ...mann, z.B. Baumann, Hauptmann, alle Namen mit ...kühn oder ...mayer und ...meier sowie die Namen Pfeiffer und Schulze sind als Nachnamen zutiefst lycopodiumverdächtig. Als Vornamen steht an erster Stelle der Name Andreas sowie Gerhard, Hans-Georg, Karl-Heinz, Klaus-Dieter oder Manfred zur Beachtung) nun vor 12 Jahren in mein Leben trat, war er Schüler an einer Heilpraktiker-Schule, an der ich meine ersten didaktischen Gehversuche startete. Unsere ersten Begegnungen waren nicht unbedingt erfreulich, denn er war ein zwar hochbegabter, aber sehr kritischer, nachfragender und zuweilen besserwisserischer Schüler (alles, wie wir wissen, im Guten wie auch im Schlechten Leitsymptome des lycopodischen Menschen). So brillant auch sein Geist war, so unbeholfen und oft zu grob zeigte er sich doch in der Arbeit am Leib. Auch das wiederum ist typisch für den lycopodischen Menschen, der brilliert durch die Klarheit und Tiefe seines Verstandes, aber aller größte

Schwierigkeiten hat mit emotionalem Erspüren und liebevoller Berührung. So waren unsere ersten Kontakte geprägt von Konkurrenz, weil er besonders zu seinen Mitschülerinnen ein sehr charmanter und ihre Aufmerksamkeit erregender Mitschüler war, was natürlich mir, selbst noch ganz im Krankheitsbild meiner lycopodischen Minderwertigkeit verfangen, zutiefst Konkurrenzgefühle machte. Und so entspann sich ein typischer lycopodischer Lehrer-Schüler-Kleinkrieg, den wir besonders auf unseren Homöopathieschulen (hartnäckiges Homöopathen-Miasma) aus langjähriger Anschauung kennen. Trotzdem, zu meiner Überraschung, fragte mich Hermann, ob ich nicht sein Therapeut werden wollte (wenn Lycopodium seinen Lehrer nicht verängstigen und in die Ecke treiben kann, versucht er, sich ihm anzubiedern und positiv für sich einzunehmen). Der wichtigste Hinweis war, dass er privat versichert war, was in mir natürlich sofort die Hoffnung nach fetter finanzieller Ausbeute erweckte. Keiner weiß so gut wie Lycopodium, wie er sein Gegenüber, und wenn es in Hoffnung auf fette Heilpraktiker-Rechnungen ist, für sich einnehmen kann. Ich war geschmeichelt, und so machte ich fortan regelmäßige Hausbesuche in der Hermann'schen Wohnung. Das Hauptproblem von Hermann waren seine chronischen Rückenschmerzen, die ihn schon seit langen Jahren malträtierten und von denen er ausdrücklich behauptete, bei der Liebe würden sie ihm aber überhaupt keine Schwierigkeiten machen.

Überhaupt war der immer wiederkehrende Hinweis auf seine hervorragenden männlich-sexuellen Eigenschaften oft zentraler Inhalt unserer Gespräche. Hermann liebte die Frauen und diese Liebe nahm schon fast don-juanistische Dimensionen an. Besonders liebte er die jungen Frauen, die ihm, dem brillanten Denker und Redner, all zu oft zu Füßen lagen und ihn in seiner Selbstüberschätzung nur bestätigten.

Seine Rückenbeschwerden waren besonders schlimm nach dem Liegen morgens. Wärme besserte, massieren tat wohl. Druck verschlechterte. Er hatte das Gefühl, völlig steif im Becken zu sein. Wenn er seine Wut besonders Vorgesetzten gegenüber nicht ausdrücken konnte, verstärkten sich alle seine Beschwerden, und er bekam Schwäche im ganzen Körper. Wenn er einmal weinen konnte, was leider nur selten der Fall war, verbesserte es alle seine Beschwerden.

Er hatte eine sehr autoritäre Erziehung genossen, die geprägt war von Demütigungen und Angst vor dem Vater. Zu Hause passte er sich über alle Maßen an, draußen vermittelte er das Bild eines aggressiven und kritischen Menschen. Schon als Kind Angst, alleine zu schlafen, Angst vor Ratten, Angst vor Feuer, Angst vor dem Sterben

und Angst vor der Angst. Immer wieder Angst, auch in den Träumen, mit Bildern, dass schwarze große Männer um sein Bett standen.

Es gab in ihm von Kindheit an ein Gefühl von Schwäche und Unzulänglichkeit, was er durch machohaftes Gehabe und "Erfolge bei Frauen" zu kompensieren versuchte. Eine ungemein positive Eigenschaft an seinem Wesen war, dass er für Menschen, die ihm nahe waren, außergewöhnlich viel Einsatz zeigte und, wenn er sich in seiner Schwäche nicht bedroht fühlte, auch ein ausnahmslos gerechtigkeitsliebender Mensch war. Selbst als homöopathischer Anfänger und ohne damals selbst meinen eigenen homöopathischen Teilaspekt bearbeitet zu haben, entging mir bei diesem Patienten seine lycopodische Symptomatik nicht.

So verordnete ich Lycopodium LM 18, 1 x täglich 5 Tropfen, zusammen mit kräftigen Massagen, Schröpfungen und regelmäßigen Infiltrationen der Schmerzpunkte

mit Procain und Discicomp der Firma Wala.

Schon nach kurzer Zeit verspürte der Patient Erleichterung seiner Rückenbeschwerden, der Aufsteh-Schmerz war deutlich besser, er fühlte sich allgemein positiver und gelassener und bekam - "wie homöopathisch" - Pickel um Mund und Augen. Da er ein ausgesprochen eitler Mensch war, machte ihm diese Verminderung seiner Schönheit außerordentlich zu schaffen. Er wollte ja Symptome loswerden, nicht noch welche dazu bekommen. Was jetzt auftrat, waren wiederholte Träume von Streit, in denen er argumentativ unterlegen war, Träume, von seinem Vater gescholten zu werden und die für Lycopodium typischen Prüfungsversagensträume. Auch traten nun immer wieder Träume auf, dass er sich Frauen annäherte, die ihm rigoros den Laufpass gaben, was ihn sehr kränkte. Auch mit seiner ihn bis dahin bedingungslos anhimmelnden Ehefrau

gab es Probleme. Sie wurde ihm gegenüber zunehmend kritischer, und die Schmerzen, die ihm Lycopodium im Rücken genommen hatte und die, darauf möchte ich jetzt nochmals besonders hinweisen, eine Intensität hatten, dass sogar eine Frühpensionierung im Gespräch gewesen war, zeigten sich nun als offen zutage tretender Konflikt in Bezug auf seine Autorität und Männlichkeit.

Da für mich diese Themen zum damaligen Zeitpunkt bei mir selbst noch völlig im Dunkeln waren, fehlte mir jede Möglichkeit, ihm in dieser Krise beistehen zu können, und so kam es zwangsläufig, als er wieder mit seinen außergewöhnlich brillanten geistigen Fähigkeiten Oberwasser bekommen hatte, dass die Rückenbeschwerden sich wieder einstellten. Ein typisches Beispiel dafür, dass, wenn ein Mittel und seine Energie richtig ist, das Problem sich auch nach der Mittelgabe deutlich zeigt, aber der Therapeut, so wie ich damals, überhaupt nicht in der Lage ist, die zur Beschreitung eines wirklichen Wandlungsweges nötigen auch seelsorgerischen Begleitschritte zu unternehmen, die Symptome über kurz oder lang wiederkehren. Es folgten Jahre des Pendelns zwischen Infragestellen von Autorität und Mannhaftigkeit, Zuständen tiefer

Berührtheit, Unsicherheit und Selbstzweifel und Beschwerdefreiheit der Lenden.

Fünf Jahre später brach auch ich zu meiner ersten großen Lycopodiumexkursion auf. In dieser Zeit, in die auch mein großer initiatischer Napoleon-Traum fiel kreisten unsere Gespräche während der Behandlung meist um Themen wie Ehre, Mannhaftigkeit und Kämpfertum. Wir, die wir die meiste Zeit des Tages sitzend in unseren Büros

verbrachten, schaukelten uns in unserer Heldenhaftigkeit regelrecht gegenseitig empor.

In seiner Beziehung brach eine heftige Krise aus, die ihn wiederum in seiner ganzen Integrität völlig in Frage stellte. Als er versuchte, sich einer Konfrontation zu entziehen, packte ihn der Rückenschmerz wieder in voller Stärke. Versuche, ihm mit Rhus-tox. zu helfen oder eine Staphysagria-Sympathieverschreibung (damit sich

der arme Mann endlich einmal gegen seine ihn unterdrückende böse Frau zur Wehr setzen konnte) brachten, wie vom heutigen Standpunkt nicht anders zu erwarten, keine Besserung. Erst Lycopodium, diesmal gegeben in hohen Potenzen, C200, C1000 und XMK, brachte zwar seelisch erst einmal den Zusammenbruch, indem ihm die ganzen Trugbilder und Irrwege seines Lebens klar wurden und seine ganzen Wahnvorstellungen von wunderbarer Männlichkeit und Großartigkeit sich in Ruinen verwandelten, aber führte wiederum zu einer Beschwerdefreiheit des Rückens und zu einer neuen Möglichkeit, sich hier aus diesem Tiefpunkt seines Lebens zu einer neuen wirklichen

Größe zu entwickeln.

Nun war auch ich zum Glück soweit, ihm hier Beistand leisten zu können. Die harten, männlich-kumpelhaften Knetmassagen hatten sich zusehends unter der beiderseitigen heilsamen Lycopodiumwirkung in liebevolle rhythmische Berührungen verwandelt, und so konnten wir uns, zwei sich im lycopodischen Prozess befindliche Männer, die mit ihrer inneren Kleinheit konfrontiert waren, als Patient und Therapeut in einen Prozess neuen Wachstums begeben. Im sechsten Behandlungsjahr und nach mehreren wiederholten Lycopodium-Gaben traten Träume auf, die einen weiteren Zugang zu der Problematik des Patienten ermöglichten. Er sah sich in seinen Träumen immer wieder als kleines verängstigtes Kind, das von seinem brutalen Vater misshandelt wurde, der ihn mit Gewalt zwingen wollte, ihn um Sachen bitten zu lassen, z.B. Anziehsachen, auf die er seinem Gefühl nach ein natürliches Recht hatte. Weil er diese Situation im Traum nicht aushielt, ging er im Traum aus dem Gefühl des Nicht-Aushaltens heraus. Er entschied sich, da das Gefühl im Traum so schmerzte, nicht mehr zu fühlen und sich nur noch gedanklich mit der Situation auseinanderzusetzen, wie ein Zuschauer. Denn denken und zuschauen tut nicht weh. Er war auch als Kind seinem Vater bald geistig hoch überlegen gewesen und konnte ihn aufgrund seines brillanten Intellekts, wenn dieser brutal wurde, intellektuell austricksen.

Ein weiterer Traum zeigte den Patienten wieder als kleines einsames Kind in der Situation, wo er allein, traurig und bedürftig war, aber erfüllt mit einer ungemein trotzigen Kraft, die ihn in dem Gedanken stärkte: wenn ihr mir nichts gebt, dann brauche ich eben nichts, wenn ihr mich nicht liebt, dann fühle ich eben nichts. Er schloss Liebe und Fühlen aus seinem Leben aus, weil seine Urerfahrung damit nur Schmerz und Ablehnung bedeutete. Seine Eltern beschreiben ihn noch heute als ein Kind, das eine große Abneigung gegen jedes Schmusen hatte, ohne sich auch nur ansatzweise über ihr eigenes Verschulden im klaren zu sein.

Bis zu diesem Zeitpunkt der Therapie war der Patient zu wirklicher Zärtlichkeit nur schwer in der Lage. Seit er sexuelle Kontakte aufgenommen hatte, dienten diese ausschließlich der Bestätigung seiner Potenz. Die Lust, die seine Partnerinnen empfanden, wenn er sie richtig berührte, verstärkten eher sein Gefühl von Mächtigkeit, aber hatten, wie er heute reflektiert, wenig mit wirklichem Einlassen zu tun. Er sagte: "Nie berührte ich das Weibliche wirklich, denn Berührung löste Fühlen aus und fühlen bedeutete Schmerz.

"Dieser Umstand erklärt uns auch eines der wichtigsten Lycopodium-Symptome: Weinen, wenn ihm gedankt wird, (wenn er berührt wird). Napoleon sagte dazu: "Fürchten soll mich Europa, nicht lieben."

Für uns als Therapeuten ist daraus zu lernen: wenn wir den lycopodischen Patienten wirklich erreichen wollen, geht es nicht über das Diskutieren von Fakten, sondern nur durch das direkte Ansprechen von Gefühlen, und wenn wir seine nicht erfassen können, weil er sie vor uns verbirgt, so müssen wir über unser eigenes Fühlen im Kontakt zu

ihm berichten - "Mich macht das sehr betroffen und traurig, was sie eben erzählt haben."

Zurück zu unserem Patienten: Immer wieder Träume, alles allein schaffen zu müssen, Träume mit dem Gefühl, trotzig durchzuhalten, aber auch mit dem Gefühl von Hilflosigkeit und Kleinheit (z. B.: muss mit einem Auto fahren, welches viel zu groß ist - Mangel an Selbstbewusstsein), was er sogar in seinen Träumen zu unterdrücken

oder verstecken versuchte, oder Träume von Großartigkeit - Heldentum - Macho - Robin Hood - wo aber doch oft Entlarvung der angeblichen Größe stattfand (steht schwer bewaffnet einer gegnerischen Schar gegenüber, die ihn aber nicht angreift, sondern nur auslacht, und als er sich die Ursache des Auslachens anschaut, entdeckt er mit Schrecken, dass er unten völlig nackt ist und jeder sieht, dass er einen kleinen Penis hat. Dazu ein Hinweis von einem Gestaltherapeuten: Spielen sie Skat, damit sie mit ihren Trümpfen besser umgehen lernen (Skat ist ein typisch deutsches lycopodisches Spiel und Exerzitium - wird an Stammtischen gespielt - Null-Ouvert = Hosen ru

nter, und alles lacht und grölt, wenn man sieht, wo der Gegner die Lücke hat und man ihn zu packen bekommt).

Mit zunehmender Therapie verschwinden diese Träume des Patienten. Er lernt in der folgenden Zeit, seine Schwäche besser zeigen zu können und beginnt, sich von innen her stärker zu fühlen.

Die Beziehung des Patienten hielt diese lycopodischen Verwandlungsstürme nicht aus. Die Struktur, auf der seine alte Beziehung bestanden hatte, war so verkrustet und überholt gewesen, dass nur noch eine Trennung Möglichkeit zum neuen Anfang bot. Weitere Behandlungen leibtherapeutischer Natur, Gespräche und bei Wiederauftreten der Rückenbeschwerden wiederholte Lycopodiumgaben halfen dem Patienten, diese Trennung in Anstand und Milde zu vollziehen.

Nach schon kurzer Zeit ging er eine neue Beziehung ein, die aber nun sehr viel weniger geprägt war von den alten lycopodischen Mustern. Nach Loslassen seiner Muster, die geprägt waren von Minderwertigkeit und Angst und dem ständigen Versuch, diese sich nicht anmerken zu lassen, war nun ein wirkliches partnerschaftliches Miteinander möglich.

Die Rückenbeschwerden traten jetzt nur noch auf, wenn sich das lycopodische Rest-Muster in der beruflichen Situation zeigte, aber immer wieder half ihm Lycopodium, den Rücken zu befreien, aufrecht und gradlinig zu sein und für eine gute Sache erhobenen Hauptes einzustehen. Seine Fähigkeit, sich für das Recht seiner Mitmenschen einzusetzen, wurde immer ausgeprägter (Lycopodium-Menschen sind hervorragende Rechtsanwälte, Richter und können sich für Gerechtigkeit ihrer Mitmenschen,

besonders wenn sie durch den Prozess der Wandlung gegangen sind, hervorragend einsetzen).

Was sehr interessant war, war, dass mit zunehmendem Weicher-Werden des Patienten auch ich mich traute, in meiner Leibarbeit weicher zu werden und damit tiefere Schichten jenseits seines Panzers berühren zu können. Ich hatte mich durch meine Berührung mit der Leibarbeit Karlfried Graf Dürckheims nun immer mehr selbst gewagt, Technik und Kraft loszulassen und mehr "Es tun zu lassen". Das ermöglichte auch dem Patienten, nun tiefere Schichten anrühren zu lassen, in denen wir immer wieder mit den tiefen frühkindlichen Mustern von Minderwertigkeit, Angst und daraus resultierendem Geltungsbewusstsein konfrontiert wurden. Wir erleben sie in unseren

Therapien immer wieder, diese seelische Spirale, die uns manchmal verzweifeln lässt, aber nichts anderes ist als das immer wieder erneute Auftreten des einen kausalen Musters in jeder neuen Schicht, die wir auf unserem Weg zur Transparenz unseres Leibes und unseres Wesens durchschreiten. Wir denken, wir sind fertig mit dem Problem des Vaterhasses, erleben lange Phasen der Ruhe, um mit einem Mal bei einem neuen Schritt in tiefere Gefilde unseres Seins uns in einem noch viel stärkeren Hass auf unseren himmlischen Vater erleben, dem wir vielleicht schon seit Jahrtausenden, vielleicht seit Anbeginn aller Zeiten mit uns herumschleppen.

Nach anderthalb Jahren kam es nochmals, im Zuge meiner eigenen Therapie, zur Weiterentwicklung (ich begann damals eine Ausbildungsgruppe in personaler Leibtherapie an der SHS, unter Leitung von René Bugnot) - die initiatische Therapie" nach Karlfried Graf Dürckheim und Maria Hippius, Rüdiger Müller, Herder). Bei der Leibtherapie geht es gerade nicht um das Anwenden einer Technik, sondern ganz um das Loslassen solcher, um dann dem hinter jeder Technik liegenden Wesen, nun von allen Formen

befreit, die direkte Begegnung des Wesens des Therapeuten mit dem Wesen des Patienten zu ermöglichen. Wir "dringen" bei dieser "Arbeit" in Dimensionen unseres Patienten ein, die auf intellektuell-analytischen Wegen oft nur sehr schwer, wenn überhaupt, zugänglich sind. Statt harter Massagen gingen wir zu regelmäßigen leibtherapeutischen Sitzungen über. Im Patienten entstand außerdem das Bedürfnis, immer wieder über Trancen Kontakt mit seinem Kind herstellen zu wollen. Das Kind, dem er in diesen Trancen begegnete, war ängstlich (große Angst vor Berührung), aber trotzdem voller Sehnsucht.

Der Patient wollte nicht mehr groß und klug sein und konnte durch diese beiden Therapie n, unterstützt von regelmäßigen Gaben von Lycopodium in Q-Potenzen aufsteigend, sein bedürftiges Kind immer mehr zeigen und auch in seine Beziehung einbringen. Seine neue Urerfahrung war, auch als schwaches Kind angenommen zu werden. Er sagte: "Nun musste ich 50 Jahre werden, um erleben zu dürfen, genügend Mut zu haben, um das schwache Kind zulassen zu können." (Man muss ganz schön stark sein, um schwach sein zu dürfen.) Diese von mir während eines Gespräches erwähnte, für jeden erfahrenen Therapeuten altbekannte Allerweltsweiskeit rührte meinen Patient damals zu Tränen.

Dazu ein Traum: Er bemerkt, dass seine Hose weder Knöpfe noch einen Gürtel hat, aber sie rutscht nicht. Der Patient wurde mit der Zeit immer sensibler, zum einen für die

leibtherapeutischen Begegnungen, aber auch überhaupt für jede Art von zwischenmenschlichen Energien, so dass, wenn während der nächsten Zeit leichte  Rückenbeschwerden auftraten, spontan nur kurze mesmeristische Striche ausreichten, um ihm den Grund seiner Beschwerden bewusst zu machen und damit seine Beschwerden überflüssig werden zu lassen. Denn nicht die schnelle Symptomfreiheit ist das Ziel, sondern der Prozess = Wandlung, in dessen Fortschreiten die Symptome, wenn sie verstanden worden sind und der Patient in das entsprechende Tun gekommen ist, überflüssig werden.

Vor einem Jahr fand dann eine sehr beeindruckende leibtherapeutische Begegnung statt. Schon sehr bald nach Beginn der Sitzung gewahrte ich, im Becken des Patienten zusammengekauert, sein kleines ängstliches Kind. Schon bei leichtester Berührung verkrampfte sich der Patient völlig, so dass ich dem Kind nur zehn Minuten Licht und Liebe - liebende Güte - schicken konnte. Aber selbst unter diesen sanften Energien verkroch sich das innere Kind des Patienten vor meinen inneren Augen in seine Lendengegend (Kreuzbein). Unter dem Kreuzbein schlummert die Kundalinischlange. Hier liegt das Zentrum unserer sexuellen Kraft. Pater Thomas Häberle geht in seinen wunderbaren Büchern, z.B. "Helfen und heilen", Veritas Verlag, ganz besonders auf die zentrale Bedeutung dieser Körperregion ein. Er nennt diese Region das Zentrum-X = Andreaskreuz = der Mannhafte (Aufgabe, dies zu werden als Ziel des lycopodischen Heilsweges). Ich führte, wie Pater Thomas empfiehlt, nun zusätzlich zur Leibtherapie regelmäßige Zentrum-X-Massagen durch (auf das Zentrum-X Olivenöl und eine Prise Meersalz auftragen und kräftig 5-10 Minuten durchmassieren. Ein wunderbares Hilfsmittel bei allen sexuellen Störungen und Stauungen, nicht nur bei Lycopodium-Patienten). Aus diesem Zentrum wächst die Kraft, die Bestand hat!

Mein Patient hatte, wie schon erwähnt, zu Beginn der Behandlung eine große Leibangst, wenn er eine Massage vertrug, dann musste sie kräftig, hart und mit Schmerzen verbunden sein, damit keine innere, womöglich zärtliche Berührung stattfand. Dies besonders, wenn diese Massage von einem Mann durchgeführt wird (Lycopodium hat

große Angst vor den dezentesten Anzeichen homosexueller Impulse in sich). Der Patient hatte dazu einen Traum, in dem er in Frauenkleidern mit anderen Männern rumschäkerte: "Ich weiß überhaupt nicht, wo das herkommt, damit habe ich ja nun rein gar nichts zu tun". Aus diesem Fühlen heraus verstehen wir nun auch das abwertende

Reden von Lycopodium (Witze) gegenüber Schwulen und Frauen. Das, wovor wir am meisten Angst haben müssen, wird niedergemacht (er muss andere klein machen, um eigene Kleinheit nicht zu spüren).

Seit einem Jahr begann mein Patient nun auch regelmäßig zu meditieren. Ich bat ihn, sein inneres ängstliches kleines Kind vor seinem inneren Auge entstehen zu lassen (Traum von mir Sommer '93: Das einzig Verwandelnde ist regelmäßiges Üben.), dann sollte er um sich herum eine grüne Lichtpyramide entstehen lassen (siehe: "Die Farben deiner Seele - ein praktisches Werkbuch", Ingrig S. Kraaz von Rohr, Goldmann Verlag) und von seinem Herz zum Herz des Kindes ebenfalls einen grünen Verbindungstrahl ziehen. Ich gab ihm auf, beim Einatmen die Worte vom Kind in seine Richtung innerlich "Ich bin" zu atmen - und beim Ausatmen von sich zum Kind das

Wort "Demut" zu atmen.

Einige Wochen später, der Patient hatte fleißig geübt, ließ ich den Patienten selbst seine heilende Farbe imaginieren, die diesmal Gelb war, und ich ließ ihn auch selbst

innerlich die Worte erhören, die er nun in seiner Arbeit mit dem inneren Kind anwenden sollte. Es waren beim Einatmen vom Kind zu sich: "Ich darf" und beim Ausatmen von sich zum Kind: "Liebe". Mit der Zeit fing sein inneres Kind an, genährt durch die homöopathische Babynahrung Lycopodium, die liebevolle Begegnung der  Leibtherapie und kraftvolles Üben, zu wachsen und zu gedeihen, so dass es schon bald in der Pubertät steckte (es scheint eine Gesetzmäßigkeit im Üben zu geben, dass unser kleines verängstigtes Kind bei liebevollem therapeutischem Umsorgt - Werden jeden Monat um ein Jahr wächst). Der Patient sagte damals: "Ich spüre, wie die Arbeit an meinem inneren Kind ein neues Ich aufbaut, welches wirklich stark ist, nicht nur Stärke, um die Schwäche zu verstecken." Lycopodium ist die richtige Nahrung für ängstliche kleine Jungen, damit sie zu den mächtigen Riesen werden, die sie immer schon vorgaben zu sein.

Die Leibtherapie wurde immer vertrauensvoller und intimer. In einer unserer letzten Sitzungen hatte ich das schöne Bild von einer kräftigen, sehr verführerischen Schlange, die ich im Steißbein meines Patienten streicheln durfte, und sie wand sich vor Freude über meine Berührung. Der Patient fühlte sich, wie er sagte, liebkost. Wir umarmten uns erstmalig zum Abschied – sogar unsere Becken durften sich berühren. Die Zeit der lycopodischen Begrüßungen, in typischer Zeltform, mit kräftigem Händedruck, wo man sich zwar der Mode wegen umarmt, aber die Becken im Sicherheitsabstand lässt, waren vorbei.

Heute ist der Patient, was seinen Rücken anbetrifft, völlig beschwerdefrei. Noch immer treffen wir uns in unregelmäßigen Abständen zur Leibtherapie, und noch einmal vor einem halben Jahr hat der Patient von mir Lycopodium bekommen, weil in einer beruflichen Konfliktsituation das alte Thema von Nicht-die-Schwäche-zeigen und sie

mit falscher Stärke kompensieren zutage getreten war. Aber wahrscheinlich hätte es damals gar nicht des Mittels bedurft, sondern es hätte wahrscheinlich schon nur eine leichte Andeutung auf die lycopodische Dimension des Mittels gereicht, um ihm zu zeigen, wie er, nun in 12jähriger Lycopodium-Arbeit gewachsen, durch das Annehmen der Schwäche, die dadurch immer zur Stärke wird, aus seinem Problemkreis herauskommen konnte.

Unsere Begegnungen sind heute geprägt von Freundschaft und Weggefährten-Sein, wir beide haben uns verwandelt, sind freier und ehrlicher geworden.

Das Zarte wird das Starke besiegen. - Laotse.

Darum lasst uns wie das Wasser sein, das weicheWasser bricht den Stein. - Berthold Brecht.

Vithoulkas dazu:

Kann seinen Verpflichtungen entfliehen

Nehmen wir als Beispiel eine Familie, ein verheiratetes Paar mit Kindern. An der Arbeitsstelle gibt es Probleme. Lycopodium verliert seinen Job. Sofort entwickelt Lycopodium Angst, und diese Angst führt zu sonderbarem Verhalten. Das kann so aussehen, dass Lycopodium einfach nur noch weg möchte, die Familie verlassen und verschwinden will. Lycopodium ist imstande, seine Familie, die Eltern, einfach alle zu verlassen. Er entfernt sich einfach von den selbst geschaffenen Verpflichtungen.

Angst seine Schwäche wird bemerkt. Solche Patienten leben in der ständigen Furcht, andere könnten die Wahrheit über ihren inneren Schwächezustand herausfinden.

Sie machen sich ständig Sorgen darüber, was andere von ihnen denken könnten.

Lycopodium passt zu sehr intelligenten und intellektuellen Menschen. Man findet es oft in Berufsgruppen mit vielen öffentlichen Auftritten: Priester, Anwälte, Lehrer,

Politiker...

Ein Priester zum Beispiel fühlt sich vor seiner Predigt prima, aber beim Erreichen der Kanzel, wenn er alle Augen auf sich gerichtet sieht, bekommt er plötzlich Magenschmerzen oder große Angst.

Angst vor Verantwortung

Solch ein Mensch mag in der Lage sein, seine Aufgabe gut zu erfüllen, aber das körperliche oder seelische Leiden beeinträchtigt seine Leistungsfähigkeit stark.

Diese Situation ist ebenfalls eine Manifestation von Angst im Angesicht von Verantwortung, und es ist gut möglich, dass der Patient versucht, seinem Beruf zu entfliehen. Manchmal scheint ihm sein körperliches Leiden als Ausrede dafür gerade recht zu kommen.

Angst während der Ausführung der Aufgabe

Natürlich kann man Lycopodium mit vielen Arzneimitteln vergleichen. Die Erwartungsangst, die bei öffentlichen Funktionen solches Leiden verursacht, kann mit Gelsemium verglichen werden.

Bei Lycopodium bezieht sie sich mehr auf den Leidenszustand, der bei der eigentlichen Ausführung der Aufgabe auftritt, wohingegen Gelsemium

mehr für die Angst indiziert ist, die Stunden oder Tage vor der Aufgabe erscheint.

In Liebesdingen hat Lycopodium ähnliche Angst. Ein Lycopodium-Patient hat zum Beispiel eine Freundin. Wenn diese Freundin ihn nach einer gewissen Zeit dazu drängen will, Verantwortung zu übernehmen, zu heiraten, dann steigt zu diesem Zeitpunkt die Angst in Lycopodium auf, und er wird alles tun, um aus dieser Situation herauszukommen.

Gleichzeitig sind Lycopodiums gesellige Menschen. Es fällt ihnen leicht, neue Kontakte herzustellen und neue Situationen zu kreieren. Und in diesen Situationen bläht sich das Ego auf. (lacht) Ich habe das oft mit Mussolini verglichen. Mussolini war ein Frauenheld und hatte ein geblähtes Abdomen. «Ich bin der Grösste aller Zeiten!» Innerlich war er eigentlich ein Feigling. Nach außen jedoch präsentierte er sich als jemand mit großer Machtfülle. Dies ist der Charakter von Lycopodium. In dem Moment aber, wo er wirklich mit einem Problem konfrontiert wird...

Oder wenn Lycopodium sich mit einer Frau unterhält. Er spricht und spricht und spricht: «Oh, Sie sind so schön, so klug, so dies, so das...» Blablabla etc. Die Frau fühlt sich sehr geschmeichelt. «Haben Sie heute Abend schon was vor?» (grinst) Selbst in lhrer Praxis im Wartezimmer wird Lycopodium versuchen, lhre Sprechstundenhilfe an

zubaggern!

Ein Lycopodium-Patient wird versuchen, sie zum Essen einzuladen. Am Abend desselben Tages! Lycopodiums brauchen diese Art von Bestätigung, dass sie jemand sind, dass sie wirklich toll sind. Und in dem Moment, wo sie ihren Willen bekommen, wenn alles nach ihrer Nase geht, verschwinden sie. Derartiges Verhalten sehen wir bei Lycopodium. Nach außen hin gibt sich Lycopodium fähig, extrovertiert, freundlich und mutig. Daher kann es schwierig sein, das wahre Bild des Mittels wahrzunehmen,

wenn man als Homöopath nicht gekonnt Nachforschungen betreibt. Bei dem Versuch andere zu bluffen, um das innere Gefühl von Minderwertigkeit zu kompensieren, schießen Lycopodium-Patienten oft über das Ziel hinaus.

Sie übertreiben ihre Errungenschaften, ihre Fähigkeiten, und auch bezüglich der Menschen, die sie kennen. Sie erzählen zum Teil sogar haarsträubende Lügen, die aber nicht untermauert werden können, wenn es darum geht, Ergebnisse vorzuweisen.

Diese Aufblähung ihres Egos ist eine Kompensation für die innere Schwäche und ist begründet in ihrem mächtigen Bedürfnis, von anderen respektiert und bewundert zu werden, um sich selbst zu «beweisen». Wir sagen auch, dass Lycopodium impotent wird. Warum wird er impotent? Wegen dieses Verhaltens, von einer Frau zur nächsten zu gehen, von einer zur anderen. Irgendwann findet sich Lycopodium in der Situation wieder, dass er heiratet, und dann stellt er fest, dass er nicht mehr in der Lage ist, eine Erektion zu bekommen, normalen Geschlechtsverkehr zu haben. Warum? Wegen all dieser Aufblähung, dieses pompösen Auftretens. Nun aber ist die Luft raus! (Teilnehmer kichern) Mit dem Ablassen der Luft verschwindet alles.

Und dann kommt natürlich die Angst, und die Patienten rennen voller Panik zum Arzt. «Was passiert mit mir?!?» Oft suchen männliche Lycopodiums einen Arzt auf, weil sie sich seit ihrer Heirat impotent fühlen. Es kann drei bis fünf Monate dauern, bis ihnen klar wird, dass sie kein Interesse daran haben, mit ihrer Frau zu schlafen. Dies ist ihre Strafe dafür, sexuell zu freizügig gewesen zu sein.

Sexuelle Befreiung, ja? Wir haben diese Vorstellungen von sexueller Befreiung, glauben, es sei das Beste. Aber es gibt auch Nebenwirkungen. Die Nebenwirkung der sexuellen Befreiung ist Impotenz. Deswegen stellt diese Firma Viagra her und macht solch ein gutes Geschäft!

(Gelächter im Publikum) Schaut Euch zum Vergleich mal die Taliban an: Selbst im Alter von 80 Jahren sind sie noch sehr aktiv, (viel Gemurmel im Publikum) Oder geht nach Indien: Dort ist sexuelle Freizügigkeit nicht erlaubt. Die Gesellschaft dort ist so strukturiert, dass es für einen Mann nicht einfach ist, viele Frauen zu haben, von einer zur anderen zu gehen.

Denn beide, Mann und Frau, wären fertig, wenn sie das täten. Also halten sie sich zurück. Durch diese Zurückhaltung werden zum einen Ehen bewahrt, zum anderen sind sie bis ans Ende ihres Lebens aktiv. Weil sie es nicht übertreiben!

Es ist genau so wie mit Hummer. Sie mögen Hummer. Aber ich kann Ihnen sagen: Wenn Sie jeden Tag Hummer essen, dann möchten Sie nach einem Monat am liebsten erbrechen, wenn Sie Hummer sehen! (Ein Lächeln geht durch die Saal) So ist es. (Pause)

 

 

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