Miasma Sycosis Anhang
[Rosina Sonneschmidt]
Das Wesen der Sykose as Wort
„Sykose“ ist von dem griechischen Wort „Sykos“ abgeleitet und bedeutet „Feige“.
Zum Verständnis, warum Samuel
Hahnemann bei der Sykose von der „Feigenkrankheit“ oder „Feigwarzenkrankheit“
spricht, bedarf es mehrerer Schritte.
Ich verdeutliche sie, indem ich
die Wesensmerkmale der Pflanze denen der Sykose gegenüberstelle.
Die Feige bzw. der Feigenstrauch
oder Feigenbaum ist eine Ausnahmeerscheinung in der Botanik insofern, als er
nicht wie bei Blüten üblich die Geschlechtsorgane
(Staubgefäße, Stempel) außen
trägt, sondern in einem birnenförmigen Hohlkörper innen männliche und weibliche
gestielte Blüten bildet. Dieser Blütenstand
öffnet sich nie der Sonne. Wenn
wir von der Feige als Frucht sprechen, ist das nicht korrekt, denn sie ist
weder Blüte noch Frucht.
• Sonderstellung
• Wesentliche Dinge spielen sich
im Verborgenen ab.
• Bezug zu Sexualorganen
• Täuscht etwas vor, was es nicht
ist.
• Sieht so aus, als ob...
• Identitätsproblematik
Damit eine Befruchtung
stattfinden kann, muss der Feigenbaum dort wachsen, wo es auch so genannte
„Gallwespen“ gibt. Früher gab es sie nur im mediterranen oder
subtropischen Klima, heute auch
in den gemäßigten Breiten in Mitteleuropa. Das Gallwespenweibchen dringt in die
Blüte im Hohlraum ein und legt dort die Eier ab.
Danach stirbt das Weibchen. Die
Larven sind wie in einer Gebärmutter behütet und brüten sich dort aus. Der
fleischige Blütenboden schwillt nach dem Kontakt mit der Feigengallwespe an und
entwickelt sich zu dem, was wir als Feigenfrucht bezeichnen. Die eigentlichen
Früchte sind aber die im rosafarbenen Fruchtfleisch enthaltenen
braunen Körnchen.
• Fruchtbarkeit, Schöpferkraft
• Schwellung
• Kleinheit, sieht aber außen
groß aus.
Die von Hahnemann beschriebene
„Feigwarzenkrankheit“ bezieht sich auf die Geschlechtskrankheit der Gonorrhö
mit den Symptomen:
• Eiterartiger Ausfluss
• Ausfluss von nach Heringslake
stinkender Flüssigkeit aus Vagina oder Penis
• Leichte bis schwere Schmerzen
beim Urinieren (wie bei Zystitis)
• Beim Mann Penisschwellung mit
Berührungsempfindlichkeit und Schmerz
• Blumenkohl- oder
hahnenkammähnliche Hauterscheinungen (Warzen) auf der Peniseichel oder an der
unteren Vorhaut
• Geschwollene Labien bei der
Frau
• Knotige oder schwammige, flache
und empfindliche Schwellungen über Hautniveau
• Geschwollene Lymphknoten in den
Achselhöhlen
• Muskelverhärtung
• Sehnenverkürzung an den Fingern
(Dupuytren)
Damals klagte Hahnemann bereits
über
die Folgen der Unterdrückung der
Gonorrhö. Heute erleben wir von zehn Patienten sechs oder sieben mit den
Symptomen der hereditären Gonorrhö, denn
sie ist die Geschlechtskrankheit,
die nie epidemisch auftauchte, sondern immer im Untergrund überlebte. Die
hereditäre Gonorrhö weist Symptome auf, die nie alle
zu einer Zeit erscheinen, sondern
einzeln und mitunter in großen Zeitabständen:
• Häufige Blasenentzündungen,
Schmerzen beim Urinieren (Zystitis)
• Fischig riechender Ausfluss
• Einseitige Knieschmerzen
(Gonarthritis)
• Verklebte Augen am Morgen
(Konjunktivitis)
So wie die Gonorrhö alle
Zeitalter, alle Epochen, alle Altersstufen überlebt, weil sie sich nie im
Vollbild zeigt, stellt sie auch das größte Heilungshindernis bei
chronischen Krankheiten dar. Wenn
wir nur eine symptomorientierte Homöopathie anwenden, geraten wir in die Falle
der Sykose, denn wir können für jedes
der genannten vier Symptome
Mittel repertorisieren, erreichen aber nie das Ganze.
Heilungsverläufe entwickeln sich
zu endlosen Geschichten, wenn wir die hereditä-re Gonorrhö nicht erkennen.
Andererseits verkürzen sich lange Leidensgeschichten
drastisch, wenn wir die vier
Kernsymptome abfragen (am besten in einem Anamnesebogen), auch wenn sie sich
über Jahre verteilen.
Die kürzeste Behandlung erlebte
ich mit einer älteren Krankenschwester, die wegen klimakterischer Beschwerden
kam. Sie hatte schon zahllose Arzneien eingenommen,
ohne eine erkennbare Verbesserung.
Sie fühlte sich immer mehr oder weniger krank, nie richtig gesund. Wer ein
gonorrhoisches Erbe in sich trägt, kennt das, dass etwas
an einem klebt, man sich wie
fremd besetzt vorkommt und die grandiose Befreiung, wenn „der Tripper aus dem
System hinaus komplimentiert wird“.
Nach 10 Minuten war klar, dass
die Ursache des schleichenden Leidens bei der Patientin eine hereditäre
Gonorrhö war, denn die vier typischen Symptome kamen
und gingen in unregelmäßigen
Abständen.
Ich verordnete Thuja und Medorrhinum
(= Gonokokken-Nosode) in C30, im wöchentlichen Wechsel. Nach vier Wochen fühlte
sich die Dame rundum gesund.
Ich schloss mit Sulphur C200 ab
und der Fall war erledigt.
So flugs geht es leider nicht
immer, aber allein die Tatsache, dass es möglich ist -und dies nicht nur in
meiner Praxis!- lässt ahnen, wie wichtig es ist, die Sykose
gründlich auf eine
Tripperbelastung hin zu prüfen und immer zuerst diese Belastung zu beheben.
Kommen wir zu weiteren
Besonderheiten der Sykose.
In der ganzheitlichen Therapie
bildet die Sykose die Mitte. Sie dient der Erdung und erneuert im Patienten das
Gefühl von Mitte und Heimat dafür. Sie ist der Dreh-
und Angelpunkt, wie ein
Heilungsprozess verläuft. In der Sykose wird Rückschau gehalten. Was muss
erledigt werden? Was ist
erledigt? In der Sykose zeichnet
sich ein Ziel ab. Warum gesund werden? Ist an die Krankheit ein Vorteil
geknüpft oder gar ein Lustgewinn? Wohin soll die Reise
nun gehen? Manche empfinden diese
Situation als Stagnation, andere meinen sich im Kreis zu drehen.
In der Sykose halten sich Patient
und Therapeut am längsten auf. Das Alte ist im Begriff zu gehen, das Neue ist
noch nicht da. Ein Tauziehen der Lebenskräfte!
Wie zu sehen sein wird, ist die
Sykose einerseits Meisterin der Täuschung, Rechthaberei aus Schwäche und
Liebhaberin der glatten Fassade aus Angst. Aber sie ist auch der größte
Heilungsimpuls, der Wahrheit ins Gesicht zu schauen, Klarheit zu schaffen,
eindeutig einen Standpunkt einzunehmen und Glaubenssätze aufzulösen. Die Sykose
befreit den Geist in dem gleichen Maße, wie sie ihn belasten kann.
Das tut mitunter weh, weil die
Fassade abbröckelt und bisweilen nur ein ängstlicher Mensch im zu kurzen Hemd
übrig bleibt, der schamhaft seine Schwächen und Ängste zu verhüllen sucht. Wenn
wir aber über unseren kleinen Praxiszaun hinaus einen Beitrag zur
Volksgesundheit leisten wollen, führt kein Weg daran vorbei: Weg mit der
Verpackung! Weg mit der Selbsttäuschung! Das tut auch in der Homöopathie not.
Die Sykose ist allgegenwärtig;
sie bestimmt mit ihren kranken Zügen unser Privat- und Berufsleben: Streit,
Missverständnisse oder Neid sind Untugenden, die noch
recht harmlos sind im Vergleich
zu den subversiven Kräften wie Verleumdung, Verunglimpfung, Gehirnwäsche,
Ungerechtigkeit und Meinungsmache.
Damit kommt man schnell in
Berührung, sobald man entweder aus der Masse heraus an die Öffentlichkeit tritt
oder anders denkt und handelt als der „Mainstream“.
Ich könnte allein ein amüsantes
Buch darüber schreiben, was ich im Laufe der Jahre alles an Anfeindungen,
Meinungen, Unterstellungen zu hören und zu lesen
bekommen habe. Gottlob bin ich
mit einem starken Humor-Gen ausgerüstet, denn sonst erginge es mir wie vielen
Pionieren und wäre verbittert in die Einsamkeit der
kranken Sykose geschlichen, um
das über andere zu denken, was andere über mich gedacht haben und immer noch
denken.
Es stimmt mich allenfalls
nachdenklich, wenn meine homöopathische Arbeit mit Gesundbeten, Scharlatanerie
oder Verwässerung der genuinen, klassischen Homöopathie bezeichnet wird, nur
weil ich auch Komplexmittel einsetze. „Wir möchten keine ganzheitlichen
Ansätze, nur Fälle von Einzelmitteln“, hieß es in einer Antwort auf
das Angebot eines Artikels. Immer
noch rangieren die willkürlich als „klassisch“ festgelegten Regeln, rechts und
links mit Stützrädern zahlloser Ängste versehen, über dem Heilungsprozess eines
Menschen. Beiträge, die nicht diesen Regeln entsprechen, sondern ein
ganzheitliches Konzept der Behandlung mit dem Zentrum der Homöopathie darstellen,
stoßen immer noch auf Ablehnung. Wir nähren eine Hybris und meckern, wenn man
uns Homöopathen nicht würdigt und ernst nimmt. Wenn ich als kleines Rädchen im
Getriebe der Volksgesundheit schon solches Gehabe nicht ernst nehmen kann, wie
soll das erst im Gesundheitsministerium, in den Medien sein?
Das ist Sykose pur! Es kann nicht
sein, was nicht sein darf ! Das Postulat der Inquisition von 1213 lässt grüßen.
Mit solchen antiquierten Vorstellungen befinden
wir uns im finsteren Mittelalter
und noch nicht mal im Rokoko, in dem Hahnemann geboren wurde, geschweige denn
im 21. Jahrhundert, in dem wir alle Hände voll
zu tun haben, der immer komplexer
und komplizierter werdenden Krankheiten Herr und Herrin zu werden.
Nach der humorlosen Zeit der
Renaissance wurde nun in der sykotischen Zeit des Barock Humor und Witz wieder
hineingetragen in das menschliche Miteinander, also heilsame Mittel, um den
Gebrechen und Abirrungen des menschlichen Geistes zu begegnen. Das heißt auch,
kein Blatt vor den Mund zu nehmen, höflich, aber bestimmt
Dinge zu klären. Das ist im
Heilungsprozess von Patienten, das ist auch bei uns Therapeuten angesagt. Das
ist vor allem in der Homöopathie angesagt!
Die kranke Sykose ist heute noch
viel mächtiger als früher, da man über das Internet Meinungen verbreiten kann,
die im Handumdrehen in aller Munde sind,
ohne dass sich die Betroffenen
wehren können. Genau das ist es, was die Feigheit im sykotischen Wesen will:
dass jemand ohnmächtig vor dieser Macht zusammenbricht.
So verhält sich jemand, der sich
klein fühlt und nur aus dem Hinterhalt seinen Pfeil abschießt oder sich
aufbläst, um Größe und Macht vozutäuschen.
Die Sykose ist DAS Miasma der
Presse. Es wird etwas hochgespielt, schlecht gemacht und zwar durch
Pauschalurteile. Mit einem Wimpernschlag werden alte Erfahrungen, ehrwürdige
Heilmethoden oder Traditionen weggewischt. Es wird sich als Allwissender
aufgebläht, obgleich nichts dahinter ist. Passend zum Buch erschien im Spiegel
Nr. 31/2013 ein Artikel „Erlösung
ohne Erlöser“, ein Rundumschlag gegen den Yoga. Ein paar tausend Jahre Kultur
werden in einem Bogen abgekanzelt. Angebliche Fachleute wollen die Wurzeln des
Hāṭha-Yoga kennen und sie in der Turnvater-Jahn-Ära vor 100 Jahren
entdecken. Das Schlimme solcher Pamphlete sind die Halbwahrheiten einerseits
und die einseitig negative Gesinnung andererseits. Typisch für die Sykose ist
auch die Frage, wenn über die Medien solche mittelmäßigen
„Forschungsergebnisse“ hinausposaunt wurden: Was hat es gebracht? Hat sich dadurch
irgendetwas positiv verändert? Hilft es den Menschen?
Was ist überhaupt die Intention
der Veröffentlichungen gegen eine Heilpflanze, gegen Homöopathie oder wie jetzt
gegen den Yoga? Erliegen die Autoren wirklich
dem Wahn, alle Leser ließen jetzt
ab von Homöopathie, Bachblüten, Yoga oder Küchenkräutern?
„Viel Lärm um nichts“ ist die
Tragikomödie menschlicher Schwächen. Damit haben wir täglich Kontakt und sie
sind Prüfsteine, wie wir zu uns selbst stehen, wie wir damit umgehen und wie
stark unser gesunder Menschenverstand ist.
Zwei Beispiele aus meinem eigenen
Leben mögen das Zwielicht der Sykose, ihren Machthunger und ihren Neidprotest
veranschaulichen.
1991, Mozartjahr, Konzert mit dem
Freiburger Kammerorchester unter der Leitung des berühmten Geigers Rainer
Kussmaul. Ich habe ein Jahr an dem Repertoire von Koloraturarien gearbeitet.
Das Konzert wird „live“ für eine
CD mitgeschnitten. Kurz bevor es losgeht, rennt ein Mann, bald als
Zeitungsjournalist zu erkennen durch den Saal von 500 Zuhörern wichtigtuerisch
in die erste Reihe, klappt die neue Faksimile-Ausgabe der Mozartarien in
DIN-A-3-Format auf. Es handelt sich um die Partitur; der Journalist
signalisiert, dass er nicht nur die Sängerin, sondern auch das Orchester ob des
ungewöhnlichen Repertoires genau kontrollieren will. Der Mann sitzt keine drei
Meter von mir/uns entfernt und blättert geräuschvoll Seite um Seite. Es ist ja
virtuose Musik, folglich geht alles schnell, so auch das nervtötende
Umblättern, das ihm bald böse Blicke der Nachbarn einhandelt.
In mir steigt der
Adrenalinspiegel gefährlich an, nicht etwa wegen der Hochleistungsliteratur,
nein, wegen der Unverschämtheit des Journalisten. Am liebsten wäre ich zu ihm
gegangen und hätte ihm eine Ohrfeige erteilt. Rainer Kussmaul und ich wechseln
einen kurzen Blick und müssen schmunzeln, denn er kennt mein Temperament und
weiß, was ich gerade denke.
Doch wir tauchen ganz in den
Mozart ein, genießen seine wunderschöne Musik und bieten dem Publikum virtuose
Musik vom Feinsten. Auch das Rundfunkteam ist mit der Live-Aufnahme zufrieden.
Am nächsten Tag steht in der
Zeitung in der typisch sinnentleerten Weise, dass wir das Konzert in der und
der Besetzung gegeben haben. Dann: „Frau Sonnenschmidt
sang 4-mal das es ́ ́
́, 5-mal das d ́ ́ ́ und 3-mal das fis im Pfeifregister“.
Das war der ganze Kommentar für zwei Stunden Höchstleistung und ein Jahr
Arbeit.
Also schrieb ich an den
Journalisten: „Wenn ich gewusst hätte, dass Ihnen nur die paar Töne wichtig
sind, hätte ich nur sie gesungen, mein Honorar eingestrichen und hätte
den Saal verlassen. Das hätte uns
viel Arbeit erspart!“
Der Chefredakteur der Zeitung
stellte sich hinter seinen Journalisten und schrieb: „Wo kommen wir hin, wenn
jetzt auch schon Sänger anfangen, Konzertkritiken zu kritisieren!“Ein schönes
Beispiel, wie stillos und unseriös man mit der Arbeit anderer umgeht.
Das zweite Beispiel ist aus
unseren Tagen.
Da wird die Meinung verbreitet,
es ginge nicht mit rechten Dingen zu, dass ich so viele Bücher schreibe. Dies
aber subversiv, hinter vorgehaltener Hand und der Täuschung erliegend, ich
würde es nicht hören oder erfahren (sykotisch!). Im Vergleich zu Mozart, der
unter unwirtlichsten Bedingungen auf Reisen in schwankenden Kutschen in nur
wenigen Jahren ganze Sinfonien, Opern und Kammermusiken aufschrieb, bin ich ein
Waisenkind. Was uns aber eint, ist die Inspiration. Sie ist schneller als jeder
„Ghostwriter“. Hätte ich einen, läge der schon längst mit blanken Nerven in der
Psychiatrie, denn inspiriertes Schreiben verläuft nach ganz anderen
Gesetzmäßigkeiten als Gedanken und
Sätze ins Laptop zu hämmern. Ein
Buch, an dem man 10 Jahre schreibt, eine Sinfonie, an der man 20 Jahre
komponiert, ein Bild, an dem man 30 lang Jahre malt,
muss nicht besser sein als ein
Werk, das in kürzerer Zeit entsteht. Ein schöpferischer Akt ist harte Arbeit
und Inspiration. Das Verhältnis beider Aktivitäten zueinander
entscheidet über die Qualität.
Die Voraussetzung für Inspiration
ist jahrelange Arbeit, Wissen in Zusammenhänge zu bringen. Inspiration bedingt
zunächst die Schaffung einer breiten Pyramidenbasis an Beobachtung,
Forschergeist, Erfahrung, Lust am Lernen, Lust am Schreiben und Humor. Der
„Link nach oben“, zu einer Instanz, die mehr ist als mein Wissen, erfordert
meinerseits eine erweiterte Wahrnehmung und Bereitschaft, im Moment des
Schreibens zu vergessen, sondern der Eingebung zu trauen. Dafür habe ich
bereits über 30 Jahre
regelmäßigen Übens investiert.
Das alles ist eine Frage der Disziplin und Hingabe.
Wenn man bereit ist, das alles in
die Waagschale zu werfen, um Bücher zu schreiben, kann jeder inspiriert
schreiben, malen, komponieren, musizieren – was auch
immer und braucht keinen
Ghostwriter „Modell Sykose“. Wenn man nicht dazu bereit ist, halte man besser
den Mund, nehme ein paar Kügelchen Lycopodium,
trinke eine Tasse starken Mokka,
um die Geister zu beleben und lerne, die Arbeit anderer zu ehren. Das ist der
erste Schritt in die Heilung.
Ich denke, jeder Leser kennt die
„Spielchen“ der Sykose, hat schon darunter gelitten und gelernt, dass man viel
Humor braucht, um mit ihren Schattenseiten umzugehen.
Kehren wir zu den Merkmalen
zurück, die für die Therapie sykotischer Krankheiten wichtig sind:
• Die Sykose existiert in der
Wiederholung, der Chronizität und Periodizität.
• Wenn ein Schnupfen immer
wiederkehrt und nicht ausheilt, sinkt er tiefer in den Körper hinein und wird
sykotisch, indem sich Farbe und Konsistenz der Sekrete ändern. Einen
chronischen Schnupfen kann man daher nicht mit psorischen Mitteln ausheilen,
sondern mit sykotischen.
• Wenn eine Bronchitis immer
wiederkehrt und nicht ausheilt, sinkt sie in die Sykose. Eine chronische
Bronchitis kann nicht mit tuberkulinen Mitteln ausheilen, sondern benötigt
sykotische Arzneien.
• Wenn eine Otitis media oder
Halsdrüsenschwellungen immer wiederkehren und nicht ausheilen, sinken sie in
die Sykose. Man kann sie nicht mit skrofulösen Mitteln ausheilen, sondern
benötigt sykotische.
• Egal, welche Krankheit
entsteht, wenn sie unterdrückt wird, sinkt sie in die Sykose und produziert
nebenbei noch eine Arzneikrankheit, die Schwester der Sykose.
Diese Gedankengänge müssen einem
geläufig sein, um die Logik der miasmatischen Therapie zu verstehen. Krankheit
und Heilung sind dynamische Prozesse,
keine getrennten Zustände.
Wie Sie sehen, ist die Sykose das
Sammelbecken für alles, was wir als „chronisch“ bezeichnen.
Der innere Aufbau der Sykose
Da die Dynamik der Sykose, wie im
vorausgehenden Kapitel ausführlich dargestellt, zweifacher Art ist,
interessiert uns jetzt, wie sie innerlich strukturiert und aufgebaut ist.
In der homöopathischen Ausbildung
hören wir von der „harnsauren Diathese“ und von der „lithämischen Diathese“.
Beides gehört zur Sykose. Doch werden hierbei nur die erste Ursache und die
letzte Folge davon bezeichnet. Dazwischen geschieht aber das Wesentliche.
Grieß, Tumore und Steine bilden sich nicht von heute auf morgen.
Sie sind das Produkt eines
chronischen Prozesses. Zwischen Anfang und Ende dessen, was wir „Sykose“
nennen, nämlich Übersäuerung und Steinbildung wird eine Schwelle überschritten,
die ich als die Mitte von Krankheit und Heilung erkannt habe. Ab einem
bestimmten Punkt verlässt der Patient seine Mitte, seine innere Heimat und
dadurch sein Vertrauen zu sich selbst. Andererseits erleben wir in der Therapie,
dass der Patient wieder dieselbe Schwelle überschreitet, wieder zu sich selbst,
zu seiner Mitte zurückfindet, Eigenautorität und Selbst-Vertrauen erwirbt.
Diesen Prozessen folgt der Körper in bewunderungswürdiger Logik.
• Als biologischer Heilungsversuch
lagert der Organismus durch die Übersäuerung vermehrt Wasser ein, um die
Harnsäure sozusagen zu „verdünnen“. Es entstehen Ödeme und Aufschwemmung dort,
wo sich zu viel Säure angesammelt hat. Diese Phase oder Ebene nennen wir die
„primäre Sykose“.
• Kommt von außen durch
Ausleitung, Wassertrinken und basische Ernährung keine Hilfe, geht die
Übersäuerung in ein zweites Stadium über, in dem der Mensch sich maximal
näherkommt und sich spürt, nämlich durch Schmerzen infolge von Entzündungen.
Nie sind wir uns gefühlsmäßig näher als im Schmerz! Das ist genau die Mitte,
von der ich oben sprach.
Der Organismus sendet die
Warnsignale von Entzündung, Schmerz und Bewegungseinschränkung: „Halt inne, hör
auf mich, entlaste mich!“ Das ist die Phase der „sekundären Sykose“ und die
Schwelle, an der sich entscheidet, ob man auf die Meldungen des Körpers hört
oder sie ignoriert.
Der Schmerz ist eine weise
Einrichtung und lädt zur Umkehr ein. Der moderne Mensch nimmt aber lieber
Schmerzmittel und unterdrückt damit die Warnsignale, die fälschlicherweise als
„Hilferufe“ des Körpers bezeichnet werden. Der Körper ist aber nicht hilflos;
er weiß sich dank seiner Kompensationsmöglichkeiten zu helfen. Es ist das
Bewusstsein, das dringend einer intelligenten Entscheidung des gesunden
Menschenverstandes bedarf.
Doch haben wir als Menschen die
Wahl, uns gegen die Körpersignale zu entscheiden, sie abzuwürgen und so zu tun,
als wäre alles in Ordnung. Das ist genau der Punkt, an dem wir uns aus der
Mitte nach außen bewegen und das negative Wesen der Sykose durch entsprechende
Verhaltensweisen zum Ausdruck kommt. Selbstverständlich ist es sinnvoll, einen
Schmerz erst einmal durch ein Akutmittel zu mildern, damit der Kopf frei ist,
über die Gründe der schmerzhaften Befindlichkeit nachzudenken. Übergeht der
Patient die-se Phase, überschreitet er seine Mitte und wendet sich den äußeren
Bedingungen zu, in denen er den Grund für seine Verstimmung, Schmerz und
Krankheitssymptome sucht, folgt die nächst tiefere Ebene:
• Im Laufe der sekundären Sykose
tritt eine zunehmende Dehydrierung des Organismus ein. Was vorher noch Ödem und
gelber Schleim war, wandelt sich in zähen, fadenziehenden Schleim und mündet in
feste Borken und in Ablagerungen in Gefäßen und Hohlorganen. Auch das ist als
Heilungsversuch des Organismus zu verstehen, um alle Lebensfunktionen so weit
wie möglich zu erhalten. Die Schlacken sind dicker geworden, das Blut ist
belastet, folglich weiten sich die Gefäße, es folgen sklerotische
Prozesse. Es zeichnet sich die
tertiäre Sykose ab, in der der Organismus in die Phase der Konservierung
übergeht. Sie kann ohne Schmerzen verlaufen. Wie bekannt, können Gallensteine,
Nierensteine, Blasensteine oder Tumore jahrelang unauffällig bestehen.
So wie der Kranke in seinem
Verhalten nach außen weiter lebt, als wäre alles in Ordnung und sich mit seinen
Unterdrückungen arrangiert hat, als seien sie natürlich, so folgt auch der
Körper, indem er sich selten meldet. Nur darf nichts Ungewöhnliches passieren,
das die Routine unterbricht. Dann melden sich Koliken und drängen die
Krankheitssymptome erneut ins Oberflächenbewusstsein, um den sykotisch Kranken
daran zu erinnern: „Bei mir ist etwas ganz und gar nicht in Ordnung!“
Wird auch diese Phase der
tertiären Sykose ignoriert, folgt die letzte Möglichkeit des Organismus, das
Ganze überleben zu lassen, indem ein Opfer gebracht wird,
zum Beispiel durch eine
Operation. Die Tatsache, dass sich die moderne Chirurgie zu einem Kunsthandwerk
entwickelt hat, sollte nicht darüber hinwegtäuschen,
dass sie, abgesehen von der
Unfallmedizin, oft vonnöten ist, wenn der Mensch seine Körpersignale sozusagen
„bis zum bitteren Ende“ ignoriert hat. Wir können dankbar
sein, dass die Chirurgie, vor
allem auch die Mikrochirurgie eine so hohe Qualität entwickelt hat, um die
Versehrtheit auf ein Mindestmaß zu beschränken. Doch spätestens
nach einer Operation sollte der
Kranke in sich gehen und anschauen, was nicht in Ordnung, was aus dem gesunden
Maß, was im Verhalten entgleist ist. Doch bietet auch
bei vielen Menschen die Operation
keinen Einhalt; sie wählen Kampfarsenale gegen Tumore, sind also weiterhin in
Kampfhaltung gegen einen Feind da draußen. In dieser Phase, die wir in der
Miasmatik „Karzinogenie“ nennen, ist der Kranke am weitesten von sich selbst entfernt.
Folglich ist auch der Heilungsweg entsprechend langwierig.
Doch kehren wir zur Sykose
zurück. Seit etwa 100 Jahren hat sich noch ein Seitentrieb gebildet: die
Arzneikrankheit. Schon Samuel Hahnemann kannte sie. Aber er
ahnte nicht, dass sie zum Aushängeschild
folgender Generationen werden könnte, die mehr der schnellen Pille vertrauen
als dem Prozess der Lösung. Die Arzneikrankheit entsteht, wenn dauernd etwas
substituiert wird und der Organismus dadurch viele Funktionen erlahmen lässt.
Sie ist der Inbegriff des „Anti“ und ist der Ausdruck des primitiven Denkens,
da draußen wäre ein Feind in Gestalt von Bakterien, Viren, Pilzen, Tumoren,
Schmerzen, gegen den es anzukämpfen, den es zu vernichten gelte.
Das ist die Kriegshaltung, die
schon zu Hahnemanns Zeiten durch die Allopathie und ersten Laborversuche mit
Tieren ihren Anfang nahm. Alles, was dauerhaft für, gegen,
für alle Fälle und aus Gewohnheit
eingenommen wird, führt in die Schwächung des Immunsystems und der
Selbstheilungsprogramme. Es ist die Botschaft an den Organismus: „Du kannst das
nicht alleine!“ Hin und wieder ist es sicher eine gute Hilfe, dem Körper
isolierte Vitalstoffe, Antibiotika oder Schmerzmittel im Akutfall zuzuführen.
Das erzeugt nicht die zu Recht
gefürchteten Nebenwirkungen. Die dauerhafte Einnahme ist das Problem und
entwickelt eine Arzneikrankheit, also ein Krankwerden durch Arzneien. Die
Untugend der dauernden Einnahme von Arzneien ist durchaus nicht auf die
Allopathie beschränkt, sondern ist in der Homöopathie ebenfalls anzutreffen.
Entweder man anerkennt, dass homöopathische Mittel höchst wirksame
Informations- und Regulationsmittel sind. Dann nimmt man sie während einer
Therapie und danach nicht mehr. Oder man nimmt sie als Krückstock für Körper
und Geist und degradiert sie auf harmlose Mittelchen. Ausgerechnet aus den
Reihen der Homöopathen höre
ich oft die Anklage an die
Schulmedizin, sie würde jahrelang Medikamente verordnen, ohne sich Gedanken um
die Nebenwirkungen zu machen. Was ist dann zu der
jahrelangen, ja, sogar
jahrzehntelangen Versorgung von Patienten mit homöopathischen Arzneien zu
sagen? Was soll der Sinn dieser Denk- und Handlungsweise
sein? Es soll doch um Heilung
gehen. Homöopathische Arzneien erinnern den Organismus auf wunderbare Weise an
seine SELBSTHEILUNGSPROGRAMME.
Die Lebenskraft soll angeregt
werden und die ist von höchster Intelligenz. Die dauernde Einnahme, auch von
Homöopathika, Phytotherapeutika und Vitalstoffen ist
sykotischer Natur, weil sie
Besserwisserei betreibt. Sich dauerhaft klüger als die Natur zu wähnen, führt
unweigerlich in die Krankheit, hier in die Arzneikrankheit.
Hinter der Dauersubstituierung
steht erstens ein Wirtschaftsfaktor -man betrachte nur die Welt der isolierten
Vitalstoffe auf dem „Gesundheitsmarkt“- und das
Helfersyndrom. Dieses wird gerne
den energetischen Heilmethoden angelastet, die den Patienten berühren. Aber die
Gefahr der Manipulation und des Helfersyndroms
ist in der Naturheilkunde und
Homöopathie genauso vertreten, nur mit dem Unterschied, dass Homöopathen ungern
ihre Patienten berühren. Ehe man also in Homöopathenkreisen auf die
Schulmedizin oder energetischen Heilweisen herabblickt, erinnere man sich, dass
homöopathische Arzneien reine Energie sind und
ihre Heilkraft erwacht, weil ein
lebendiges System sie hergestellt hat und verordnet.
Zum Thema der Arzneikrankheit
kehren wir zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zurück, denn sie muss
innerhalb der Sykose behandelt werden. An dieser Stelle
wollen wir das Gesagte in einer
einfachen Tabelle zusammenfassen, um den Überblick zu behalten.
Sykose I
Harnsaure Diathese, gelbe, weiche
Absonderungen an Körperöffnungen, Blähungen, Trägheit der Peristaltik,
Verlangsamung des Stoffwechsels,
Neigung zu Verschleimung,
Verschlackung. Ekzeme ohne Juckreiz
Sykose II
Entzündung an äußeren u. inneren
Organen, schmutzig gelbe, zähe Absonderungen, Verschlackung, Verstopfung,
Verklebungen (Eileiter, Perikard, Pleura),
langanhaltende Schmerzen, Neigung
zu hartnäckigen Symptomen
Sykose III
Entzündung an äußeren u. inneren
Organen, schmutzig gelbe, zähe Absonderungen,
Verschlackung, Verstopfung,
Verklebungen (Eileiter, Perikard, Pleura),
langanhaltende Schmerzen, Neigung
zu hartnäckigen Symptomen
Sykose IV
Lithämische Diathese;
Steinbildung, Tumorbildung, Schwellung, chronische Staus in Venen und Lymphe,
zähe grünbraune Absonderungen, Borken,
trockene Schleimhäute, große
Steifigkeit, Sklerosen in Gefäßen
Arzneikrankheit
Lange Einnahme von Antibiotika,
Stimulanzien, Drogen, Arzneien, Impfungen, Lähmung der natürlichen Ausleitungsorgane
und des Immunsystems
Wenn wir das in Erinnerung
behalten, nehmen wir sykotische Krankheiten viel differenzierter wahr und
achten auch auf das, was der Patient nicht verbal mitteilt,
weil es entweder zur Gewohnheit
geworden, nicht im Oberflächenbewusstsein präsent ist oder noch unbewusst
abläuft.
Nicht alles, was unterdrückt
wird, bleibt im Bewusstsein.
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