Murex purpurea Anhang 2

 

[Rajan Sankaran]

https://www.narayana-verlag.de/homoeopathie/pdf/Survival-The-Mollusc-Rajan-Sankaran.04033.pdf

 

[Ulrike Schober]

Ausgangsstoff und ursprüngliche Zubereitung von Murex purpurea sind nicht authentisch überliefert. Die Notwendigkeit, dem Hersteller brauchbare Herstellungsanleitungen zu geben, führte in moderner Zeit zu einer Präzisierung des Mittels, damit aber auch zu einer Neu.Definition, die sich von der Original-Definition mehr oder weniger unterscheiden dürfte. Ein solches Mittel sollte speziell gekennzeichnet werden, um auf seine Problematik aufmerksam zu machen.

Stichwörter

Murex purpurea, unsicherer Ausgangsstoff, moderne Interpretation, Index von Problemmitteln

Summary

The original formula for preparing the remedy of Murex purpurea has not been handed down. For the purpose of providing accurate preparing-instructions there has been made a modern definition of the remedy which does not necessarily correspond with the original definition. Therefore the remedy should be listed as being problematic.

Keywords

Murex purpurea, dubious original formula, modern definition, Index of problematic remedies

Einleitung

Dr. Antoine Petroz (1781–1859), homöopathischer Arzt in Paris, veröffentlichte 1841 einen Prüfungsbericht über „Le Murex Purpurea

1. Eine Zubereitungsvorschrift oder Beschreibung des Ausgangsstoffes enthält der Bericht nicht, und sie sind auch sonst nicht aus der  Hand des Autors überliefert

2. Die zeitgenössischen Pharmakopöen sprechen von „Purpurschnecke“, das scheint in der Tat die Bezeichnung ausdrücken zu wollen.

Zoologische Synonymenlisten führen die Bezeichnung aber nicht, es klingt ein bisschen nach Apothekerlatein und man fragt sich, was wirklich dahinter stecken mag.

Purpurschnecken – 20. Jahrhundert

Über Purpur und Purpurschnecken weiß man heute recht gut Bescheid, in den Nachschlagewerken findet man klare Aussagen und gute Übereinstimmung: bestimmte Meeresschnecken scheiden mit dem Sekret einer in ihrer Mantelhöhle gelegenen Drüse (Hypobranchialdrüse) einen Farbstoff aus, der zuerst gelblich, unter Luft- und Lichteinfluß violett wird, den Purpurfarbstoff. Ebenfalls in die Mantelhö̈hle entleeren Gonaden, Nierenorgan und Darm ihre Produkte, und hier befinden sich auch die Kiemen. Die Drü̈se besteht aus einem bandförmigen Zellstreifen am Dach der Mantelhö̈hle.

Um das reine Sekret der Drüse zu gewinnen, muß man die Schale des Tieres aufbrechen, die Mantelhöhle öffnen und das Sekret von der Oberfläche des Drüsengewebes abstreifen. Das Sekret von etwa 10000 Schnecken ergibt etwa 1 g reinen Farbstoff. Der Farbstoff ist ein Gemisch von mehreren Farbstoffkomponenten, deren blauer Hauptbestandteil für den Chemiker 6,60-Dibromindigo ist.

Dieser ist chemisch ähnlich dem Indigoblau der Indigopflanze. Der Farbstoff enthält außerdem dem Indigorot und Indigogrün entsprechende Anteile.

Purpur läßt sich synthetisch herstellen. Alle Schnecken, die Purpurfarbstoff abscheiden, können als Purpurschnecken bezeichnet werden.

Zoologisch sind es Gattungen und Arten aus der Überfamilie Muricacea, in warmen und kalten Meeren verbreitet. Als Purpurschnecken im engeren Sinn gelten die Arten,

die in der Antike den Völkern des Mittelmeerraumes zur Purpurgewinnung dienten: hauptsächlich Murex brandaris L., Murex trunculus L. [Trunculariopsis trunculus (L.)]

und Thais haemastoma (L.). Unterschiedliche Arten liefern unterschiedliche Farbtöne, abhängig vom unterschiedlichen Anteil der Farbstoffkomponenten.

Während der Purpurfarbstoff anscheinend toxicologisch ganz uninteressant ist, wirkt der Stoff Murexin, ein Cholinabkömmling, im Tierexperiment toxisch und kann arzneilich genutzt werden.

Die Substanz wurde zuerst bei Murex brandaris L. und M. trunculus L. aus der Purpurdrüse (Hypobranchialdrüse) isoliert, daher ihr Name; später aber auch aus anderen Meeresschnecken und nicht nur aus deren Hypobranchialdrüsen.

Purpurschnecken - 19. Jahrhundert

Concharum ad purpuras et conchylia (eadem enim est materia, sed distat temperamento), duo sunt genera. Buccinum minor concha ... Alterum Purpura vocatur.

Die großartige antike Purpurfärberei des Mittelmeerraumes mit ihrem Wissen um Rezepte und Techniken hat das Reich der Byzantinischen Kaiser nicht überlebt. Nur ganz vereinzelt blieb die Anwendung violetter Schneckenfarbe bekannt.

Erst im 18. Jahrhundert begannen die Naturforscher der modernen Zeit die Purpurschnecken neu zu entdecken und zu erforschen. Das Thema „Purpur“ war im 19. Jahrhundert ganz aktuell: grundsätzlich galt es, drei Fragenfelder zu bearbeiten:

Purpur der Alten;

Purpurfarbstoff: Bildung in der Schnecke,

Farbwechsel, Chemismus;

Zoologisch-systematische Einordnung der Purpurschnecken.

Das Wissen darüber war in der Mitte des Jahrhunderts sehr uneinheitlich. Als Purpurschnecken galten die Gattungen Purpura, Murex und Buccinum mit ihren Arten: Bezeichnungen, die den Werken antiker Schriftsteller (Plinius, Aristoteles) entnommen sind, aber nicht unbedingt in deren Sinn verwendet wurden.

Die Bezeichnungen wurden von den Systematikern uneinheitlich gebraucht.

Als Purpurschnecken im engeren Sinn galten vor allem in Frankreich Arten von Purpura (Name!). Besonders der „Nordischen Purpurschnecke“ – Purpura lapillus L. – galt das Interesse der Wissenschaftler und ebenfalls eine Purpura regte Lacaze-Duthiers große Arbeit „Über den Purpur“ an.

Als Purpurschnecken der Alten wurden Murex und Purpura identifiziert. Untersuchungen über Chemismus und Farbwechsel waren noch in den Anfängen, es war aber bekannt, daß verschiedene Schnecken verschiedene Farbtöne liefern.

Als Bildungsstätte des Purpursekrets und als „Purpurdrüse“ wurde ganz allgemein –noch mit den Worten des Aristoteles – die Mantelhöhle beschrieben; die eigentliche Purpurdrüse (Hypobranchialdrüse) war noch nicht entdeckt.

Überhaupt war die Meeresschneckenkunde noch weitgehend Konchyliologie (Gehäusekunde); von vielen Gattungen war der Weichkörper noch unbekannt.

Purpurschnecken – homöopathisch

Mit dem bisher Skizzierten als Hintergrundwissen kann man sich nun daran machen,

Pétroz’ ORIGINALIA

Murex purpurea etwas näher zu durchleuchten und dabei die Pharmakopöen und Erläuterungen seiner homöopathisch arbeitenden Zeitgenossen gleich mitzubetrachten.

Zunächst zur Zubereitung und Natur des zu verwendenden Ausgangsstoffes: im allgemeinen wird das purpurhaltigeSekret, frisch oder getrocknet, vorgeschrieben.

Dieses kann jedenfalls, aus dem Wissen der Zeit heraus, nur das gesamte Sekret der Mantelhöhle sein, die dann auch als Purpurdrüse beschrieben wird.

Im Bereich des Denkbaren und jedenfalls nicht auszuschließen wäre die Möglichkeit, daß der Autorsein ursprüngliches Präparat nach Art der antiken Purpurfärber durch Zerquetschen der ganzen Schnecke -mit der ohne Gehäuse- gewonnen hat, der so erhaltene Saft würde sich ebenfalls purpurn gefärbt haben.

Es ist überhaupt zwar einleuchtend, aber nicht zwingend notwendig, dem Autor Interesse allein am Purpursekret zu unterstellen, ebenso gut könnten ihn Berichte von tödlichen Vergiftungen nach dem Genuß von Purpurschnecken zur Prüfung mit dem Ganzpräparat angeregt haben, oder auch die Erwähnung von Purpurschnecken als

Arznei der Alten.

Was die Bezeichnung Murex purpurea betrifft, so wußten schon die Zeitgenossen nichts Rechtes damit anzufangen. Murex und Purpura waren die geläufigen zoologischen Bezeichnungen für verschiedene Purpurschnecken. Und so scheint die Bezeichnung des Autors eher eine Kombination beider zu sein – letztere in (irrtümlich?) abgeänderter Schreibweise – als Versuch, im damals undurchschaubaren Wirrwar konchyliologischer Nomenklatur, die Trivialbezeichnung „Purpurschnecke“ wissenschaftlich zu beschreiben; unwahrscheinlicher, daß es eine grammatisch unrichtige und taxionomisch sinnlose Artangabe für eine bestimmte Murex-Art sein sollte.

Zu einem klar definierten Ausgangsstoff gelangt man über beide Interpretationen nicht. Der „Schwarze Peter“ bleibt bei den Arzneimittelbereitern, die anfangs verschiedene Arten von Schnecken anbieten, wovon bei genauer Betrachtung nur zwei Vorschläge als praktisch brauchbar übrig bleiben: Murex brandaris L. aus dem Mittelmeer und Purpura spec. – etwa Purpura lapillus L. [Nucella lapillus (L.)] aus dem Atlantik vgl., Purpurschnecken im engeren Sinn.

Folgende Bezeichnungen bieten die zeitgenössischen Pharmakopöen als Purpurschnecken an:

Buccinum oder Biccinum

Murex purpureus

Murex inflatus oder inflata

Purpura patula

Purpura oder Purpurea

Murex brandaris

Buccinum, eine Bezeichnung für Purpurschnecken verschiedener Gattung der alten Schriftsteller, später von Linné und Lamarck als Bezeichnung für unterschiedliche Gattungen von Meeresschnecken -mit und ohne Purpursekret- gebraucht.

Murex purpureus scheint eine sprachliche Korrektur von M. purpurea zu sein; sinnlos, weil sie zu keiner bekannten Art führt.

M. inflatus, eine indopazifische Art, war als altertümliches Räucher- und Arzneimittel bekannt; kaum als Purpurlieferant 15, 16.

Die karibische Purpura patula (L.) kommt, so wie sie beschrieben wird, über Jahr und Dunham 11g direkt aus Cuviers Dictionnaire, wo sie irrtümlich als Purpurschnecke der Antike geführt wird. Es ist wegen ihrer exotischen Herkunft wenig wahrscheinlich, daß eine von beiden letzteren gemeint sein könnte, oder von den damaligen Pharmazeuten zur Anfertigung des Präparates benutzt wurde.

Purpura o. A. könnte man im Sinn von Cuvier 1843 als Purpura lapillus L. [Nucella lapillus (L.)] interpretieren.

Murex brandaris L. ist die Art, deren Reste den Hauptanteil der bei den antiken Purpurfärbereien aufgefundenen Schalenhaufen ausmachen.

Es ist interessant, die deutschen Arzneibereitungslehren chronologisch zu verfolgen, die schließlich in die modernen Vorschriften des „Homöopathischen Arzneibuches“ einmünden:

Während sich in der alten Schwabeschen Pharmacopoea anfangs die dubiose Angabe „Murex Inflata“ findet und –vage- „frischer Saft“ (vom ganzen Tier oder Purpursekret?) – man fragt sich, wie man nach dieser Vorschrift ein eindeutiges Präparat hat herstellen können – fehlt das Mittel in den frühen Ausgaben des 20. Jahr-hunderts, vielleicht wegen des zweifelhaften Ausgangsstoffes.

Es findet sich aber in späteren Ausgaben wieder, wenn auch im Anhang; jetzt korrigiert nach den Regeln der lateinischen Sprachlehre, als M. purpureus und definiert als „verschiedene Murexarten“ und „frischer Saft der Purpurdrüsen“. Zuletzt ist das Mittel noch weiter eingeengt: „frischer Saft der Purpurdrüsen“ (das bedeutet heute: der Hypobranchialdrüsen!) von „M. brandaris L. und M. trunculus L.“

Eine moderne Interpretation, gestützt auf modernes Lehrbuchwissen, welches homöopathische Arzneilichkeit auf toxicologische Untersuchungsergebnisse meint gründen zu müssen. Hinweis auf die mangelhafte Dokumentation des Mittels gibt die Vorschrift nicht.

Schlussbemerkung

In Murex purpurea hat die homöopathische Materia medica ein Mittel, dessen Ausgangsstoff ursprünglich einen weiten Interpretationsspielraum läßt, sowohl bezüglich der Natur des Stoffes als auch der Art der Zubereitung. Die Notwendigkeit, dem Hersteller klare Vorschriften zu geben, führte im Laufe der Zeit zu nachträglicher Definition von Ausgangsstoff und Zubereitung, wobei moderne Begriffsvorstellungen und moderne wissenschaftliche Erkenntnisse eingeflossen sind. Nachträglich entstand Eindeutigkeit, wo vorher Mehrdeutigkeit war.

Man möchte meinen, daß Mittel wie dieses besser als unsicher überliefert gekennzeichnet werden sollten. Nicht ohne Grund mag Hahnemann seine Schelte gegen nachträgliche (Neu)Definition von Mitteln losgelassen haben: „Dies ist ein Pröbchen von dem allgewöhnlichen willkürlichen Verfahren der lieben Arzneimittellehrer und erklärt, auf welchem ehrlichen und vernünftigem Wege die Arzneien in den Arzneimittellehren zu den Lobsprüchen ihrer angeblichen Tugenden gekommen sind: durch eigenmächtige Dekrete der Schreiber der Materia medica!“

 

Gebrauch/Vergiftung: Murex brandaris [Bolinus brandaris] kennt man wegen der "Meeresfrüchte-Vergiftung", da sie aufgrund ihrer lähmenden Wirkung Muskelschwäche verursacht.

1. Kurz nach dem Verzehr ihres Fleisches, kann das Opfer Parästhesien empfinden; Kribbeln, Taubheit oder Brennen im Mund, auf der Zunge oder den Lippen. 2. Kribbeln, Taubheit breiten sich in Richtung Kopfhaut und Extremitäten aus. 3. Die Sinnes- und Eigenwahrnehmung verändern sich und die Bewegungen verlieren an Koordination. 4. allgemeine Schwäche und Unwohlsein, + vermehrter Schweiß- und Speichelbildung, Kopfschmerzen, Durst, Übelkeit und Erbrechen. 5. schwereren Fällen: Gangstörungen, unzusammenhängende Sprache und Aphonie auftreten, mit Schwindel, Engegefühlen in Hals und Brust sowie Schmerz beim tiefen Einatmen; Die Vergiftung kann sogar zur tödlichen Atemlähmung führen. Wenn der Patient die ersten 10 - 12 Stunden überlebt, hat er eine gute Prognose;

 

 

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