Oxytocin Anhang

 

ZEIT-online

[Stefanie Kara]

Wenn Beate Ditzen Oxytocin für ihr nächstes Experiment bestellt, hat der Stoff nur einen kurzen Weg: einmal über den Neckar auf die andere Seite der Stadt. Ditzen hat gerade von der Universität Zürich hierher gewechselt. Dort hatte die Psychologin einiges Aufsehen erregt: Sie erforscht, wie Oxytocin auf die intimste Beziehung zwischen Menschen wirkt - die von Paaren.

Dazu säte sie zunächst gezielt Zwietracht zwischen zwei Partnern. Aus einer Liste von 23 möglichen Konfliktthemen - von Geld über Hausarbeit bis zum Sex - sollten sie einen aktuellen Zankapfel auswählen und im Labor darüber streiten. "Da hat es manchmal richtig gekracht, auch bei ganz unerwarteten Themen", erzählt die Forscherin. Eine Probandin wollte unbedingt in eine Wohnung mit Garten ziehen, ihr Mann aber nicht. Eine andere fürchtete Elektrosmog, ihr Mann aber bestand auf drahtlosem Internet. Auch bei dieser Versuchsreihe mischte Oxytocin als Dritter im Bunde mit. Die Alternative war ein Placebo.

Und siehe da: Unter dem Einfluss des Hormons diskutierten die Partner häufig konstruktiver, sie sahen einander öfter in die Augen, zeigten ihre Gefühle offener und interessierten sich mehr für den anderen; sie mauerten kaum und unterbrachen einander nur selten. Und sie schütteten weniger Cortisol aus, waren also weniger gestresst. "Das Ergebnis hat mich überrascht, schließlich hatten sie nur eine einzige Dosis bekommen", sagt Ditzen. "Und sie selbst haben überhaupt nichts gemerkt." Obwohl sich die Versuchsgruppen unterschiedlich verhielten, spürten die Probanden weder den Wirkstoff, noch registrierten sie, wenn ihnen der Placebostoff verabreicht worden war.

Ist Oxytocin also eine Art Heinzelmännchen, das heimlich den Haussegen gerade rückt? Es liegt auf der Hand: Die Nachfrage nach solch einem Friedensstifter aus der Flasche wäre gewaltig.

Als Ditzens Studie im Fernsehen präsentiert worden war, meldeten sich reihenweise Paare und fragten nach dem Stoff.

Warum tun wir uns so schwer mit dem Vertrauen? Wahrscheinlich, weil es letzten Endes den Sprung ins kalte Wasser erfordert. Vertrauen entsteht nur durch Vertrauen. Und zwar, weil es erst die Möglichkeit schafft, enttäuscht zu werden - oder eben nicht. Man kann also mit dem Vertrauen nur anfangen, indem man damit anfängt. Der Soziologe Luhmann schreibt: "Vertrauen ist eine riskante Vorleistung."

Risiken gehen wir in unserem Leben viele ein: Wir fahren Auto, wir kaufen Aktien, wir klettern auf Berge. Wir können Unfälle haben, Geld verlieren, in ein Gewitter geraten. Aber nichts trifft uns so hart, wie von einem anderen Menschen enttäuscht zu werden. Der missratene Sohn des Vertrauens ist der Verrat. Vertrauen ist deshalb eine ganz besondere Form des Riskierens: Vertrauen heißt, die Angst vor dem anderen zu überwinden.

Schon für einen Hummer ist das nicht einfach. Hummer haben kräftige Scheren und robuste Panzer, sie sind aggressiv, und manchmal fressen sie einander auf. Um sich zu paaren, müssen sie sich allerdings sehr nahe kommen. Mehr noch: Das Weibchen muss seinen Panzer ablegen. Das bedeutet Lebensgefahr! Um heil davonzukommen, sprüht es einen Botenstoff in die Höhle des Männchens, bevor es die harte Hülle fallen lässt. Dieser Stoff mildert die Angriffslust des Männchens und schützt so das Weibchen. Es ist die Hummer-Version des Oxytocins. Vertrauen ist also eine Voraussetzung für das Leben.

Nun kann man Hummer-Sex nur bedingt mit der Liebe zwischen Menschen vergleichen. Ein Krustentier folgt seinem Verhaltensprogramm und reflektiert nicht das Risiko. Es muss sich also nicht entscheiden.

Vertrauen fällt uns Menschen aber gerade deshalb oft schwer, weil es unsere eigene Entscheidung ist. Wenn unser Vertrauen enttäuscht wird, ist da nicht nur Wut auf den anderen, der uns hintergangen hat - sondern auch eine große Kränkung, weil wir ihm überhaupt die Gelegenheit dazu gaben, indem wir ihm vertrauten. Wir müssen also nicht nur die Angst vor dem anderen überwinden, sondern auch die vor uns selbst und unserer Entscheidung.

Manchmal wünscht sich die Psychologin Beate Ditzen, dass sie dem Vertrauen mit ein bisschen Nasenspray auf die Sprünge helfen könnte. Ditzen ist auch Paartherapeutin. Wenn zwei Unglückliche vor ihr sitzen, überlegt sie hin und wieder, wie es wäre, stellte sie ihnen einfach ein Rezept aus: Dreimal täglich schnupfen, und alles wird gut. Doch Ditzen ist vorsichtig: "Bisher wurde nur untersucht, wie ausgeglichene Paare auf eine einmalige Dosis reagieren, nicht, wie sich eine Dauerbehandlung auf kriselnde Beziehungen auswirkt." Wunder dürfe man nicht erwarten: "Nach jahrelangen Konflikten oder einem Seitensprung kann kein Spray der Welt dafür sorgen, dass man dem Partner wieder vertraut."

Die neun Aminosäuren des Oxytocins können also die Liebe nicht retten. Ein Superheld ist der Stoff nicht. Schade. Aber: Oxytocin hat noch ganz andere Seiten.

 

ZEIT-online: Gespräch mit Beate Ditzen von Ulrich Schnabel

Die ZEIT: Frau Ditzen, Sie erforschen an der Universität Zürich das »Vertrauenshormon« Oxytocin, wäre das nicht ein ideales Geschenk zu Weihnachten - dem angeblichen Fest der Liebe?

Beate Ditzen: Sie werden es nicht glauben, aber in den USA gibt es eine Firma, die sich auf unsere Studienergebnisse beruft und das Hormon als Körperspray verkauft. Sie nennen es »Liquid Trust«.

 

ZEIT: »Flüssiges Vertrauen« klingt gut. Freut Sie das?

Ditzen: Nein, das ist für mich als Forscherin eher ärgerlich. Denn da wird eine Wirksamkeit suggeriert, die durch nichts belegt ist.

 

ZEIT: Warum? Sie haben doch selbst nachgewiesen, dass sich streitende Paare versöhnungsbereiter sind, wenn man ihnen Oxytocin verabreicht.

Ditzen: Stimmt. Sich streitende Paare, die Oxytocin bekommen hatten, zeigten öfter positive als negative Verhaltensweisen. Statt sich Vorwürfe zu machen, waren sie kooperativer und freundlicher miteinander. Bei jenen, die ein Placebo bekommen hatten, war es eher umgekehrt. Der Unterschied im Verhältnis von positiven und negativen Verhaltensweisen war sogar statistisch signifikant.

 

ZEIT: Na also.

Ditzen: Ja, aber erstens haben wir das Hormon direkt in die Nase verabreicht; der Effekt eines Körpersprays ist unklar. Und zweitens sind die Effekte des Nasensprays sehr subtil. Es ist nicht so, dass die Paare mit Oxytocin von einer Welle des gemeinsamen Glücks hinweggespült werden.

 

ZEIT: Schade. Wo bekommt man die »Vertrauensdroge«?

Ditzen: Oxytocin ist ein Hormon, das im Körper selbst hergestellt wird. Es wird aber auch als verschreibungspflichtiges Medikament gegen Ende der Schwangerschaft gegeben, um unmittelbar vor der Geburt Wehen auszulösen. Unsere Dosis war niedrig, deutlich unter der in der Schwangerschaft verabreichten Dosis. Unsere Versuchspersonen sollten keine Nebenwirkungen spüren.

 

ZEIT: Haben Sie einen Selbstversuch gemacht?

Ditzen: Ja, aber ich habe nichts gespürt. Auch unsere Versuchspersonen merken eigentlich nichts. Die Wirkung lässt sich nur im standardisierten psychologischen Experiment nachweisen.

 

ZEIT : Ließe sich angesichts des vertrauensstiftenden Effekts nicht vorstellen, dass das Hormon als Harmoniedroge in großem Stil benutzt wird? Oder dass es Paartherapeuten ihren sich streitenden Klienten vor einer Sitzung verabreichen?

Ditzen: In Australien gibt es in der Tat eine Studie, die untersucht, ob der Einsatz von Oxytocin-Nasenspray in der Paartherapie sinnvoll ist. Ich kann mir vorstellen, dass sich das Verhalten der Menschen nach Oxytocinabgabe während einer Sitzung ändert. Ob sich damit langfristige Wirkungen erzielen lassen, ist nicht klar. Wir wissen noch viel zu wenig über Dosierung, Nebenwirkungen und Langzeiteffekte. Die Wirkung des Hormons ist ja bestimmt über seine Rezeptoren. Es könnte auch sein, dass bei häufiger Abgabe die Sensitivität der Rezeptoren im Körper sinkt und wir uns daran gewöhnen - oder aber das Gegenteil, dass wir also sensibler werden gegenüber der Hormonwirkung. Außerdem wissen wir aus Tierversuchen, dass Oxytocin bei Weibchen nicht nur die Bindung gegenüber Familienmitgliedern stärkt, sondern zugleich die mütterliche Aggression gegenüber Fremden erhöht. Also, Vorsicht!

 

ZEIT : Sie sagten, Oxytocin wird auch im Körper hergestellt. Wodurch wird diese körpereigene Produktion bestimmt? Oder anders gefragt: Was können sich streitende Paare tun, wenn sie gerade kein Oxytocin-Nasenspray zur Verfügung haben?

Ditzen: Alle Daten, die wir dazu haben, stammen aus Tierversuchen, in denen der Oxytocinspiegel direkt in spezifischen Gehirnarealen gemessen wird. Beim Menschen können wir aus verständlichen Gründen solche Experimente nicht machen. Aber im Tierversuch - vor allem mit Ratten und Mäusen - zeigt sich, dass zum Beispiel Wärme, Körperkontakt oder sanftes Streicheln die Wirkung von Oxytocin anregt. Auch nach dem Orgasmus steigt der Oxytocinspiegel im Blut.

 

ZEIT : Kuscheln fördert hormonell das Vertrauen?

Ditzen: Natürlich lässt sich etwas so Komplexes wie menschliches Verhalten nicht mit einem einzigen Hormon erklären. Aber eines scheint klar: Oxytocin ist sehr spezifisch mit sozialen Reizen verknüpft, es spielt also gerade im zwischenmenschlichen Bereich eine wichtige Rolle.

 

ZEIT : Steigt demnach auch bei einer harmonischen Weihnachtsfeier der Oxytocinlevel an?

Ditzen: Im Prinzip vermutlich schon. Aber wir sind weit davon entfernt, das im Einzelnen beschreiben zu können. Dennoch scheint mir aus psychologischer Sicht die Wirkung von Weihnachten entscheidend damit zusammenzuhängen, dass es sich um erlernte Reize handelt. Die Rituale, Gerüche, das Essen, die Musik - all das sind Dinge, die sich oft seit der Kindheit kaum verändert haben. Ich kann mir gut vorstellen, dass solche Gewohnheiten helfen, Jahr für Jahr die gleiche Hormonkaskade in Gang zu setzen.

 

ZEIT : Wir wären demnach konditioniert wie die Pawlowschen Hunde auf den Klang der Glocke?

Ditzen: Ja, das passt gut: Wenn die Glöcklein klingen…

 

ZEIT : …werden Glück bringende Hormone ausgeschüttet, die uns in den wohligen Weihnachtszustand versetzen. Vergeht Ihnen als Hormonforscherin da nicht der weihnachtliche Zauber?

Ditzen: Eigentlich nicht. Ich sehe das Empfinden eher als parallele Ebene zur Biochemie, als zwei Aspekte desselben Vorgangs. Außerdem wissen wir noch lange nicht genau, was in einer bestimmten Situation hormonell im Körper abläuft.

 

ZEIT : Sie können mir also nicht sagen, welche Hormone bei mir fließen, wenn ich ein schönes Geschenk auspacke und mich darüber freue?

Ditzen: Nein. Aber wir wissen immerhin, dass bei Freude das Belohnungszentrum im Gehirn aktiv wird und dort Botenstoffe wie Dopamin oder Endorphine ausgeschüttet werden. Und Oxytocin, das vor allem bei sozialen Interaktionen ausgeschüttet wird, interagiert mit dem Belohnungssystem. Deshalb empfinden wohl die meisten Menschen soziale Kontakte als etwas Positives.

 

ZEIT : Und ein Geschenk, das im Kreise der Lieben ausgepackt wird, freut uns daher gleich doppelt.

Ditzen: (lacht) Ja, so könnte man sagen.

 

ZEIT : Wie feiern Sie Weihnachten?

Ditzen: Ganz traditionell, mit meiner Familie, mit Ritualen, Gerüchen, Speisen und Liedern wie sonst auch. Und zuvor gibt es -wie immer- den traditionellen weihnachtlichen Stress.

 

ZEIT : Brauchen wir den? Ginge es nicht mal ohne?

Ditzen: Das frage ich mich auch jedes Jahr von Neuem.

 

Von wegen Kuschelhormon

Amsterdam. Der Psychologe Carsten De Dreu ist überzeugt: Oxytocin ist ein bösartiges Zeug. Seit Jahren sammelt er Indizien gegen das Kuschel-Image des Hormons. Er interessiert sich für die politische Dimension des Stoffes. Deshalb ließ er nicht einzelne Menschen, sondern Gruppen mit unterschiedlichen Interessen unter dem Einfluss des Hormons miteinander verhandeln. Das Ergebnis sorgte für einige Irritation: Die Mitglieder eines Teams kooperierten zwar unter Oxytocin aufs Harmonischste miteinander, doch der gegnerischen Gruppe verweigerten sie die Zusammenarbeit - und zwar vehementer als alle anderen Probanden, die den Stoff nicht intus hatten!

Und es kam noch heftiger. De Dreu testete, welche Eigenschaften niederländische Probanden ihren eigenen Landsleuten oder anderen Gruppen -Deutschen und Arabern- zuschrieben. Ergebnis:

Wer Oxytocin geschnüffelt hatte, sah die eigene Gruppe positiver - und setzte die anderen Gruppen umso stärker herab. Der Stoff fördere Ethnozentrismus, folgerte De Dreu, er spiele eine Rolle beim Entstehen von Konflikten, von Hass und Gewalt. Das Kuschelhormon: ein Zündstoff, der Streit und Fremdenfeindlichkeit befeuert?

Mit einem Male häuften sich Studien, die am flauschigen Bild des Popstars kratzen: Menschen, die zu Aggressivität neigen, reagieren bei Stress und Schmerz noch aggressiver, wenn sie Oxytocin geschnupft haben. In Konkurrenzsituationen kann Oxytocin Neid und Schadenfreude verstärken. Und es erhöht die Bereitschaft zu lügen, wenn die eigene Gruppe davon profitiert. Der Sozialstreber Oxytocin schien entlarvt. Das brachte neue Schlagzeilen: Von wegen Kuschelhormon!

Doch so gegensätzlich die Versuchsergebnisse erscheinen -Kooperation hier, Aggression dort-, sie widersprechen einander nicht. Im Grunde verhielten sich die Probanden immer gleich: nämlich so, dass es der eigenen Gruppe nutzt - notfalls auf Kosten anderer. Wenn man sich die ursprüngliche Funktion des Oxytocins vergegenwärtigt, verwundert das nicht: Der Stoff fördert die Bindung zwischen Mutter und Kind, macht aus Unbekannten eine unzertrennliche Einheit. Das führt zu fürsorglichem Verhalten gegenüber der eigenen Brut und zu aggressivem Verhalten gegenüber potenziellen Angreifern. Oxytocin ist also ein Kuschelhormon - aber auch ein Kampfstoff. Das Bild der Star-Substanz wird differenzierter. Eigentlich eine gute Voraussetzung, um zu ergründen, wozu sie wirklich taugt. Doch ausgerechnet jetzt attackieren einige Wissenschaftler die Oxytocin-Forschung - und zwar grundsätzlich.

 

 

Vorwort/Suchen                                Zeichen/Abkürzungen                                   Impressum