Xestobium rufovillosum = Gescheckte Nagekäfer/= Bunte Pochkäfer

 

Vergleich: Siehe: Insecta

 

[DIE ZEIT 35/2016/Fritz Haberkuß]

Tock-tock-tock!

Warum klopft der Gescheckte Nagekäfer so penetrant? Wir fragen den englischen Biologen Dave Goulson.

DIE ZEIT: Professor Goulson, Sie haben sich vor 14 Jahren ein heruntergekommenes Bauernhaus in Südfrankreich gekauft. Wann ist Ihnen aufgefallen, dass Sie dort nicht allein leben?

David Goulson: Das hat eine Weile gedauert, weil ich im ersten Jahr nur draußen campen konnte. Drinnen war es zu eklig. Zum ersten Mal muss ich den Gescheckten Nagekäfer im zweiten Jahr

gehört haben. Ich lag im Bett, und dann war da in den frühen Morgenstunden dieses Klopfen.

 

ZEIT: Wieso wussten Sie, woher das Klopfen kam?

Goulson: Vor Jahren habe ich diese Tiere erforscht, deswegen habe ich es sofort wiedererkannt. Es ist ziemlich charakteristisch.

 

ZEIT: Wie hört sich das Klopfen an?

Goulson: Es klingt, als wenn man mit den Fingerspitzen auf eine Tischplatte klopft. Wie eine winzige Trommel. Fünf oder sechs Schläge binnen Sekunden.

 

ZEIT: Warum tut der Käfer das?

Goulson: Er ist auf Partnersuche. Das Männchen schlägt mit seinem Kopf gegen das Holz, so heftig, dass diese lauten Geräusche entstehen.

 

ZEIT: Wie bitte?

Goulson: Ja, es haut seine Stirn gegen den Balken, und zwar schnell. Sieht witzig aus.

 

ZEIT: Und die Weibchen?

Goulson: Die sitzen rum und antworten, falls sie sich paaren wollen. Das wollen sie aber nur, wenn sie noch Jungfrauen sind, denn Nagekäfer paaren sich nur einmal im Leben.

 

ZEIT: Was passiert, wenn die Weibchen keine Antwort geben?

Goulson: Dann kann man richtig sehen, dass das Männchen plötzlich sehr aufgeregt ist. Es läuft immer schneller umher und klopft weiter.

 

ZEIT: Warum geht es nicht direkt zum Weibchen?

Goulson: Weil der Nagekäfer praktisch blind ist. Er kann seine Partnerin nur über den Klang orten, er fühlt die Vibrationen ihres Klopfens in den Beinen. Damit kann er aber die Richtung nur

schlecht einschätzen.

 

ZEIT: Er weiß also, dass da ein Weibchen ist, aber nicht wo. Wie finden sich die beiden?

Goulson: Genau das sollte ich vor Jahren in einem kleinen Projekt herausfinden. Ich hatte gerade keinen Job, und es klang witzig, also bewarb ich mich. Die Auflösung war letztlich ziemlich simpel.

Das Männchen klopft. Bekommt eine Antwort. Läuft ein bisschen. Klopft. Bekommt eine Antwort. Wird die Antwort leiser, dreht es um. Wird sie lauter, läuft es weiter. Das ist so ziemlich seine

gesamte Strategie. Manchmal sitzen Männchen und Weibchen auch direkt nebeneinander, und es dauert Stunden, ehe sie sich finden!

 

ZEIT: Was passiert dann?

Goulson: Dann springt er auf ihren Rücken. Ein Vorspiel außer dem Klopfen gibt es nicht. Und er klopft weiter, schlägt seine Stirn gegen ihren Hinterkopf. Es sei denn, er ist falsch herum auf sie geklettert. Dann klopft er gegen ihren Hintern.

 

ZEIT: Das Weibchen bleibt dabei passiv?

Goulson: Sie entscheidet, ob sie sich paaren will. Wenn sie einverstanden ist, entblößt sie ihre Genitalien. Zur Paarung zwingen kann er sie nicht.

 

ZEIT: Kommt es denn vor, dass ein Weibchen die Paarung verhindert?

Goulson: Ja, sie sind ziemlich wählerisch. Sie scheinen schwere Männer zu bevorzugen und ihren Partner vor der Paarung zu wiegen. Wenn er richtig schwer ist, sagt sie wahrscheinlich Ja.

 

ZEIT: Was soll das?

Goulson: Es geht weniger um das Männchen als um das Brautgeschenk. Nagekäfer produzieren eine große Menge eines klebrigen Etwas, das sie dem Weibchen mitbringen - wahrscheinlich eine nahrhafte Substanz, die diesem hilft, mehr Eier zu produzieren. Durch die Übergabe verliert das Männchen ungefähr 15% seines Körpergewichts.

 

ZEIT: Dieses Brautgeschenk stellt also den Fortpflanzungserfolg sicher?

Goulson: Offenbar. Aber es hat noch einen zweiten Effekt: Das Männchen kann nur eines dieser großen Pakete in seinem Leben produzieren. Und weil es nach der ersten Paarung so leicht ist, will sich kein Weibchen mehr mit ihm paaren. Ein cleverer Mechanismus, der sicherstellt, dass sich nur Jungfrauen paaren.

 

Goulson: Offenbar. Aber es hat noch einen zweiten Effekt: Das Männchen kann nur eines dieser großen Pakete in seinem Leben produzieren. Und weil es nach der ersten Paarung so leicht ist, will sich kein Weibchen mehr mit ihm paaren. Ein cleverer Mechanismus, der sicherstellt, dass sich nur Jungfrauen paaren.

 

ZEIT: Wie findet man so etwas heraus?

Goulson: Das klingt jetzt etwas gemein, aber wenn man einem leichten Männchen ein kleines klebriges Gewicht auf den Rücken schnallt, ist es plötzlich wieder attraktiv, und die Weibchen paaren sich mit ihm. Ein simples Experiment, um herauszufinden, nach welchen Kriterien sie entscheiden. Zugegeben, das ist ein bisschen unfair den Weibchen gegenüber.

 

ZEIT: Bei einer solch komplizierten Fortpflanzungsstrategie ist es schon überraschend, dass der Nagekäfer noch nicht ausgestorben ist.

Goulson: Da ist was dran. Die Käfer sind nur acht Millimeter lang, aber um so groß zu werden, brauchen sie manchmal zehn Jahre oder länger. Sie verbringen ein Jahrzehnt im Holz, etwas anderes fressen sie nicht. Und irgendwann werden sie für ein paar Wochen zu erwachsenen Käfern. Damit eine Population überleben kann, müssen sich aber jedes Jahr Hunderte von Tieren fortpflanzen. Das ist auch deshalb schwierig, weil die Leute heute totes Holz kaum noch liegen lassen und ihre Häuser mit Pestiziden einsprühen. Für die armen Dinger gibt es nicht mehr viele Möglichkeiten, sich fortzupflanzen.

 

ZEIT: Auf Englisch heißt der Nagekäfer deathwatch beetle - im Deutschen nennt man ihn auch Totenuhr. Woher kommt das?

Goulson: Das ist ein alter Name. Die Leute haben das Klopfen vor allem dann bemerkt, wenn es wirklich leise war - etwa wenn jemand starb: Aus Respekt vor dem Sterbenden waren die Freunde und Angehörigen sehr ruhig. Der Legende nach stammte das Klopfen vom Teufel, der mit seinen Fingern pochte und ungeduldig darauf wartete, dass die Seele den Körper verließ. Ich bin mir nicht sicher, wann den Menschen klar wurde, dass es tatsächlich von einem Käfer kam, der Sex wollte.

 

ZEIT: Die Wissenschaft entzaubert die Welt!

Goulson: Das finde ich nicht. Irgendwie ist die wirkliche Erklärung doch viel schöner als die Legende: Der Liebesschrei eines Käfers - gibt es etwas Romantischeres?

 

ZEIT: Wie findet man so etwas heraus?

Goulson: Das klingt jetzt etwas gemein, aber wenn man einem leichten Männchen ein kleines klebriges Gewicht auf den Rücken schnallt, ist es plötzlich wieder attraktiv, und die Weibchen paaren sich mit ihm. Ein simples Experiment, um herauszufinden, nach welchen Kriterien sie entscheiden. Zugegeben, das ist ein bisschen unfair den Weibchen gegenüber.

 

ZEIT: Bei einer solch komplizierten Fortpflanzungsstrategie ist es schon überraschend, dass der Nagekäfer noch nicht ausgestorben ist.

Goulson: Da ist was dran. Die Käfer sind nur acht Millimeter lang, aber um so groß zu werden, brauchen sie manchmal zehn Jahre oder länger. Sie verbringen ein Jahrzehnt im Holz, etwas anderes fressen sie nicht. Und irgendwann werden sie für ein paar Wochen zu erwachsenen Käfern. Damit eine Population überleben kann, müssen sich aber jedes Jahr Hunderte von Tieren fortpflanzen. Das ist auch deshalb schwierig, weil die Leute heute totes Holz kaum noch liegen lassen und ihre Häuser mit Pestiziden einsprühen. Für die armen Dinger gibt es nicht mehr viele Möglichkeiten, sich fortzupflanzen.

 

ZEIT: Auf Englisch heißt der Nagekäfer deathwatch beetle - im Deutschen nennt man ihn auch Totenuhr. Woher kommt das?

Goulson: Das ist ein alter Name. Die Leute haben das Klopfen vor allem dann bemerkt, wenn es wirklich leise war - etwa wenn jemand starb: Aus Respekt vor dem Sterbenden waren die Freunde und Angehörigen sehr ruhig. Der Legende nach stammte das Klopfen vom Teufel, der mit seinen Fingern pochte und ungeduldig darauf wartete, dass die Seele den Körper verließ. Ich bin mir nicht sicher, wann den Menschen klar wurde, dass es tatsächlich von einem Käfer kam, der Sex wollte.

 

ZEIT: Die Wissenschaft entzaubert die Welt!

Goulson: Das finde ich nicht. Irgendwie ist die wirkliche Erklärung doch viel schöner als die Legende: Der Liebesschrei eines Käfers - gibt es etwas Romantischeres?

 

 

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