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Blutegel Kleine Helfer mit Biss in Süddeutsche Zeitung

 

27.12.2006, 10:39 2006-12-27 10:39:00

 

Sobald er auf der Haut sitzt, beißt sich der Blutegel im Unterarm fest. Dort saugt er sich mit Blut voll. "Wenn sich nach Operationen oder Verletzungen Blut in den Gefäßen staut und so eine Gefahr für die Gesundheit darstellt, können Blutegel aus medizinischer Sicht eine recht einfache Lösung sein", erklärt die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen, Marita Eisenmann-Klein.

Als Chefärztin des St. Josef-Krankenhauses in Regensburg kennt die Medizinerin den therapeutischen Einsatz von Blutegeln (Hirudo medicinalis) schon seit etwa 20 Jahren.

"Nach Brustkrebs-Operationen verschieben wir in der plastischen Chirurgie beispielsweise Teile des Rückenmuskels zur Brustrekonstruktion auf den vorderen Oberkörper", berichtet Eisenmann-Klein. "Dann kann es passieren, dass sich die Venen oder Arterien etwas verdrehen und sich in ihnen Blut staut."

"In diesen Fällen hat es sich bewährt, Blutegel auf das geschwollene Gewebe zu setzen", sagt Eisenmann-Klein. Die Tiere schneiden mit ihren Kiefern kleinste Wunden in die Haut und saugen rund zehn Milliliter Blut heraus. Dadurch löst sich die Stauung im Gefäß - und das Blut kann wieder gleichmäßig fließen. Durchblutung wird angeregt

Dieser Effekt sei auch bei abgetrennten Fingern, Armen oder Beinen wichtig, sagt die Chirurgin Eisenmann-Klein. "Wenn durch einen Unfall wie mit einer Säge eine Hand abgetrennt wird, können wir das entsprechende Körperteil meist wieder gut annähen."

Solange das Gewebe abgetrennt ist, wird es nicht durchblutet - deswegen gibt es nach der Operation manchmal Probleme, den Blutfluss wieder in Gang zu bringen. In diesen Fällen saugen Blutegel das angestaute Blut auf und regen die Durchblutung wieder an. Damit sie schnell an möglichst viel Blut gelangen, spritzen die Egel nach dem Biss ihren Speichel in die Wunde. Er enthält gerinnungshemmende Stoffe wie Heparin, die das Blut verdünnen und schneller fließen lassen. Außerdem werden die Gefäße durch den Speichel der Egel geweitet und wirken so gefährlichen Verengungen entgegen.

"Wandelnde Apotheken"

"Blutegel sind bei vielen Menschen als Parasiten verschrien", sagt der Diplomingenieur Detlef Menzel. In Wirklichkeit seien sie aber "wandelnde Apotheken".

Deswegen gründete Menzel im Jahr 2003 eine Blutegelfarm bei Potsdam und züchtet die Tiere seit dem Sommer 2005 im Labor. Menzel beliefert rund 350 Kunden in ganz Deutschland, meist Kliniken und Heilpraktiker. Neben seiner Farm gibt es bundesweit nur noch eine weitere in Hessen.

Von dieser Farm in Biebertal bekommt auch die Praxis der Heilpraktikerin Kirstin Fossgreen in Hannover ihre Blutegel. "Viele Patienten finden die Tiere zwar erst eklig, sind aber nach einigem Zögern meist überzeugt von dem Nutzen", berichtet Fossgreen. "Dabei tun die Bisse der Tiere kaum weh, weil die Egel mit dem Speichel auch narkotisierende Stoffe abgeben", erklärt die Heilpraktikerin. Wenn sich die Tiere dann voll gesogen haben, fallen sie von alleine ab.

Eine einzelne, etwa eineinhalbstündige Blutegelbehandlung kostet etwa 100 Euro, die die meisten Patienten selber bezahlen müssen.

 

Kniegelenksarthrosen sind ein schmerzhaftes Leiden, das jeden Schritt zur Qual macht. Weil das Gelenk aufgrund seiner Beweglichkeit sehr komplex ist, sind Gelenksprothesen erst dann sinnvoll,

wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Eine gute Alternative ist der Einsatz von Blutegeln. „Nach meinem Dafürhalten handelt es sich dabei um die wirksamste Therapie von Schmerzen bei Kniegelenksarthrose“, sagt Gustav Dobos vom Lehrstuhl für Naturheilkunde und traditionelle chinesische Medizin der Uni Duisburg-Essen. „Eine einzige Behandlung mit 4 - 6 Blutegeln hilft 70 – 80%

aller Patienten. Der Erfolg hält dann zwischen 3 - 6 Monate an.“ Das zeigte auch eine Studie mit Patienten, die an Arthritis im Daumengelenk litten. Bereits nach einer einzigen Behandlung mit 2 - 3

Blutegeln profitierten sie stärker als eine Vergleichsgruppe nach einer 30-tägigen herkömmlichen Behandlung mit Diclofenac-Gel. Der Effekt dauerte auch länger an – 2 Monate lang spürten die Studienteilnehmer eine Besserung.

Diese Erfolgsgeschichten bestärken Gustav Dobos seit zehn Jahren, tierisches Hilfspersonal aus Blutegelfarmen zur Therapie hinzuzuziehen. Gewöhnungsbedürftig sind die Egel auf jeden Fall: Die Zahl der Blutsauger hängt vom Alter, Gewicht und der Krankheit des Patienten ab. An die betroffenen Stellen angesetzt, können sie in 30 Minuten ihr Körpergewicht verfünffachen. Sind sie satt, lassen sie sich

einfach fallen und brauchen dann bis zu zwei Jahren keine „Mahlzeit“ mehr. Dennoch freunden sich Patienten mit dieser Therapieform ebenso schnell an wie mit der Madentherapie: Je größer der Leidensdruck, desto geringer sind die Vorbehalte dagegen. Gustav Dobos erlebt solche Berührungsängste am Klinikum Essen Mitte nur bei 5% seiner Patienten. „Abhängig von der Intensität der Schmerzen sind viele von ihnen dann aber doch zur Therapie bereit – und insgesamt 90% nehmen die Therapie interessanterweise von Anfang an problemlos an“, berichtet der Chefarzt für Innere Medizin.

Die Heilkraft des Speichels

Schon vor 2000 Jahren überwanden sich Kranke zur Blutegeltherapie. Sie wurde sogar phasenweise so populär, dass die Zahl der im natürlichen Umfeld lebenden Blutsauger mittlerweile stark dezimiert ist. Wieso sie in vielen Fällen so hilfreich sind, ist noch nicht ganz erforscht. Bekannt ist, dass ihr Speichel zahlreiche Substanzen enthält. 20 von ihnen konnten Forscher bislang identifizieren, unter anderem

mit entzündungs- oder schmerzlindernder Wirkung. Der Wirkstoff Hirudin beispielsweise hemmt die Blutgerinnung so effektiv, dass er mittlerweile gentechnologisch hergestellt und Patienten zur Vorbeugung gegen operationsbedingte Thrombosen verabreicht wird. Darüber hinaus leisten die Blutegel in der plastischen Chirurgie gute Dienste, weil in der Regel in der Anfangszeit nach der Operation das Blut

über die Venen noch unzureichend abfließt – Blutegel können entlasten.

 

 

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