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Gesundheit

 

Die Kraft der Selbstheilung

Embryonen

Zellen mit großen Fähigkeiten

Zu Beginn unseres Lebens sind wir, sanft gebettet in der Gebärmutter, nichts als ein Haufen Zellen. Genauer: Stammzellen. Aus denen entwickeln sich in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten alle Zell- und damit Gewebearten, die wir für unser Dasein brauchen, vom Zahnschmelz über Knorpel und Knochen bis hin zu den komplexen Organen.

Diese Verwandlungsfähigkeit macht die Stammzellen zu einem begehrten Objekt der Forscher. Sie versuchen, damit gezielt jene Gewebe zu züchten, die der Körper irgendwann nicht mehr herstellen kann, und hoffen so, in Zukunft Krankheiten wie Diabetes, Querschnittlähmung, Herzinfarkt oder Alzheimer heilen zu können. Doch es gibt sowohl ethisch-rechtliche als auch technische Probleme. Und die bislang laufenden Studien haben noch nicht die gewünschten Ergebnisse geliefert.

Der entstehende Nachwuchs ist also ein echter Jungbrunnen, ein kompaktes Stammzellpaket voll Zellen, aus denen noch alles werden kann. Man könnte deshalb annehmen, dass bei einem Embryo noch jeder Schaden regeneriert oder zumindest repariert werden kann. »Doch das ist ein Trugschluss«, sagt Christoph Bührer, Neonatologe an der Berliner Charité. »So viel Heilungspotenzial,

wie man sich landläufig vorstellt, hat ein Embryo nicht.« Tatsächlich sei der Mensch in den ersten zwölf Wochen sogar in der empfindlichsten Phase seines Lebens.

 

Kinder: Heilung fast ganz von allein

Mögen Embryonen, Föten und Neugeborene auch anfällig sein: Generell gilt, dass die Regenerationsfähigkeit des Körpers desto höher ist, je jünger der Organismus ist. Die Heilungskräfte lassen sich bei Kindern jeden Tag beobachten. Dort, wo einst eine tiefe Kniewunde blutete, zeugt nach einer Woche bloß noch eine Narbe von der Verletzung. Und der Knochenbruch, der in den ersten Stunden größte Schmerzen bereitete, wächst meist binnen weniger Wochen wieder fast von allein zusammen.

Doch nicht alles funktioniert von Beginn an gut. Das Immunsystem etwa ist in jungen Jahren noch anfällig und verletzlich, kleinere Belastungen machen ihm viel mehr aus als einem Erwachsenen. Und so wandelt der Körper in jungen Jahren oft zwischen Extremen: Einerseits muss das Immunsystem mühsam und häufig unter Qualen an das Leben herangeführt werden, andererseits heilen

viele Verletzungen sehr schnell.

 

Kindliche Knochen sind etwas Besonderes

Wie gut der kindliche Körper etwa mit Brüchen zurechtkommt, zeigt der Fall von Letitia Machnig (Name von der Redaktion geändert). Am Muttertag des vergangenen Jahres brach sich die Neunjährige bei einem Fahrradsturz einen Handwurzelknochen. »Ich hatte furchtbare Schmerzen. Die hörten nicht auf und wurden immer schlimmer«, erzählt das Mädchen. Nach solch einem Befund stelle man den Knochen meist mit einer Schiene oder einem Gips ruhig, um den Schmerz zu lindern und die Heilung des Körpers zu unterstützen, sagt Dirk Sommerfeldt, leitender Arzt der Abteilung für Kinder- und Jugendtraumatologie am Altonaer Kinderkrankenhaus in Hamburg. Das allerdings passte Letitia gar nicht: »Das war kurz vor meiner Kommunion, und da wollte ich auf keinen Fall so einen dicken, gelben Gips tragen.« Statt nach drei Wochen, wie verordnet, kam der Gipsverband deshalb schon nach vier Tagen ab. Und, Überraschung: Der Schmerz war fast verschwunden, die Hand voll beweglich. Zwei Tage später konnte Letitia sogar wieder Cello spielen. Auch auf dem Röntgenbild war nichts mehr zu sehen von dem Bruch – er war anscheinend ausgeheilt, schnell und fast von allein.

So ein Verlauf ist nicht unbedingt üblich, und vielleicht war auch die ursprüngliche Diagnose eines kompletten Bruchs nicht ganz richtig. Doch generell gilt: Kindliche Knochen sind etwas Besonderes. Sie besäßen eine dickere Knochenhaut als die der Erwachsenen, sagt Sommerfeldt, und seien »noch stark auf Wachstum angelegt, das fördert die Durchblutung«. Daher greifen auch

die Reparaturmechanismen schneller. Innerhalb von 10 Tagen heilen Knochenbrüche bei Neugeborenen, bei Kindern dauert es in der Regel 30 Tage, bei Erwachsenen entschieden länger.

Die Heilung der Brüche verläuft in drei Phasen. Knochenbrüche zu behandeln ist heute Routine. Dennoch treten in 10 – 20% der Fälle Komplikationen auf: Die Heilung verzögert sich,

es entstehen Scheingelenke, oder es kommt zu Infektionen, die mit Antibiotika behandelt werden müssen. Je schneller der Bruch heilt, desto geringer ist das Risiko, dass etwas schiefgeht.

Der Unfallchirurg Gerhard Schmidmaier von der Universität Heidelberg forscht daran, wie besser zusammenwächst, was zusammengehört. Er arbeitet an bioaktiven Implantaten – mit Wachstumsfaktoren angereicherten, beschichteten Nägeln oder Metallplatten, die die Knochenfragmente fixieren. Anhand einer Schienbeinverletzung konnte er zeigen, wie effektiv die experimentelle Behandlungsmethode ist: Wurde der Bruch mit einem herkömmlichen Metall fixiert, so war er vier Wochen später noch nicht überwunden. Wenn das Implantat hingegen mit Wachstumsfaktoren (und Antibiotika, die vor einer Infektion schützen sollen) angereichert wurde, dann war er binnen eines Monats wieder zusammengewachsen. »In einer ersten klinischen Anwendungsbeobachtung bei 50 Patienten, die offene Frakturen erlitten hatten, zeigte sich, dass das beschichtete Implantat sowohl das Risiko für eine Infektion als auch das Risiko für eine verzögerte Frakturheilung deutlich reduzieren kann«, schreibt Schmidmaier. Das Verfahren wird nun in einer internationalen, größeren Studie weiter getestet.

Denn noch lässt sich nicht eindeutig sagen, ob es auch tatsächlich einen Nutzen hat.

Im Kindesalter braucht es diese Art von Hilfsmittel meist nicht, da »kann sich der Körper noch ziemlich gut selbst helfen«, sagt Chirurg Sommerfeldt. Er müsse bei jedem Bruch neu abwägen,

wie er den Heilungsprozess am besten unterstütze – oft mit einem Gips oder Schienenverband. Eine Operation müsse nur in der Hälfte der Fälle durchgeführt werden – anders als bei Erwachsenen, bei denen sie in etwa 90% der Fälle nötig sei, so Sommerfeldt.

 

 

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