Arsenicum Anhang
[Maria Steinbeck]
Die arsenige Säure, gewöhnlich
Arsen genannt, findet sich kaum in freier Form in der Natur. Man gewinnt sie
durch Rösten von arsenikhaltigem Kobalt- und Nickelerzen.
Arsen war bereits im Altertum gut
bekannt. Bereits Hippokrates gebrauchte eine Arsensulfid-Paste zur Behandlung
von Geschwüren. Die Kenntnis der Giftwirkung des Arsens reicht nachweislich bis
ins 2. Jahrhundert v. Chr. zurück. "Arsenik" war das klassische Gift
des Mittelalters, und am byzantinischen Hof ebenso in Gebrauch, wie im
Dogenpalast zu Venedig. Auch die Borgias bedienten sich des Arsens für ihre
niedrigen Zwecke, wie viele andere berüchtigte Giftmörder bis in unser
Jahrhundert hinein.
Als kriminelles Gift oder als
Schädlingsbekämpfungsmittel hat Arsen in unserer Zeit an Bedeutung verloren.
Bekannt sind heute die
"Arsenik-Esser" aus der Steiermark, die Arsen in steigenden Dosen als
Stimulans einnehmen.
Leitsymptome
Ruhelosigkeit, Angst, Todesfurcht
ausgeprägte Erschöpfung, Schwäche
brennende Schmerzen - > Wärme
Periodizität der Symptome
mangelnde Lebenswärme - fröstelig
brennender Durst: trinkt wenig und oft
< nachts, nach Mitternacht, Kälte, Anstrengung, Liegen auf der
schmerzhaften Seite, Kopftieflage
> abends, tagsüber, Hitze, warme Anwendungen, warme Speisen und
Getränke, in Gesellschaft, Aufrichten
vorherrschend rechts
Eigentümliches Symptom: Er will nicht, daß man mit ihm spricht, aber
auch nicht, daß man sein Zimmer verläßt.
Schlüsselsymptom: "fühlt sich beobachtet".
Ruhelosigkeit, Angst, Todesfurcht
Die leidvollen Zustände und Symptome, bei denen der Homöopath Arsen verordnet, sind Ruhelosigkeit - Verzweiflung - unerträgliche, qualvolle Angst.
Ruhelos, schwach, blaß, ausgezehrt
und fröstelnd. Die Ruhelosigkeit rührt von der Angst her, die in der Bewegung
scheinbar Linderung sucht. Sie reicht von leichtem, unbehaglichem Platzwechseln
bis zu rasendem Gestikulieren und Umherrennen. Diese Ruhelosigkeit erscheint
als eines der ersten Symptome und hält, bei schweren, lebensbedrohlichen
Erkrankungen, bis zum Eintritt der Bewußtlosigkeit an. Ständig in Bewegung; von
Zimmer zu Zimmer, vom Bett zum Stuhl, und wenn er zu schwach ist, sich zu
bewegen oder sich zu drehen, so sind doch die Hände, der Kopf oder die Füße
dieser geplagten Menschen in ständiger Bewegung.
Angst und die Ruhelosigkeit sind höchst auffällig bei akuten Krankheiten. Beim Wiederauftreten von chronischen Krankheiten werden sie immer verschlimmert.
Die Angst treibt den Kranken
nachts aus dem Bett. Mit Schrecken sieht er der Nacht entgegen, da er weiß, daß
sich zwischen 1 und 3 h. morgens alle seine körperlichen und seelischen Leiden
verschlimmern. In diesen Stunden packt ihn eine gräßliche Angst und
Todesfurcht. Er steht auf, wandert von einem Zimmer ins andere, aber da er sehr
erschöpft ist, muß er sich wieder hinlegen, bis ihn eine neue Angstkrise aus
dem Bett treibt. Bei schweren Erkrankungen leidet er Todesfurcht. Es ist nicht
die Aconitum-Furcht (vor dem nahen Tod), sondern eher eine allgemeine Angst,
verbunden mit dem Gefühl, "daß es sinnlos sei, noch irgendeine Medizin
einzunehmen, da er ohnehin bald sterben werde".
Die Furcht ist beim
Arsen-Patienten stark ausgeprägt. Er leidet an Furcht vor Krankheit, Furcht vor
schrecklichem Unglück, Furcht vor einer Menschenmenge, Furcht vor dem
Alleinsein usw. Die Furcht beim Alleinsein, daß er sich etwas antut oder
sterben werde, wird durch die Anwesenheit anderer gelindert.
Schwäche und Erschöpfung
Die Schwäche variiert zu
verschiedenen Zeiten und Umständen, von leichter Schwäche bis zur völligen
Entkräftung. Es ist nicht außergewöhnlich, Schwäche bei chronisch Kranken oder
bei heftigen, akuten Krankheiten zu finden, aber bei Arsen steht sie in keinem
Verhältnis zum vorliegenden Anlaß. Die leichteste Anforderung an die
Nervenkraft, eine kleine körperliche Anstrengung, Zahnweh oder leichte
Schmerzen, ein spärlicher Durchfall oder Erbrechen ist vom Sinken der vitalen
Kräfte gefolgt. Manchmal geht dies bis zum Kollaps. Auch wenn man sich in einem
relativ guten Zustand befindet, kann eine andauernde Anstrengung, wie z. B.
eine Bergbesteigung, vielleicht auch im Zusammenhang mit der dünnen Luft,
Erschöpfung, Frösteln, Schlaflosigkeit und Herzklopfen zur Folge haben.
Deshalb werden Symptome wie
Schwäche oder Mangel an Ausdauer, die bei anderen Mitteln nur
"Allgemeinsymptome" sind, bei Arsen durch ihre fast groteske
Ausprägung hoch charakteristisch.
Arsen hat ein sehr breites Anwendungsspektrum von mehr oder weniger gewöhnlichen Beschwerden bis hin zu den schrecklichsten Leiden. Es kommt bei Kinderkrankheiten ebenso in Betracht wie bei schwersten Erkrankungen. Ebenso lindert es körperlichen wie seelischen Schmerzen und Leiden bei unheilbaren Krankheiten.
Bei diesen Erkrankungen (oder auch
bei Sterbenden) ist jeder Aspekt vom Tod gezeichnet. Die Augen sind eingesunken
und glasig, das Gesicht aschfahl oder gelblich und kalt bei Berührung. Die
Lippen, der Mund und die Zunge fast unbeweglich und ausgedörrt. Der Patient
möchte ständig einen kleinen Schluck kalten Wassers nippen. Im Magen und den
Gedärmen wird ein Brennen empfunden. Der Durchfall ist spärlich, ätzend, wäßrig
mit fürchterlichem Geruch, der das ganze Zimmer erfüllt. Dunkles, dünnflüssiges
Blut sickert aus den Körperöffnungen. Es besteht kalter Schweiß, oder stechende
Hitze und Trockenheit der Haut, die sich wie Pergament anfühlt. Er sieht
Geister und Verstorbene. Das Delirium geht in Stumpfsinn über, mit
unwillkürlichem Stuhl- und Harnabgang, und führt zu einer totalen
Bewußtlosigkeit. Als letzte Arznei, für Menschen die am Ende ihres Lebens
stehen, ist Arsen (in homöopathischer Form als Arsen D 30 selbstverständlich)
hilfreich. Nachzulesen bei Dr. Enders in der Homöopathischen Hausapotheke Kapitel
Nr. 26 unter "Herz"!
Brennen - > Wärme
Brennende Schmerzen durch Wärme
gebessert, ist das große Charakteristikum von Arsen. Trotzdem muß man beachten,
daß kalte Auflagen zwar momentane Besserung bringen können, doch tritt danach
immer eine neue Verschlimmerung ein.
Schreckliche, brennende Schmerzen
sind ein wichtiges Kennzeichen dieses Mittels. Brennen im Gehirn (Kopf), im
Gesicht, Kiefer, Hals, Magen, Bauch, Haut, Gebärmutter, Harnröhre oder im
Rektum, kein Körperteil ist ausgenommen.
Neuralgische Schmerzen, wie von
heißen Drähten, die durch die Nerven getrieben werden; Brennen, als ob heiße
Nadeln in einen Körperteil gestochen würden; brennende Schmerzen im Rückgrat,
wie von einem Strom aufsteigender, heißer Luft.
Die Hautausschläge jucken heftig,
und wenn man kratzt, weicht das Jucken einem Brennen. Geschwüre brennen
unerträglich und dehnen sich mehr in der Breite als in der Tiefe aus. Das
Arsen-Brennen ist gewöhnlich von einer Entzündung begleitet und wird besser
durch Wärme.
Periodizität
Viele seelische und körperliche
Beschwerden entstehen zu bestimmten Zeiten oder sind dann verstärkt auf. Die
meisten Arsen-Leiden < 13 - 14 h. und von 0 bis 2 h. nachts.
Migräne trit gern periodisch auf.
Immer während der Periode, oder auch alle 2, 3, 7 oder 14 Tage. Manche Leiden
erscheinen jedes Jahr zur selben Zeit wieder.
Mangelnde Lebenswärme
Kälte verschlimmert in jeder Form.
Der Husten, die Schmerzen, das Asthma, der Durchfall oder der Schwindel <
Kälte. Kalte Getränke erzeugen Husten, Hals-, Magen- und Darmsymptome. Kaltes
Essen, wie Eis, verursacht Magenschleimhautentzündung. Die einzige Ausnahme
sind kongestive Kopfschmerzen, sie werden durch lokale, kalte Anwendungen
gebessert.
Wenn die seelischen Symptome
(Angst, Unruhe) bei einem Patienten stark ausgeprägt sind, friert er ständig.
Er hält sich am liebsten in der Nähe des Ofens auf und kann sich nicht warm
genug anziehen. Unter der Kälte leidet er dann besonders stark.
Arsen hat "Schüttelfrost und
Kälteschauer" heftigster Art, und in solchen Phasen schildert der Kranke
die Empfindung, als ob das Blut, das durch seine Adern rinnt, Eiswasser wäre.
Bei Fieber, wenn der Körper von
Kopf bis Fuß erhitzt ist (bevor der Schweiß ausbricht), hat er das Gefühl, als
würde kochendes Wasser durch die Blutgefäße strömen.
Durst
Schon Kent (amerikanischer
Homöopath) weist auf die Eigentümlichkeit des Arsen-Durstes hin: "Während
des Froststadiums besteht kein Durst, allenfalls auf heiße Getränke; während
der Fieberhitze möchte er zwar häufiger etwas Wasser haben, doch gerade so viel,
um den Mund damit anzufeuchten - was man kaum als Durst bezeichnen kann.
Während des Schweißes dagegen ist der Durst so groß, daß er kaum genug bekommen
kann. Dann hört man von dem Patienten: "Bringen Sie mit einen Eimer
Wasser" oder "Ich könnte einen ganzen Brunnen leer trinken"."
Folgen von Unterdrückung
Arsen ist führend unter den
Mitteln, die heilen, indem sie alte, unterdrückte Hautleiden zurückbringen.
Sogar Asthma kann man unter Rückkehr eines früheren Ausschlags mit Arsen
ausheilen.
Auch auf unterdrückten Schnupfen
kann Asthma folgen. Werden Fußschweiß oder Herpes unterdrückt, folgen oft
Herzerkrankungen.
Wenn bei Scharlach oder Masern
sich der Ausschlag langsam entwickelt oder zurückzieht, und stattdessen
Petechien (punktförmige Blutungen), Erschöpfung, Kälte, Angst und Ruhelosigkeit
auftreten, dann ist Arsen indiziert.
Magenerkrankungen
Nach dem Essen treten bitterer Geschmack im Mund, drückende, brennende Schmerzen im Magen, Völle bis zum Hals hinauf, quälendes Sodbrennen, Ekel sogar vor dem Geruch des Essens, Übelkeit, Erbrechen oder sofortiger Stuhldrang auf. Warme Getränke erleichtern, während kalte wie ein Stück Eis im Magen empfunden und sofort erbrochen werden. < Wein oder andere alkoholische Getränke.
Übelkeit, Erbrechen mit deutlicher
Schwäche, Angst und Ruhelosigkeit nachdem verdorbene Lebensmittel (Wurst,
Fleisch, Fisch) gegessen wurden, brauchen unbedingt Arsen.
Brechdurchfall
Wässrige und äußerst ätzende
Stühle mit großer Erschöpfung. Die Haut um den After ist wund und brennt. Ein
warmes Sitzbad bessert.
Erbrechen nach dem Essen oder Trinken. Durchfall und Erbrechen, auch von Kindern, bei kalter Körperoberfläche und brennender innerer Hitze. Kalter klebriger Schweiß.
Die Haut ist trocken, rauh, gelb
oder gelb-braun. Der Kranke verfällt rasch und magert ab.
Schnupfen und Husten
Der dünne, wässrige Ausfluß auf
der Nase macht die Oberlippe wund. Die Nase brennt, ebenso die Augen. Der
Heuschnupfen ist schlimmer im Freien und besser im warmen Zimmer.
Der Husten wird begleitet von
großer Atemnot, Erregung und Erschöpfung. Röcheln und brennende Schmerzen in
der Brust. Trockener, erschöpfender Husten mit dem Gefühl, als habe man
Schwefeldämpfe eingeatmet. Der Husten verschlimmert sich im Liegen und nach
Mitternacht.
Kopfschmerz
Migräne mit brennendem Gefühl,
besonders oberhalb des linken Auges. Häufig periodisch. Sie verschlimmern sich
nach Mitternacht, durch Lärm, Licht, Bewegung und durch Erhitzung. Sie sind
besser im Dunkeln, beim Liegen mit hochgebettetem Kopf und durch Kälte. Es
handelt sich um Kopfschmerzen mit Blutandrang zum Kopf. Nur sie haben Besserung
durch Kälte. Der Kranke leidet unter einer Schwere, die im Freien nachläßt,
sofort wieder erscheint, wenn er ein warmes Zimmer betritt.
Handelt es sich um einen
neuralgischen Kopfschmerz, oder wird er von rheumatischen Symptomen begleitet,
so braucht der Kranke Wärme. Der Kopf muß warm eingehüllt werden.
Herz und Kreislauf
Arsen produziert eine ganze Serie
von Herzsymptomen, die man folgendermaßen zusammenfassen kann: Reizbares Herz,
es klopft stark, das Herzklopfen wird vom Kranken selbst gehört. Unregelmäßiges
Herzklopfen, schlimmer nachts, nach Stuhlgang (verbunden mit Schwäche und
Zittern), Gefühl von Zusammenschnürung und Druck am Herzen.
Gemütssymptome
Der Arsen-Patient ist lebhaft,
beweglich und unruhig. Er beschäftigt sich, um die Angst zu überdecken. Er will
nicht gern allein sein. Besonders Kinder wollen im Zimmer und nachts nicht
allein sein. Sie schmiegen sich an Erwachsene, und finden bei ihnen Beruhigung.
Bei allen Kranken finden wir große
Angst, sogar Todesangst. Sie glauben sterben zu müssen oder an einer
unheilbaren Krankheit zu leiden. Trotzdem wollen sie kein Medikament einnehmen.
Sie sehen nachts Gespenster, fürchten sich vor Dieben und Einbrechern. Durch
jede Sorge sind sie übermäßig beeindruckt und dann niedergeschlagen,
verzweifelt und weinerlich. Sie glauben nicht genug getan zu haben, und machen
sich bittere Vorwürfe.
Allerdings können sie sich auch
über Kleinigkeiten ärgern. Sie hören nicht auf, über die Fehler anderer zu
reden. Sie sind mit nichts zufrieden und tadeln alles.
Pedantische Pünktlichkeit! Sie
ärgern sich über alles, was nicht in Ordnung ist (Kleidung, Wohnung, wenn ein
Bild schief hängt, etwas nicht peinlich sauber ist).
Sie können auch geizig, boshaft und egoistisch sein.
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