Aves Anhang 4 

 

[remedia.at]

Arzneien von Vogelfedern

Remedia Apotheke in Eisenstadt hat knapp 100 Vogelarzneien: im Angebot mit vielen heimischen Arten, aber auch Exoten wie Calypte anna, den Kolibri oder den längst ausgestorbene Elefantenvogel Aepyornis maximus.

Schlangen, Hunde oder Eulen gehören aus der Sicht der Medizingeschichte eher ins Reich der Magie als zu den ernsthaften Heilmittelverschreibungen. Das sahen die Homöopathen schon zu Zeiten Hahnemanns anders, auch wenn in der Homöopathie die Wirbeltiere damals noch keine große Rolle gespielt haben.

Hahnemann hatte unter hundert Mitteln nur zwei Wirbeltiere homöopathisch geprüft – Moschus und Ambra (sonstige Tiermittel waren Sep./Calc./Carb-a./Spong.).

Dann kamen mit Lach. und Lac-c. zwei weitere Wirbeltiere hinzu. Aalserum, Bibergeil oder Dippels Öl sind wie ein paar andere Wirbeltier-Mittel ziemlich unbekannt geblieben. Vögel nahmen in dieser raren Mittelgruppe den kleinsten Platz ein. Aus dem 19. Jahrhundert kannte man Eierschalenkalk und Seevogelkot (Guano).

Klassische  Homöopathen verschreiben heute selbstverständlich Schlangengifte oder Milchmittel, aber eine Vogelarznei?

 

Einführung in die Charakteristika dieser Mittelgruppe und die ausführliche Besprechung von etlichen Arten, die von unterschiedlichen Autoren geprüft oder eingesetzt worden sind. Shores Rotschwanzbussard war auch neben Jeremy Sherrs Seeadler und Finks Möwe einer der ersten geprüften Vögel.

Jonathan Shore sagte über sein eigenes erwachtes Interesse an der Arzneigruppe der Aves in einem Interview des nämlichen Fachmagazins: „Die Vogelmittel haben praktisch eine Eigendynamik entwickelt. Ich habe mir das vorher weder zurechtgelegt noch geplant noch mir vorgenommen. Es war einfach so, dass mir immer mehr Leute Federn geschickt haben, und so tauchten die Arzneimittel langsam auf. Ich kann das so nicht für andere Arzneimittelprüfungen sagen, aber bei den Vögeln hat sich das ganz klar herauskristallisiert.“

Das gesamte Tierreich einzubeziehen, so Robert Müntz, Apotheker von remedia.at, hänge auch mit den neuen Erkenntnissen über die Evolution zusammen: „Das Zusammenspiel der Arten, das Gesamtbild, das Überleben im Laufe der gewaltigen Evolutionsgeschichte, das ist sehr spannend.“

 

Die Artenvielfalt der Vögel und ihre Besonderheit

Die Vögel werden wie Amphibien, Reptilien und Säugetiere traditionell als eine Klasse von Landwirbeltieren betrachtet, wobei die Vögel eine Teilgruppe der Reptilien sind. Das bekannteste Bindeglied zwischen Reptilien und den Vögeln ist die Gattung Archaeopteryx („altertümliche Feder“ oder „Urflügel“), die Flügel besaß, die große Ähnlichkeit mit den Flügeln moderner Vögeln haben.

Reptilien waren die ersten Landwirbeltiere mit einer vom Wasser unabhängigen Fortpflanzung. Die Embryonalentwicklung geht in einer schützenden, fruchtwassergefüllten Eihülle (dem Amnion) vonstatten, was sie von Amphibien und Fischen unterscheidet. Als Vögel (Aves) werden geflügelte, meist flugfähige Wirbeltiere mit einem Schnabel bezeichnet. Bislang sind rund 10.350 Vogelarten bekannt.

Welche Arten und welche Vögel wählt man nun aus dieser Fülle aus und warum stellt Robert Müntz bei diesem immensen Vorrat ausgerechnet eine Arznei des ausgestorbenen Elefantenvogels her? Neugier und Wissensdurst, was neue Substanzen betrifft, sind zwei Gründe, ein anderer ist purer Pragmatismus. „Ich nehme, was ich bekommen kann,“ stellt der Apotheker nüchtern fest.

Eine Forschergruppe hatte sich dem Aepyornis maximus zugewandt, demnach hatte der Laufvogel mit einer Körperhöhe von 3 bis 4 Metern Eier gelegt, die 16 mal größer waren als ein Hühnerei.  Man fand Spuren fossiler Eischalen, Müntz kam zu seiner „willkommenen Eibeute“ und konnte den Aepyornis homöopathisch zubereiten. Verschrieben wurde er bisher noch nicht, aber irgendwann werde eine besondere Lebensgeschichte eines Patienten dazu passen, so der Apotheker.           

Heilsame Federn

Das bemerkenswerteste und einzigartige Merkmal der Vögel, das sie von allen anderen Tierarten unterscheidet, sind die Substanzen der Federn. Federn sind spezialisierte Strukturen, die nur in der Klasse der Vögel vorkommen und verschiedene Formen haben können, von den langen steifen Schwungfedern zu den weichen, elastischen Daunen. Entwicklungsgeschichtlich geht man davon aus, dass sie mit den Schuppen der Reptilien verwandt sind. Federn schützen vor Kälte, dienen als Tarnung und ermöglichen das Fliegen. Demnach scheint es auf der Hand zu liegen, die Vogelfedern als das Typischste der Gattung zu verreiben und zu potenzieren. Die meisten Vogelarzneien werden

auch aus Vogelfedern hergestellt, so beim Kragenhuhn, dem Distelfink oder dem Rotkehlchen. Aber diversen Vogelarzneien liegen außer Federn auch andere Substanzen zu Grunde, z.B. Haut, Muskeln, Fleisch, Knochen oder Blut.

Offenbar ist es nicht bedeutend, oder bleibt dem Zufall überlassen. „Ich bin sicher, dass es nicht so wichtig ist, welchen Teil vom Ganzen man nimmt,“ erklärt Müntz.

„Die Substanz ist eine Entscheidung im Einzelfall, es gibt da keine allgemeine Regel. Wenn Vögel getötet werden, nimmt man das Fleisch oder das Blut, bei lebendigen die Federn. Bei Falco peregrinus, dem Wanderfalken zum Beispiel, hat man den gefangenen Vogel geprüft.

Das domestizierte Tier geht mit seinen Verhaltensweisen in die Prüfung ein und dies muss dokumentiert werden. Das saubere wissenschaftliche Vorgehen und die Dokumentation darüber sind deshalb ein und alles.“

Oft genug ist es schwierig, eine begehrte Substanz zu ergattern. Wie die Feder des Steinadlers etwa,  da musste der Apotheker ein paar erfahrene Jäger aus den österreichischen Bergen mit extra gutem burgenländischen Wein bewirten, bis sie eine ihrer Adlerfedern herausrückten, die als Tausch-und Handelsgut sehr gefragt sind.

Manchmal hilft aber nicht einmal der allerbeste Wein: Die Suche nach der rechten „Eulenmilch“ dauert schon 15 Jahre. Auch über die befreundeten österreichischen Jäger, die das Aftersekret der Schleiereule  „Bürzelsekret“ o. auch salopp „Eulenmilch“ nennen, konnte der Apotheker die Substanz bisher nicht finden.  Eine spaßig gemeinte Diskussion zwischen den Homöopathen Jörg Wichmann und Uta Santoz König brachte die Eulenmilch Lac owleum damals ins homöopathische Bewusstsein und sorgte für etliche Verwirrung. Die Hintergründe dieser Homöopathenposse kann man unter folgendem Link nachlesen: www.remedia.at/homoeopathie/homoeopathie/lacowleum.html

Themen der Vogel-Arzneien

In seinem Buch „Birds“ stellte Jonathan Shore zusammen mit seinen Co-Autorinnen Anneke Hogeland und Judy Schriebman Arzneimittelprüfungen mit Fallbeispielen zu

16 Vogelarzneien vor. Dabei kommt er zu der erstaunlichen Feststellung, dass der überwiegende Anteil der Prüfungssymptome nicht spezifisch für eine einzelne Arznei, sondern charakteristisch für die ganze Gruppe der Vogelmittel ist. Diese gemeinsamen Symptome hat er zu typischen Themen zusammengefasst, die an eine Vogelarznei denken lassen. Erst nach Kenntnis dieser Gruppenmerkmale hat er dann die Essenzen der einzelnen Vogelmittel aus Prüfung und klinischer Anwendung extrahiert.

 

Gemüt:

Freiheit: Das Bedürfnis nach Unabhängigkeit und der Drang zu reisen sind fester Bestandteil der Natur der Vögel und ein häufig wiederkehrendes Thema in den Prüfungen. In der Praxis sind viele Vogel-Patienten Kosmopoliten, häufig sehr kultiviert, und haben verschiedenste Länder und/oder Beschäftigungen kennengelernt. Ein ebenso wichtiger Hinweis auf diese Mittelgruppe ist aber auch die Furcht vor Grenzen, vor Einengung und Gefangenschaft als

Gegenspieler zum Verlangen nach Freiheit.

Distanziertheit: Ein besonderer Aspekt der Unabhängigkeit ist eine gewisse losgelöste Distanz zur Welt wie bei einem unbeteiligten Beobachter, der über den Dingen steht oder besser schwebt. Im physischen Bereich äußerte sich dies in den Prüfungen in unterschiedlichen Hirnleistungsstörungen.

Intuition und Spiritualität: Gleichzeitig waren ihre Gedanken geprägt von echtem Wissen, von einem Verständnis, das von einer tieferen Ebene stammte. Diese innere Klarheit gibt Vertrauen, ein Gefühl von Richtigkeit, ein Gefühl, ungezwungen und natürlich zu handeln.

Perfektionismus: Dieser Wesenszug ist bei manchen Vögeln ausgeprägter als bei anderen, scheint sich aber quer durch alle Arten zu ziehen. Meist wird es eher als Ansporn, „alles richtig zu machen“, ausgedrückt denn als echte Gewissenhaftigkeit und tritt oft in Verbindung mit Stolz, Demütigung, Schuld und Schamgefühl auf.

Familie und soziales Empfinden: Vögel stehen mit anderen in enger persönlicher Beziehung. Sie sind miteinander und mit einer größeren Gruppe oder Familie durch ihre Gefühle verbunden. Sie sind von Natur aus familienorientiert, fürsorglich, hilfreich und haben einen Beschützerinstinkt.

Allgemeines:

Überempfindlich gegen Geräusche, visuelle Eindrücke oder Berührung.

Innere Unruhe: Ziellose Ruhelosigkeit und Reizbarkeit, oft verbunden mit einer feinen, aber intensiven inneren Vibration, einem Summen oder Pulsieren.

Appetitstörungen von Inappetenz über Hungerattacken bis zur Gefräßigkeit. Stechende, scharf stechende oder lanzinierende Schmerzen (Auge, Brust oder Abdomen).

Kalorik: Oft warmblütig, frische Luft, Hitze an einzelnen Stellen.

Körper:

Kopf: Häufig Kopfschmerzen, meist als Völle, Druck oder Schwere, verbunden mit einem Gefühl von Aufwärtsbewegung der Energie oder dem Gefühl, irgendwie außerhalb oder oberhalb des eigenen Körpers zu sein. „Als ob die Schädeldecke offen oder angehoben“

Augen: Besonders viele Symptome mit scharfen, stechenden Schmerzen, Reizung und Trockenheit und Sehstörungen, von der verbesserten Sehschärfe über unscharfes und verschwommenes Sehen bis hin zum Ausfall des peripheren o. zentralen Gesichtsfelds und zur Angst, blind zu werden.

Gesicht/Zähne: Druck und scharfe Schmerzen in den Jochbeinen oder im Unterkiefer, viele Zahnsymptome von Pulsieren im Zahnfleisch über Zahnschmerzen bis hin zu der Wahnidee, die Zähne seien schwach oder weich.

Nase: Verstopfung, Schnupfen, Niesen, was zusammen mit der Trockenheit und Reizung der Augen an Heuschnupfen denken lässt.

Weibliche Genitalien: Starke Dysmenorrhö

Brust: Scharfe, stechende Schmerzen; Gefühl von Einschnürung oder Enge und der Wunsch, tief einatmen zu können, als ob man nicht genug Luft bekommen würde.

Rücken: Hier liegt der pathologische Schwerpunkt. Der Nacken ist besonders häufig vertreten. Obwohl die Schmerzen wie immer scharf sein können, liegt im Bewegungsapparat die Betonung auf Spannung, Steifheit, drehendem, windendem Schmerz und krampfhaften Schmerzen. Spannung und Steifheit im Nacken, was sich

oft bis zu den Schultern und Armen erstreckt. Diese Muskelspannungen treten auch im oberen Rücken oder in der Dorsalregion auf.

Glieder: Ebenfalls zahlreiche Symptome, dabei sind die unteren Gliedmaßen im Allgemeinen stärker vertreten. Ischias, Schmerzen in Hüfte und Knie. Starke Schulterschmerzen. Schmerzen in Ellbogen, Handgelenk, Hand und Fingern. Wichtiger als distale Schmerzen sind aber Empfindungen von Schwere, Schwäche, Taubheit

und Kribbeln. Diese Empfindungen sind in den unteren Gliedmaßen noch häufiger. Es versteht sich von selbst, dass das Gegenteil ebenfalls als Empfindung von Leichtigkeit, besonderer Stärke und Beweglichkeit auftreten kann.

 (Literatur: Jonathan Shore, Judy Schriebman, Anneke Hogeland: BIRDS - Homeopathic Remedies from the Avian Realm, Homeopathy West, Berkeley 2004 und Jonathan Shore, Judy Schriebman, Anneke Hogeland: „Vögel – Homöopathische Heilmittel aus den Gefilden des Himmels“, Narayana Verlag, Kandern 2010.)

Vogel Patienten

Ein Mann steht in einer Warteschlange und wird plötzlich bewusstlos. Später weiß er nicht, wie lange dieser Zustand währte, aber er erinnert sich noch lebhaft an das Gefühl, in den Wolken zu schweben oder zu treiben wie ein Vogel. Während er diesen schönen, fast paradiesischen Zustand beschreibt, hält er die Arme mit nach unten gedrehten Handflächen seitlich horizontal ausgestreckt von sich – wie die Schwingen eines Adlers. Die Darstellung ist so plastisch,

dass sein Arzt, ein anerkannter klassischer Homöopath, der noch bei Künzli gelernt hat, die Energie des Vogels unmittelbar wahrnehmen kann. Ohne Repertorium und ohne Materia Medica entsteht für ihn in faszinierender Deutlichkeit das Bild einer Arznei.

Der Weg zum Simile über den direkten Ausdruck der Energie einer Substanz in den tiefen Empfindungen von Patienten, wie er vor allem von der Gruppe um Rajan Sankaran beschritten wird, ist bei tierischen Arzneien anscheinend am leichtesten aufzuspüren und nachzuvollziehen. Gerne vergleichen wir ja auch im Alltag das Verhalten und die Eigenschaften mancher Menschen mit bestimmten Tieren. Schlau wie ein Fuchs, stark wie ein Bär, hinterhältig wie eine Schlange sind typische antropomorphe Zuordnungen aus der Tierwelt. Oder eben: Frei wie ein Vogel.

Die Vorstellungen, die wir von Tieren haben, finden sich auch in der homöopathischen Materia Medica wieder, in Mittelbildern, die lege artis auf der Basis von Arzneimittelprüfungen und späterer klinischer Erfahrung entwickelt wurden und schließlich in die Symptomenverzeichnisse eingeflossen sind. Wenn Lachesis dreiwertig

in Rubriken wie „hinterhältig, verschlagen“ oder „lasziv, lüstern“ auftaucht, so entspricht das Aspekten der Schlange, die wir aus der Mythologie kennen.

Auch in den Kernideen, die Jonathan Shore aus den Prüfungssymptomen und aus geheilten Fällen für einzelne Vogelarzneien entwickelt hat, begegnen uns vertraute Klischees wie die sanfte Taube oder die weise Eule. Doch die Ähnlichkeiten zwischen den Eigenheiten des Arzneistoffes und der Reaktion der Prüfer gehen tiefer. So bewegen diese sich in ihren Träumen in den Lebensräumen der geprüften Vögel und erfahren deren spezifische Empfindlichkeiten nicht nur im Traum, sondern in physischen Symptomen (vgl. Kasten „Die Themen der Vögel“). Eine vibrierende innere Unruhe ist allen Vogelarzneien gemein, ebenso wie die Hungerattacken bei einer Tierklasse, die im Vergleich zum Menschen ungeheuer viel isst.

Jonathan Shore sagt nach vielen Jahren Erfahrung mit Vogelarzneien über diese Patienten: „Nach meinem Gefühl ist bei den Vögeln das Gefühl von einer gewissen „Leichtigkeit“ als relativ starke Schwingung vorhanden. Wenn man mit ihnen spricht, hat man nicht so das Gefühl, dass alles schwer ist. Obwohl sie über Probleme sprechen, ist eine bestimmte Qualität dabei. Es ist schwer zu erfassen, aber für mich ist es wahrnehmbar. Das ist bei mir keineswegs bei jeder Arznei und in jedem Fall so. Aber bei den Vögeln fühle ich eine Verbundenheit mit der Person und sie mit mir.

Ich für meinen Teil horche immer nach meinem Gefühl für den Patienten in mir. Das hat für mich einen hohen Stellenwert. Nicht um zu einer Verordnung zu gelangen, sondern um sie zu bestätigen oder zu verwerfen. Meine Vorstellung von dem Arzneimittel muss mit meinem inneren Gefühl übereinstimmen.“

Was können Homöopathen von Vögeln lernen? Ihre Biologie ist eine Verführung. Ihr schillerndes Wesen macht sie so bezaubernd, aber auch schwer fassbar. Wo aber liegen die Grenzen zwischen Idee und begründeter Verschreibung?

Die Novemberausgabe von „Spektrum der Homöopathie“ 2010 ist ein erster weiter Rundblick zum Thema Vogelarzneien auf Deutsch. Interessierte Homöopathen können hier spannende Artikel zu vertrauten und fremdartigen Vogelarzneien nachlesen und ihr Wissen vertiefen. Und vielleicht verspüren sie auch Lust, auf diesem weiten ungemein spannenden Feld zu forschen und die zahlreichen Vogelarzneien, die noch nicht geprüft sind, artis lege einer Prüfung zu unterziehen. Wer mehr über die Biologie und die „Geheime Sprache der Vögel“ erfahren möchte, dem sei Ralph Müllers  gleichnamiges Buch empfohlen, in dem er auf lebendige Weise das faszinierende Leben der Vögel beschreibt und die Kunst, die Botschaften zu verstehen, die in ihrer Stimme, ihrer Körpersprache und in ihren Verhaltensweisen verborgen liegen.

 

[Peter Fraser]

Klasse der Vögel unterscheidet sich von andere anderen Tierklassen, ist ihre Fähigkeit zu fliegen. Manche Vögel haben diese Fähigkeit aufgegeben, und wenn dies auch unter evolutionärem Gesichtspunkt sehr schnell geht, tun sie das nur, wenn sie die Flugfähigkeit nicht mehr benötigen. Das geschieht meistens dann, wenn der Preis für die Vorteile, die das Fliegen bietet, zu hoch wird, zum Beispiel wenn es im jeweiligen Lebensraum nur sehr wenig Raubtiere gibt.

In manchen Fällen entwickelt der Vogel dann andere Strategien und Fähigkeiten, die die Flugfähigkeit ersetzen. Beispiele dafür sind Pinguine und Strauße, aber das interessanteste Beispiel ist wohl eines, bei dem der Prozess noch nicht abgeschlossen ist. Der Rennkuckuck kann fliegen, aber er tut das nicht oft und scheint keinen gefallen daran zu finden. Er findet seine Freiheit in seiner Fähigkeit, zu rennen und sich sehr schnell zu bewegen. Daher ist gar nicht das Fliegen das zentrale Thema der Vogelmittel, sondern die Freiheit, die das Fliegen ihnen ermöglicht hat.

Fliegen bietet den Vögeln Freiheit in vielfältiger Form. Die wichtigste davon ist die Freiheit, Angreifern zu entkommen. Dann ist da noch die Freiheit, gehen zu können, wohin man will.

Das wiederum bietet die Freiheit der Nahrungs- und Ortswahl. Aus der Freiheit zu fliegen entsteht auch eine kindliche Begeisterung und Überschwänglichkeit, und dieser am wenigsten greifbare Faktor ist wahrscheinlich das wichtigste Merkmal der Freiheit der Vögel.

Vögel sind Luftwesen. Sie entwickeln sich aus Küken zu flüggen Tieren, die von Natur aus gefallen am Fliegen finden. Anders als die Insekten müssen sie nicht arbeiten und sich verändern, um fliegen zu können. Anders als Fledermäuse stellen sie keine Ausnahme im normalen Verhaltensmuster ihrer Klasse dar.

Um zu fliegen, brauchen sie nicht außergewöhnlich zu sein, es ist ihre natürliche Veranlagung.

Bei den Vogelmitteln gibt es viele Symptome, die mit dem Gefühl des Fliegens und Schwebens zu tun haben. Träume und Wahnideen mit solchen Inhalten sind weit verbreitet. Dazu finden sich auch die entsprechenden Begleitsymptome, insbesondere Schwindel und Übelkeit. Der pathologische Zustand jedoch und somit der Zustand, der für die Verschreibung von größter Bedeutung ist, besteht in einem Gefühl der Schwere und der Unfähigkeit, sich in die Lüfte aufzuschwingen. Schwere und Einschnürung sind daher die wichtigsten Empfindungen. Sie finden sich in Träumen und Wahnideen, aber ganz besonders in den physischen Symptomen und können in jedem Körperteil, vom Kopf über die Lungen bis zu den unteren Gliedmaßen, auftreten.

Freiheit ist von Natur aus undefinierbar. Jede Definition oder Beschreibung dessen, was Freiheit ausmacht oder bewirkt, ist eine Einschränkung dieser Freiheit. Wahre Freiheit kennt keine Grenzen und keine Bedingungen. Sie kann nur negativ definiert werden: Als völlige Schrankenlosigkeit.

Das wichtigste Symptom bei Menschen, die ein Vogelmittel brauchen, ist das Gefühl, dass etwas sie daran hindert, wahre Freiheit zu erlangen. Was sie konkret daran hindert, ist dann der Schlüssel zur Differenzierung zwischen den einzelnen Mitteln. Dieses Wissen ist nicht nur die Voraussetzung zum Verständnis der Vogelmittel, sondern auch zur Ermittlung der Gefühle und Bedürfnisse des Patienten.

Wenn ein Patient über Freiheit spricht, wollen wir gewöhnlich wissen, was Freiheit für ihn bedeutet, doch das ist ein vergebliches Unterfangen, das nur noch mehr Verwirrung stiftet. Auch wenn ein Patient sagt, er fühle sich in einer Falle gefangen und wolle fliehen, scheint das eine vielversprechende Befragungslinie zu ergeben. Wovor der Patient fliehen will, ist allerdings nicht unbedingt von Bedeutung. Es kann ein Licht auf das werfen, was ihn zurückhält, in den meisten Fällen jedoch ist es nur eine Manifestation seines Freiheitsbedürfnisses.

Am hilfreichsten ist es, sich bei der Befragung auf die Mittel zur Erlangung der Freiheit und die konkreten Hindernisse zu konzentrieren, die dabei im Weg stehen.

In der Realität wird das nämlich ein und dasselbe sein. Sobald uns klar wird, dass der Weg zur Freiheit mit dem, was vom Erreichen der Freiheit abhält, übereinstimmt, wissen wir, dass wir das zentrale Thema gefunden haben.

Ein Beispiel ist Buteo jamaicensis, der Rotschwanzbussard, für den die Verantwortung für die Schwachen und Schutzlosen -ein generelles Vogelthema- zum übermächtigen Problem wird.

Im positiven und gesunden Zustand ist die Fähigkeit, wehrlose Menschen zu schützen und zu bestärken, die in ihrer Schwäche und Abhängigkeit Gefangenen zu befreien,

für ihn das, was ihm im Leben ein Ziel und Freiheit schenkt. Im pathologischen Zustand jedoch beginnen die Abhängigkeit und Bedürftigkeit der Schutzlosen, insbesondere die seiner Kinder und seiner Familie, die sich auf ihn verlassen, ihn einzuschränken und daran zu hindern, seine Freiheit zu finden. Die Einschränkungen scheinen bei den Vogelmitteln immer äußere Einflüsse zu sein. Es sind Dinge, die der Person von der Gesellschaft, der Familie oder vom Leben selbst auferlegt werden.

Natürlich entsprechen sie einem inneren Zustand, doch bei den Vogelmitteln wird dieser Zustand externalisiert.

Die Insektenmittel sind den Vogelmitteln äußerlich sehr ähnlich, und beide bieten einen beträchtlichen Spielraum für Irrtümer.

Doch für die Insekten ist der Zugang zur Freiheit des Himmels kein Geburtsrecht wie für die Vögel. Sie müssen sich dieses Recht erst durch Selbstveränderung erwerben, und diese Veränderung erfordert Arbeit, Mühe und Fleiß. Wie die Vögel interessiert es sie nicht sonderlich, woher sie kommen; ihre Herkunft mag in ihnen zwar den Fluchtimpuls ausgelöst haben, doch sie legt nicht den Fluchtweg fest. Die Insektenart, die der Patient braucht, wird nur durch das bestimmt, was er an sich und seiner Situation verändern muss.

Daraus kann man ersehen, dass die Insektenmittel viel mehr zur Internalisierung neigen als die Vögel. Sie haben das Gefühl, weniger an der Außenwelt als an sich selbst etwas verändern zu müssen.

Die dritte Gruppe dieses Dreigestirns sind die Drogenmittel.

Die Drogen beschäftigt viel mehr, woher sie kommen oder wohin sie gehen. Die sedierenden und narkotisierenden Drogen wollen vor allem der Einschränkung und insbesondere dem Schmerz der Erde entfliehen. Die stimulierenden und halluzinogenen Drogen zieht es in einen Himmel der Spiritualität und Verbundenheit, doch das ist ein spezifischer Zustand, kein allgemeiner. Wichtig ist bei den Drogenmitteln daher, wovor sie fliehen (Narkotika) oder was sie suchen (Halluzinogene), und das muss gemeinsam mit dem Patienten erörtert werden – hier ist solch eine Befragungslinie hilfreich.

Bei den Mitteln dieser drei Gruppen gibt es ein gewisses Verhaltensschema, nach dem der Patient auf eine jeweils spezifische Weise auf dieselbe Situation reagiert. Nehmen wir als Beispiel das Empfinden, in einer schmutzigen und abstoßenden Welt zu leben.

 

 

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