Botulinum (Botul) Anhang

 

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Biologische Gefahren II
Intoxikation Dermal (an Wundrändern mit Hautverletzungen), oral oder inhalativ möglich.
Toxizität Geschätzte LD50 für Toxintyp A bei der Maus:
0,001 μg/kg bei intravenöser, subkutaner oder intraperitonealer Verabreichung,
0,003 μg/kg bei Inhaltation.
Inkubationszeit Die Inkubationszeit variiert in Abhängigkeit vom Toxintyp und der Dosis zwischen wenigen Stunden und 10 oder mehr Tagen.
Klinik Botulismus beim Menschen wird verursacht durch die Toxintypen A, B, E und in seltenen Fällen F.
Von einer erkrankten Person geht kein Infektionsrisiko aus, da eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung ausgeschlossen werden kann.
Der klinische Verlauf ist weitgehend unabhängig von der Infektionsroute:
Akute, fieberlose Erkrankung. Bei einer oralen bzw. lebensmittel-bedingten Botulinumtoxin-Vergiftung meist unspezifische gastrointestinale Symptomatik mit Übelkeit,
Erbrechen und Durchfall. Gegebenenfalls ausgeprägte Mundtrockenheit.

In der Regel symmetrisch absteigende schlaffe Lähmung, am Kopf beginnend. Der Primär-Symptomkomplex einer Bulbärparalyse beinhaltet Diplopie (Doppelbildsehen),
Dysphagie (Schluckstörungen), Dysphonie (Stimmklangveränderungen) und Dysarthrie (Sprechstörungen).
Erste Lähmungserscheinungen treten in der Regel an den Augenmuskeln auf und führen initial zu Augenflimmern, unscharfem Sehen und Lichtscheu. Es treten Akkommodationsstörungen auf. Die Pupillen sind meist erweitert und nicht lichtreagibel.
Lähmungen im Bereich der Feinmotorik der Hand sind gekennzeichnet durch ein verändertes Schriftbild -in frühen Erkrankungsstadien kann deshalb eine Schreib- und
Leseprobe wegweisend sein.
Durch Lähmungen der Schlundmuskulatur kommt es zu einem Versagen des Hustenschutzreflexes. Dies führt in 20% der Fälle zur Aspiration von Mageninhalt und damit
zu einer schweren Schädigung der Lunge. Der Ausfall des Würgreflexes beim Berühren des Zäpfchens am Gaumen kann wegweisend sein.
Bei Lähmungen der Atemmuskulatur muss mit einer plötzlich beginnenden Ateminsuffizienz gerechnet werden.
Eine Beteiligung des Darmes führt häufig zu Verstopfung und kann ggf. auch in einem Ileus enden.
Bei zunehmender Lähmung kommt es zu einem Verlust der Kopfkontrolle, Kreislaufstörungen und einer generellen Schwäche.
Da die Toxine die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren, ist der Betroffene während des gesamten Krankheitsverlaufs bei klarem Bewusstsein.
Als Begleitsymptome können Blutdruckabfall sowie kardiovaskuläre und urologische Fehlfunktionen auftreten.
Die Muskeleigenreflexe können vorhanden, aber auch aufgehoben sein.
Lebensmittelbedingter Botulismus:
Im Vordergrund stehen die gastrointestinale Symptomatik und eine Bulbärparalyse.
Wundbotulismus:
Meist nach nicht-steriler, paravenöser Injektion in Spritzenabszesse bei Drogenabhängigen. C. botulinum vermehrt sich in kontaminierten Wunden unter Luftabschluss
und bildet das Toxin. Einzige Form des Botulismus, bei der die Erkrankung mit Fieber einhergeht (als Reaktion auf die Wundinfektion).

Inhalationsbotulismus:
Tritt natürlicherweise nicht auf. In der Literatur ist ein Zwischenfall aus einem tierexperimentellen Labor beschrieben, bei dem 3 Mitarbeiter durch Einatmen von

„Toxinstaub“ an Botulismus erkrankt sind. Auf Grund des dokumentierten späten Wirkungseintrittes könnte es sich aber auch um eine verzögerte orale Aufnahme

abgehusteten Toxins handeln.
Tierexperimentelle Untersuchungen zeigen, dass eine Aufnahme des Toxins über die Lunge möglich ist. Untersuchungen zur inhalativen Aufnahme des Toxins stammen
jedoch weitgehend aus militärischen Forschungen und sind nicht einsehbar.
Typischer Endpunkt
Bei unbehandelten Patienten tritt der Tod durch Atemlähmung ein.
Nach überstandener Erkrankung können die Patientenjahrelang an körperlicher Schwäche und Atemnot leiden.
Die Wiederherstellung der neuromuskulären Verbindungen kann viele Monate beanspruchen.
Über Therapieerfolge bei inhalativem Botulisms liegen keine Erfahrungen vor.
Immunität Ob eine Immunität entsteht, ist unklar. Aus Tierexperimenten kann abgeleitet werden, dass die toxische Dosis niedriger ist als die immunogene Dosis, d.h. höhere Dosen Botulinum-Toxoid können zwar eine Immunität erzeugen, natürliche Intoxikationen erfolgen aber mit geringen Dosen des nativen Proteins, und hier bleibt eine Immunität oft aus.
Aus der therapeutischen Anwendung von Botulinumtoxin (Botox) in der Dermatologie bzw. Neurologie ist bekannt, dass in seltenen Fällen Patienten Antikörper gegen das Botulinumtoxin bilden.

4 Bekannte Erreger – Botulismus
Folgende Differenzialdiagnosen sollten in Erwägung gezogen werden:
Lebensmittelbedingter Botulismus (durch abgeschlossene Lebensmittel: Dosen/Wurst):
Guillain-Barré-Syndrom, Lambert-Eaton-Rooke- und andere paraneoplastische Syndrome, Myasthenia gravis, allgemeine Muskelschwäche, Magnesium-Intoxikation, Hyperkalzämie, Hypokaliämie.

Inhalativer Botulismus:
Tetanus – vor allem bei Neugeborenen.
Wundbotulismus:
Andere Abszess-Ursachen (Cave: bei polytoxikomanen Patienten ist die Diagnose auf Grund des oft schlechten Allgemeinzustandes erschwert),

4.11.3 Diagnostik
Die spezielle Clostridiendiagnostik bei Botulismus setzt eine klinische Verdachtsdiagnose voraus. Neben Umweltproben und verdächtigen Speiseresten, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, können zur Diagnostik folgende klinische Untersuchungsmaterialien herangezogen werden:
Serum,
Wundabstriche (bei Wundbotulismus),
Stuhl (bei Säuglings- und lebensmittelbedingtem Botulismus),
Mageninhalt / Erbrochenes,
Bronchiallavage (bei inhalativem Botulismus),
Abstrich der nasalen Schleimhaut (bei inhalativem Botulismus).
Die Diagnostik kann in folgenden Laboratorien durchgeführt werden:
Robert Koch Institut
Zentrum für Biologische Sicherheit
ZBS 3 – Mikrobielle Toxine
Nordufer 20
13353 Berlin
Konsiliarlaboratorium für anaerobe Bakterien:
Zentrum für Infektionsmedizin
Institut für Medizinische Mikrobiologie
und Infektionsepidemiologie

Universität Leipzig
Liebigstraße 240
04103 Leipzig
Konsiliarlaboratorium für gastrointestinale Infektionen (bakte-
riell) – Nachweis von Toxinen:

Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene
Klinikum der Universität Freiburg
Hermann-Herder-Straße 11
79104 Freiburg
Konsiliarlabor für Clostridium difficile:
Institut für medizinische Mikrobiologie und Hygiene
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Hochhaus am Augustusplatz
55101 Mainz
Ggf. können auch Landeslabore für Lebensmittelsicherheit den Toxin-Nachweis erbringen.

Mit einer begründeten Verdachtsdiagnose aus klinischem Material ist methodenbedingt je nach Toxingehalt nach 8 h bis zu 5 und mehr Tagen zu rechnen.
Nach DIN 10 102 gilt eine klinische Probe als diagnostisch bestätigt, wenn entweder das Toxin im Serum, einer anderen klinischen Probe oder in Resten von verzehrten Lebensmitteln des Patienten mit dem Maus-Bioassay nachgewiesen wurde oder die Anzucht von toxinbildendem C. botulinum aus Stuhl oder einer anderen Probe gelang.
Ein Nachweis des Toxins mittels PCR zählt nach DIN 10 102 nicht, wird aber in vielen Publikationen als ausreichend angesehen. Ein wahrscheinlicher Botulismusfall liegt vor, wenn andere Fälle mit vergleichbarem klinischen Verlauf und epidemiologischem Zusammenhang auftreten (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, L84, 3.4.2002; 44). Immunologische und spektroskopische Toxinnachweise werden z. Z. weltweit etabliert, mit ihnen ist es möglich, das Toxin innerhalb von Stunden nachzuweisen.

So verfügen die CDC u.a. über einen MS-basierten Nachweis der Botulinumtoxine, das Robert Koch-Institut u. a. über Sandwich-ELISA-Systeme, die ergänzend zum

Maus-Bioassay eingesetzt werden.
von Botulinumtoxin aus klinischen und Umweltproben z.B. selbstgemachte Konserven, Honig, Säfte, geräucherter Fisch
Lebensmittelprobe Klinische Probe z.B. Serum, Blut, Stuhl, Wundabstrich (PCR, Real-time PCR, TaqMan, Lightcycler, Smartcycler)
bestätigt nach DIN 10 102 direkt (Serum) oder nach Homogenisierung (Stuhl) intraperitoneal in Mäuse,
Tod tritt nach 2–96 h ein
Beim lebensmittelassoziierten Botulismus wird das Toxin rasch aus dem Blut absorbiert (innerhalb von ca. 24 h bis 48 h), im Anschluss erscheint der Toxinnachweis aus dem Serum nicht mehr sinnvoll. Eine Serumprobe sollte möglichst sofort nach Eintreffen in der Klinik genommen werden. Zur Labordiagnostik inkl. Toxintypisierung werden

ca. 10 ml Serum benötigt. Bei Patienten mit Wundbotulismus oder Säuglingsbotulismus kommt es bis zur Entfernung der Clostridien zu einer kontinuierlichen Ausschüttung des Toxins. Solange sich der Erreger im Körper befindet, können Serumproben genommen werden und eine Antitoxingabe ist zu bedenken.
4.11.4 Therapie
Botulismus ist ein medizinischer Notfall, der bereits bei Verdacht zu einer Hospitalisierung und intensivmedizinischen Überwachung führen muss.
Bei begründetem Verdacht auf eine Intoxikation und Hinweisen auf einen schweren Verlauf (kurze Inkubationszeit, starke Symptomausprägung), sollte der Patient zum Schutz vor Aspiration sehr frühzeitig intubiert und beatmet werden. Biologische Gefahren Vor mikrobiologisch-toxikologischer Bestätigung der Diagnose sollte Antiserum verabreicht werden.
Nachfolgend sind die möglichen Therapieoptionen aufgelistet.
Antitoxin In Deutschland ist ein trivalentes „Botulismus-Antitoxin Behring“ zugelassen, wirksam gegen die Toxintypen A, B und E. In anderen Ländern ist auch ein heptavalentes Antitoxin (gegen die Typen A–G) erhältlich.
Die Antitoxingabe kann nur das Fortschreiten der Erkrankung verhindern, da bereits gebundenes Toxin nicht erreicht wird.
Die Antitoxingabe sollte nur nach vorheriger Allergietestung und Abwägung möglicher Risiken und Nebenwirkungen erfolgen.
Indikation
Begründeter Verdacht auf Botulismus.

Bei protrahierter Diagnosestellung ist eine Antitoxingabe deshalb nur sinnvoll, wenn der Verdacht auf eine weitere Toxinaufnahme über den Darm besteht.

Hinweisend kann hier eine hartnäckige Obstipation bzw. eine Verschlechterung der Erkrankung sein.
Dosierung
Dosierung: initial 2 × 250 ml Antiserum i.v., weitere Gaben sind bei stabilem klinischen Verlauf nicht notwendig.
Nebenwirkungen
Als Nebenwirkungen können auftreten: kurzzeitiger Temperaturanstieg, Hautrötung, Juckreiz, Erbrechen, Kopfschmerzen, Atem- und Kreislaufbeschwerden oder
Serumkrankheit.
Dem Antitoxinhersteller wurden für einen 10-Jahreszeitraum bei insg. 2.000 verkauften Einheiten nur 3 unerwünschte Arzneinebenwirkungen gemeldet.

Literaturdaten aus dem angelsächsischen Raum weisen jedoch auf eine Nebenwirkungsrate von ca. 9% hin.
Die Dosierungsempfehlungen des deutschen Präparates sind um ein Vielfaches höher als in der oben erwähnten angelsächsischen Studie, so dass ggf. mit einer deutlich höheren Rate an Nebenwirkungen gerechnet werden muss.
Magenspülung Zur Ausschwemmung nicht gebundenen Toxins bis zu 1 (max. 2) h nach Toxinaufnahme sinnvoll.
Da mit eingeschränkten Schutzreflexen zu rechnen ist, Magenspülung unter Intubationsbedingungen durchführen.
Laxantien Ggf. sinnvoll bei noch ausreichender Darmmotorik.
Aktivkohle Ggf. sinnvoll bei noch ausreichender Darmmotorik.
Unterstützung der Darmmotilität
Indikation: Toxinbedingte Darmatonie oder anhaltende Obstipation.
Carbachol als direktes Parasympathomimetikum.

Cerulid mit direkter Wirkung auf die glatte Muskulatur.
Acetylcholinesterasehemmer
Nur sinnvoll bei wiederkehrender Acetylcholinausschüttung.
Antibiotika Nur bei Wund- und Darmbotulismus indiziert.
Mittel der Wahl: Penicillin (nach chirurgischer Wundreinigung), zur Vermeidung eines erneuten Wachstums
von Clostridien oder der Bildung von Abszessen.

Gleichzeitige Gabe von Antitoxin sinnvoll, da durch Antibiotika-assoziierte Lyse von intraluminalem C. botulinum

die Toxinmenge erheblich und schlagartig erhöht werden kann.
Supportiv-Therapie Stabilisierung von
Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt,
Blutdruck,
Sauerstoffversorgung.
Beatmung Bei Beeinträchtigung der Atemmuskulatur frühzeitig einleiten.
Ggf. über mehrere Monate notwendig.
Bei eingeschränkter Atemtätigkeit ohne Indikation zur Beatmung ist ein intensives Atemtraining (CPAP) als Pneumonieprophylaxe sinnvoll.
Cave: Gabe von Atropin kann die Symptomatik verschlechtern.
4.11.5 Präventionsmaßnahmen
Prävention Sachgerechte Lagerung, Herstellung und Verarbeitung von Lebensmitteln, insbesondere Gemüsekonserven sowie getrocknete

oder geräucherte Fleisch- bzw. Fischprodukte.
Nähere Informationen dazu sind in einem Merkblatt des Bundesinstituts für Risikobewertung zusammengestellt
(http://www.bfr.bund.de/cm/238/hinweise_fuer_verbraucher_zum_botulismus_durch_lebensmittel.pdf).

 

 

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