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[Stefan Schmitt]

Fäkalien. Ein schmutziges Wort. In diesem Fall stammt es nicht etwa von der Straße, sondern aus Fachzeitschriften. Doch wer überträgt wem was?

10. April 2015  07:06 Uhr

Fäkaltransplantation: Fäkalien und Transplantation

Jawohl, richtig gelesen. Fäkalien. Schmutziges Wort, und es stammt nicht etwa von der Straße, sondern aus Fachzeitschriften. Es geht um Menschen, in deren Magen-Darm-Trakt etwas in Schieflage geraten ist, nämlich der Bevölkerungsmix der verschiedenen Darmbakterienarten. Gewinnt die falsche Spezies die Oberhand, werden die Mikroben von Verdauungshelfern zu Stoffwechselsaboteuren, führen zu Entzündung und Durchfall.

Man müsste die Demografie der Darmbewohner wieder ins Gleichgewicht bringen. Bloß wie? Antibiotika sind zwar häufig die Ursache der Malaise, taugen in diesen Fällen aber nicht als Abhilfe. Andere Medikamente?

Fehlanzeige. Daher übertrugen Ärzte -in einzelnen Fällen- Kranken den Darminhalt und damit auch die Verdauungsbakterien Gesunder. Eine kleine Portion genügte offenbar.

Ohne Risiko ist so eine Verpflanzung freilich nicht. In manchen Ländern ist sie gar illegal. Schließlich kann der Arzt sich nie sicher sein, was genau er da alles transplantiert. Daher arbeiten Wissenschaftler an einer Alternative: Nur ausgewählte Mikroorganismen sollen Kranken in einer künftigen Bakteriotherapie eingesetzt werden. Da ist nicht nur das Wort sauberer, sondern auch die Vorstellung: Nur Mikroben würden übertragen, ihre Umgebung nicht. 

 

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Gesundheit

[Alina Schadwinkel]

Fäkalien, die helfen

Der Körper des Menschen ist von Billionen Mikroben bevölkert. Die meisten dieser Winzlinge tummeln sich im Darm und in dessen Inhalt. Sie sind allerdings nicht bloß Verdauungshelfer, sondern beeinflussen auch Gesundheit – mitunter negativ. Die Darmflora, auch Mikrobiota genannt, kann den Körper nachweislich schädigen. Darmreizungen oder Diabetes sind mögliche Folgen.

Um sie zu behandeln, übertragen Ärzte ihren Patienten mitunter den Darminhalt gesunder Menschen.    

Fäkaltransplantation klingt nach Schmutz und Gestank. Und tatsächlich ist das medizinische Verfahren streng genommen eine ziemlich dreckige Angelegenheit.

Doch ist es der letzte Scheiß oder eine sinnvolle Methode?

Das kommt darauf an, welcher Darmtyp Sie sind - und um welches Leiden es geht. Die Darmflora des Menschen lässt sich grob in drei Gruppen einteilen.

Ausschlaggebend ist die Bakterienfamilie, die am häufigsten hier nistet: Prevotella, Bacteriodes oder Ruminucoccus.

Zehn Mikroben pro Körperzelle - da ist was los im Darm

Innerhalb der Typen sei jeder aber einzigartig, die Mikroben-Mischung letztlich so spezifisch wie ein Fingerabdruck, sagt Andreas Stallmach, Direktor der Gastroenterologie des Universitätsklinikums Jena. Nach derzeitigem Wissen tummeln sich im Darm mehr als 400 verschiedene Bakterienstämme. Insgesamt kommen damit geschätzt zehn Mikroben auf eine Körperzelle. "Dass es in all dem Gewusel mal leichte Unstimmigkeiten gibt, ist normal.

Nicht immer muss das Folgen haben", sagt Stallmach. Wohl aber, wenn es zu einem gravierenden Ungleichgewicht kommt. "Dann macht Sie die eigene Darmflora krank."

Den Beweis dafür hatte Anfang 2013 die Mikrobiologin Michelle Smith von der Washington University in St. Louis geliefert (Smith, Yatsunenko et al., 2013). Bis dahin waren Forscher davon ausgegangen, dass etwa Kwashiorkor -eine schwere Form von Eiweißunterversorgung- durch Mangelernährung verursacht würde. Doch wie Smith feststellte, bringt eine kurzfristige eiweißreiche Ernährung keine langfristige Heilung.

Ihre Analyse der Stuhlproben von 317 Zwillingspaaren aus Malawi zeigte warum: Die Mikrobiota kranker und gesunder Kinder unterscheiden sich.

Um zu belegen, dass dies der entscheidende Faktor war, übertrug Smith die Darmflora in keimfreie Mäuse. Prompt verloren die Tiere stark an Gewicht, wenn sie die Mikrobiota kranker Kinder und die in Malawi übliche Ernährung bekamen. Der naheliegende Umkehrschluss: "Eine gesunde Flora kann einen kranken Darm heilen", sagt Stallmach. Zumindest in bestimmten Fällen.

1958 hatten Ärzte erstmals eine Stuhltransplantation durchgeführt, damals, um die lebensbedrohenden Durchfallerkrankungen ausgelöst vom Keim Clostridium difficile zu behandeln – mit Erfolg (Eiseman, Silen, Bascom & Kauvar, 1958). Bekannt und geschätzt ist das Verfahren jedoch schon sehr viel länger. Bereist im vierten Jahrhundert bekamen Durchfallerkrankte in China Stuhldispensionen von Gesunden zu trinken.

Aus dem 16. Jahrhundert gibt es Berichte über eine "goldene Flüssigkeit" die verabreicht wurde – ebenfalls in China. Und in Nordafrika sollen Beduinen Kameldung als Heilmittel eingesetzt haben.

Nun erlebt die Umsiedelung von Verdauungsbakterien auch in der Schulmedizin ihr Comeback. Die Schönheit der schmutzigen Methode liegt in ihrer Einfachheit: Zunächst braucht es 50 bis 100 Gramm Stuhl eines gesunden Menschen. Der mögliche Spender wird auf übertragbare Krankheiten genau untersucht. Das kostet etwa 2.000 Euro. Ist alles in Ordnung, wird der Haufen verflüssigt, sprich mit Kochsalzlösung in einen Mixer gegeben und ordentlich durchgewalkt. Anschließend filtrieren Ärzte das Ganze, bis keine festen Partikel mehr vorliegen. "Das sieht dann aus wie Cappuccino", sagt Stallmach. Weil es aber eher ekelt, als Appetit macht, servieren die Ärzte den Trunk über eine Sonde oder einen minimalen chirurgischen Eingriff. Im Moment geht das zudem nur "direkt", doch an tiefgekühlten Stuhlspenden wird schon geforscht.

Mediziner haben die vermeintlich schmutzige Transplantation mittlerweile in Hunderten Studien weltweit erprobt; 506 sind es laut des US-Gesundheitsministeriums, 16 davon in Deutschland. Getestet wird, was möglich ist: Eine Stuhltransplantation gegen Bauchspeicheldrüsenentzündung - Probanden gesucht! Fremd-Fäkalien gegen Colitis ulcerosa - Freiwillige, bitte melden! Mit Mikroben für eine erfolgreiche Leber-Transplantation – Testpersonen erbeten!

Manche Untersuchungen haben bereits Ergebnisse geliefert. Amsterdamer Forscher etwa konnten mit dem Stuhl schlanker Spender bei stark Übergewichtigen mit erhöhtem Diabetesrisiko die Empfindlichkeit für Insulin erhöhen.

Die Behandlung könnte damit dem Leiden vorbeugen, schlussfolgern die Autoren (Vrieze et al., 2012). Und vor zwei Jahren war es Forschern erneut gelungen, Patienten von der Infektion mit C. difficile zu heilen (Van Nood et al., 2013).

Doch was genau geschieht im Darm? Wie können vergleichsweise wenig Bakterien die gesamte Darmflora ändern? "Das weiß keiner", gibt Stallmach zu. Der Erfolg aber spreche für sich. Man kann sich die kranke Darmflora wie eine Wiese voller Unkraut vorstellen. Ziel ist, das Unkraut -etwa C. difficile- zu zerstören und zu verhindern, dass es wieder sprießt. Dazu lassen sich Grassamen mit Dünger aussähen, also Probiotika wie Bifidobakterien, oder eben gleich Rollrasen auslegen - die Mikrobiota. "Das ist erwiesenermaßen hocheffektiv, schnell und bringt schönsten, gesunden Rasen", sagt der Mikroben-Gärtner.

Die Darmflora ist sensibel, unberechenbar Stallmach selbst hat bereits zahlreiche Patienten auf diese Weise behandelt. Mehrere Krankenhäuser in Deutschland führen die Transplantationen bereits durch. So gibt es für C. difficile laut dem Klinikdirektor bereits ausreichend Sicherheit, "wir sind geradezu ärztlich angewiesen, die Therapie zu nutzen". Auch weil immer mehr Menschen sich mit dem gefährlichen Keim infizieren. Sind Anfang 2000 in Deutschland 400 Menschen im Krankenhaus daran gestorben, waren es 2011 schon mehr als 4.000 Patienten. Zehnmal so viele also, zudem gilt das Bakterium heute als eine der häufigsten Krankenhauskeime. "Die Fallzahlen werden weiter steigen", sagt Stallmach.

Er weiß jedoch auch, dass die langfristige Wirkung und mögliche Nebenwirkungen von Stuhltransplantationen bislang nicht ausreichend bekannt sind. Wie sensibel, gar unberechenbar die Darmflora ist, zeigen Einzelfälle.

Eine Patientin etwa, die an einer C.-difficile-Infektion litt, hat sich die Darmflora ihrer Tochter übertragen lassen. Die Entzündung verschwand – dafür kam das Übergewicht. Sonst immer schlank mit konstantem Gewicht, nahm sie binnen weniger Wochen 15 Kilogramm zu. Die Mikroben der Tochter könnten Schuld sein, das Mädchen war fettleibig (Alang & Kelly, 2014). "Bewiesen ist der Zusammenhang aber wie so oft nicht", sagt Stallmach.

Es braucht mehr Fälle, um ein klares Bild zu bekommen. Stallmach und Kollegen anderer Kliniken speisen daher alle Infos über die Umsiedelungen in das Register MikroTrans. Dort landen alle Daten über die in Deutschland durchgeführten Mikrobiomtransfers. Nur wenn intensiv überwacht würde, lasse sich der Nutzen klären, davon sind die Ärzte überzeugt.

"Es ist ein innovatives, spannendes Forschungsfeld, mit vielen neue Möglichkeiten", sagt Stallmach. Für welche Anwendungsgebiete die Hoffnung tatsächlich begründet sei, zeige sich in den nächsten ein bis drei Jahren. Bis dahin gilt es abwarten und -manch einem mag die Lust aufs aufgeschäumte Heißgetränk vergangen sein- Tee trinken.

 

 

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