Multiple Sclerose/M.S. Anhang 3 

 

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Gesundheit

Das Nervenleiden MS gibt bis heute Rätsel auf. Eine Studie könnte erste Hinweise auf die Auslöser der Erkrankung in den Genen von Patienten gefunden haben.

Wissenschaftsmagazin Nature:

Wissenschaftler haben neue Variationen im Erbgut gefunden, die bei der Nervenerkrankung Multiple Sklerose (MS) vermutlich eine Rolle spielen. In einer Studie des International Multiple Sclerose Genetics Consortium und des Wellcome Trust Case Control Consortium untersuchten Forscher die Gene von mehr als 9.700 MS-Patienten.

Die Erbgutdaten wurden mit denen von knapp 17.400 gesunden Menschen verglichen. Die Auswertung der Daten bestätigt eine Verbindung zwischen bestimmten Körperzellen, dem Immunsystem und der Erkrankung.

"Die Studie stützt die These, dass der Multiplen Sklerose eine Autoimmunreaktion zugrunde liegt und die therapeutischen Ansätze verstärkt werden müssen, diese in den Griff zu kriegen", sagte Bernhard Hemmer vom Kompetenznetz Multiple Sklerose. Bei der Auswertung der Daten aus 15 Ländern konnten 20 bekannte Gene bestätigt werden und 29 neue Genorte identifiziert werden, die das Risiko beeinflussen, an MS zu erkranken.

Die Erbgutanalysen weisen in Richtung der T-Lymphozyten, die zu den weißen Blutkörperchen gehören. Nach Angaben von Peter Donnelly von der Universität in Oxford

in Großbritannien und seinen Kollegen scheint auch ein bestimmter Komplex von Genen bei Multiple-Sklerose-Patienten verändert zu sein.

"Viele der entdeckten Genorte spielen eine grundlegende Rolle für das Immunsystem." Es gebe zudem eine deutliche Überlappung mit Genen, die bei anderen Autoimmunkrankheiten wie Diabetes oder Rheuma eine Rolle spielen, sagte Hemmer. Die große Zahl an bekannten Genorten erlaubt nun Rückschlüsse darüber, welche Signalwege im Immunsystem von MS-Patienten besonders wichtig für die Erkrankung sind. Auch werde die These untermauert, dass der Vitamin-D-Stoffwechsel eine Funktion bei der Erkrankung habe, da zwei der gefundenen Gene für diesen von großer Bedeutung sind.

Die Ursachen für die multiple Sklerose (MS) sind noch nicht endgültig geklärt. Im Gehirn und im Rückenmark entstehen offenbar Entzündungsherde, die zu einem langsamen Abbau des Gewebes führen, das die Nerven umgibt und schützt, die Nervenscheiden. Je nachdem, welcher Nerv betroffen ist, kommt es zu Ausfällen und Problemen in den entsprechenden Körperteilen, häufig beginnen sie in den Beinen oder Armen.

Die Multiple Sklerose ist eine chronische, entzündliche Nervenerkrankung, die in Schüben verläuft. Forscher gehen davon aus, dass körpereigene Abwehrzellen die Myelinscheiden um die Nerven in Rückenmark und Gehirn schädigen, die diese eigentlich schützen sollen. Dass eine erbliche Veranlagung für die Erkrankung besteht, ist seit Längerem bekannt. Zu den Symptomen können Sehstörungen, Lähmungserscheinungen, Taubheitsgefühl, Doppelbilder und Schwindel gehören. Die Krankheitsverläufe sind sehr unterschiedlich. Die Therapien, die Ärzte heute anwenden, setzen unter anderem bei einer Beeinflussung des Immunsystems an.

"Auch wenn dies eine große Studie ist, so ist es für Gentests noch viel zu früh", sagte Hemmer. Der Direktor der Neurologischen Klinik und Poliklinik am Klinikum rechts der Isar warnt davor zu glauben, dass es schon bald möglich sein wird, entsprechende Genveränderungen, die MS begünstigen, zu prüfen. "Es gibt mit hoher Wahrscheinlichkeit noch weitere, seltene Gene, die noch nicht gefunden wurden und wichtig für die MS sind."

Hemmers Forschungsteam war ebenfalls an der Nature-Studie beteiligt.

Nach Angaben der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft sind weltweit etwa 2,5 Millionen Menschen von MS betroffen. Die Erkrankungshäufigkeit steige mit der Entfernung vom Äquator an. In Deutschland leben Hochrechnungen zufolge etwa 130.000 MS-Patienten. Frauen erkranken etwa doppelt bis dreifach so häufig wie

Männer. Die Krankheit beginnt meistens zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr.

 

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Gesundheit

Der Journalist und Autor Knud Kohr leidet an Multipler Sklerose. Das Gehen fällt ihm so schwer, dass manchmal selbst der Weg zum Supermarkt unüberwindbar scheint. Trotzdem reist er um die Welt. Wie schafft er das?

ZEIT Wissen: Herr Kohr, wie geht es Lewis und Clark?

Knud Kohr: Lewis ist kürzlich zerbrochen, leider, da musste auch Clark ausgetauscht werden.

 

ZEIT: Lewis und Clark waren Ihre Gehstöcke.

Kohr: Ja. Ich hatte meine ersten Nordic-Walking-Stöcke vor einigen Jahren wegen der Krankheit gekauft und nach den beiden amerikanischen Entdeckern benannt, die 1806 den Landweg von St. Louis bis zum Pazifik erkundet haben. Meine neuen ständigen Begleiter heißen jetzt Lewis und Clark zwei.

 

ZEIT: Im Jahr 2003 begann Ihre Erkrankung. Sie konnten plötzlich das rechte Bein nur noch wenige Zentimeter heben, Untersuchungen ergaben anschließend, dass Sie an Multipler Sklerose erkrankt sind.

Kohr: Ich war damals 37 Jahre alt. Die Diagnose änderte mit einem Schlag alles.

Draußen vor der Arztpraxis setzte ich mich auf eine Treppenstufe. Die nächste Stunde saß ich zwischen den Hochhäusern am Potsdamer Platz und versuchte den Blicken der vorbeispazierenden Passanten auszuweichen.

Ich gehörte nicht mehr zu ihnen. Das war mein erstes Gefühl, nachdem ich aus der Arztpraxis geflüchtet war. Ich gehörte nicht mehr zur übrigen Welt.

Auszug aus dem Buch "500 Meter: Trotz Multipler Sklerose um die Welt" von Knud Kohr

 

ZEIT: Für die meisten Multiple-Sklerose-Kranken ist selbst das Einkaufen eine Anstrengung. Sie dagegen haben seit der Diagnose fast ein Dutzend Reisen unternommen, haben das Death Valley durchquert und sind in Island über Lavafelder gelaufen. Wie ist das möglich?

Kohr: Auch mir erscheint die nächste Querstraße von meiner Berliner Wohnung aus heute an schlechten Tagen so weit weg wie damals das andere Ende der Stadt. Ich würde einiges dafür geben, um meine Gehfähigkeit wieder zurückzubekommen. Die Krankheit schränkt mich im Alltag ein, und sie drückt auf mein Leben. Doch das hat mich von Anfang an auch angestachelt, trotzig gemacht. Ich wollte die Welt sehen, solange es noch geht.

Also reiste ich, noch bevor der erste Schub abgeklungen war, nach Kanada. Die Probleme fingen schon am Flughafen an, als mich eine alte Dame fragte, ob ich ihre kleine Tasche tragen würde.

Das alte, mit Lederflicken verzierte Ding war wesentlich schwerer, als es aussah. Ich setzte es noch mal ab und holte ein wenig Schwung. Wuchtete es vom Boden hoch und beförderte es mit einem kleinen Halbkreis durch die Luft Richtung Gepäckwagen. Dabei verlor ich das Gleichgewicht. Die Tasche polterte zurück auf den Teppich und riss mich mit. Mein rechter Fuß suchte Halt und hakte dabei hinter dem linken ein. Ich fiel direkt vor der alten Dame auf die Knie.

 

ZEIT: Sie erfuhren bald, dass die Erkrankung sich nach dem ersten Schub nun langsam weiter ausbreiten würde. Und machten trotzdem weiter.

Kohr: Ja, ein paar Wochen später folgte eine Reise nach Mexiko. Aber ich ahnte schon, dass ich bald Gehstöcke brauchen würde. In Kanada reichte noch ein einzelner geschnitzter Stab, bald danach kaufte ich Lewis und Clark.

 

ZEIT: Die Stöcke waren nicht Ihre einzige Begleitung. Ihre Freundin und ein Fotograf waren auf vielen Ihrer Reisen auch dabei.

Kohr: Allein hätte ich es nicht geschafft. Die Beweglichkeit meiner Beine nahm immer mehr ab, und die Probleme nahmen zu. Ich musste auf immer mehr verzichten. Rannte der Fotograf in der blauen Stunde, kurz vor der Dämmerung, auf der Suche nach schönen Einstellungen und Motiven herum, konnte ich nicht mehr mitkommen. Ich blieb zurück. Aber anders als es zuerst schien, hatte das nicht nur Nachteile.

 

ZEIT: Was war gut daran?

Kohr: Meistens gab es einen Führer, und der musste ja immer bei mir bleiben. Da sitzt man dann schon mal zwei, drei Stunden zu zweit, während der Fotograf unterwegs ist. Und das führt, wenn man sich sympathisch ist, zu guten Gesprächen. Natürlich fragen die Leute gleich, was ich eigentlich habe. Wenn ich es ihnen dann erkläre, ist das immer auch ein Anlass für mein Gegenüber, um über eigene Probleme zu reden. Man kommt eher ins Gespräch über die Schwächen im Leben. Weil ich selbst mit jedem Schritt Schwäche zeige. Immer wieder versuchte man auch, mir zu helfen.

 

ZEIT: In Ihrem Buch beschreiben Sie eine kuriose Begegnung mit laotischen Schnapsbrennerinnen.

Kohr: Wir waren mit einem Boot auf dem Mekong unterwegs, und es gibt dort keine Häfen, oft noch nicht einmal einen Anlegesteg. Da wird die Gangway häufig einfach in die steile Böschung gerammt, und man muss sehen, wie man hochkommt. An einem Tag hatte es stundenlang geregnet, und als wir mal wieder an einer glitschigen Böschung anlegten, an einem kleinen Dorf, in dem Schnaps hergestellt wird, sagte ich zu den anderen, dass ich auf dem Boot bliebe.

Am Ufer tat sich etwas. Auf dem matschigen Weg am Waldrand erschien eine Gruppe Frauen. Ein halbes Dutzend ungefähr. Nicht mehr jung und, wie es von hier schien, auch nicht mehr ganz nüchtern. Wenige Momente danach johlten die Frauen die Treppe hinauf. Bevor ich auch nur etwas sagen oder gar aufstehen konnte, war ich von ihnen umringt. Unter lautem Gelächter und zahllosen Verbeugungen sangen sie mir ein Lied, während die Anführerin Blumen auf den Tisch stellte.

Sie haben für mich gesungen und die Götter gebeten, mein Bein wieder gesund zu machen. Und sie haben einen Blumenpokal dagelassen, so groß wie eine dreistöckige Hochzeitstorte, eine Opfergabe an ihre Götter. Andere Kulturen gehen anders mit Krankheiten um als wir.

 

ZEIT: Konnten Sie auf Ihren Reisen etwas für sich mitnehmen, was Ihnen geholfen hat?

Kohr: Habe interessante neue Sichtweisen kennengelernt. Ein Maori in Neuseeland zum Beispiel sagte mir im Gespräch, dass die Krankheit mich ehren würde, weil sie mich besonders mache: Die Götter hätten mich erwählt.

 

ZEIT: Ein tröstlicher Gedanke…

Kohr: Es geht noch nicht einmal um dogmatische Wahrheiten, an die man glauben muss, um Halt zu finden. Aber man wird offener. Die Reisen haben gezeigt: Die westliche Herangehensweise ist nicht die einzig mögliche.

Gerade beim psychischen Umgang mit der Krankheit habe ich viel gelernt, was mir heute jeden Tag hilft, das Leiden in Schach zu halten.

 

ZEIT: Zum Beispiel?

Kohr: Die Krankheit betrifft nicht nur meine Beine, ich verarbeite zum Beispiel auch Reize langsamer als früher. In einer vollen Fußgängerzone bleibe ich manchmal stehen, weil es einfach zu viel ist. Auch ein Streit oder Kaffee verstärkt die Symptome. Ich kann mich ein Stück weit schützen, indem ich jeden Tag ein paar Minuten in mich gehe und überlege: Wie willst du deinen Tag gestalten, dass du so bist, wie du möchtest, aber dass du nicht dauernd in Stress gerätst, den du dann wieder mit deiner Gehfähigkeit bezahlen musst? Vielleicht lässt es sich mit dem Begriff Meditation am besten beschreiben.

 

ZEIT: Haben Sie Hoffnung, einmal geheilt zu werden ?

Kohr: Zu wenig, um mich daran zu klammern, aber genug, um eine Heilung nicht ganz auszuschließen. Die derzeitigen Medikamente sind allerdings bei meiner Form von Multipler Sklerose nicht sehr effektiv. Und sie haben viele Nebenwirkungen wie Depressionszustände und die Gefahr von Infektionen. Ich habe mich dagegen entschieden und probiere andere Dinge aus. Einige Zeitlang hatte ich es mit traditioneller chinesischer Medizin versucht. Aber ich habe Kontakt zu den Forschungsabteilungen großer Pharmafirmen. Wenn es einen Durchbruch gibt, bekomme ich das schnell mit.

 

ZEIT: Sie standen auch schon einmal im wahrsten Sinne des Wortes vor dem Abgrund, nämlich auf dem »101 Tower« in Taipeh.

Kohr: Da war mir einmal alles zu viel. Ich war ein paar Meter davon entfernt zu springen. Auch wenn ein paar Meter für mich manchmal verdammt weit sind.

Im damals höchsten Gebäude der Welt hatte mich eine hüfthohe Wand von einem Dutzende Meter tiefen Lichthof getrennt. Auf der anderen Seite befand sich unter mir ein tonnenschweres Gewicht, das die Erdstöße auspendelte, denen der Tower jeden Tag ausgesetzt war. Warum nicht runterspringen, hatte es in meinem Kopf gepocht?

Warum nicht ein paar Meter fliegen, statt immer nur zu humpeln und zu straucheln? Doch je brennender dieser Gedanke geworden war, desto schwerer wurden meine Beine. Alle anderen hatten einen Mann gesehen, der sich mit verkrampftem Gesicht an der Mauer festhielt. Die MS wusste, wie es wirklich war.

Ich dachte in diesem Moment darüber nach: Bist du bereit, die nächsten Jahre – vielleicht Jahrzehnte, es können ja noch 30, 40 Jahre werden – bist du bereit, so durch die Welt zu gehen, in dem Wissen, dass es nicht besser wird, sondern eher schwieriger? Eine Frage, die in meiner Situation irgendwann aufkommt. Ich habe sie da oben beantwortet, absurderweise mithilfe meiner Krankheit. Danach kamen mir nie wieder Selbstmordgedanken.

 

ZEIT: Gab es einen Moment, an dem Sie die Reisen abgeschlossen hatten? Ein Gefühl, dass Sie jetzt alles gesehen und geschafft haben, was Sie sich vorgenommen haben?

Kohr: Ein Gefühl der Zufriedenheit stellte sich häufig ein. Mit jedem Erfolg. Die Krankheit ist stark und beeinflusst unser Leben in jeder Minute, bei jedem Schritt.

Aber sie ist nicht stark genug, uns dazu zu zwingen, unsere Ziele aufzugeben. Ich wusste, ich konnte nur noch 500 Meter weit gehen, doch das reichte mir, um die Welt zu sehen. Wirklich »fertig« bin ich auch heute noch nicht. Aber die Reisen sind nicht mehr Punkte auf einer Liste, hinter die ich Häkchen setzen möchte. Mein Zustand hat sich etwas verschlechtert, aber er ist sechs Jahre nach der Diagnose besser als erwartet. Da ändert sich die Zielsetzung langsam. Ich stelle mir jeden Tag zunehmend Qualitätsfragen. Nicht: Was ist ein erfolgreicher Tag? Sondern: Was wäre schön für mich? Wo würde ich mich wohlfühlen?

 

ZEIT: Können Sie der Krankheit auch etwas Positives abgewinnen?

Kohr: So seltsam es klingt: Die Krankheit hat mich auch in Bewegung gesetzt. Ich hätte ohne sie niemals so viele Reisen unternommen. Und wenn ich heute etwas machen möchte, dann fange ich an, es anzuschieben - oder ich verwerfe es sofort. Ein Freund, er ist Musiker, sagt jedes Jahr, er nehme nächstes Jahr eine neue CD auf. Nach dem dritten Jahr habe ich gesagt: Willst du es machen, wenn du tot bist? Da gab es Streit. Aber weil ich sehr langsam über die Straße komme oder eine Treppe mir sehr hoch erscheint, sind mir meine Grenzen jeden Tag unangenehm klar. Da mahnt jemand im Kopf: Warum willst du morgen anfangen? Und das ist ein Gewinn.

 

ZEIT : Konnten Sie auf Ihren Reisen etwas für sich mitnehmen, was Ihnen geholfen hat?

Kohr: Ich habe interessante neue Sichtweisen kennengelernt. Ein Maori in Neuseeland zum Beispiel sagte mir im Gespräch, dass die Krankheit mich ehren würde, weil sie mich besonders mache: Die Götter hätten mich erwählt.

 

ZEIT : Ein tröstlicher Gedanke…

Kohr: Es geht noch nicht einmal um dogmatische Wahrheiten, an die man glauben muss, um Halt zu finden. Aber man wird offener. Die Reisen haben gezeigt: Die westliche Herangehensweise ist nicht die einzig mögliche. Gerade beim psychischen Umgang mit der Krankheit habe ich viel gelernt, was mir heute jeden Tag hilft, das Leiden in Schach zu halten.

 

ZEIT : Zum Beispiel?

Kohr: Die Krankheit betrifft nicht nur meine Beine, ich verarbeite zum Beispiel auch Reize langsamer als früher. In einer vollen Fußgängerzone bleibe ich manchmal stehen, weil es einfach zu viel ist. Auch ein Streit oder Kaffee verstärkt die Symptome. Ich kann mich ein Stück weit schützen, indem ich jeden Tag ein paar Minuten in mich gehe

und überlege: Wie willst du deinen Tag gestalten, dass du so bist, wie du möchtest, aber dass du nicht dauernd in Stress gerätst, den du dann wieder mit deiner Gehfähigkeit bezahlen musst? Vielleicht lässt es sich mit dem Begriff Meditation am besten beschreiben.

 

ZEIT : Haben Sie Hoffnung, einmal geheilt zu werden ?

Kohr: Zu wenig, um mich daran zu klammern, aber genug, um eine Heilung nicht ganz auszuschließen. Die derzeitigen Medikamente sind allerdings bei meiner Form von Multipler Sklerose nicht sehr effektiv. Und sie haben viele Nebenwirkungen wie Depressionszustände und die Gefahr von Infektionen. Ich habe mich dagegen entschieden und probiere andere Dinge aus. Einige Zeitlang hatte ich es mit traditioneller chinesischer Medizin versucht. Aber ich habe Kontakt zu den Forschungsabteilungen großer Pharmafirmen. Wenn es einen Durchbruch gibt, bekomme ich das schnell mit.

 

ZEIT : Sie standen auch schon einmal im wahrsten Sinne des Wortes vor dem Abgrund, nämlich auf dem »101 Tower« in Taipeh.

Kohr: Da war mir einmal alles zu viel. Ich war ein paar Meter davon entfernt zu springen. Auch wenn ein paar Meter für mich manchmal verdammt weit sind.

Im damals höchsten Gebäude der Welt hatte mich eine hüfthohe Wand von einem Dutzende Meter tiefen Lichthof getrennt. Auf der anderen Seite befand sich unter mir ein tonnenschweres Gewicht, das die Erdstöße auspendelte, denen der Tower jeden Tag ausgesetzt war. Warum nicht runterspringen, hatte es in meinem Kopf gepocht? Warum nicht ein paar Meter fliegen, statt immer nur zu humpeln und zu straucheln? Doch je brennender dieser Gedanke geworden war, desto schwerer wurden meine Beine. Alle anderen hatten einen Mann gesehen, der sich mit verkrampftem Gesicht an der Mauer festhielt. Die MS wusste, wie es wirklich war.

Ich dachte in diesem Moment darüber nach: Bist du bereit, die nächsten Jahre -vielleicht Jahrzehnte, es können ja noch 30, 40 Jahre werden- bist du bereit, so durch die Welt zu gehen, in dem Wissen, dass es nicht besser wird, sondern eher schwieriger? Eine Frage, die in meiner Situation irgendwann aufkommt. Ich habe sie da oben beantwortet, absurderweise mithilfe meiner Krankheit. Danach kamen mir nie wieder Selbstmordgedanken.

 

ZEIT : Gab es einen Moment, an dem Sie die Reisen abgeschlossen hatten? Ein Gefühl, dass Sie jetzt alles gesehen und geschafft haben, was Sie sich vorgenommen haben?

Kohr: Ein Gefühl der Zufriedenheit stellte sich häufig ein. Mit jedem Erfolg.

Die Krankheit ist stark und beeinflusst unser Leben in jeder Minute, bei jedem Schritt. Aber sie ist nicht stark genug, uns dazu zu zwingen, unsere Ziele aufzugeben. Ich wusste, ich konnte nur noch 500 Meter weit gehen, doch das reichte mir, um die Welt zu sehen.

Wirklich »fertig« bin ich auch heute noch nicht. Aber die Reisen sind nicht mehr Punkte auf einer Liste, hinter die ich Häkchen setzen möchte. Mein Zustand hat sich etwas verschlechtert, aber er ist sechs Jahre nach der Diagnose besser als erwartet. Da ändert sich die Zielsetzung langsam. Ich stelle mir jeden Tag zunehmend Qualitätsfragen. Nicht: Was ist ein erfolgreicher Tag? Sondern: Was wäre schön für mich? Wo würde ich mich wohlfühlen?

 

ZEIT : Können Sie der Krankheit auch etwas Positives abgewinnen?

Kohr: So seltsam es klingt: Die Krankheit hat mich auch in Bewegung gesetzt. Ich hätte ohne sie niemals so viele Reisen unternommen. Und wenn ich heute etwas machen möchte, dann fange ich an, es anzuschieben – oder ich verwerfe es sofort. Ein Freund, er ist Musiker, sagt jedes Jahr, er nehme nächstes Jahr eine neue CD auf. Nach dem dritten Jahr habe ich gesagt: Willst du es machen, wenn du tot bist? Da gab es Streit. Aber weil ich sehr langsam über die Straße komme oder eine Treppe mir sehr hoch erscheint, sind mir meine Grenzen jeden Tag unangenehm klar. Da mahnt jemand im Kopf: Warum willst du morgen anfangen? Und das ist ein Gewinn.

 

21.12.2010 um 8:27 Uhr (und was ist mit den Frauen?)

 

MS und erfüllte Sexualität

Viele Patienten mit Multipler Sklerose (MS) leiden auch unter Sexualstörungen. Mit dem Fortschreiten der Erkrankung treten immer häufiger Probleme beim Sex auf.

Doch dies ist bei den Patienten mit MS meist ein Tabuthema. Selbst Ärzte sprechen ihre MS-Patienten sehr selten auf diese Sexualstörungen an.

Bei männlichen MS-Patienten treten sehr häufig folgende Störungen der Sexualfunktion auf: Erektile Dysfunktion (Impotenz), Ejakulationsschwierigkeiten sowie Probleme überhaupt einen Orgasmus zu erreichen. Diese Sexualstörungen sind meist die Folgen von Nervenschädigungen.

Durch diese, auch von dem Arzt nur selten angesprochene Begleiterkrankung von MS, leidet die Lebensqualität der Betroffenen sehr. Zur Behandlung der Erektilen Dysfunktion bei Männern empfehlen Fachärzte meist PDE-5-Hemmer.

Mein Rat: Die Sexualstörungen von MS-Patienten kommen bei den Arztgesprächen nur selten an den Tag. Doch diese Sexualstörungen haben einen großen Einfluss auf die Lebensqualität der Betroffenen. Für Männer stehen zur Behebung von Erektionsstörungen neben den bekannten PDE-5-Hemmer aber auch die Schwellkörper-Injektions-Therapie, Muse sowie die Vakuumerektionshilfen zur Verfügung.

    Mit den besten Wünschen für eine erfüllte Sexualität

    Ihr Dr. Ralf Hettich

 

 

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