Der systemische Ansatz in der Klassischen Homöopathie
„Feld der Ähnlichkeiten“
Dr Farokh Master Group Study Of
Remedies.
Die Empfindungen in der Homöopathie Methode nach Rajan Sankaran
Die Grundidee dieser Methode
§ 11 (Organon der Heilkunst, F.S.Hahnemann)1
Wenn der Mensch erkrankt, so ist ursprünglich nur diese geistartige, in seinem Organism überall anwesende, selbstthätige Lebenskraft durch den, dem Leben feindlichen, dynamischen Einfluß eines krankmachenden Agens verstimmt; nur das zu einer solchen Innormalität verstimmte Lebensprincip, kann dem Organism die widrigen Empfindungen verleihen und ihn so zu regelwidrigen Thätigkeiten bestimmen, die wir Krankheit nennen,
denn dieses, an sich unsichtbare und bloß an seinen Wirkungen im Organism erkennbare Kraftwesen, giebt seine krankhafte Verstimmung nur durch Aeußerung von Krankheit in Gefühlen und Thätigkeiten, (die
einzige, den Sinnen des Beobachters und Heilkünstlers zugekehrte Seite des Organisms), das ist, durch Krankheits-Symptomen zu erkennen und kann sie nicht anders zu erkennen geben.
Hahnemanns Organon der Heilkunst (1810) bildet die Basis, das Fundament der Klassischen Homöopathie. Die damalige Sprache, die alte Rechtschreibung sind gewiss eine Herausforderung für den Leser der heutigen Zeit.
So ist es vielleicht auch zu erklären, dass man immer wieder, beim genauen Studieren dieses Werkes, auf Ausdrücke stößt, die uns in unserer heutigen Sprache nicht so geläufig sind, o. die eine andere Bedeutung bekommen haben. Vor etwa sieben Jahren begann sich der indische Homöopath Rajan Sankaran, dessen Name seit langem für herausragende Arbeit im Bereich der Klassischen Homöopathie steht, mit dem Ausdruck der Empfindungen auseinanderzusetzen.
In § 11 des Organon schreibt Hahnemann, dass eine Störung der Lebenskraft dem Organismus widrige Empfindungen verleiht, deren Auswirkungen wir Krankheit nennen.
Die Störung der Lebenskraft ist also die ursprüngliche Ursache der Krankheit.
1 Organon der Heilkunst, F.S.Hahnemann
Die erste Reaktion des Organismus ist eine widrige Empfindung. Was aber meint Hahnemann mit dieser widrigen Empfindung?
Genau dieser Frage ist Sankaran nachgegangen. Dazu gibt es vor allem drei Überlegungen,
- was genau sind Empfindungen im Sinne Hahnemanns?
- wie kann man die Empfindungen des Patienten herausfinden?
- die vitale Empfindung ist die Ebene der Arznei!
Das bedeutet für Sankaran, wenn es gelingt, die Empfindung des Patienten zu erkennen, erkennt man auch die zentrale Idee des Falles und das wiederum bringt uns direkt zur Arznei.
Um diesen Empfindungen (Delusions) des Patienten in der Anamnese zu begegnen, bedient sich Sankaran des hypnotherapeutischen Ansatzes nach Milton Erickson - näheres dazu aber später.
Empfindungen im Sinne Hahnemanns
Hahnemann spricht von den widrigen Empfindungen, also von denen, die von der Norm abweichen, von denen, die der Mensch vorher noch nicht hatte.
Er nennt diese Empfindungen vor allem „Wahnideen“. Die Rubrik der „Wahnideen“ ist eine der größten im Repertorium (Symptomenverzeichnis). In der englischen Literatur (vor allem Kent) finden wir den treffenden
Ausdruck „Delusion“. Hahnemann unterschied die „Delusions“ sehr genau von den „Emotions“, also die widrigen Empfindungen (Wahnideen) von den Gefühlen. Sankaran spricht bei den Empfindungen von den noch genauer
und tiefer beschriebenen Gefühlen.
Ein Beispiel von ihm soll helfen, diesen Ansatz zu veranschaulichen:
Eine junge Frau fühlte sich einsam (Gefühl), wie ein Flugzeug am Himmel, das die Richtung verloren hat (Empfindung, Wahnidee). Dieses Verlorenheitsgefühl ist den Magnolianae (Pflanzengattung) gemein. Es ist Ausdruck des starken Empfindens von „Fremdartigkeit“ in dieser Pflanzenfamilie. Die Frau ist verzweifelt; sie möchte, dass ihr sofort geholfen werde und dass sie von anderen Menschen die Richtung gezeigt
bekomme. Der Wunsch nach Hilfe von anderen und nach unmittelbarer Erleichterung aus Einblicke ins Pflanzenreich, Rajan Sankaran
ist typisch für das typhöse Miasma. Das Mittel des typhösen Miasmas unter den Magnolianae ist Nux-m. und dieses Mittel heilte die Patientin!
Wie aus dem Beispiel zu ersehen ist, führt das Empfinden der Verlorenheit zu der Familie der Magnolianae. Nun, diese Empfindung ist nicht irgendein oberflächliches Gefühl, sondern es kristallisierte sich im Verlauf einer
langen Anamnese als das Essentielle hinter all den mehr oberflächlichen Gefühlen heraus. Das ist einer der Gründe, warum Sankaran es als die vitale Empfindung bezeichnet. Es ist das zutiefst grundlegende Empfinden.
Sankaran entwickelte die Vorstellung, dass das Empfinden des Patienten tiefer reicht, als seine Gemüts- und Körperzustände. Es ist die grundlegende zentrale Wahnidee.
Die Empfindung zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Fall. Da es sich bei diesen Empfindungen um Energieäußerungen auf allen Ebenen (geistig, emotional, körperlich) handelt, findet sie auch in der
Körpersprache ihren Ausdruck. Es handelt sich dabei um wiederholte und signifikante Gesten, Worte zu einem zentralen Aspekt.
Diese Erkenntnisse führten zu einer neuen Dimension der Fallaufnahme.
Das System der Arzneien
Die Praxis der Homöopathie ist nicht einfach. Dies mag unter anderem daran liegen, dass die Homöopathie eine der wenigen, o. gar die einzige wissenschaftliche Disziplin ist, die in ihrer Methodik beim Spezifischen ansetzt
und nicht vom Allgemeinen zum Speziellen hinführt. Jeder Zustand eines Patienten soll mit einem Heilmittel identifiziert werden, und dies geschieht ausschließlich auf der Basis von einzelnen Symptomen.
Wenn wir nach der altbekannten klassischen Methode vorgehen, suchen wir nach den einzelnen „auffallenden, sonderbaren“ Symptomen und errechnen (repertorisieren) die richtige Arznei.
Was meiner Meinung nach fehlt, ist die Berücksichtigung der Zusammenhänge der Symptome, vielleicht könnte man sogar sagen, der systemische Ansatz. Denn jedes einzelne Symptom wirkt sich auf das andere aus, die Symptome sind Teil eines Systems.
Ein Beispiel:
Schwarz - groß - bewegt sich
Nehmen wir an, das wären die Symptome.
Einer empfindet das als Elefant, ein anderer vielleicht als Wolke, ein Dritter möglicherweise als Dampflok.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass es bei der Suche nach dem homöopathischen Arzneimittels so viele Lösungsvorschläge gibt, wie Homöopathen.
Sankaran greift dieses Thema auf und bringt eine Systematik in die Arzneien, die uns vom Allgemeinen zum Speziellen führt.
In diesem Fall würde er zunächst fragen, ob es sich um etwas Lebendiges o. um ein nicht lebendes Objekt handelt. Falls es lebt, ob es eine Pflanze, o. ein Tier ist.
Falls es ein Tier ist, ob es ein Säugetier., o. ein Kriechtier ist. Und wenn es sich um ein Säugetier handelt, beschränkt sich das Ganze bei diesen Symptomen schon auf wenige Arten.
Sankaran teilt die Arzneien nun in Pflanzen, Tiere, Mineralien und Nosoden ein.
Die Pflanzen. teilt er wieder in kleinere Systeme. Jede dieser Gruppen hat dann noch einen Zusammenhang mit einem anderen, parallelen System, nämlich den Miasmen.
Die Empfindung „Schockiert sein“ z.B. nimmt die Pflanze Nux-v. als Krise wahr und kann nicht eher ruhen, bis die Situation zurecht gerückt ist o. sich erholt hat, wie z.B. bei einem Geschäftsverlust.
Ign. aus derselben Pflanzenfamilie will nur die Kontrolle über die Situation haben.
Im Fall von Nux-v. sind Wahrnehmung und Reaktion charakteristisch für das typhöse Miasma, während sie im Fall von Ignatia typisch für das carcinogene Miasma sind.
Obwohl den Mitteln also die Empfindung gleich ist, unterscheiden sich die Reaktionsweisen voneinander.
Ausdruck der Empfindungen:
Pflanze: Ich bin ergriffen, gerührt, verärgert (die gesamte Person muss sich adaptieren). Ich reagiere auf dich.
Tier: Er (sie) ärgert mich (er, sie agiert gegen mich). Ich gegen dich.
Mineral: Mir fehlt, ich bin unfähig….(das Problem liegt bei mir) Ich bin unvollständig ohne dich.
Nosode: Fehlen der Empfindung Mit mir stimmt etwas nicht, ich muss es korrigieren.
Näher kann ich auf die einzelnen Gruppen und Arzneien im Rahmen dieser Arbeit nicht eingehen, mehr darüber ist bei „Einblicke ins Pflanzenreich, Sankaran“ nachzulesen.
Die Konzepte und Gesetzmäßigkeiten Sankarans: aus „Einblick ins Pflanzenreich“, Sankaran
Empfinden und Tun sind gleich und einander entgegengesetzt.
Der Wunsch zu töten ist der Angst getötet zu werden gleich und entgegengesetzt.
Das Gegenteil von allem Gesagten ist gleicherweise wahr. Wenn jemand Friedsamkeit sehr betont, bedeutet das, dass Gewalt auch ein Thema für ihn ist.
Wenn jemand erklärt, dass er keine Angst hat, bedeutet das, dass er ziemlich sicher Angst hat.
Es gibt niemanden und nichts anderes draußen außer mir selbst.
Man kann nur das wahrnehmen, worauf man sensibilisiert ist. Wer also bestimmte Qualitäten wahrnimmt, tut es, weil er für sie sensibel ist. Nehmen wir an, jemand fühlt
von einem anderen beleidigt worden zu sein. Dieser Mensch kann Beleidigung nur wahrnehmen, weil er empfindlich dafür ist, beleidigt zu werden.
Alles, was einem am anderen stört und wofür man sie kritisiert, ist Teil des eigenen Selbst.
Ein Beispiel Sankarans aufgrund dieses Konzeptes:
Eine 40jährige Frau suchte mich wegen Colitis ulcerosa (chronische Darmentzündung) auf. Das Problem hatte mit dem Tod ihres Mannes begonnen. Ich fragte sie danach, wie ihr Leben mit ihrem Ehemann gewesen
war. Sie erwiderte, dass es die „reine Hölle“ gewesen war. Sie beschrieb ihren Gatten als einen misstrauischen, besitzergreifenden, gewalttätigen und verrückten Menschen. Wenn sie sich mit einem anderen Mann
unterhielt, sei er vor Eifersucht immer wahnsinnig gewesen. Nachdem ich also von ihr eine ganz genaue Beschreibung ihres Mannes erhalten hatte, verschrieb ich ihr mit Erfolg das Mittel Hyoscyamus. Ich hatte
verstanden, dass sie unter ihrem Mann deshalb so sehr gelitten hatte, weil sie selbst in Bezug auf Eifersucht und Besitzanspruch empfindlich war und dass sich dies in der Beschreibung ihres Mannes widergespiegelt hatte. Sie nahm nur das Eine an ihm wahr, das wofür sie sensibel war und deshalb wahrnehmen konnte.
Opfer und Täter sind die beiden Seiten eines Zustandes. Im Opfer ist der Täter angelegt und umgekehrt.
Wie schnell ist die aufopfernde Frau, die alles nimmt, alles einsteckt, alles schluckt selbst in ihrer Art Täter! Nämlich, indem sie als Täter in ihrem Mann das schlechte Gewissen schürt und die Schuldgefühle.
„Die Opferrolle ist die raffinierteste Form der Rache“, Bert Hellinger.
Ein neuer Ansatz zur Fallaufnahme:
All diese Erkenntnisse, vor allem aber die Idee, dass nur die vitale Empfindung zur Arznei führt, ließ Sankaran die klassische Methode der homöopathischen Anamnese stark überdenken. Er ging also davon aus, dass der
zentrale Zustand, der zur Arznei führt, nicht nur eine Emotion, ein Gefühl ist, sondern, dass er dieses gemeinsame Empfinden ist, das Gemüt5 und Körper miteinander verbindet. Er nennt es das „vitale Empfinden“, das
tiefer reicht, als Körper und Gemüt. Doch welche Ebene reicht tiefer als Gemüt und Körper? Es ist die Ebene des Vitalen. Diese Ebene führt uns noch ein Stück hinter die Gemütssymptome.
Dazu wieder ein Beispiel von Sankaran: aus „Einblick ins Pflanzenreich“, Sankaran
Jemand sagt, dass er Eifersucht und Misstrauen spürt. Er hat vielleicht das Gefühl, dass er angegriffen werde und hat deshalb Angst. Auf diese Weise kann hinter dem Gemütssymptom eine emotionale Situation erfasst werden - was schon recht gut ist, aber wenn man es noch einen Schritt weiter bringen möchte, dann muss der Patient gefragt werden, wie er den Angriff erlebt. An diesem Punkt kommt man zum Schnittpunkt, wo
Körper und Gemüt sich treffen. Hier wird vielleicht geäußert, dass es sich wie ein Zerbrechen o. ein Verbrennen o. ein Verbiegen anfühle. Das ist der Treffpunkt (das vitale Empfinden) von Körper und Gemüt. Hier beschreibt der Patient seine emotionalen und körperlichen Symptome mit den gleichen Worten und Gesten! Dies ist eine sehr tiefe Ebene, und wenn man diesen Punkt erreicht, dann besteht die größte Chance auf Therapieerfolg und damit Heilung.
Mit diesem neuen Verständnis nimmt man nicht nur mehr die Worte des Patienten wahr, sondern auch ganz besonders seine Körpersprache. Auf dieser Ebene werden beide gleichermaßen ausgedrückt.
Die Bedeutung der Hauptbeschwerde:
Sankaran entdeckte, dass es primär gar nicht mehr so relevant ist, die einzelnen Symptome zusammenhanglos zu hören und aufzuschreiben, sondern dass man ganz einfach mit der Hauptbeschwerde beginnt und sich systematisch zu den tieferen Ebenen, Schicht für Schicht durchfragt. Diese Fragetechnik, auf die ich dann später noch sehr genau eingehen werde, weil sie der Schwerpunkt dieses Kapitels sein soll, wird in Fachkreisen
mit der Erickson’schen Hypnotherapie verglichen. Ob sich Sankaran bewusst dieser Methode bediente, o. ob ihn seine Intuition, gekoppelt mit seinem großartigen fundierten Wissen und seiner jahrzehntelangen
Erfahrung dorthin gebracht hat, weiß man nach meinen Informationen nicht.
Die Hauptbeschwerde stellt die Kristallisation des vitalen Empfindens dar. Sie ist deshalb der beste Ort, das Vitalempfinden aufzuspüren. Sie ist die Quelle, an der alle vitalen Phänomene sich in ihrer Urform ausdrücken.
Ich betone die Hauptbeschwerde als Schwerpunkt deshalb so stark, weil man bisher eher versuchte, hinter diese Beschwerde zu schauen. Dadurch kamen die Patienten während der Anamnese oft ganz weg von ihrer Hauptbeschwerde, vom Hundertsten ins Tausendste sozusagen! Das Wesentliche ging verloren. Die Interventionen der systemischen Therapie helfen hier sehr gut, den Patienten immer wieder zum Wesentlichen zurück zu
bringen. Durch genaue Beobachtung des Patienten, Klienten kann man an seiner Körpersprache gut erkennen, was der Kern ist, und dieser ist es, der uns zur Arznei führt.
Empfindung und Reaktion:
Manchmal drückt sich das Empfinden ganz direkt aus. Manchmal drückt es sich als Reaktion aus, die immer gleich und entgegengesetzt dem Empfinden ist (daraus leitete Sankaran seine erste Gesetzmäßigkeit, siehe oben, ab).
In anderen Fällen drückt es sich als Kompensation aus. Weiters gibt es aktive und passive Reaktionen, beide sind wieder gleich und entgegengesetzt dem Empfinden.
Beispiel Sankarans: aus „Einblicke ins Pflanzenreich“
Wenn ein Empfinden des „Gefangenseins“ o. des „Festgefahrenseins“ herrscht, dann resultiert daraus als aktive Reaktion der Wunsch nach Fortbewegung, und die passive Reaktion besteht darin, unbeweglich und zur Bewegung unfähig zu sein. Die Kompensierung manifestiert sich, indem die Person immer unterwegs und in Bewegung ist.
Die Modalitäten sprechen im Wesentlichen dieselbe Sprache wie das Empfinden. Wenn das Empfinden des „Gefangenseins“ vorliegt, dann ergibt sich daraus die Modalität „Besserung durch Bewegung“. Auf diese Weise bestätigen die Modalitäten wiederum das Empfinden.
Während der Fallaufnahme achtet man darauf, wie sich das Empfinden in der Hauptbeschwerde und dann in den Träumen, Interessen, Hobbies, Ängsten usw. ausdrückt. In vielen Fällen begegnet man durchgehend demselben Empfinden (z.B. festgebunden zu sein). Das bedeutet, dass das Schlüsselthema des Patienten die Sensibilität auf Festgebundensein ist.
Wenn das Empfinden einmal offensichtlich ist, kann man sich an das Verstehen des Miasmas machen, indem man sich fragt:
(Sankaran: Miasmen = die Art, wie jemand auf seine Umwelt reagiert, sowohl körperlich, als auch emotional. Manche Menschen bekommen immer einen gelben Schnupfen, andere einen klaren, weil beide
unterschiedliche Miasmen haben, ererbt o. erworben).
„Wie reagiert der Patient auf sein Empfinden? Worin besteht sein Handeln in Erwiderung auf sein Empfinden?“
Gerät er in Panik, versucht er, das Problem zu überwinden, bleibt er eher im Problem, o. sucht er gleich die Lösung? Die Antworten darauf werden das Miasma geben und wahrscheinlich auch das Geschick des
Beraters, Homöopathen.
Hauptbeschwerde und Empfindung: „Was soll sich ändern?“ Die Hauptbeschwerde ist der beste Ort, an dem man nach dem Empfinden und dem Miasma sucht.
Wenn der Patient ein Empfinden äußert, lässt sich das meist durch die Modalitäten bestätigen. Fragt man ihn nach dem Gegenteil seines Empfindens, kommt oft spontan die Verbindung zu Bildern, Situationen, Ängsten, Metaphern…..
Wenn er die Hauptbeschwerde schildert, macht man sich Notizen vom Tempo, und von der Tiefe des Problems und von der Reaktion o. der Haltung des Patienten und davon, wie er damit umgeht. Das sind die Hinweise auf
das Miasma. Wenn das Empfinden klar ist, wird auch das Miasma offensichtlich und umgekehrt.
Wichtige Regeln dabei:
- Ich gebrauche nie ein Wort, das der Klient nicht auch selbst gebraucht.
- Ich wiederhole immer dieselben Worte, die der Klient benutzt hat und fordere ihn auf, alles weitergehend und mehr zu beschreiben, und ich frage nach seinem Gefühl, seinem Empfinden dabei.
- Ich stelle Fragen immer wieder auf unterschiedliche Weise, bis der Klient mich zur nächsten Fragestellung o. zum nächsten Schritt führt. Dieser ist dann erreicht, wenn der Klient ein weiteres Empfinden schildert,
das genauer, anschaulicher o. tief greifender als das vorangegangene ist.
Man braucht Geduld und Vertrauen zum Klienten, dann wird er in immer tiefere Ebenen vordringen.
Manchmal werden Klientin ungeduldig, wenn immer wieder dieselbe Frage kommt, weil man eben noch immer kein Empfinden hat, dann ist es besser, die Frage wieder neu zu formulieren, ein bisschen anders.
Bei dieser Art hartnäckigen und gezielten Fragens können folgende Reaktionen seitens des Klienten kommen:
* Er bringt ein Bild o. ein Beispiel. Wenn er zum Beispiel sagt, er stecke an einem gewissen Punkt fest, und man beharrt darauf, dass er das näher beschreiben soll, sagt er vielleicht, er stecke fest an einem Punkt,
als sei er in der Mitte einer Straße und ein Wagen komme geradewegs mit voller Geschwindigkeit auf ihn zu. Wie man sich in einem solchen Fall fühlen würde, das ist die Empfindung.
* Er assoziiert es mit einer anderen Situation im Leben, etwas, was er wirklich erlebt hat.
* Er erlebt das Empfinden als Furcht - dann wäre die nächste Frage: „Wann und wo erleben sie diese Furcht?“
Wenn man auf diese Weise hinter der Hauptbeschwerde „herjagt“, kann man zum zentralen Gefühl o. Empfinden gelangen. Das Problem, mit dem sich der Patient vorstellt, kann somit als Ausdruck des Vitalempfindens
gewertet werden. Die Empfindungen werden interessanterweise in den meisten Fällen durch bestimmte Gesten ausgedrückt, manchmal sogar deutlicher als durch Worte.
Diese Handbewegungen sind unbewusst, werden nicht willentlich ausgeführt und oft vom Klienten selbst gar nicht registriert. Deshalb kann man sich auf diese oft besser verlassen als auf Worte, da diese erst den Filter des Verstandes passieren und vom Klienten beeinflusst werden.
In einem Fall zum Beispiel beschrieb eine Klientin ihre Asthmaanfälle, indem sie ein Empfinden schilderte, als werde sie oben in ihrem Brustkorb stark verbogen, wie zum Ersticken gebracht o. erdrosselt. Sie brachte ein
Bild von einer Empfindung, als sei sie eine von einer Python umklammerte Beute. Später im Verlauf der Fallaufnahme sprach sie davon, dass sie verletzt sei, wenn ihr Mann sie kritisiert und beschimpft.
Als ich sie darum bat, das Gefühl genauer zu schildern, gebrauchte sie das Wort „traurig“, während ihre Hände aber gleichzeitig zum Brustkorb wanderten und sich ballten. Sie machte die gleiche Bewegung, die sie bei der Beschreibung des Gefühls von Erdrosselt - und Verbogenwerden gemacht hatte. Was sie in Worten nicht ausdrücken konnte, sagten ihre Hände, ohne, dass sie sich dessen bewusst war.
Vorgehen bei der Anamnese
Durch die systemische Fragetechnik führt man den Patienten / Klienten von einer Stufe zur nächsten, o. wie Sankaran sagt, von einem Level zum nächsten, bis hin zur Empfindung. Auf dieser Stufe erkennen wir die Arznei.
Wenn die Vitalempfindung berührt wird, drückt sich das sehr oft durch Gesten aus.
Level 1:
NAME
- beschreibt die Diagnose, zählt die Beschwerden auf. Fragen: Was ist ihr Anliegen?
Level 2:
FAKTEN
- beschreibt die Details der Beschwerde, lokale Empfindungen. Fragen: Beschreiben Sie das bitte genauer. Wann tritt es auf, wann nicht? Gibt es beschwerdefreie Zeiten? Auf Gesten achten!
Level 3:
EMOTION
Gefühle in Verbindung mit der Beschwerde
- direkt: Angst
- indirekt: ….nicht, dass ich Angst hätte…
Fragen: Erzählen Sie mir mehr von dieser Angst. Wann haben Sie dieses Gefühl schon einmal erlebt?
Level 4:
DELUSION
Intensiv erlebte Situation, Bild (!)
Fragen: Welches Bild kommt Ihnen dabei in den Sinn?
Wie haben Sie das erlebt? Bilder, Träume, Vergleiche, Vorstellungen, Metapher
Fall zur Veranschaulichung: aus „Einblicke ins Pflanzenreich“, Sankaran (Auszug aus dem Gespräch)
Patient (P): Ich habe einen lästigen Husten, vier bis sechsmal am Tag.
Homöopath (H): Beschreiben Sie den Husten bitte etwas näher.
P: Ich drehe direkt ab beim Husten, werde fast ohnmächtig, habe Atemnot, es zieht im Bauch und in der Kehle. Es ist draußen schlimmer. Der Husten kommt ganz plötzlich, besonders, wenn ich rede.
Der Patient leidet also an einem Husten mit Atemnot und Ziehen in Bauch und Kehle, Modalitäten: schlimmer im Freien, plötzlich beim Reden
Das sonderbare, auffallende Symptom nach § 153 des Organon: Abdrehen beim Husten
H: Erzählen mir mehr von diesem „Abdrehen“, bitte beschreiben Sie das genauer.
P: Es wird mir schwarz vor den Augen.
H: Was noch?
P: Es ist, als ob ich an einem Punkt feststecke.
H: „Stecke an einem Punkt fest“, was bedeutet das? Was ist das für ein Gefühl, wenn Sie an einem Punkt feststecken?
Ich benutze fast ausschließlich die Worte des Klienten (Patienten) und beharre bei dieser Frage, bis er mich zur nächsten Frage führt. Dies könnte ein Bild sein, eine Vorstellung o. eine Assoziation.
P: Es ist so, als könnte ich mich nicht bewegen.
H: Was ist das für ein Gefühl, an einem Punkt festzustecken?
P: Es ist, als sei ich in der Mitte einer Straße und ein Auto kommt mit voller Geschwindigkeit auf mich zu. So fühlt sich das an.
Das ist nun schon ein Bild, eine Metapher. Es hätte auch eine Erfahrung aus seinem Leben sein können. Es ist das Fenster in seinen Gemütszustand, eine Ebene tiefer als das rein Körperliche.
H: Wie fühlt man sich da, wenn man in der Straßenmitte ist und ein Auto mit voller Geschwindigkeit auf einen zukommt?
P: Das ist mir als Kind einmal passiert. Da habe ich dasselbe Gefühl gehabt. Da ist die Furcht, ich könnte plötzlich getötet werden, und ich kann mich deshalb nicht bewegen.
Wir setzten beim Husten, der Hauptbeschwerde an, kamen zum „Abdrehen“ (sonderbares Symptom nach § 153), zum Gefühl des Feststeckens und erreichten einen Vorfall in der Kindheit. Auf diese Art kommen wir zur Empfindung „Furcht, dass er plötzlich getötet werde“ und „vor Schreck gelähmt“. Symptome, die in der Rubrik „Wahnideen“ im Repertorium zu finden sind und uns direkt zum Mittel führen.
Jetzt können wir auch den Zusammenhang mit dem Husten entdecken. Der Husten taucht immer wieder plötzlich auf, der Patient kann nicht aus dem Haus gehen. Es wird ihm schwarz vor Augen und er steckt an einem Ort fest,
als ob man ihn töten möchte. Angst lähmt, der Husten lähmt.
Es ist das Malaria-Miasma, die Pflanzenfamilie der Solanaceae, und das Mittel ist Capsicum.
Sankarans Methode konzentriert sich also mit aller Kraft auf die Hauptbeschwerde, lässt sie nicht mehr los. Die klassische und bisher gängige Methode versucht flächendeckend in alle Lebensbereiche vorzudringen.
Alles, was in den Ausdrücken des Gefühlszustandes verpackt ist, kommt in der Hauptbeschwerde nackt zum Ausdruck. Wenn wir uns in die anderen Bereiche zu sehr verstricken, werden wir nur die entfernten unterirdischen
Beben wahrnehmen, wenn wir uns von Anfang an auf die Hauptbeschwerde konzentrieren, entdecken wir schnell den Vulkan, von dem die Erschütterungen ausgehen.
Fragenliste zum Empfinden: (angelehnt an die Hypnotherapie)
Die Worte, die dem Patienten als Spiegel wiederholt werden, sind wortwörtlich seine eigenen.
Erzählen sie mir von ihrem Problem (Hauptbeschwerde)
Wie macht es Ihnen Beschwerden?
Beschreiben Sie das bitte genauer (Wiederholung der letzten Worte des Patienten)
Wie fühlt sich das an?
Beschreiben Sie bitte dieses Gefühl näher.
Wenn Sie sagen, dass (die letzten Worte des Patienten), was genau meinen Sie damit?
Erzählen Sie mir mehr von (Worte des Patienten)
Wann fühlen Sie sich nicht so?
Was für eine Wirkung hat diese Situation auf Sie?
Was für ein Gefühl hatten Sie in dieser Situation?
Was bewirkte, dass Sie sich in dieser Situation besser fühlten?
Was verschaffte Ihnen Erleichterung?
War es schon einmal schlechter?
Welche Träume haben Sie?
Welche Gefühle haben Sie bei den Träumen?
Welches sind die anderen „schönen Orte“ wenn Sie unter Stress sind?
Beschreiben Sie das näher.
Beschreiben Sie den Ort genauer.
Was für ein Empfinden löst das bei Ihnen aus, körperlich, gefühlsmäßig?
Von all den Dingen, die Sie in Stress bringen, was setzt Ihnen am meisten zu?
Persönliche Gedanken zu dieser Methode
Die Ergebnisse dieser Methode sprechen für sich. Dr.med.univ. Willibald Neuhold aus Graz berichtet von einer Erfolgssteigerung von 50 % in seiner Praxis.
Bisher erfragte man in der Anamnese alle Symptome rund um den Patienten, mit dieser Methode kommt man rasch direkt zum Kern. Ich erlebte mehrere Live - Anamnesen von Dr. Neuhold und war vom Ergebnis
überaus beeindruckt.
Durch die systemisch orientierten Fragen und die Anlehnung an die Hypnotherapie führt man den Patienten ohne Umwege an den Kernpunkt, nämlich die Empfindung, von der Hahnemann sprach, ausgehend von den außergewöhnlichen, sonderbaren Symptomen (§153 des Organon). Man hört dabei ganz genau auf diese Symptome, hakt hier ein, wiederholt diese in den Worten des Patienten und fordert ihn dadurch
heraus, dieses Symptom immer näher zu beschreiben, vom Namen über die Fakten zu den Emotionen und schließlich zur Empfindung.
Diese Methode verbreitet sich immer mehr, wird von Dr. Neuhold auch weitergegeben.
Allerdings fiel mir auf, dass diese Methode ohne Wissen über die Grundlagen der systemischen Therapie, insbesondere der Hypnotherapie, wohl kaum zum Erfolg führen kann.
Prozessorientierte Homöopathie Methode nach Jürgen Becker (Boller Schule)
Ausgangsbasis
Die Prozessorientierte Homöopathie ist nicht eine neue Art, sondern eine Erweiterung der Klassischen Homöopathie. Die Grundbegriffe Hahnemanns bleiben unangetastet.
Ich möchte die alte Schule der Klassischen Homöopathie vergleichen mit der Psychoanalyse nach Sigmund Freud. Die Prozessorientierte Homöopathie lebt die Grundsätze der systemischen Therapie.
Während die Klassische Homöopathie, so wie die analytische Methode, sehr problemorientiert ist, nähert sich die Prozessorientierte Homöopathie dem Lösungsbild.
Beide „alten“ Methoden behalten ihre Wahrheit, aber ihre Lebendigkeit fiel wohl in einen „Dornröschenschlaf“. Wir verdanken den „alten“ großen Denkern die Grundlagen, aber die Zeit des Prinzen ist gekommen,
Dornröschen wach zu küssen.
Die Idee der Prozessorientierten Homöopathie entwickelte sich aus der praktischen Erfahrung mit Patienten. Grundlage für diese Arbeit bietet die Boller Schule und das Wirken des Leiters Jürgen Becker. Ich selbst durfte in Deutschland einige Jahre lang meine Erfahrungen auf diesem Gebiet sammeln. In Österreich ist die homöopathische Therapie ausschließlich den Ärzten vorbehalten, weshalb ich mich hier nur noch der Forschung und der Weiterentwicklung im eigenen Interesse widmen kann.
An dieser Stelle möchte ich jedoch bemerken, dass ich mit der systemischen Beratung schon während meiner Ausbildung zum Lebens- und Sozialberater vor allem bei psychischen Störungen ähnliche Erfolge verzeichnen
durfte, wie in meiner Zeit als Heilpraktiker in Deutschland mit der Klassischen Homöopathie.
Rajan Sankaran spricht mir sehr aus der Seele, wenn er sagt: „Wenn man einer Natrium - Frau ihren Lebensirrtum bewusst machen kann, benötigt sie möglicherweise das Natrium nicht mehr“.
aus Rajan Sankaran: „Das geistige Prinzip der Homöopathie“
Wir beobachteten, dass nach der Gabe des lege artis gewählten Heilmittels nicht nur eine Reaktion auf der Ebene des vorherrschenden Symptoms auftrat, sondern auch eine individuelle Veränderung, ein „Erkenntnisprozess“ einsetzte. Anfänglich drückten sich diese Veränderungen oft in Traumbildern aus, schlugen sich aber bei fortwährender Therapiezeit und wiederholten Arzneimittelgaben in klarer und direkter Form auch im Verhalten und
Denken des ganzen Menschen nieder. Im weiteren Verlauf sah man, dass diese Veränderungen entweder im Sinne eines eigenständigen Prozesses dauerhaft als Heilung blieben, o. sich, was leider öfters der Fall war, nicht auf
Dauer als ein neuer integrierter Wesenszug im Leben des Patienten niederschlugen. Zu oft verblassten diese gesünderen Eigenschaften wieder im alltäglichen Geschehen, und alte Charakterzüge schlichen sich mehr o.
weniger wieder ein.
Am auffälligsten erleben wir das im Bereich der psychischen Symptome:
Eine Frau mit Neurodermitis klagt darüber, dass sie immer missverstanden wird, sich für alle aufopfert, sich um alle sorgt, alte Verletzungen nicht vergessen kann, an altem Kummer festhält usw.
Die Arznei für sie könnte Nat-m. sein. Daraufhin verschwinden die Hautsymptome, sie fühlt sich für lange Zeit sehr wohl. Doch bald flackern ihre alten Hautsymptome wieder auf, an ihrer Unzufriedenheit hat sich nichts
verändert. Das Wesen der Arznei, das mit dem Wesen der Patientin verbunden war, hat die Symptome vorerst verschwinden lassen, es war aber scheinbar nicht in der Lage, dauerhaft verändernd auf die Patientin einzuwirken.
Der Fehler besteht nicht darin, dass die Arznei nur palliativen Charakter hatte, o. dass man die Arznei wechseln müsste, sondern darin, dass wir bei der Wirkung der richtigen Arzneien den inneren Widerstand des zu
behandelnden Menschen nicht mitberücksichtigen. Mit diesem inneren Widerstand ist nicht der fehlende Glaube an die homöopathische Heilung gemeint, sondern vielmehr die Frage, ob dieser Mensch, so wie er jetzt ist,
wirklich gesund werden möchte.
Diese Frage kann niemand so ohne weiteres mit „ja“ beantworten, denn jeder Mensch zieht aus seiner Krankheit auch einen gewissen Nutzen. Gesundheit könnte aber Selbstverantwortung bedeuten, die Schuld nicht mehr auf andere schieben können, Konsequenzen ziehen, schmerzhafte Schritte unternehmen und so weiter.
So gesehen ist Krankheit oft ganz nützlich, man spricht nicht umsonst vom Krankheitsgewinn.
Offensichtlich ist es also nötig, eine Hilfestellung zu bieten, die über die homöopathische Intervention hinausgeht. Und damit stehen wir vor dem Tor der systemischen Therapie, denn sie ermöglicht eine Veränderung in und zwischen den Systemen.
Die systemische Sichtweise der Prozessorientierten Homöopathie Das Symptom:
§11 Organon:13
Wenn der Mensch erkrank, so ist ursprünglich nur diese geistartige, in seinem Organism überall anwesende, selbstthätige Lebenskraft durch den, dem Leben feindlichen, dynamischen Einfluß eines krankmachenden
Agens verstimmt; nur das zu einer solchen Innormalität verstimmte Lebensprincip, kann dem Organism die widrigen Empfindungen verleihen und ihn so zu regelwidrigen Thätigkeiten bestimmen, die wir Krankheit
nennen, denn dieses, an sich unsichtbare und bloß an seinen Wirkungen im Organism erkennbare Kraftwesen, giebt seine krankhafte Verstimmung nur durch Aeußerung von Krankheit in Gefühlen und Thätigkeiten,
(die einzige, den Sinnen des Beobachters und Heilkünstlers zugekehrte Seite des Organism), das ist, durch Krankheits - Symptomen zu erkennen und kann sie nicht anders zu erkennen geben.
Wie also Hahnemann schon gelehrt hat, äußert sich jede Krankheit durch Zeichen und Symptome.
Die Klassische Homöopathie erhebt und sammelt also die Symptome, um ein Arzneimittel zu errechnen - einmal sehr einfach ausgedrückt.
Die Prozessorientierte Homöopathie fußt auf einer dualistischen Weltanschauung mit dem alles entscheidenden Vorgang, dass man im Einen das Ganze erlebt, sieht und erkennt. Wir, und damit meine ich uns, die Prozessorientierten Homöopathen, beschäftigen uns mit dem Vorgang des Lebendigen, das heißt einem Vorgang, der sich durch ein In-Beziehung-Treten auszeichnet. Und hier sind wir also mitten im systemischen Ansatz:
Alles Lebendige steht mit allem in Beziehung, nichts ist für sich allein zu betrachten, es herrscht in jedem Augenblick ein Aufnehmen und Abgeben, ein Fließen und Wandeln.
Diese Betrachtungsweise schließt die Begriffe Gesundheit und Krankheit als feststehende, definierbare Größen aus. Außerdem sind beide Begriffe für sich überhaupt nicht erklärbar, es sei denn, wir verstehen sie in Bezug zu einander und in einem System jemandem. Insofern sprechen wir von einem sich krank verhaltenden System und nicht von einer Krankheit, was übrigens auch die Klassische Homöopathie an sich so sieht.
Ein Virus ist also keine Krankheit, und es ist auch nicht auslösende Ursache, sondern erst dadurch, dass ein Lebewesen mit ihm in Beziehung tritt, kann - und nicht muss - es geschehen, dass sich Symptome entwickeln.
Diese Symptome sind also Ausdruck der Auseinandersetzung. Die Symptome sind demnach nichts anderes, als ein drastischer Versuch zur Herstellung von Kommunikation zwischen unserem inneren Wesen und dem für
seine Stimme noch tauben Bewusstsein.
Das, was wir Symptome nennen, sind Anzeichen einer Auseinandersetzung dieses Menschen mit einem zuerst noch unbekannten „Problem“.
Die Krankheit als eigenständiges Wesen gibt es also nicht, nur in Verbindung mit dem Lebendigen (Tote können nicht krank sein!). Man stelle sich einmal die Allergie vor, o. Krebs, auch Kopfschmerzen o. Diabetes.
Versuchen Sie sich einmal diese Krankheiten ohne den Menschen vorzustellen!
Kurios, nicht wahr?
So wird uns sicher deutlich, dass es Krankheit nur in Verbindung mit einem lebenden Organismus geben kann. Auch das Bakterium, das zwar allein lebensfähig ist, kann erst eine Krankheit auslösen, und ich meine auslösen
und nicht verursachen, wenn es mit einem anderen lebenden Organismus in Verbindung tritt! Alles ist also ein System, alles ist miteinander verbunden und beeinflusst sich.
Durch diese Entbegrifflichung fällt aber auch das kausale Denken weg, das Denken von einem Ursache - Wirkungsprinzip, von Opfer und Täter, von Gut und Böse. Dass ein kranker Mensch, als Summe der Symptome, der
von einer Arznei repräsentierten Summe der Symptome entspricht, mit ihr also insofern in einer Beziehung steht, das hat mit Kausalität nichts zu tun, sondern ist vielmehr Ausdruck eines Erschließens eines neuen Wirklichkeitszusammenhanges und Grundlage einer anderen Wahrnehmungsart.
Diese Methode entspricht dem systemisch - konstruktivistischen Prinzip, bei dem der Mensch ebenso in ein zirkuläres dynamisches Beziehungsfeld gestellt wird. Nicht mehr Personen und ihr scheinbar unabhängiges Handeln
und Reagieren stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit, sondern Systeme mit ihren jeweiligen Umwelten, Beziehungsmustern und Relationen.
Um ein Symptom entwickeln zu können, bedarf es auf der einen Seite eines „Problems“ ( Virus, psychische Irritation, Umwelteinfluss usw.) und auf der anderen Seite einer Bereitschaft o. Anlage dazu. Bei der Heilung stellt
sich die Frage, ob die Heilmethode nicht nur in der Lage ist, die Symptome zu beseitigen, sondern auch die Kraft hat, die Anlage zu beeinflussen, denn beide stehen systemisch betrachtet in Beziehung.
Die Anlage
Damit wir uns ein Bild von der Anlage machen können, bedienen wir uns zum Beispiel des alten Symbols der inneren „Tafelrunde“. In diesem Sinne besteht die „Tafelrunde“ beim Gesunden aus Teilpersönlichkeiten, die
unserem Wesenskern zu Diensten sind und auch untereinander einen offenen und liebevollen Kontakt miteinander pflegen.
Bei einem kranken Menschen bricht eine o. mehrere Teilpersönlichkeiten aus, dominiert, steht im Schatten der anderen o. wird gar ausgeschlossen o. verleugnet.
Hier finden wir besonders die systemische Sichtweise. Alle Teilpersönlichkeiten stehen in Beziehung miteinander. Sowie die systemische Therapie o. Beratung hier mit dem inneren Team arbeiten kann, arbeitet auch der Prozessorientierte Homöopath mit diesen Anteilen.
Die Zielarbeit
Bisher gibt es innerhalb der homöopathischen Therapie, genauso wie in der Schulmedizin keine Zielarbeit. Ein Patient wird wohl kaum gefragt, was sein Ziel in dieser Behandlung ist, schon gar nicht wird nach einem Auftrag
für eine Sitzung gefragt.
Mediziner, Homöopathen eingeschlossen, setzen voraus, dass das Ziel des Patienten nur die Gesundheit, bzw. die Heilung sein kann. Bei unheilbaren Fällen setzt man zumindest voraus, dass der Patient palliativ behandelt
werden will, um eine Besserung seines Zustandes zu erfahren.
Unser Verständnis von Krankheit ist bestimmt durch die jeweilige Problem- und Medikamentenorientierung. Die Ärztin fragt den Patienten: Wo fehlt es Ihnen, wo sind Ihre Beschwerden, was ist Ihr Problem? Und der Patient erzählt, wo ihn der Schuh drückt. Auch die homöopathischen Arzneimittelbilder sind ursprünglich über die Beschwerden definiert worden, die nach Einnahme der Arznei beim Gesunden aufgetreten sind.
Die systemische Arbeit ist lösungsorientiert und bemüht sich um eine Umdeutung der problemorientierten Sicht des Klienten zu einer Lösung hin. Die Krankheit ist dann nicht nur Last, sondern wird so auch zur Aufgabe.
In der lösungsorientierten homöopathischen Anamnese könnte die Frage dann lauten: Angenommen wir finden die absolut perfekte Arznei für Sie, was wird sich ändern, wie wird es dann sein?
Ich möchte hier eine kritische Hypothese äußern:
Muss denn die Heilung immer das Ziel des Patienten sein? Möglicherweise möchte der Mensch auch krank bleiben. Ich meine, jeder Mensch hat die Freiheit und das Recht, sich gegen den Prozess der Wandlung und damit der Heilung zu stellen, er hat also die Freiheit, krank bleiben zu dürfen.
An dieser Stelle sollten wir uns auch einmal fragen, was Gesundheit überhaupt heißt:
Die offizielle Definition von Gesundheit gemäß der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom 22. Juli 1946 lautet:
„Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht die bloße Abwesenheit von Krankheit o. Gebrechen“.
(„Health is a state of complete physical, mental and social well-being
and not merely the absence of disease or infirmity“.)
Gesundheit könnte man als den störungsfreien Lebensfluss in allen Zellen und Organen definieren, als ein Energiepotential ohne besondere Krankheiten, in geistiger und körperlicher Harmonie, in optimal funktionierender Reaktion und Gegenreaktion mit der Umwelt, als ein immer sich änderndes, vielfältiges Lebensgefühl mit Empfindungen der Frische, der Ausdauer, des Wohlbehagens, der Kraft und Leistungsfähigkeit, mit optimistischem Rüstungsvertrauen, geistiger Kraft und starkem Seelenleben.
Gesundheit ist nichts Starres, sondern voll Dynamik und will täglich erworben, erhalten und gesteigert sein, über Jahre und Jahrzehnte hinaus, bis ins höchste Alter. Gesundheit ist nicht Durchschnitt, sondern gesteigerte Norm
und individuelle mögliche Vollleistung, dem Lebensalter entsprechend. Sie ist sichtbar gewordener Wille, ist Willensstärke als Dauerhaftigkeit.
Demnach ist Gesundheit also ein Zustand körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens. Was das für den einzelnen Patienten bedeutet, ist also nicht so ohne weiteres erkennbar.
Ich kann mir gut vorstellen, auch in der homöopathischen, sogar einmal in der schulmedizinischen Methode, der systemischen Idee zu folgen, erst einmal genau festzustellen, hinzuhören, was der Patient eigentlich will.
Manchmal möchte ein Mensch vielleicht seine Krankheit behalten, möglicherweise einfach nur besser damit umgehen lernen. Manchmal möchte jemand vielleicht nur herausfinden, was ihm die Krankheit vermitteln will, was wahrscheinlich später unweigerlich zur Heilung, zumindest aber zur Besserung führt.
Genaue Zielarbeit ist hier, so denke ich, ein mutiger Ansatz. Nicht der Arzt sollte den Weg bestimmen, sondern der Patient. Einige Prozessorientierte Homöopathen, vor allem mit systemischer Ausbildung, wie zum Beispiel Andreas Krüger, Leiter der Samuel Hahnemannschule in Berlin, gehen diesen Weg bereits - und das mit größtem Erfolg. Er begleitet den Patienten nur dorthin, wohin dieser will, nur soweit dieser will, in seinem Tempo,
mit größter Wertschätzung auch für den Wunsch noch eine Weile krank bleiben zu dürfen.
Der Homöopath
Der Prozessorientierte Homöopath sieht sich als Teil des Systems, neben dem Patienten, seinem Umfeld und der Arznei. Er tritt als Behandler in dieses Beziehungsgeschehen ein, so wie die Arznei das tut. Er bietet sich dem Patienten als Gegenüber an. Je nach seiner eigenen Individuation bereitet er ihm schon im Vorfeld eine Atmosphäre, die auf ihn wirken wird.
Der Homöopath ist ein aufmerksamer Zuhörer und bemüht sich um eine umfangreiche Anamnese.
Anamnese bedeutet im eigentlichen Sinn „Erhebung“. Das heißt, wir versuchen etwas zu erheben, aus dem „Dunkel“ herauszuheben, es bewusst werden zu lassen.
Das ist weit mehr, als nur ein bloßes Notieren aufgezählter Symptome. Dieses Bewusstwerden ist aber ein doppelter Akt. Er soll sich sowohl beim Behandler, wie auch beim Patienten vollziehen. Außerdem sollte der
Homöopath bemüht sein, dem Patienten einen geschützten Rahmen zu schaffen, in dem er sich so geborgen und sicher fühlt, dass er bereit ist, alte Wunden aufbrechen zu lassen und sich mit seinem Schatten zu konfrontieren.
Um all das möglich werden zu lassen, bedarf es zweier Komponenten:
Erstens sollte es dem Homöopathen gelingen, seinem Patienten während der Beratung in allen Bereichen so ähnlich wie möglich zu werden.
Zweitens muss der Homöopath bereit sein, an seinem eigenen Wachstum, an seiner eigenen Bewusstwerdung ständig zu arbeiten.
Um dem Patienten ähnlich zu werden, muss der Homöopath über eine sehr reichhaltige und lebendige Wissens-, Erfahrungs- und Erlebensquelle verfügen. Das Großartige besteht darin, dass diese Quelle uns durch die
Arzneimittel selbst gegeben wird, wenn wir sie prüfen, das heißt selbst einnehmen, o. anders gesagt, uns auf eine Arzneimittelbegegnung einlassen.
Hahnemann selbst forderte die Auseinandersetzung in dieser Art schon in seinem Organon:
Organon §141
Doch bleiben diejenigen Prüfungen der reinen Wirkungen einfacher Arzneien in Veränderung des menschlichen Befindens und der künstlichen Krankheitszustände und Symptome, welche sie im gesunden Menschen erzeugen können, welche der gesunde, vorurtheillose, gewissenhafte, feinfühlige A r z t a n s i c h s i c h s e l b s t mit aller ihn hier gelehrten Vorsicht und Behutsamkeit anstellt, die vorzüglichsten. Er weiß am
gewißesten, was er an sich selbst wahrgenommen hat.
§ 142
Wie man aber selbst in Krankheiten, besonders in den chronischen, sich meist gleich bleibenden, unter den Beschwerden der ursprünglichen Krankheit einige Symptome der zum Heilen angewendeten, einfachen Arznei
ausfinden könne, ist ein Gegenstand höherer Beurtheilungskunst und bloß Meistern in der Beurtheilungskunst zu überlassen.
Was Hahnemann damit meint, sind zweierlei Dinge:
Erstens spürt man die Wirkung der Arznei am eigenen Körper und weiß genau, was der Patient meint, wenn er zum Beispiel sagt, „ich habe das Gefühl, mein Bein wäre eine Blechbüchse, gefüllt mit Treppenstangen“
(undenkbar vielleicht, aber dennoch ein Symptom).
Zweitens spricht bereits Hahnemann, insbesondere aber Prozessorientierte Homöopathen wie Andreas Krüger und Jürgen Becker (kein Anspruch der Vollständigkeit) davon, wie wesentlich es ist, die eigenen Anteile betrachtet
und erlöst zu haben.
Wenn wir uns auf die Reise der Arzneimittelbegegnungen begeben, dann können wir nicht nur die auftretenden Bilder und Visionen bestaunen, sondern dürfen diese mittels Supervision zum Beispiel für unseren
Wachstumsprozess nutzbar machen, damit wir selbst im Prozess bleiben.
Hier möchte ich darauf hinweisen, dass diese Selbsterfahrung, von der hier die Rede ist, auch eine Bedingung der Ausbildung zur Lebens- und Sozialberaterin ist. Ich sehe in dieser Ausbildung sogar einen großen Fortschritt gegenüber der Ausbildung zum Klassischen Homöopathen. Schließlich wird die Selbsterfahrung bei der LSB -Ausbildung gesetzlich gefordert, während das bei der Ausbildung zum Klassischen Homöopathen nicht der Fall ist.
Die Psychotherapeutenausbildung setzt da noch einiges mehr voraus.
Ich stelle mir da schon die Frage, ob die Homöopathen, die in Österreich nur Ärzte sein dürfen, die Selbsterfahrung und die eigene Bewusstwerdung nicht mehr brauchen. Möglicherweise nimmt das Gesetz aber auch an, dass
diese Berufsgruppe ohnehin in Eigenverantwortung für die eigene Weiterentwicklung sorgt - kann man nur hoffen!
Um den durch die Arznei eingeleiteten Prozess gut begleiten zu können, bedarf es unbedingt einer weiteren Ausbildung, zusätzlich zur Klassischen Homöopathie. Die meisten Prozessorientierten Homöopathen sind auch systemische Berater, Psychotherapeuten, Psychologen, manche sind auch Astrologen. Die größte Nähe gibt es meiner Meinung nach zur systemischen Therapieform. Im dritten Kapitel dieser Arbeit möchte ich auf die
systemische Aufstellungsarbeit in der Klassischen Homöopathie noch näher eingehen.
Es gibt im Zusammenhang mit der Selbsterfahrung noch einen weiteren Aspekt, auf den ich hinweisen möchte, auch wenn ich dazu in der gängigen Fachliteratur noch keine Publikationen gefunden habe, was natürlich nicht ausschließt, dass es dennoch Schriften darüber gibt.
Vielleicht kann ich diese Überlegungen anhand eines Beispiels am ehesten verdeutlichen:
Angenommen es kommt ein Sulfur - Patient zu einem Arsenicum - Homöopathen.
Sulfur: chaotisch, keine Strukturen, kein Ordnungsprinzip, daher schlampig, Abneigung gegen Hygiene, jedoch originell, kreativ, sozial engagiert, selbstbewusst, furchtlos.
Arsenicum album: Struktur, Ordnung, Gesetz, daher sauber, penibel, pedantisch, rechthaberisch, aber auch verläss-/pünkt-/verantwortlich, überaus ordentlich, jedoch voller Ängste um die Zukunft, um die Gesundheit.
Der Arsenicum Homöopath wird die Strukturlosigkeit des Sulfur - Patienten vielleicht als pathologisch empfinden, er könnte voraussetzen, dass der Sulfur - Patient darunter leidet und in diesem Bereich dringend Hilfe braucht.
Wenn sich der Homöopath aber seines Arsenicum - Themas bewusst ist, wird er diesen Aspekt des Klienten ganz anders beurteilen und bewerten.
Ein arsenischer Homöopath erkennt vielleicht eher die Strukturlosigkeit, die Schlamperei und das Chaos, während ein sulfurischer Homöopath wahrscheinlich eher die Originalität, die Kreativität und das soziale Engagement wahrnimmt.
Ich spreche hier also von der Neutralität, die in der LSB - Ausbildung einen wesentlichen Schwerpunkt darstellt. In der homöopathischen Therapie ist sie also meiner Meinung nach genauso unabkömmlich. In der Ausbildung
wird sie zwar erwähnt, wirklich anwendbar ist sie, so denke ich jedenfalls, erst durch Selbsterfahrung und Bewusstwerdung.
Ein Satz noch zum oben erwähnten „bewerten“:
„Bewerten“ im Sinne der homöopathischen Anamnese meint erstens das Hierarchisieren der Symptome nach § 153 des Organon und zweitens das Erkennen,
wie wichtig ist das Symptom dem Patienten. „Bewerten“ hat also in diesem Kontext nichts mit einer moralischen Bewertung zu tun, sondern mit Bedeutungsgebung.
Die Arzneimittelbegegnungen
In der Homöopathie ist uns die große Möglichkeit gegeben, die Arzneien relativ gefahrenfrei an uns selbst zu prüfen.
Wie schon erwähnt dienten diese Arzneimittelprüfungen früher hauptsächlich dem Zweck, die Arzneimittellehren zu ergänzen und zu erweitern. Heute, insbesondere in der Prozessorientierten Homöopathie treten also noch
zwei weitere hinzu, die ich schon angesprochen, jetzt noch näher darauf eingehen möchte, weil sie den systemischen Ansatz gut verdeutlichen.
Bei den Prüfungen wird die Person über das Auftreten von Einzelsymptomen hinaus auch mit charakterlichen Veränderungen konfrontiert, die ihr oftmals vorkommen, als würde ein fremdes Wesen von ihr Besitz ergreifen.
Noch während sie zum Beispiel auf eine Situation mit einem Wutausbruch reagiert, spürt sie und kann es auch bewusst wahrnehmen, dass sie eigentlich in dieser Situation sonst nicht so reagieren würde, jetzt aber diesen
Impuls nicht mehr unter Kontrolle hat.
Zunächst einmal ist man dazu geneigt, diese sonderbare Reaktion allein der Wirkung der Arznei zuzuschreiben. Aber das Mittel allein kann keine Symptome entwickeln.
Wenn es anders wäre, und eine Arznei ein Symptom von sich allein aus entwickeln könnte, dann müssten alle Menschen, die diese Arznei prüfen, dieselben Veränderungen, sowohl in ihrer Quantität wie auch in ihrer Qualität wahrnehmen. Die Realität zeigt aber, dass einige Prüfer bei manchen Arzneien gar keine Veränderungen spüren. Bei anderen Mitteln jedoch sehr heftige Erlebnisse haben.
Somit scheint es deutlich zu sein, dass eine Arznei sich ausschließlich dann zu erkennen gibt, das heißt Befindungsveränderungen bewirkt, wenn sie mit einem „fruchtbaren Boden“ in Berührung kommt, o. wie Homöopathen
zu sagen pflegen, wenn sie in Resonanz mit dem Prüfer geht. Das ist dann der Fall, wenn Ähnlichkeiten zwischen dem Prüfer und der Arznei existieren.
Der Prüfer begegnet mit seiner Gesamtheit dem Wesen des Arzneimittels. Alles, was er während dieser Arzneimittelbegegnung wahrnimmt, sind demnach Anteile seiner eigenen Struktur, die durch die Anwesenheit des Arzneimittels verstärkt o. geweckt werden.
Zunächst mag diese Einsicht befremdend wirken, wenn wir auf Strukturen stoßen, die uns erschrecken und die wir doch so gern vehement als etwas Verurteilungswürdiges bei anderen Menschen betrachtet haben.
So könnten wir zum Beispiel bei einer Arzneimittelprüfung erleben, wie wir Lust am Zerstören bekommen (Mercurius), wie wir Mitleid empfinden, wo wir sonst selbstgerecht waren (Lycopodium) o. wie wir plötzlich eine Abneigung gegen die Familie entwickeln, den eigenen Partner o. die Kinder, die uns die Freiheit scheinbar nehmen (Sepia).
Letztendlich aber beinhalten diese Begegnungen einen großen Schatz:
- wir spüren die Symptome und können sie aufschreiben
- wir erleben an uns selbst, wie sich der andere fühlt
- wir entdecken unsere inneren Anteile und damit unsere Entwicklungs- und Veränderungsmöglichkeiten
Inneres Team:
Während der Arzneimittelbegegnung werden nur Dinge auf uns zukommen o. mit uns geschehen, die wir in uns selbst als Möglichkeiten o. als Darstellungsform besitzen. Dabei ist es nicht wichtig, ob diese Strukturen in uns bereits gelöst, das heißt konstruktiv, o. ungelöst, das heißt mehr o. weniger destruktiv vorhanden sind. Strukturen, die uns wesensfremd sind, können auch durch eine Arznei nicht in uns hineinprojiziert werden. Natürlich
erscheint es viel einfacher, wenn sich ein Prüfer allein mit der Aufzählung seiner erlebten Symptome, Träume o. Verhaltensauffälligkeiten begnügt, so als ob er nur ein Werkzeug dieser Arznei gewesen sei.
Die Auseinandersetzung mit sich selbst, die durch eine Arzneimittelbegegnung in Gang kommt, wirkt hingegen manchmal beschwerlich und wenig berechenbar, ist aber letztendlich eine großartige Möglichkeit, sein inneres
Team kennen zu lernen.
Diese Intervention ist uns aus der systemisch - konstruktivistischen Persönlichkeitstheorie ja bestens bekannt. Virginia Satir nennt es „parts party“, sie ist eine der ersten, die damit arbeitete.
Gunther Schmidt nennt sie die „innere Familienkonferenz“,
Wolfgang Lenk spricht von der Arbeit mit Persönlichkeitsanteilen,
Richard Schwarz arbeitet mit der „inneren Familie“,
Helm Stirling benutzt den demokratischen Begriff des „inneren Parlaments“
Prozessorientierte Homöopath Andreas Krüger betrachtet sowohl bei sich selbst, als auch beim Klienten „die Länder der Seele“ o. auch gern „die Ritter meiner Tafelrunde“.
Wie gern stellen wir doch unsere netten und herzeigbaren Anteile, wie den „Hilfsbereiten“ o. den „Einfühlsamen“, den „Sich-Zurück-Nehmenden“ o. den „Gebenden“ ins Licht. Wie oft hingegen verstecken wir den „Neidigen“,
den „Egoisten“, den „Wütenden“ und den „Nehmenden“ im Schatten. Niemand soll bemerken, dass auch sie in mir wohnen, nicht einmal ich selbst. Seit dem der systemische Ansatz in der Homöopathie Einzug genommen hat,
wird der Homöopath immer mehr zum Schattenarbeiter. Ein interessanter Ansatz von Krüger ist hierbei die Idee, dass man nicht wie bisher nur den Phänotypus behandelt.
Das ist der Anteil, der im Licht steht, der Anteil, den der Klient dem Homöopathen, genauso wie seinem Umfeld, seinem Partner und der Arbeitskollegin präsentiert.
Krüger stellt sich die Frage, ob wir diesen Anteil wirklich noch mit einer Arznei nähren müssen, wo er doch ohnehin schon so präsent ist. Eine interessante These finde ich.
Krüger machte schon mehrmals den Versuch, die Arznei für den Genotypus auszuwählen, also den Anteil, der im Schatten steht, den der Klient nicht so einfach zeigt.
So nährt er eine Silicea-Frau, die es bei anderen gar nicht ertragen kann, wenn sie aufschneiden und angeben, mit Lycopodium, einer Arznei, die genau für diese Symptome geschaffen ist, dem Moos unter der Tanne, bei dem
der Klient das Gefühl hat „nur“ das Moos zu sein, doch jeder soll denken, er sei die Tanne. Andreas Krüger hat mit dieser Methode bereits große Erfolge, denn sie macht den Menschen bewusst, welche inneren Anteile sie unterdrücken. Verständlich, dass sich das die Anteile nicht auf Dauer gefallen lassen und sich auf allen Ebenen melden, körperlich, sowie auch psychisch.
Die Arzneimittelbilder:
Nach bisherigem Stand der homöopathischen Wissenschaft gibt es zwei Darstellungsformen von Arzneimitteln:
Die „Reine Arzneimittellehre“ zählt die Prüfungssymptome in ihrer Vollständigkeit auf.
Die anderen Arzneimittelbilder der Materia medica fassen die Prüfungssymptome einschließlich der Erfahrungen der Homöopathen mit ihren Patienten zusammen.
Diese Bilder sind lebendiger, aber natürlich auch sehr viel subjektiver, denn sie liegen oft im Auge des Betrachters.
Die Arzneimittelbilder der Prozessorientierten Homöopathie bringt nun sehr stark auch den Aspekt des gesunden Bildes mit herein. Bisher wussten wir also hauptsächlich die Krankheitssymptome. Nun kommt nach dem systemischen Modell auch der andere Blickwinkel dazu, nämlich der des gesunden Bildes, den wir gut mit Hilfe der Intervention der „Zielarbeit“ o. des „Gesundheitsbildes“ erkennen. Durch diese Methode können wir sehen,
wo der Klient hin will und welches die Arznei sein könnte, die ihn dorthin begleitet.
Die Arzneimittellehren sind demnach Bilderbücher. Sie sind vor allem der große Verdienst Friedrich Samuel Hahnemanns. Das Ähnlichkeitsprinzip kannte man, seit es Menschen gibt. Er aber lehrte uns, die Anteile
dieser Welt so geschickt zu entkleiden, dass wir das versteckte Bild dahinter erkennen können.
Die Arbeit mit „Metaphern“ bietet hier ungeahnte Möglichkeiten mit dem Klienten. Mit ihrer Hilfe, kann er hinter die Fassade schauen und das „wahre“ Bild erkennen, genauso gut ist das durch Externalisierung und anderen Methoden möglich.
Mit dem Potenzieren entriss Hahnemann der materiellen Welt die heilenden Bilder, o. besser gesagt unsere Bilder, die uns fehlen in unserer inneren Bilderwelt, die wir vergessen haben.
Hahnemann war ein Robin Hood der Medizin, ein Meisterdieb in der Galerie der Weltbilder, einer mit ritterlichem Ethos. Er stahl der Welt die Bilder, um sie dem Kranken in Form der Arznei zurückzugeben.
Die Arzneimittellehren sind die Fotoalben, die Bilderbücher. „Unsere“ Globuli, die kleinen weißen Kügelchen sind die Bilderträger. In der systemischer Aufstellungsarbeit könnte man sagen, „Globuli“ sind die so genannten
Lösungsbilder. Sie tragen diese Bilder in die Seele. Die homöopathische Arznei bringt Licht ins Dunkel, bringt Licht ins Innere des Menschen und beleuchtet dort jenes Bild, welches er, der Mensch vergessen o. in den Schatten gestellt hat.
Dieser Lichtstrahl lässt den Kranken erhellen und etwas heiler werden. Jeder Therapeut, Berater ist also ein Lichtbringer. Wie Ilja Richter ruft er: „Licht aus - Spot an“. Diesen Spot richtet er auf das vergessene Bild. Heilung
ist also auch Lichtung, Sichtung, Bildung, Ahnung, Erinnerung, Fühlung, Ehrung - Ehrung der vergessenen, verstoßenen Bilder unserer Seelenlandschaft.
Therapeuten sind Bilder-Ver-Ehrer. „Ich gebe dir die Ehre, du vergessenes, verstoßenes Bild!“
Ich darf mir an dieser Stelle erlauben, über mein persönliches Lebensbild zu erzählen:
Ich habe die Idee, dass ich nach meiner Geburt all meine inneren Anteile erst einmal hinausgeworfen habe, um sie besser betrachten zu können. Mein Lebensziel ist es, diese Anteile wieder zu integrieren. Natürlich nehme ich
so manchen Anteil nicht ganz freiwillig zurück, dafür hat aber unser Schöpfer schon gesorgt und hat diese Teile quasi magnetisch aufgeladen. Wir ziehen sie förmlich an, diese ungeliebten Anteile. Nach dem Motto „was mich
bei jemanden angeht, geht mich tatsächlich etwas an“, begegnen uns diese Teile immer wieder im Außen, in unseren Mitmenschen, am liebsten in unseren Partnern und Kindern, magnetisch so zu sagen. Wir ziehen sie an.
Oft sagen wir dann, „das passt mir jetzt aber gar nicht!“ Und tatsächlich passen uns die Teile nicht, noch nicht, weil unser inneres Gefäß, das Gefäß des Bewusstseins noch zu eng ist, deshalb passen die Teile ja
wirklich noch nicht hinein. Also prallen sie an uns ab und fallen uns vor die Füße. Je stärker das Heimweh, desto stärker die Anziehung, desto stärker die Wucht des Aufpralles, bis hin zum Schlag - zum Schicksalsschlag!
Jetzt liegen die Teile da vor unseren Füßen und behindern uns erst einmal, sie stellen sich uns in den Weg, werden zum Problem. „Problem“ leitet sich übrigens vom griechischen Wort „proballein“ ab und bedeutet „vor etwas werfen, hinwerfen“. Ein Problem ist also etwas, was uns zugeworfen wird, was uns zufällt, welch ein „Zufall“! Demnach fällt uns nichts Willkürliches zu, sondern nur das, was zurück will in unser Bewusstsein.
Leider zeigen sich diese Teile nicht immer so einfach, klar und deutlich, oft sind es nur Symbole, abgeleitet vom griechischen Wort „symballein“ - zusammenwerfen.
Das führt übrigens auf einen alten gastfreundschaftlichen Brauch zurück. Nachdem man den Abend gemeinsam verbracht hat, nahm man eine Tonscheibe und brach diese in so viele Teile, wie Gäste an dem Abend kamen.
Man nahm also etwas Ganzes und zerbrach es. Jeder ging mit seinem Teil nach Hause. Traf man sich wieder, brachte jeder seinen Teil des Ganzen mit, und man warf die Teile wieder zusammen, als Zeichen der Verbundenheit.
Die Teile zeigen sich also symbolisch. So zum Beispiel durch meine Großmutter. Wie furchtbar fand ich sie immer in ihrem ach so geschmacklosen Witz. Wie peinlich war das immer, wenn sie ganze Kegelrunden unterhielt.
Wie schrecklich, wenn sie im Urlaub barfuss durch die Stadt lief, weil eben die Schuhe scheuerten und sie dann noch nachts in fremde Häuser einstieg, weil sie sich in der Hausnummer geirrt hat.
Nein, nein, nein, dass ich so eine Oma haben muss, sie erinnerte mich irgendwie an Elfriede Ott. Alles wurde anders, als ich endlich meine Elfriede Ott integrierte. Heute hilft sie mir, wenn ich auf der Bühne stehe, wenn ich
ein Seminar halte, das, wie die Teilnehmer manchmal sagen, einem Kabarett gleicht.
Danke liebe Elfriede, dass Du Dich so hartnäckig symbolisch durch meine Oma gezeigt hast!
Heute hat er Platz, der Elfriede Ott - Anteil, weil ich mein inneres Gefäß schon ein Stück erweitert habe.
Mein Ziel ist es, weiterhin mein Bewusstsein so zu erweitern, dass meine inneren Anteile alle Platz haben und integriert werden können.
Heilung in diesem Sinne kann also auch nur Ganzwerdung bedeuten, wieder heil werden. Das bedeutet, alle Anteile wieder zu sich zu nehmen.
Eine der schönsten Interventionen zum „Teile integrieren“ aus der systemischen Therapie ist die Arbeit mit dem inneren Team.
Auch die Methode des Externalisierens macht es möglich, die Anteile, die im Schatten liegen, herauszunehmen, zu betrachten, mit ihnen zu kommunizieren, um sie dann wieder bewusst und liebevoll zu integrieren.
Die Homöopathie und Systemische Aufstellungsarbeit
Die homöopathischen Systemaufstellungen wurden etwa ab 1995 entwickelt. Vor allem in Deutschland machten viele Homöopathen systemische Ausbildungen in Aufstellungsarbeiten, vorwiegend bei Matthias Varga von
Kibéd. Auch Andreas Krüger, mein persönliches Vorbild, genoss eine sechsjährige Ausbildung bei ihm. Systemaufstellungen und Homöopathie scheint auf den ersten Blick wenig zu verbinden. Dennoch interessieren sich erstaunlich viele Systemaufsteller und Homöopathen für das jeweils andere Gebiet. Aus geeignetem Blickwinkel betrachtet, zeigen sich dann auch überraschende Ähnlichkeiten beider Methoden, und ihre Zusammenschau
eröffnet neue Möglichkeiten für Lösungen und Heilungsprozesse.
Friedrich Wiest und Matthias Varga von Kibéd veröffentlichten erstmals 2003 ein Buch zu diesem Thema23 und legten es 2005 zum zweiten Mal auf. Den 3. Teil dieser Arbeit möchte ich hauptsächlich an dieses Werk
anlehnen, ihn mit Beiträgen von Andreas Krüger bereichern und eigene Gedanken einfügen.
Auf die Strukturaufstellung an sich möchte ich hier nicht näher eingehen, weil sie den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, weshalb ich mich auf die Anwendung in Bereich der Homöopathie beschränken werde.
Die homöopathischen Systemaufstellungen verbinden methodisch dreier Aufstellungsarten:
- Familienaufstellungen
- Klientensymptomaufstellungen
- Arzneimittelbildaufstellungen und Leitsymptomaufstellungen
Familienaufstellungen:
Oft beginnen Homöopathen den Fall mit einer Familienaufstellung. Nachdem dieser Teil der Arbeit abgeschlossen ist, sammeln die anwesenden Homöopathen Ideen zu Arzneien aufgrund der Informationen, die sie durch die Aufstellung erhalten haben.
Dazu kommen Ideen zu Arzneien für den Klienten selbst, aber auch für die Familienangehörigen bzw. +/o. für die Stimmung und Symptomatik der ganzen Familie.
Neben dem Impuls, den der Patient durch die Aufstellung bekommt, erhält der Homöopath Informationen, die sich aus der Verstrickung und Identifikation mit Personen aus der Familie ergeben.
Zur bisherigen Idee der Krankheit gibt die Familienaufstellung ergänzende Akzente, die zu neuen Ideen zur Mittelfindung führen. Darüber hinaus berichten Homöopathen häufig, dass nach der Aufstellung von blockierenden Prozessabläufen in Familienaufstellungen die Patienten plötzlich wieder gut auf ein Mittel ansprechen.
Der Patient kommt also in die Praxis und schildert seine Beschwerden. Aufgrund einer eingehenden Anamnese entsteht für den Homöopathen ein bestimmtes Bild. In den Repertorien und in der Materia Medica findet der Homöopath Hinweise für die Mittelwahl. Es wird das ähnlichste Arzneimittel verordnet, das so genannte Simile.
Wir können die Eigenart eines Klienten und die Symptomatik seiner Beschwerden metaphorisch als Energiefeld ansehen. Ebenfalls können wir das Arzneimittel als Energiefeld betrachten. Im Simile begegnen sich dann zwei Energiefelder.
A) Der Patient in seinem Krankheitsbild erfährt sich als „erkannt“ in dem ihm gegenüber gestellten ähnlichen Arzneimittelbild, und das führt zur Heilung. Wir sprechen hier von Resonanzphänomenen.
B) Genauso fühlt sich der Klient bei der Aufstellung erkannt in seiner eigenen Rolle innerhalb der von ihm wahrgenommenen Dynamik in der Familie. Das führt meist zu einer emotionalen Berührtheit. Im anfänglichen Krankheitsbild und im Problembild der Aufstellung begegnen sich also zwei ähnliche Felder, und dies gibt den Heilimpuls. In diesem Sinne folgt die Arbeit mit Familienaufstellungen dem
homöopathischen Ähnlichkeitsprinzip.
Das Anfangsbild einer systemischen Aufstellung wird von den Klienten mitunter als unmittelbare, durch Externalisieren eines belastenden Erlebens gewonnene neue Ressource erfahren, kann aber auch als berührende und erschütternde Begegnung mit einer bislang nicht anerkannten Einsicht über den eigenen Lebenszusammenhang wirken.
Ebenso kann eine homöopathische Mittelgabe zu einer unmittelbaren Erleichterung führen, aber auch über das bekannte Phänomen einer kurzen Erstverschlimmerung einen Heilungsprozess einleiten.
So wie in der homöopathischen Therapie nun weitere Mittelgaben folgen können, bedient man sich auch in der Aufstellungsarbeit weiterer Interventionen, die den Klienten dem Lösungsbild näher führen sollen.
Ähnlichkeiten von Familienaufstellungen und Homöopathie:
Ähnlichkeiten Familienaufstellung Homöopathie
Annahme einer vorausgegangenen Störung aus der „Verstrickung“ Miasmen
Zugehörigkeit zur Familie durch mehrere Generationen
Heilprinzip: Ähnliches wird durch Ähnliches geheilt Anfangsbild - repräsentative Wahrnehmung im Problembild Simile
„sich erkannt fühlen“ … vom Anfangsbild …vom Mittel
Mögliche inverse Anfangswirkung Berührung und Erschütterung Erstverschlimmerung
Weitere Schritte durch… …Interventionen - Anstoß zur Änderung der Sichtweisen,
Beudeutungsgebungen
…Arzneimittelgaben
Kleine Dosen Eine o. wenige Sitzungen Einmalige Gaben, potenzierte Arzneien
Große und lang anhaltende Auswirkung 0,5 - 2 Jahre mind. angenommene Auswirkungen 0,5 - 1 Jahr Wirkung der Hochpotenz
(C 1000 und C 10.000)
„Verstrickung“ und Miasmen:
In beiden Methoden wird der Ursprung der Störungen aus der Zugehörigkeit zur Familie über mehrere Generationen hinweg gesehen. Die miasmatischen Krankheiten, die die Homöopathie kennt, schwächen die „Dynamis“,
die Lebenskraft der späteren Generationen. Die Homöopathie berücksichtigt in den chronischen Krankheiten überwiegend die miasmatische Konstitution. In der systemischen Aufstellungsarbeit schauen wir auf die
Belastungen, die aus dem Beziehungsnetz der Familie über Generationen hinweg entstehen. Die Schwächung der Lebenskraft entsteht durch die Leugnung o. das Festhalten dessen, was ist.
Heilprinzip: Ähnliches werde durch Ähnliches geheilt:
In der Homöopathie fühlt sich der Patient erkannt im Simile, dem Arzneimittel. Bei der Familienaufstellung fühlt sich der Klient „erkannt“, verstanden im Anfangsbild, Problembild. Beides kann heilende Impulse auslösen.
Darüber hinaus wirkt das Prinzip der Ähnlichkeit auf der Ebene der Begegnung von Behandler und Patient. Beide, Aufsteller und Homöopath wenden sich ganz dem Klienten zu im Sinne eines empathischen
Eingangsgespräches, sie machen sich „leer“ und sind bestrebt, die Persönlichkeit des Klienten und seines persönlichen und familiären Systems zu erfassen. In der „Leere“, Neutralität werden die Behandelnden dem Klienten ähnlich, der Klient fühlt sich im Gespräch erkannt/verstanden, angenommen.
Beide brauchen viel Selbsterfahrung und Erfahrung mit Klienten, um sich das Phänomen der resonanten Wahrnehmung anzueignen.
Kleine Dosen - große und lang anhaltende Wirkung:
Homöopathie und Aufstellungsarbeit sind in ihren Maßnahmen sehr sparsam.
Die Homöopathen verordnen nur ein Mittel, indem durch die Potenzierung kein Molekül mehr vorhanden ist. Die Wirkung kann ein halbes bis ein Jahr andauern.
In der Aufstellungsarbeit werden die Interventionen in den letzten Jahren zunehmend minimalisiert, auf einen Änderungsimpuls, ein mögliches Lösungsbild reduziert. Die Wirkung einer Aufstellung kann sehr lange anhalten, nachhaltige Veränderungen bewirken.
Somit haben wir ein reichhaltiges Spektrum von Ähnlichkeiten zwischen Homöopathie und Familienaufstellungen:
(Zusammenfassung)
- Die Verwendung einer spezifischen Form der Ähnlichkeit als Heilprinzip in beiden Gebieten: die Ähnlichkeit des Arzneimittelbildes im Fall der Homöopathie und die Ähnlichkeit des Anfangsbildes / der ersten
Prozessphase der Aufstellung.
- Das Phänomen des sich als erkannt Erlebens
- Das Phänomen der Erstverschlimmerung in der Homöopathie, bzw. der berührten Erschütterung beim Betrachten des Anfangsbildes einer Aufstellung.
- Die Betrachtung der transgenerationellen Aspekte von Miasma und „Verstrickung“.
- Das Ähnlichwerden des Behandlers mit dem Klienten in der homöopathischen Anamnese und über die resonante Wahrnehmung in der Aufstellungsarbeit.
- Die Bedeutung von Arzneimittelprüfungen als Selbsterfahrung des Homöopathen und eigenen Erfahrungen als Repräsentant und/o. als Leiter/Gastgeber in der Aufstellungsarbeit.
- Die Erfahrungsbasierung, die Notwendigkeit, in jedem Einzelfall neu hinzuschauen, und die Zurückhaltung gegenüber diagnostischen Schematisierungen bei beiden Verfahren.
- Die Prüfungen an den Auswirkungen der Maßnahme / Interventionsschritten.
- Die Minimalisierung bei der Mittelgabe und von Aufstellungsinterventionen, sowie der langfristig angenommenen möglichen Auswirkungsmöglichkeiten bei beiden Verfahren.
In den homöopathischen Kreisen wird die Aufstellungsarbeit auch gern supervisorisch genutzt. Der Homöopath stellt in Abwesenheit seines Patienten seine Sichtweise dessen Familie und des Behandlungs/Therapeuten-Systems auf. Dazu wählt er auch einen Repräsentanten für sich. Es zeigt sich zum Beispiel oft, dass der Homöopath sich zu weit ins System der Familie hineinstellt, ins System hineingerutscht ist und dadurch die Gefahr besteht, dass er sich überlastet und für eine klare Mittelfindung die nötige therapeutische Distanz fehlt. Manche Bilder in Supervisionsaufstellungen vermitteln den Eindruck, dass sich der Homöopath mehr um die Gesundung bemüht als der Patient selbst, o. dass er begonnen hat, den Platz eines wichtigen abwesenden o. ausgeschlossenen Familienmitgliedes einzunehmen!
Klientensymptomaufstellungen:
Bei dieser Aufstellungsform, die genauer „Klientensymptomstrukturaufstellung“ heißen könnte, führt man zunächst eine Kurzanamnese durch und wählt daraus sechs bis acht herausragende Leitsymptome, im Sinne des § 153
des Organon, aus. Für jedes der Symptome wählt der Klient unter den Teilnehmern eine Person aus; dazu kommt eine Person für den „Fokus“ - den Klienten in Bezug auf sein persönliches Anliegen o. seine Blickrichtung
bei diesem Anliegen. Der Klient stellt dann diese nach seinem Empfinden im Raum auf. Es entsteht ein externalisiertes inneres Bild, das innere Bild seiner körperlichen und psychischen Krankheitssymptome. Man behandelt
die Aufstellung gemäß der Gesetzmäßigkeiten der Systemischen Strukturaufstellung (vgl. Varga von Kibèd und Sparrer 2003, Sparrer 2002), oft in einer gewissen abstrakten Analogie zu Beziehungsmustern von
Familienaufstellungen und beginnt, wie bei diesen, indem man die Repräsentanten der Symptome nach Unterschieden der Körperempfindungen und zur Beziehung zueinander fragt. Dabei ergeben sich häufig interessante Analogien zu Familienbildern. Nun werden die Repräsentanten aufgrund der strukturellen Analogien umgestellt, nach Möglichkeit, bis ein geeignetes Lösungsbild, in dem sich alle Repräsentanten einigermaßen bis sehr gut
fühlen, entsteht.
Die Methodik vieler Interventionen, die dabei verwendet wird, stammt aus zwei Strukturaufstellungsarten: den Körperaufstellungen (vgl. Sparrer und Varga von Kibèd 1998) und den Körperstrukturaufstellungen von Insa Sparrer, die auf einer Verbindung von Körper- und Familienaufstellungen basieren (vgl. Sparrer 2002). Zum Abschluss lässt man jede Person introspektiv erfassen, als welche, eventuell geänderte Qualität sie sich jetzt fühlt. Das problemdefinierte Symptom ändert dabei sehr oft seinen Namen und lässt die Botschaft der Krankheit bzw. des Klienten aufscheinen. Schließlich lässt man den Klienten an die Stelle des Fokus treten; dabei
begegnet er seinen vom Symptom zur Aufgabe (Ressourcen) transformierten Teilen, was häufig mit großer Rührung und klaren Einsichten verbunden ist. Nach Abschluss der Aufstellung werden wieder Ideen zur Krankheit
und Person des Klienten, sowie die Ideen zur Mittelfindung gesammelt.
In der Familienaufstellung wird das Beziehungsgeflecht der Familie als eine Art „Energiefeld“ deutlich, das seine Ordnung und Lösung findet. In der Klientensymptomaufstellung, der Aufstellung des Krankheitsbildes,
behandelt man die herausragenden Symptome ebenfalls wie ein Energiefeld, das wir ordnen und zur Lösung bringen. Der Patient kann sich an dem gesunden Bild, an der durch die Symptome nun aufscheinenden Aufgabe orientieren. Wenn man mit dem Klienten zuerst eine Familienaufstellung gemacht hat und anschließend eine Aufstellung des Krankheitsbildes durchführt, ist die Ähnlichkeit der beiden Bilder oft verblüffend.
Klientensymptomaufstellungen werden nicht nur für Klienten selbst durchgeführt, sondern auch für fälle, die die Homöopathen einbringen, wie in der oben bereits erwähnten Supervision.
Die Klientensymptomaufstellung kenne ich bisher nur theoretisch. Selber war ich leider noch nie dabei. Diese Arbeit wird derzeit meines Wissens nur in Deutschland angeboten. In Österreich wird sie außerdem wenn, dann
den Ärzten vorbehalten sein.
Leitsymptomaufstellung, Arzneimittelbildaufstellung:
Das A und O der Homöopathie sind die Kenntnisse der Arzneimittelbilder. Es gibt oft ganze Bücher, auch Seminarwochenenden über nur ein einziges Mittel. In meinen Workshops besprechen ein Mittel daher auch an mehreren Abenden, jeweils aus einem anderen Blickwinkel, einmal aus der Sicht der Mutter auf das Kind, einmal als Berater auf den Klienten und ein andermal als ICH auf einen Teil meines Inneren.
Die Krönung, sich ein Wissen über eine Arznei anzueignen sind für mich derzeit die resonanten C4 - Verreibungen. Dabei wird ein Mittel mit Milchzucker in einem Mörser nach einer ganz bestimmten Vorschrift 4 Stunden
lang verrieben. Dabei empfindet man, ohne das Mittel selbst einzunehmen zuerst körperliche, dann emotionale, dann geistige und schließlich spirituelle Symptome. Ich erlebe diese Art der Auseinandersetzung mit einer Arznei
am intensivsten.
Die Aufstellung des Arzneimittelbildes ermöglicht mir nun einen weiteren sehr interessanten Blickwinkel. Dabei werden die Leitsymptome einer Arznei durch Repräsentanten vertreten. Diese Aufstellung kann uns
Anregungen geben, wie wir die in der historischen Form problemorientierte Definition eines Arzneimittelbildes lösungsorientiert umgestalten können. Die Frage könnte dann heißen: Was ist die Aufgabe dieser Arznei?
Die Erfahrungen mit den Leitsymptomaufstellungen stehen erst am Anfang. Natürlich müssten viele Wiederholungen an verschiedenen Orten und mit einer Vielzahl von AufstellungsleiterInnen gemacht werden, damit im
Laufe der Zeit ein sicherer Boden entstehen kann.
In den Erfahrungen mit Familienaufstellungen kristallisieren sich aus der Sicht von Homöopathen immer wieder auftretende Symptome heraus, die auf bestimmte Arzneien hinweisen. Es liegt nahe, im Laufe der Zeit die Arzneimittellehren und die Repertorien mit familiensystemisch relevanten Symptomen zu erweitern.
Umgekehrt könnten aber auch systemische Berater und Therapeuten durch eine Zusammenarbeit mit Homöopathen in das Geschehen von Krankheit und Gesundung Einsicht gewinnen. Die Ähnlichkeiten der Methoden
erleichtern dabei ein gegenseitiges Verständnis. Wir sollten uns auch bewusst machen, dass manche Familienaufstellungen erst durch eine vorausgegangene homöopathische Behandlung, die das Bewusstsein des Klienten erweiterte, möglich gemacht wurde und die Nachbehandlung den Prozess sehr oft festigte.
Zum Abschluss - oder Wie es anfing
Den Schluss meiner Arbeit möchte ich gern mit dem Anfang beginnen.
Es gab 2005 mehrere Gründe für mich, die Lebens - und Sozialberaterausbildung zu starten. Einer davon war schlicht und ergreifend, dass ich endlich einmal eine in Österreich anerkannte Ausbildung machen wollte, nachdem
ich das Heilpraktiker - Studium in Deutschland absolvierte und seit beinah 20 Jahren immer wieder Aus - und Weiterbildungen in der Klassischen Homöopathie mache. Beides kann ich in Österreich nicht ausüben, weshalb
ich einige Zeit in Deutschland praktizierte.
Bereits während der ersten Seminare bemerkte ich diese Resonanz einerseits zwischen der systemisch-konstruktivistischen Denkweise und mir, andererseits auch zwischen dieser und der Homöopathie. Es begann sozusagen
ein Dreiecksverhältnis zwischen uns. Zunächst hatte ich beinah ein wenig ein schlechtes Gewissen der Homöopathie gegenüber, so als hätte ich mit der systemischen Sichtweise eine Außenbeziehung begonnen.
Es wuchsen die Eifersüchteleien zwischen dem Homöopathen und dem Systemiker in mir, und ich als Chef hatte öfters das Gefühl mitten drin zu stehen, in der Schusslinie zwischen den beiden.
Eines Tages nahm ich mein Familienbrett und stellte meinen inneren Homöopathen, den Systemiker und den Chef auf.
Tja, das war also klar, mein Chef war mitten drin. Ich versetzte mich in seine Rolle und hatte das Bedürfnis, einfach nur raus aus der Schusslinie. Gesagt, getan!
Homöopath Chef Systemiker
Der Chef stieg aus dem Spannungsfeld heraus, Homöopath und Systemiker rückten ein Stück näher zusammen und so entstand ein Dreieck, das immer harmonischer wurde. Inzwischen, am Ende meiner Ausbildung zur
Lebens- und Sozialberaterin, darf jeder von jedem nehmen, einer befruchtet den anderen.
Und somit schließt sich für mich der Kreis, ein Kreis, der zwar einen Anfang, aber kein Ende hat. Nichts hat ein Ende, denn alles führt irgendwohin. So wird es noch viele Aus-, Fort- und Weiterbildungen geben, ich werde weiterhin den Homöopathen nähren und gleichermaßen den Systemiker. Für eine gerechte und ausgleichende Aufteilung wird der Chef die Verantwortung tragen.
So endet meine Arbeit wie jede andere auch - mit einem Punkt, vielleicht dem Mittelpunkt meines Kreises.
Mit unserem Mittelpunkt ist das aber so eine Sache: Wir sehen ihn nicht, mag man sich anstrengen, wie man will, wir stehen ja mitten drin. Was wir sehen können ist aber der Kreis, jenes runde Gebilde, das wir vom
Mittelpunkt aus betrachten können, vom Zentrum aus. Nehmen wir den Mittelpunkt weg, gibt es auch den Kreis nicht mehr, beides gehört zusammen. Für unsere Sinne ist es aber nur möglich, die
formale Ausdehnung, also den Kreis wahrzunehmen. Die Mitte erahnen wir bestenfalls. Genau genommen können wir uns einen Punkt nicht einmal vorstellen, da jede Vorstellung in eine Fläche übergeht.
Die Fläche ist ein Wesen von Raum und Zeit, jene Koordinaten, die wir aufspannen zum Begreifen unserer Welt, um das für uns Wahrnehmbare festhalten zu können am Koordinatenkreuz der Materie. Der Punkt der Mitte
entsagt dieser Welt der Materie. Nicht vorstellbar existiert er jenseits von Raum und Zeit: dort, wo alles in sich zusammenfällt zur Einheit - Sein und Nicht-Sein zugleich……
Homöopath Systemiker Chef
Damit lässt dieser Punkt am Ende meiner Arbeit aber auch alles offen, weil er nicht vorstellbar, nicht begreifbar ist, er bleibt offen für jede Idee, jeden Gedanken, jede Erweiterung und so ist das Ende meiner Ausbildung
auch gleichzeitig der Anfang.
Vorwort/Suchen. Zeichen/Abkürzungen. Impressum.