Todesgruppe Anhang Kind

 

[Nike Laurenz]

Was Kinder über den Tod wissen wollen - und wie Sie antworten können

Was passiert, wenn im Flugzeug jemand stirbt? Entleert sich nach dem Tod noch mal der Darm? Kinderfragen über den Tod können Erwachsene vor Herausforderungen stellen. Eine Bestatterin will helfen.

Manche Fragen kann man erst beantworten, wenn man sie hundertmal gehört, hundertmal darüber nachgedacht hat. Sollten wir Angst haben vor dem Tod? Wie möchten

wir sterben, plötzlich, lautlos, mit Vorbereitung?

Caitlin Doughty, Jahrgang 1984. Studierte Mittelalterliche Geschichte in Chicago, ließ sich im Anschluss zur Bestatterin ausbilden. Später gründete sie eine Organisation, die sich dafür einsetzt, Angst und Unsicherheit im Umgang mit Toten zu überwinden. Heute ist Doughty Inhaberin eines Bestattungsunternehmen in Los Angeles, ihre YouTube-Serie "Ask a Mortician" ("Frag eine Bestatterin") hat mehr als eine Million Abonnenten.

Caitlin Doughty, Bestatterin aus Kalifornien, hört solche Fragen jeden Tag. Sie kommen von Kindern aus Familien, in denen jemand gestorben ist.

Zum Beispiel: Stimmt es, dass Haare im Sarg weiterwachsen?

Grübeln und antworten muss jetzt keiner aus der Familie mehr, das hat Caitlin Doughty übernommen. In ihrem Buch "Was passiert, wenn ich tot bin?" beantwortet sie 34 Kinderfragen über das Sterben und Bestatten. Es sind 272 Buchseiten, die ein Türöffner sein sollen für alle, die mit oder ohne Kindern unverkrampft über den Tod sprechen wollen.

Wir zeigen einige der Fragen, denen Caitlin Doughty sich in ihrem Buch gewidmet hat. Doughtys hier zu lesende Antworten sind Ausschnitte aus ihrem Buch:

Warum verfärben wir uns, wenn wir tot sind?

Leichen können mit der Zeit zu einem in den unterschiedlichsten Farben schillernden Kaleidoskop werden. Das ist eines der spannendsten Dinge an ihnen. Auch wenn du tot bist, tut sich in deiner leiblichen Hülle noch so einiges. Blut, Bakterien und Flüssigkeiten reagieren, verändern sich und passen sich daran an, dass ihr Wirt tot ist. Und zu solchen Veränderungen zählen auch: Farben.

Die ersten Farben, die nach dem Eintritt des Todes auftauchen, hängen mit dem Blut zusammen. Bei einem lebenden Menschen pulsiert das Blut durch den Körper. Betrachte doch einmal deine Fingernägel. Sind sie rosa, heißt das, dass dein Herz Blut durch den Körper pumpt. In den ersten Stunden nach Eintritt des Todes sieht ein Mensch blasser als vorher aus, vor allem an Lippen und Fingernägeln. Sie verlieren ihren gesunden rosigen Schimmer und werden farblos und wächsern, weil sich das Blut, das bisher dicht unter der Hautoberfläche strömte, der Schwerkraft beugen muss. Die geisterhafte Blässe eines Leichnams ist ganz unspektakulär auf die mangelnde Durchblutung des Oberflächengewebes zurückzuführen.

Ihre Frage an die Expertin: Was wollen Ihre Kinder wissen?

- wir leiten die Frage an Caitlin Doughty weiter. Ihre Fragen - und die Antworten der Expertin - können Sie in den kommenden Wochen in einem Folgeartikel auf SPIEGEL.de nachlesen. Ihre Daten behandeln wir vertraulich.

Etwa im selben Zeitraum lässt sich auch eine Verfärbung der Augäpfel wahrnehmen. Eine Leiche braucht deine Hilfe, um die Augen zu schließen. In meinem Bestattungsunternehmen empfehlen wir den Angehörigen, es möglichst bald nach dem Tod zu tun. Innerhalb einer halben Stunde beginnen sich Iris und Pupille zu trüben,

da die Flüssigkeit unter der Hornhaut stockt. Es ist ein bisschen wie Nebel in einem schaurigen Moor.

Wie kommt es, dass man Leichen im extremen Verwesungsstadium nur in Zombie- oder Horrorfilmen sieht? Nun, im 21. Jahrhundert lässt man es normalerweise gar nicht

so weit kommen, dass Leichen bis zu diesem Punkt vor sich hin faulen. Weil man fast niemals Leichname in Echtzeit verwesen sieht, glauben die meisten Menschen, dass ein Toter sich sofort aufbläht, anschwillt und die Farbe wechselt.

Aber das stimmt nicht, es dauert Tage. In einem Bestattungsinstitut wird die Leiche entweder einbalsamiert (ein chemischer Prozess, der die Verwesung verlangsamt) oder

in einem Kühlraum gelagert (Kälte verlangsamt ebenfalls die Verwesung). Ein Toter wird möglichst rasch begraben oder eingeäschert, sodass die Angehörigen mit der Realität eines verwesenden Körpers nie konfrontiert werden. Kein Wunder also, dass du dich mit dem zeitlichen Ablauf nicht auskennst. Wahrscheinlich wirst du in deinem ganzen Leben keine völlig verweste Leiche zu Gesicht bekommen. So verpasst du zwar ein faszinierendes Farbschauspiel, aber wenn man bedenkt, dass du dazu über eine Leiche im Wald stolpern müsstest, ist es wohl besser so.

Entleert sich mein Darm, wenn ich sterbe?

So funktioniert die Darmentleerung, solange man noch am Leben ist: Die unverdaulichen Nahrungsbestandteile nehmen einen verschlungenen Weg durch den Körper, bevor sie in die Freiheit drängen. Der Enddarm ist die letzte Station. Sobald der Stuhl dort angekommen ist, wird ein Signal ans Gehirn geschickt, damit du weißt: "Hey Mädel, es i

st an der Zeit, das große Geschäft zu erledigen." Am Ende des Analkanals befindet sich ein ringförmiger Muskel, der den Anus umschließt und das fäkale Gefängnis versperrt, sodass der Darminhalt unseren Körper erst dann verlassen kann, wenn wir dafür bereit sind. Dieser sogenannte äußere Schließmuskel kann willentlich gesteuert werden.

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Das bedeutet, dass unser Gehirn ihn zwingt, geschlossen zu bleiben, ihm aber auch den Befehl erteilt, sich zu entspannen, wenn wir sicher die Toilette erreicht haben.

Aber wenn wir sterben, schickt unser Gehirn solche Botschaften nicht mehr an unsere Muskeln. Während der Totenstarre ziehen sich unsere Muskeln fest zusammen, doch nach ein paar Tagen entspannen sie sich.

Das stolze Schiff Verwesung hat die Segel gesetzt, und jetzt erschlaffen alle Muskeln, auch jene, die das Kacka (und übrigens auch das Pipi) im Körper festhalten.

Wenn man also im Moment des Ablebens noch Stuhl oder Urin in Darm oder Blase hat, gibt es kein Halten mehr. Ich sage nicht, dass sich bei jedem Menschen nach dem Tod der Darm entleert. Viele Ältere oder Menschen, die lange krank waren, haben in den Tagen oder Wochen vor ihrem Tod wenig oder gar nichts gegessen, und dann ist nicht mehr viel vorhanden, was der Körper freigeben kann. Mir als Bestatterin begegnet ein Überraschungsstuhlgang meistens dann, wenn ich komme, um eine Leiche abzuholen und ins Bestattungsinstitut zu bringen.

Wenn ein toter Körper in eine aufrechte Position gezogen oder auf die andere Seite gedreht wird oder was immer notwendig ist, um ihn sicher auf die Bahre zu bekommen, wird er gedrückt, und dann kann Stuhl austreten. Aber, liebe Leiche, das braucht dir überhaupt nicht peinlich zu sein! Bestatter sind es gewohnt, solche Dinge zu beseitigen,

so wie Eltern es gewohnt sind, die schmutzigen Windeln ihres Babys zu wechseln. Das gehört zu ihrem Job.

 

[Kira Brück]

Dass das Leben zu Ende gehen kann, erfuhr Louisa an einem regnerischen Montagmorgen vor vier Jahren. Ich brachte ­meine damals dreijährige Tochter in die Kita, uns kamen weinende Eltern entgegen. Sie standen in Grüppchen zusammen oder hielten sich in den Armen. Was wir hörten, war für uns alle ein Schock: Ein Junge aus unserer Kita war bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Ich nenne ihn für diesen Text Malte, obwohl er eigentlich anders hieß.

Wir Eltern waren entsetzt, sprachlos. Allein der Gedanke an den Verkehrsunfall erschüt­terte mich. Und jedes Mal, wenn ich mir vornahm, mit Louisa über Malte zu sprechen, kamen mir die Tränen. Ich versuchte ihr zu erklären, was mich so fassungslos machte: dass Malte schon als Kind gestorben war und eben nicht erst als Mann, der alt und schwach war und sein Leben schon gelebt hatte.

Wie stellst du dir das Sterben vor?

Ein Buch, das mir in dieser Zeit half, meiner Tochter das Unerklärliche irgendwie begreifbar zu machen, war „Geht Sterben wieder vorbei?“ von Mechthild Schroeter-Rupieper, die als eine der Begründerinnen der Familientrauerarbeit in Deutschland gilt. Hier wird mit liebevoller Klarheit erzählt, dass Tote keinen Schmerz empfinden oder frieren, wenn sie im Sarg liegen. Der leblose Körper wird wie ein Gummi­handschuh beschrieben, den man aufpusten kann. Entweicht die Luft, bleibt nur noch eine Hülle übrig.

Malte blieb lange Zeit Thema in unserer Familie. Und je älter Louisa wurde, desto mehr Fragen hatte sie: Was passiert mit Malte, wer passt auf ihn auf? Muss ich auch irgendwann sterben, Mama? Und: Wo komme ich dann hin?

Normalerweise fehlen mir auch bei schweren Themen nicht die Worte. Das Problem war nur: Auf viele Fragen meiner Tochter hatte ich selbst keine Antworten. Wie soll man auch etwas erklären, das man selbst nicht versteht? Ein Leben nach dem Tod? Das wäre schön. Aber ob es das gibt, kann auch ich nur hoffen – sicher weiß ich es nicht.

Kindern ein Gesprächsangebot schaffen

Ich frage Dr. Franziska Röseberg, Diplom-Psychologin am Helios Klinikum Bonn/Rhein-Sieg. Die Expertin für familienorientierte Trauer­begleitung sagt: „Kinder sind wissbegierig, sie wollen geradezu naturwissenschaftlich ergründen, was der Tod ist und mit Mensch und Tier macht.“ Deshalb sei es wichtig, dem Kind ein Gesprächsangebot zu machen und zu fragen, was es selbst übers Sterben und die Zeit danach denkt. Viele Kinder haben sehr konkrete Vorstellungen davon. Etwa, dass jeder im Himmel ein ­eigenes Zimmer hat und mit einem Fernglas die Menschen auf der Erde beobachtet.

 

Dass das Leben zu Ende gehen kann, erfuhr Louisa an einem regnerischen Montagmorgen vor vier Jahren. Ich brachte ­meine damals dreijährige Tochter in die Kita, uns

kamen weinende Eltern entgegen. Sie standen in Grüppchen zusammen oder hielten sich in den Armen. Was wir hörten, war für uns alle ein Schock: Ein Junge aus unserer

Kita war bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Ich nenne ihn für diesen Text Malte, obwohl er eigentlich anders hieß.

Wir Eltern waren entsetzt, sprachlos. Allein der Gedanke an den Verkehrsunfall erschütterte mich. Und jedes Mal, wenn ich mir vornahm, mit Louisa über Malte zu sprechen, kamen mir die Tränen. Ich versuchte ihr zu erklären, was mich so fassungslos machte: dass Malte schon als Kind gestorben war und eben nicht erst als Mann, der alt und schwach war und sein Leben schon gelebt hatte.

Wie stellst du dir das Sterben vor?

Ein Buch, das mir in dieser Zeit half, meiner Tochter das Unerklärliche irgendwie begreifbar zu machen, war „Geht Sterben wieder vorbei?“ von Mechthild Schroeter-Rupieper, die als eine der Begründerinnen der Familientrauerarbeit in Deutschland gilt. Hier wird mit liebevoller Klarheit erzählt, dass Tote keinen Schmerz empfinden

oder frieren, wenn sie im Sarg liegen. Der leblose Körper wird wie ein Gummi­handschuh beschrieben, den man aufpusten kann. Entweicht die Luft, bleibt nur noch eine

Hülle übrig.

Malte blieb lange Zeit Thema in unserer Familie. Und je älter Louisa wurde, desto mehr Fragen hatte sie: Was passiert mit Malte, wer passt auf ihn auf? Muss ich auch irgendwann sterben, Mama? Und: Wo komme ich dann hin?

Normalerweise fehlen mir auch bei schweren Themen nicht die Worte. Das Problem war nur: Auf viele Fragen meiner Tochter hatte ich selbst keine Antworten.

Wie soll man auch etwas erklären, das man selbst nicht versteht? Ein Leben nach dem Tod? Das wäre schön. Aber ob es das gibt, kann auch ich nur hoffen – sicher weiß

ich es nicht.

Kindern ein Gesprächsangebot schaffen

Ich frage Dr. Franziska Röseberg, Diplom-Psychologin am Helios Klinikum Bonn/Rhein-Sieg. Die Expertin für familienorientierte Trauer­begleitung sagt: „Kinder sind wissbegierig, sie wollen geradezu naturwissenschaftlich ergründen, was der Tod ist und mit Mensch und Tier macht.“ Deshalb sei es wichtig, dem Kind ein Gesprächsangebot zu machen und zu fragen, was es selbst übers Sterben und die Zeit danach denkt. Viele Kinder haben sehr konkrete Vorstellungen davon. Etwa, dass jeder im Himmel ein ­eigenes Zimmer hat und mit einem Fernglas die Menschen auf der Erde beobachtet.

 

 

 

 

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