Aquae allgemein Anhang 2
R.S.: möchte daran erinnern, wie das Roncegno-Wasser
(= Levico.-Wasser) geradezu durch einen guten Geist zubereitet
ist, um so mancherlei Kräfte unter gewissen
Umständen schon in der aussermenschlichen
Natur vorzubereiten, die im menschlichen Organismus eine günstige Rolle spielen
können... Wie in diesem Wasser in einer ganz wunderbaren Weise die beiden
Kräfte des Kupfers und des Eisens gegeneinander abkompensiert sind, und wie
dann das Arsen darinnen ist, um dieses Abkompensieren
auf eine breitere Basis zu stellen...".
In 1600m Höhe wurde eine Wasserader entdeckt, die noch heute in ein
Steinbecken hineinmündet. Ein farb- und geruchloses, sehr klares Wasser mit einem
sehr bitteren Geschmack (durch Gehalt an Eisen und andere Mineralien). Dieses
ist das "Stark-Wasser", das für balneologische Behandlungen genutzt
und zur oralen Anwendung in Flaschen abgefüllt wird.
Alpenbewohner benutzten das Wasser zur Heilung der Maul- und
Klauenseuche Ihres Vieh. So haben Ärzte von der Heilwirkung des Wassers für die
Tiere erfahren und wollten seine Anwendung für menschliche Erkrankungen
erforschen.
Die Entdeckung des Arsengehalts durch Dr. Pinalli
aus Trient führte im Jahre 1816 zunächst zu einem Verbot des
"Stark-Wassers". Glücklicherweise haben andere Ärzte die
Eigenschaften des "Stark-Wassers" studiert und seine therapeutische
Wirkung gerade wegen des Arsen-Gehalts bestätigt.
[Martina Schmidt]
Immediat- und Langzeitwirkung einer Balneotherapie
mit dem Levico-Wasser in Roncegno,
Befunde zur Temperaturreaktion, zur Befindlichkeit und zur Lebensqualität
ZUSAMMENFASSUNG
Hintergrund:
In der Balneologie und Klimatologie sind im Laufe der letzten
Jahrzehnte durch zahlreiche und vielfältige Kurlängsschnittuntersuchungen neue
Erkenntnisse über die umfassenden zu diesen Themen angefertigt und angeregt
hat. Analyse und Verständnis der zeitlichen Ordnung reaktiver Vorgänge zeigen
eine deutliche Gliederung der reaktiven Umstellungen des Organismus im
Kurverlauf, denen periodische Strukturen zugrunde liegen.
Fragestellung:
Ziel der vorliegenden Studie ist, die klinische Anwendung des Levico-Wassers im Rahmen der Bäderkur in Roncegno einer empirisch-wissenschaftlichen Prüfung zu
unterziehen, um periodische Strukturen, Adaptationsphänomene und mittel- bis
langfristige Kureffekte und Kurerfolge nachzuweisen.
Methodik:
Das Erfassen der regulatorischen
Immediateffekte der Temperatur im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem
Levico-Bad untersucht einen Einzelreiz, welcher den Behandlungsschwerpunkt
der Kuranwendung darstellt. Die epitympanale
Temperaturmessung ist bei korrekter Messtechnik ein zuverlässiges Verfahren zur
Bestimmung der zentralen Körpertemperatur im Bereich des Hypothalamus,
dem regulatorischen Zentrum der Körpertemperatur. Die
Temperaturmessungen wurden unmittelbar vor dem Bad und am Ende der sich an das
Bad anschließende Ruhezeit durchgeführt. Über einen Zeitraum von knapp
2 Monaten wurden bei allen Patienten die Bäderanwendungen erhielten
Temperaturmessungen vorgenommen. So besteht die Möglichkeit die
unterschiedlichen Bäder-Formen, die in der Casa di Salute Rafael zur Anwendung
kommen, miteinander zu vergleichen.
Mittel- und langfristige Effekte, sowie die Nachhaltigkeit des Kurerfolgs
durch die Heilbehandlung in der Casa di Salute Rafael als ganzes, wurden durch
eine
Längsschnitterfassung des Outcome-Parameters
Befindlichkeit, mittels eines täglich zu führenden Kurtagebuches, und in einer
prospektiven Beobachtungsstudie mit 3 definierten Messzeitpunkten (Kurbeginn,
nach 14 Tagen Kur, 3 Monate nach Kurbeginn) im Hinblick auf die Lebensqualität
(mit dem Herdecker Fragebogen zur Lebensqualität, HLQ) untersucht.
Kurtagebuch und Lebensqualität-Fragebögen wurden bei Patienten eingesetzt,
deren Kuraufenthalt sich mindestens über 14 Tage erstreckte und die Levico-Bäder erhielten.
Ergebnisse:
Die Immediateffekte zeigten eindeutige Ergebnisse der Adaptation, wie
sie im Rahmen der Adaptionsphysiologie beschrieben und gefordert werden. Rhythmisch-periodische
Reaktionsmuster auf den Einzelreiz des Levico-Bades
ließen sich mit der Methode der epitympanalen
Temperaturmessung nachweisen.
Die Ergebnisse des Kurtagebuchs zeigten die in zahlreichen Studien
nachgewiesenen Verlaufsphänomene im Sinne einer typischen Reaktionsperiodik.
Für die Kuranwendung in Roncegno kann festgestellt
werden, dass die wichtigen Indikatoren für das Eintreten der therapeutisch
angestrebten vegetativen Umstellung nachweisbar sind. Diese treten nur bei
positiven Kureffekten im Kurverlauf in Erscheinung.
Weiterhin stellte sich in der Längsschnittdarstellung, und durch die
lineare Regression ein Rückgang negativer Befindensurteile im Verlauf der
Kuranwendung dar.
Die Auswertung der Lebensqualitätsfragebögen zeigte mittel- und
langfristig eine fortschreitende Verbesserung der Lebensqualität in den
verschiedenen Subskalen des Tests mit vorwiegend hochsignifikanten Ergebnissen.
Für die Einzelanwendung Levico-Bad belegt die
gegliederte Periodik die Kureffekte, die adaptive Modifikation der
Temperaturreaktion die Langzeitwirkungen der Kurbehandlung.
Für die Kur als Ganzes zeigen sich die Kureffekte beim Kurtagebuch in
den reaktivperiodischen Veränderungen und beim Lebensqualitätsfragebogen in
einer hochsignifikanten Verbesserung der Lebensqualität nach zwei Wochen Kur
und auch 3 Monate nach Kurbeginn.
Schlussfolgerung:
Durch die Untersuchungen konnten die Kriterien, die für einen
erfolgreichen Kurverlauf in den letzten Jahrzehnten wissenschaftlich erforscht
und beschrieben wurden, für die Kurbehandlung mit dem Levico-Wasser
in Roncegno/Italien nachgewiesen werden. Auch die
über den Zeitraum des Follow-up anhaltenden und
fortschreitenden Veränderungen dokumentieren die Effekte und den Kurerfolg der
durchgeführten Behandlung. Das ist im Bereich von Kuranwendungen von besonderer
Bedeutung, da sich Behandlungseffekte vor allem langfristig manifestieren.
Speziell die Bäder- und Klimaheilkunde bietet die Möglichkeit zu einer
umfassenden Umgestaltung und Umerziehung der Lebensweise in engerem Kontakt mit
der natürlichen Umwelt. (Hildebrandt 1962 a)
Diese Möglichkeit der Beeinflussung bewusst und gezielt auszuschöpfen,
ist Sinn und Zweck eines Kuraufenthaltes. Um dieses zu erreichen, sind
Kenntnisse über die Auswirkung jeder Kurmaßnahme auf den Organismus notwendig.
Erst dadurch lässt sich der Kurerfolg oder Misserfolg konkreter
prognostizieren.
Eine Kur ist eine komplexe, zeitlich begrenzte, ortsgebundene
Behandlung, die sowohl als Prävention, Krankenbehandlung und Rehabilitation
angewendet wird.
Kurmittel sind vor allem das Heilklima und die lokalen Heilquellen, die
als Bäder oder Trinkkuren angewendet werden.
Der wesentliche therapeutische Ansatz ist die Reizwirkung der
klimatischen Einflüsse und balneologischen Anwendungen, die letztlich zu einer
zentralen vegetativen Umstimmung des Organismus führen sollen, und damit die
gesundheitsfördernden Reaktionen stimulieren.
Durch vielfältige Kurlängsschnittuntersuchungen sind im Laufe der
letzten Jahrzehnte neue Erkenntnisse über die umfassenden vegetativen
Gesamtumschaltungen gewonnen worden, welchen der Organismus im Rahmen eines
Kuraufenthaltes unterworfen ist. Die einzelne therapeutische Maßnahme, das
einzelne medizinische Bad muss im Gesamtzusammenhang aller anderen Kurfaktoren
gewertet werden (Kleinschmidt et al, 1973)
Diskontinuierlich-iterative Reizfaktoren
Zu den kontinuierlich wirkenden Basisbedingungen des Kurortes kommen
nun die gezielten Reizanwendungen der Kurmittel, die
diskontinuierlich-iterativen Charakter haben und strenger dosiert werden:
- balneotherapeutische Applikationen, z.B.
Bäder, Packungen, Inhalationen
- physiotherapeutische Anwendungen, z.B. Massagen, KG, Wärmeanwendungen
- Hydrotherapie, z.B. Kneipp-Güsse
- Psychotherapie, Musiktherapie, Heileurythmie, Kunsttherapie u.v.a.m
Kurmittelanwendungen stellen in der Regel stärkere Reize dar, so dass
sich eine kontinuierliche Anwendung verbietet. Ihre Immediat-Wirkungen dauern
durchweg kürzer an als Effekte pharmakologischer Einzelgaben. Vor allem werden
sie nicht in solchen Abständen wiederholt, wie es zur kontinuierlichen
Erhaltung ihrer Immediatwirkungen erforderlich wäre.
Vielmehr werden Intervalle freigelassen in denen der Organismus
Gelegenheit findet, seine eigenen Reaktionen zu entfalten und zu kompensieren.
Die Schon- und Ruhezeiten zwischen den einzelnen Reizanwendungen dienen den
autonomen Leistungen des behandelten Organismus. Auch die Mittagsruhe und der
frühe Nachtschlaf haben diese besondere Bedeutung. Die Kurbehandlung steht somit
in einem prinzipiellen Gegensatz zu den Verfahren der medikamentösen Therapie,
wo eine möglichst kontinuierliche Wirkung angestrebt wird.
Ziel der Kur ist nicht Summierung oder Fixierung der Immediateffekte,
die dem angestrebten Ziel häufig entgegengerichtet sind (wiederholte Ermüdung
nach körperlichem Training soll nicht eine summative
Steigerung der Ermüdung, sondern eine Verminderung der Ermüdbarkeit, eine
Leistungssteigerung bewirken). Demnach werden langfristige reaktive
Umstellungen des Organismus ausgelöst, die, dem Wirkungsmechanismus der
Adaptation entsprechend, zu einer Modifikation der Reizantwort führen
Die zeitliche Gliederung der reaktiven Umstellungen im Kurverlauf ist
sowohl im subjektiven Erleben des Patienten als auch an objektiven klinischen
Erscheinungen so auffällig, dass sie schon den Badeärzten früherer Jahrhunderte
geläufig und vielfach auch Ausgangspunkt einer Prognostik des Kurerfolges waren
(Kukowka 1972, Hildebrandt, 1975, u.a.).
Dem Reaktionsmuster des Kurverlaufs liegen periodische Strukturen
zugrunde. Das durchschnittliche Verhalten größerer Kollektive entspricht
Interferenzbildern, in denen
einzelne periodische Strukturen mehr oder weniger dominieren.
Bisher wurden im Wesentlichen 2 Haupttypen von Reaktionsmustern im
Kurverlauf abgegrenzt:
- Frühreaktives Muster: es ist charakterisiert durch das Dominieren
einer etwa 7-tägigen Periodik (Zirkaseptanperiodik
als Submultiple des Monatsrhythmus) und die frühe Lage des Reaktionsmaximums.
- Spätreaktives Muster: es ist charakterisiert durch das Überwiegen
längerer reaktiver Perioden von etwa 10 Tagen Periodendauer (Zirkadekanperiodik) und aufschwingender Amplitude, so dass
das Reaktionsmaximum erst in der 2. Hälfte einer 4-wöchigen Kur erreicht wird.
Die Abgrenzbarkeit zweier verschiedener Reaktionsmuster mit
unterschiedlichen periodischen Komponenten macht es wahrscheinlich, dass
therapeutisch nutzbare Reaktionen von 2 verschiedenen Integrationsebenen
gesteuert werden können.
Mit großer Regelmäßigkeit ist das frühreaktive Muster im Kurverlauf der
verschiedensten Funktionsgrößen nachzuweisen, und zwar auch im mittleren
Verhalten von nicht weiter differenzierten Patientengruppen. Bei ergotroper (sympathikotoner) Ausgangslage ist die zirkaseptane
Reaktionsperiodik besonders charakteristisch. Dem entspricht auch die zeitliche
Anordnung der so genannten Kurkrisen.
Die charakteristische Periodendauer und der große Umfang der
beteiligten Funktionen weisen dieses Reaktionsmuster des Kurverlaufs als
Ausdruck einer unspezifischen vegetativen Gesamtumschaltung mit dem Ziel einer
funktionellen Adaptation aus. Die Übereinstimmung der Phasenlage verschiedener
Kollektive lässt vermuten, dass die reaktive Periodik bereits zu Kurbeginn,
d.h. durch Klima- und Milieuwechsel angestoßen wird, während die nach Zeitpunkt
und Stärke variabler eingesetzten therapeutischen Einzelreize möglicherweise
eher den weiteren Verlauf (Dämpfung) beeinflussen. Bei einer einheimischen
unbehandelten Vergleichsgruppe tritt die zirkaseptane
Reaktionsperiodik nicht auf (Hildebrandt und Geyer 1979, Hildebrandt u. Mitarb., 1980)
Es liegen zahlreiche klinische Erfahrungen über Kurverläufe vor, bei
denen das Reaktionsmaximum erst in der zweiten Kurhälfte, meist am Ende der 3.
Kurwoche, erreicht wird.
Das spätreaktive Verlaufsmuster tritt in erster Linie bei trophotropen (vagotonen)
Reaktionslagen auf. Es scheint auch bei bestimmten Kurformen, z.B.
Hochgebirgsklimakuren, zu dominieren (Jungmann, 1962).
Vieles spricht dafür, dass es sich um eine, gleichfalls zu Kurbeginn
angestoßene, Periodik von etwa 9-10 Tagen Periodendauer handelt (Zirkadekanperiodik), deren Amplitude aufschwingt, so dass
das Maximum im Bereich des 20. Kurtages erreicht wird.
Andererseits sind auch 5-tägige Perioden im Kurverlauf einzelner
Funktionsgrößen abgegrenzt worden. Es kann daher vermutet werden, dass das
spätreaktive Verlaufsmuster von einem System ganzzahlig
koordinierter Perioden geformt wird, die engere Beziehungen zum Bereich der
Submultiplen des Jahresrhythmus aufweisen und daher eher trophisch-plastische
Adaptationsprozesse impulsiveren. Mit fortdauernder Reizbelastung bestimmen
dann aber die höheren Integrationsebenen das reaktive und adaptive Verhalten.
Für eine initiale Beteiligung kürzerer Perioden
spricht die Beobachtung, dass im Bereich des 3. Kurtages ein kritisches
Reaktionsmaximum durchlaufen werden kann.
Bei der Vielfalt der verschiedenen Reizerlebnisse im Kurverlauf ist es
erstaunlich, dass sich überhaupt so klare und einheitliche Reaktionsmuster
abgrenzen lassen. Dies ist nur dadurch möglich, dass die reaktiv-periodischen
Vorgänge zugleich mit Schwankungen der Empfindlichkeit gegenüber weiteren
Reizbelastungen einhergehen.
Charakteristisch für alle Formen der Kurbehandlung ist die Tatsache,
dass der therapeutische Effekt keine kontinuierlichen Fortschritte macht,
sondern in der Regel von einer oder mehreren Phasen unterbrochen wird, in denen
sich der Zustand des Patienten subjektiv wie objektiv vorübergehend
verschlechtert. Diese so genannte Kurreaktionen, die sich zur Kurkrise
zuspitzen können, sind schon lange unter verschiedenen Bezeichnungen bekannt
und mit den reaktiven Umstellungen des behandelten Organismus in Zusammenhang
gebracht worden. Erst systematische Kurlängsschnittuntersuchungen haben es
möglich gemacht, die Kurreaktion als Bestandteil des Reaktionsmusters im
Kurverlauf zu identifizieren und damit in größere Zusammenhänge einzuordnen.
Im Vordergrund stehen Allgemeinsymptome wie Innere Unruhe, erhöhte
Reizbarkeit, Abgeschlagenheit, Stimmungslabilität, Appetenzminderung
sowie Einschlaf- und Durchschlafstörungen bei bedrückendem Trauminhalt.
Dazu treten verschiedene „vegetative Missempfindungen“, die auf Herz-
und Kreislauffunktion, Atmung und Verdauungstrakt, auf die Temperaturregulation
bezogen werden.
Vorzugstermine der Kurreaktionen liegen im Bereich des 7.-12. Kurtages
sowie des 18.-22. Kurtages.
Somit erweisen sich die Kurreaktionen als Bestandteil der
Reaktionsperiodik des Kurverlaufs.
Sie sind den extremen Auslenkungen und damit zugleich den
Umschaltphasen zugeordnet, in denen sich die Tendenz der vegetativen Steuerung
umkehrt. Auch im engeren Zeitraum einer
Kurreaktion wurden sehr unterschiedliche und ambivalente
Verhaltensweisen der vegetativen Funktion gefunden.
Solange die kompensatorischen Fähigkeiten des Organismus ausreichen, um
die notwendige Dämpfung des Reaktionsprozesses aufzubauen, darf die Kurreaktion
als Indikator eines erwünschten Vorganges angesehen werden.
Die Größenordnungen der reaktiven Perioden, die das Reaktionsmuster des
Kurverlaufs gestalten, und die Zeitkonstanten, die dabei in Betracht kommen,
lassen erwarten, dass die beteiligten vegetativen Steuerungen überwiegend
hormonaler Natur sind. In Übereinstimmung mit der Vorstellung, dass die
Immediatreaktionen nach einzelnen Kurmittelanwendungen überwiegend mit
Schwankungen des vegetativ-nervösen Tonus
einhergehen, sind die daran beteiligten hormonellen Begleitreaktionen nur kurz
dauernd, meist gering und nicht regelmäßig nachweisbar.
Im Zusammenhang mit den chemischen und thermischen Badereizen haben die
in den peripheren Geweben freigesetzten Hormone (Azetylcholin/Histamin
u.a.) seit langem ihre Bedeutung für die Erklärung
von Immediatwirkungen. Besonders im frühreaktiven Verlaufsmuster entwickelt
sich die Kurkrise unter Steigerung des sympathikoton-ergotropen
Antriebs. Zunahme der Katecholaminausscheidung im
Harn und des Plasma-Histaminspiegels scheinen die
Erscheinungsformen der Badereaktion zu erklären.
Von den trophotrop wirkenden Hormonen haben
die Kortikosteroide die größte Beachtung gefunden.
Die hormonale Aktivität der Nebennierenrinde zeigt während der Badereaktion
eine deutliche Beziehung zur Schwere der Reaktion.
Eine Verminderung der Steroidausscheidung,
die zur Bildung einer krisenhaften Exazerbation führt, scheint schon Zeichen
der Desorganisation der neurohumoralen Regulation
infolge Reizüberlastung zu sein.
Die Veränderung der Nebennierenaktivität ist keineswegs ein einseitig
gerichteter und stetig fortschreitender Vorgang, sondern es handelt sich um
komplizierte phasisch-periodische Muster, wie sie der
erwarteten Bedeutung dieser Hormone im Rahmen der Steuerung der
Reaktionsperiodik entspricht.
Es scheinen Unterschiede zwischen den einzelnen Kurformen zu bestehen.
Die bis zum Kurende eingetretenen subjektiven und objektiven
Veränderungen, die den Kureffekt bzw. das Kurergebnis ausmachen, können nicht
ohne weiteres mit dem Erfolg der Kur gleichgesetzt werden. Die reaktiven
Prozesse müssen am Ende einer 4- oder 6-wöchigen Behandlung durchaus noch nicht
abgeschlossen sein. Zum anderen kann die Fortsetzung dieser reaktiven Vorgänge
durch die Rückkehrreaktion mehr oder weniger gestört werden. Der Kurerfolg ist
nicht ein stabiler Zustand, sondern ein dynamischer Ablauf, der erst Monate
nach der Kur beurteilt werden kann.
Vergleichsuntersuchungen zwischen Kureffekt und Kurerfolg nach 3-6
Monaten haben bei verschiedenen Kurformen übereinstimmende Ergebnisse erbracht.
Die häufigste Differenz zwischen Kureffekt und Kurerfolg bestehen
darin, dass sich Befund und Befinden nach der Kur auch dort noch verbessern
können, wo zunächst kein positiver Kureffekt feststellbar war. Im
Nachkurverlauf der Leistungswerte wurden Anhalte dafür gewonnen, dass der
Langzeitkurerfolg selbst einen periodisch gegliederten Prozess mit einer
Periodendauer von etwa
9 Monaten darstellt.
Seit weit über 100 Jahren wird das Levico-Wasser
in den Kurorten Levico, Roncegno
und Vetriolo im Valsugana/Italien
bei einer Vielzahl von Patienten aus aller Welt in der balneologischen
Kurbehandlung angewandt.
In der Casa di Salute Raphael (Raphael-Sanatorium) in Roncegno wird die Kuranwendung mit dem Levico-Wasser
mit anderen Therapien der Anthroposophischen Medizin kombiniert.
Die Anwendungen differenzieren sich zum einen in permanent einwirkende
therapeutisch verwandte Wirkfaktoren wie Klima, milieubedingte Schonfaktoren,
Entlastung, Luftqualität,
Licht, Wärme und Kälte, Tagesrhythmik und biologisch-dynamische
Lebensmittelqualität, und zum anderen in die gezielten, dosierten, natürlichen
Heilfaktoren im Sinne einer Reiz-Reaktions-Therapie mit dem Ziel der Auslösung,
Stimulation oder Unterstützung der dem Organismus bzw. dem Individuum
potentiell innewohnenden Selbstregulations-Selbstordnungs-
und Selbstheilungskräfte (HILDEBRANDT, 1980, MC GAW 1980) wie verschiedene
Bäder, Rhythmische Massage, Packungen und Einreibungen, Heileurythmie,
Maltherapie, Plastizieren, sowie
anthroposophische Medikation.
Thermische Wirkungen der Bäder
Warme Bäder (bis 38°C) sind als medizinische Bäder mit und ohne
Badezusätze weit verbreitet. Die in warmen Bädern eintretenden Umstellungen des
Organismus sind an wichtigen Parametern von Kreislauf und Stoffwechsel
abzulesen. Für die Veränderung verschiedener Kreislaufparameter gelten
Abhängigkeiten von der Badetemperatur, der Dauer und Konsistenz des Bades
(Witzleb, 1962; Jungmann, 1964; Drexel 1970, 1973).
Der Wärmebestand des Organismus wird in der bis zu 4 Minuten dauernden
Anfangsphase des Bades zunächst lediglich in der Körperschale aufgefüllt, vor
die Körperkerntemperatur ansteigt.
Im Übrigen ist das zeitliche Verhalten der verschiedenen
Funktionsgrößen im warmen Bade auch von der thermischen Vorgeschichte abhängig,
da die Körpertemperatur erst dann
ansteigt, wenn die Körperschale durch die aufgenommene Wärme die
Kerntemperatur erreicht. Im Wasserbad ist nur in einem engen Bereich von
Badetemperaturen nach längerer Badedauer eine gewisse Konstanz der
Temperaturverteilung zu erreichen (Dirnagel und Drexel, 1961).
In warmen Bädern wird in der Haut vermehrt Azetylcholin
freigesetzt (Gollwitzermeier und Bingel,
1933), auch das Auftreten von Bradykinin soll durch
direkte Wirkung
auf die Gefäße an der peripheren Gefäßdilatation
beteiligt sein.
Der Körper kann den Wärmeaustausch mit dem Bad nur durch Veränderung
der Durchblutung in der Körperschale, die etwa 35% der Gesamtkörpermasse
ausmacht und als Puffer zwischen Körperkern und Umwelt dient, beeinflussen. Es
bestehen aber große Unterschiede zwischen den verschiedenen Körperregionen.
Besonders günstige Vorbedingungen für die regulatorischen
Änderungen des Wärmedurchgangs der Körperschale herrschen an den Extremitäten.
Außerdem steht dem Körper die Steuerung der Wärmeproduktion als
Ausgleichsmaßnahme zur Verfügung.
Die in der Bäderkunde bevorzugt verwendeten Reize treffen im Organismus
auf besonders vielfältig abgestufte Rezeptorsysteme. Die ausgeprägte
Tiefenstaffelung der Rezeptorsysteme lässt die vielfältige Abstufung
therapeutischer Reaktionen im vegetativ-autonomen Bereich erkennen, die allein
durch die mehr oder weniger große Tiefenwirkung von Warn- und Störreizen
gegeben sind. Die afferenten Strukturen werden
schwerpunktmäßig unterschiedlichen Regionen des Zentralnervensystems
zugeleitet.
- Die der bewussten Wahrnehmung dienenden exterozeptorischen
Afferenzen erreichen über thalamische
Strukturen die Großhirnrinde.
- Die propriozeptorischen
Informationsleitungen enden v.a. im Rauten- und
Kleinhirnbereich als dem Zentrum der unbewussten Sensomotorik.
- Die enterozeptorischen Afferenzen
schließlich erreichen vornehmlich die vegetativen Zentren in Hypothalamus, Mittel- und Rautenhirn.
Die von den Rezeptoren des protopathischen
Systems der Körperoberfläche sowie aus dem enterozeptorischen
System einlaufenden Informationen werden in markärmeren, dünneren und weniger
schnell leitenden Nervenfasern zentralwärts geführt.
Für diese ist eine besonders starke Ausbildung kollateraler
Verbindungen zum vegetativ-autonomen System kennzeichnend. Bei C-Faser-Reizung
(Schmerz, Temperatur, etc.) kommt es stets zu supraspinaler
Generalisation der sympathischen Miterregung Koizumi
und Brooks 1972).
Die thermoregulatorischen Reaktionen werden
durch Erregung thermosensibler Strukturen ausgelöst, die in einer
charakteristischen Tiefenstaffelung in Haut, Eingeweiden, Rückenmark, Medulla oblongata, Mittelhirn und
Hypothalamus verteilt sind. Auch die steuernden bzw.
regelnden Zentren sind hierarchisch gestaffelt in Rückenmark, Hirnstamm und Hypothalamus angeordnet (Brück, 1970, 1980, Simon, 1974).
Der jeweilige Erregungszustand der thermoregulatorischen
Zentren ist das Ergebnis einer integrativen Berücksichtigung aller
oberflächlichen und tiefen Afferenzen. Auch
unspezifische Miterregungen, z.B. bei psychischen Reaktionen und motorischer
Aktivität, können zu Sollwertverstellungen im System der Thermoregulation führen.
In kalten und warmen Bädern werden die ersten Reaktionen in der Regel
über eine Erregung der Thermorezeptoren der Haut ausgelöst, die in
unterschiedlicher Dichte auf der Körperoberfläche verteilt sind.
Die Tendenz zu Irradiation und Generalisation
der afferenten Erregungsausbreitung kommt auch im humoralen Transport von Erregungsstoffen (Transmittern, Stimulonen) zum
Ausdruck, die als Reizfolge in den Geweben entstehen bzw. aus Reservoiren
freigesetzt werden (Histamin, Bradykinin, Serotonin, Prostaglandine,
Substanz P, Azetylcholin, Adrenalin bzw. Noradrenalin etc.).
Sämtliche Afferenzen werden durch Kollateralen dem unspezifischen Aktivierungssystem der Formatio reticularis, speziell
des Hirnstamms, zugeschaltet. Der dadurch mögliche generalisierende Erregungseffekt
ist aber wiederum besonders ausgeprägt für afferente
Impulse aus denjenigen Modalbezirken, die therapeutisch bevorzugt genutzt
werden (Müller-Limmroth, 1973, 1986)
Chemische Wirkungen der Bäder
Der großflächige Kontakt mit dem Bademedium, das in der Balneotherapie stets von besonderer chemischer
Beschaffenheit ist, lässt auch chemische Wirkungen des Bades erwarten.
Chemische Bäderwirkungen sind grundsätzlich über folgende Wege und
Mechanismen möglich:
- Perkutane Absorption (Penetration, s. 1.4.1)
von Wasser und in Wasser gelösten Stoffen durch die Haut in Kreislauf und
Lymphbahnen.
- Ablagerung (Deposition und Absorption, s.
1.4.2) von Wasser und Badeinhaltsstoffen in der Haut, wodurch
Funktionsänderungen des Hautorgans eintreten und zum Ausgangspunkt weiterer
Wirkungen im Organismus werden können (Mediatorfunktion
der Haut).
- Auswaschung (Elution,
s. 1.4.3) hauteigener und körpereigener Substanzen aus der Haut mit der
Möglichkeit, den Hautstoffwechsel und von dort aus den
Gesamtorganismus zu beeinflussen.
Perkutane Absorption
Die Haut ist beim Menschen keineswegs wasserdicht. Es findet ein auf
Diffusion beruhender Wassertransport in beiden Richtungen statt (KÜHNAU, 1962).
Im Bad lässt sich schon nach 10-15 Minuten radioaktiv markiertes Wasser in Blut
und Harn nachweisen (Drexel und Dirnagel,
1963).
Die perkutane Wasseraufnahme im Vollbad erreicht Werte von 20-40g/m²/h
oder 3,0-5,7μl/cm²/h (Pratzel, 1976, Drexel und Dirnagel, 1963).
Die Epidermis bietet aufgrund ihrer anatomisch-physiologischen
Eigenschaften Voraussetzungen für ein relativ rasches Eindringen von Substanzen
in das Stratum corneum,
dessen Hohlräume als Reservoir dienen können.
Die anfängliche Imbibition der Hornhaut hat
einen erheblichen Anteil an der gesamten Wasseraufnahme, weshalb die
Wasserabsorption nach Sättigung der Hornhaut mit längerer Badedauer stark
zurückgeht.
Bedeutsam ist die Vehikelfunktion des interzellulären Wassertransports
für die in ihm gelösten Mineralstoffe. Mithilfe von Isotopentechniken sind die
perkutanen Absorptionsquoten für alle balneotherapeutisch
wichtigen Badeinhaltsstoffe in den letzten Jahrzehnten quantitativ bestimmt
worden (Kühnau, 1962, Lotmar, 1962 Hagmüller und Hellauer, 1963, Drexel und Dirnagl, 1968, Drexel et al,
1970, Pratzel und Schnizer
1992).
Ionisierte Badeinhalsstoffe werden während eines Vollbades von
therapeutisch üblicher Dauer in deutlich geringeren Mengen absorbiert, als es
dem täglichen Umsatz bzw. Tagesbedarf entspricht, auch unter Berücksichtigung
der so genannten Nachresorption von während des Bades in der Haut abgelagerten
Stoffmengen. Lipo- und hydrophile Badeinhaltsstoffe
(z.B. auch Arsen) können in beträchtlich größeren Mengen durch die Haut
aufgenommen werden.
Durch Anreicherung in den lebenden Schichten der Epidermis sowie durch
Einwirkung auf Gefäße, Nerven und z.B. immunkompetente Zellen der Haut, sowie
durch Verteilung im Gesamtorganismus sind durchaus therapeutisch relevante
Effekte zu erwarten.
Die transfollikuläre Passage entlang der Haarschäfte hat den größten Anteil der Absorptionsquote.
Deposition, Adsorption und Nachresorption
Höherwertige Ionen werden von der Hornhaut stärker und weniger
reversibel adsorbiert als niederwertige. So lassen
sich Jod, Eisen und Arsen nach Aufnahme in die Hornhaut nur teilweise mit
destilliertem Wasser wieder ausspülen, während Natrium nahezu vollständig
wieder gewonnen werden kann. Sie beeinflussen auch die weitere Anreicherung
dieser Stoffe.
Sie Verbleiben nach dem Abtrocknen in der Haut und bilden ein
Stoffdepot, aus dem die Substanzen auch weit über das Bad hinaus nachresorbiert werden können. Um die
Nachresorption nicht zu behindern, gilt es daher als Regel, die Haut
nach Heilwasserbädern nicht abzuwaschen.
Elution der Haut im Bade
Die zu etwa 30% in der Hornhaut enthaltenen wasserlöslichen Stoffe
werden zur Hälfte von der Summe der freien Aminosäuren gestellt (Drexel und Dirnagl, 1968,
Leonhardi et al, 1980).
Das Herauslösen der Stoffe ist durch ein initiales
Maximum gekennzeichnet, dessen Breite der üblichen Badedauer entspricht, und
von dem aus die Kurve auf ein sehr viel
niedrigeres Niveau oder gegen Null zurückgeht. Die Elution
im Bad wird stark von Konzentration und Zusammensetzung der Badeflüssigkeit
beeinflusst. So wird die Elution von Aminosäuren
in 10%iger Kochsalzlösung gegenüber 0,9%iger Lösung verdreifacht (Drexel und Dirnagel, 1968)
Die Haut als Vermittler chemischer
Bäderwirkungen
Die Haut wird durch Heilwasserbäder „in einen anderen Status versetzt“
(Kühnau, 1960) und kann Vermittlerorgan für Bäderwirkungen
auf den Gesamtorganismus sein.
Da feststeht, dass durch perkutane Stoffaufnahme oder Stoffabgabe in
mineralstoffhaltigen Bädern keine relevanten Einflüsse auf die Stoffbilanzen
des Organismus ausgeübt werden
können, konzentrieren sich die Fragen einer chemischen Bäderwirkung auf
die Möglichkeiten einer primären Beeinflussung des Hautorgans und seiner
Stoffwechselleistungen und die davon ausgehenden nervalen
wie humoralen Fernwirkungen im Körper (Kühnau, 1960, 1962, Schmidt-Kessen, 1962, Pratzel, 1964, Drexel et al,
1970, Pratzel und Schnizer
,1992).
Dabei kann grundsätzlich vorausgesetzt werden, dass die Veränderungen
im Stoffgehalt der Haut den Bereich lebender Epidermiszellen erreichen müssen,
bevor pharmakologische Effekte ausgelöst werden können (Pratzel,
1976).
Bei der hohen Empfindlichkeit der Lebensfunktionen gegenüber jeglichen
Änderungen des physikochemischen Milieus ist
anzunehmen, dass das Eindringen von Ionen aus dem Bad und die Elution aus der Haut schon in sehr geringen Mengen zu differenzierten
Änderungen der nervösen und Stoffwechselleistungen der Haut führen.
Veränderungen des vegetativen Tonus der Haut durch
Bäder wurden zuerst von Stahl (1923) nachgewiesen.
Die Epidermis, die im Gesamtgewicht nur einen geringen Teil des
Hautorgans ausmacht, hat den weitaus größten Stoffumsatz und die Aktivitäten
der Epidermisenzyme werden von keinem anderen Organ erreicht (Pratzel, 1968). Hier sind vielfältige
Beeinflussungsmöglichkeiten des Stoffwechsels gegeben. Dabei ist die
gleichzeitige Beeinflussung der Hautdurchblutung wichtig, die überwiegend von
thermischen Einflussgrößen abhängig ist.
Die Haut ist auch ein wichtiges Immunorgan des Körpers. Den in der
Epidermis gelegenen Langerhans-Zellen kommt eine entscheidende Rolle bei der
Regulation der zellulär vermittelten Immunantwort zu (Pratzel
und Artmann, 1990, Pratzel und Schnizer
1992).
Im Vordergrund der Reaktion des Hautstoffwechsels steht die Aktivierung
proteolytischer Abbauvorgänge von hochmolekularen
Eiweißverbindungen. Die entstehenden Abbauprodukte sind Peptide mit
hormonartigen Wirkungen, die auf dem Blutwege umfassende Sekundärreaktionen im
Inneren des Organismus auslösen können (Kühnau,
1962), u.a. an Gefäßsystem, glatter Muskulatur,
Verdauungsdrüsen, Intermediärstoffwechsel und vegetativhormonalem
System:
- Azetylcholin (parasympathische
Reaktionen. Gollwitzer und Bingel,
1933, Lotmar, 1967),
- Histamin (Steigerung der Durchlässigkeit der Kapillarwände,
Überträgerstoff im Nervensystem, Wirkung durch ACTH-Ausschüttung
aus der Hypophyse auf Nebennierenrinde. Gutenbrunner
und Geis, 1985),
- Serotonin (enge Beziehung zu
zentralnervösen Funktionen. Kühnau 1962)
- Bradykinin (wahrscheinlich diuretischer Effekt des Bades, Gefäßerweiterung. Fox und
Hilton, 1958, Lewis, 1963).
- Weitere Wirkstoffe von Peptidcharakter scheinen eine aktivierende
Wirkung auf das retikuloendotheliale System und die
Immunantikörperbildung zu haben und man muss annehmen, dass sie wie das
Histamin in die Steuerung der langfristigen adaptiven Umstellungen des Organismus
einbezogen werden.
METHODIK
Allgemeine Übersicht
Die Untersuchungen wurden in den Jahren 2000-2003 durchgeführt an der
anthroposophischen Kureinrichtung „Casa di Salute Raphael“ in Roncegno, einem italienischen Dorf, das in einem Tal der
auslaufenden Alpenkette des Trentino liegt. Die
Kureinrichtung steht unter der ärztlichen Leitung von Dr. med. Vincenzo Bertozzi. Die Patienten werden auch behandelt von Dr. med.
Stefano Gasperi, der sich nahezu um alle deutschen
Patienten kümmert, und Dr. med. Elio D’Annunzio.
Behandlung in der Casa di Salute Rafael
Arbeitsschwerpunkte des Einrichtung sind die Behandlung von
Erschöpfungszuständen, verzögerter Rekonvaleszenz, Erkrankungen des
Bewegungsapparates, Kräfteverfall bei Karzinomerkrankungen und nach Chemo- bzw.
Strahlentherapie, Leukämie, Anämie, Atemwegserkrankungen, Arthrose, Hypo- und Hyperthyreose, Hypo- und Hypertonie.
Die Öffnungszeiten des Hauses sind in jedem Jahr von März bis November.
Patienten
Bei den in die Studie aufgenommenen Teilnehmern handelte es sich vor
allem um Kurpatienten aus Italien, Deutschland und der Schweiz, die wegen
unterschiedlicher, den
Arbeitsschwerpunkten des Hauses entsprechender Diagnosen eine
Kurmaßnahme durchführen wollten und zumeist nur geringe Zuschüsse von den
Versicherungsträgern für den Kuraufenthalt und die Anwendungen erhielten.
Voraussetzung für die Teilnahme an den beiden Fragebogen-Studien war
ein Mindest-Kuraufenthalt von 14 Tagen und Bäderanwendungen mit dem Levico-Wasser.
Für den Studienteil der Immediateffekte gab es im Sommer 2000 eine
orientierende Erhebung der epitympanalen Temperaturen
bei Patienten, die Levico-Bäder erhielten, im Sinne
einer Pilotstudie. Die in die Dissertation eingehende Temperatur-Studie wurde
bei allen Patienten, die im Zeitraum Juli/August 2003 Bäderanwendungen
erhielten, durchgeführt.
Patientenkollektiv der Fragebogen-Studien
Für die drei unterschiedlichen Untersuchungsverfahren, die in der
Studie angewandt werden, gibt es nur teilweise Überschneidungen zwischen den
Patientenkollektiven. Das liegt daran, dass die Temperaturmessungen in zwei
zeitlich begrenzten Perioden von jeweils 5-6 Wochen im Sommer 2000 und im
Sommer 2003 durchgeführt wurden, während die Fragebögen in den Jahren 2000-2003
jeweils über die gesamte Kursaison von März bis November an die Kurgäste
ausgegeben wurden.
Art der Behandlung
Der Kurbehandlung besteht in unterschiedlicher Zusammensetzung aus
balneologischen Anwendungen mit dem Levico-Wasser,
Inhalationen und innere Anwendungen mit dem Levico-Wasser,
Packungen und Wickel, Physiotherapie und Massagen, sowie Kunsttherapie,
Heileurythmie, Diät und anthroposophisch-medikamentöser Therapie.
Das Levico-Bad
Patienten die als balneologische Therapie ausschließlich Levico-Bäder verordnet bekommen, erhalten täglich ein mit
dem „Stark-Wasser“ aufbereitetes Bad. Dieses wird von dem Bäderpersonal in der
Konzentration vorbereitet, die individuell vom behandelnden Arzt verschrieben
wird. Die Bäder beginnen im Allgemeinen mit 5-10 Liter „Stark-Wasser“ auf ein
Vollbad von ca. 200 Liter, die innerhalb der ersten Tage auf etwa 20 Liter
gesteigert, und in den folgenden Tagen wieder gesenkt werden.
Die Bäder werden von Montag bis Samstag im Laufe des Vormittags in
einem Zeitraum von 8-12 h. durchgeführt. So erhalten die Patienten 6
Bäderanwendungen pro Woche.
Das Levico-Bad dauert 10 Minuten. Mit einer
Badtemperatur von 37°C handelt es sich um ein Warmbad (eine weit verbreitete
Form des medizinischen Bades mit und ohne Badezusätze).
Eine Uhr gibt nach Ablauf der 10 Minuten ein akustisches Signal. Einer
der Bademeister kommt daraufhin in den Raum und reicht dem Patienten ein
vorgewärmtes großes
Baumwolltuch, in das er sich, unmittelbar nachdem er aus der Wanne
gestiegen ist, einwickelt und sich sogleich im gleichen Raum oder einem
Nebenraum auf eine mit einem Laken und einer Wolldecke vorbereitete Liege legt.
Das Badepersonal schlägt den Patienten zunächst in das Laken ein und modelliert
dann die Wolldecke um den Köper, sodass der Patient in einer ihn ganz umschließenden
Packung liegt. Er hat sich inzwischen nicht abgetrocknet und das Wasser bedeckt
noch die Haut.
In der Ruhepackung verbleiben die Patienten 30 Minuten.
Die erste Temperaturmessung der Patienten erfolgte unmittelbar vor dem Levico-Bad, die zweite Messung nach Beendigung der
30-minütigen Ruhepackung.
3.4. Untersuchungsmethoden
Aufgrund des komplexen Therapieangebotes und der zahlreichen
Einflussfaktoren einer Kurbehandlung sind Wirksamkeitsnachweise für einzelne
Maßnahmen in Form klinischer
Studien schwierig. Um dennoch Aussagen über Qualität, Effektivität und
Nachhaltigkeit des Kurverfahrens zu erhalten, werden
daher andere Konzepte der wissenschaftlichen Forschung
herangezogen, die in Form von Qualitätsmanagement- und
Qualitätssicherungssystemen Struktur-, Ergebnis- und Prozessqualität der
eingesetzten Therapien darstellen und
analysieren. Entsprechende Forschungen sind unter anderem im
Klinikverbund „Münchener Modell“ durchgeführt und (Melchart, D et al. 1994,
1996, 1997, 1998) beschrieben worden.
Die Untersuchungsmethoden dieser Studie sind:
- Immediateffekt der Bäderanwendung durch Temperaturmessungen vor und
nach der balneologischen Therapie, s. 3.4.1
- Kurtagebuch, s. 3.4.2
- Herdecker Fragebogen zur Lebensqualität, HLQ, s. 3.4.3
Die Temperaturmessungen wurden nur für wenige Wochen im Jahr 2003
durchgeführt, weshalb es nur geringe Überschneidungen mit den Patienten gibt,
die das Kurtagebuch und
den Herdecker Fragebogen zur Lebensqualität HLQ ausgefüllt haben.
Letztere wurden vom Jahr 2000 bis 2003, jeweils über die gesamte Badesaison von
März bis November, an die
Patienten ausgegeben. Deshalb ist die Schnittmenge der Patienten, die
an allen drei Untersuchungen teilgenommen haben, sehr klein.
3.4.1 Temperaturmessungen vor und nach der
balneologischen Therapie
Um neben der Beobachtung der Gesamtwirkungen der Kur die Einzelwirkung
des Levico-Bades zu erfassen, und die Dynamik der
Veränderungen der Wärmeregulation
wahrzunehmen, wurden täglich die Temperaturen vor und nach der
Bäderanwendung gemessen.
3.4.1.1 Methode der epitympanalen
Temperaturmessung
Die Temperaturmessungen wurden mit dem Ohrthermometer ThermoScan pro LT der Firma Braun als epitympanale
Messung durchgeführt.
Als eigentliche Kerntemperatur wird die an den Thermorezeptoren des Hypothalamus gemessene Temperatur definiert. Weil das
Trommelfell und das Temperaturkontrollzentrum
im Gehirn, der Hypothalamus, von gemeinsamen
Blutgefäßen versorgt werden, spiegelt die epitympanale
Temperaturmessung die Körperkerntemperatur besonders genau wieder
(Tiedt, 1993). Daher werden Veränderungen der
Körperkerntemperatur bei der Messung im äußeren Gehörgang auch schneller und
genauer angezeigt. Ein Vergleich der
Temperaturmesskurven von Gehirn und Tympanon zeigt eine hoch
signifikante Übereinstimmung. Die beiden Temperaturverläufe sind praktisch
kongruent (Foltan et al, 2004).
Abhängig vom Ort der Messung ergeben sich verschiedene Normwerte, die
in etwa die Differenz zur Kerntemperatur beschreiben: Achselhöhle -0,4 bis
-0,6°C, Mundboden -0,7°C,
Rektum -0,3°C, und äußerer Gehörgang -0,1°C.
Die Temperaturmessung wurde unmittelbar vor den Bädern und nach der
obligatorischen Ruhephase von 30 Minuten durchgeführt. So wurde nicht der
direkte Wärmeeinfluss des
Bades erfasst, sondern die regulative Reaktion des Organismus auf die
Anwendung.
Die Messungen wurden an insgesamt 62 Patienten im Zeitraum Juli/August
2003 durchgeführt, die
- ausschließlich Levico-Bäder,
- Levico-Bäder alternierend mit
Öldispersionsbädern
- Levico-Bäder alternierend mit Dampfbädern
- ausschließlich Öldispersionsbäder erhielten.
3.4.1.2 Durchschnittlicher Immediateffekt
aller Levico-Bäder
3.4.1.3 Individueller Immediateffekt der Levico-Bäder
Der individuelle durchschnittliche Immediateffekt wurde für jeden
einzelnen Patienten als individueller Mittelwert und individueller mittlerer
Fehler berechnet und durch ein Histogramm abgebildet.
Temp. in °C
3.4.1.4 Durchschnittlicher Immediateffekt der
einzelnen Badetage
Für die Temperatur aller Patienten jeweils vor und nach dem Levico-Bad wurden Mittelwert und Streuwert des 1., 2., 3.,
…..n. Bades berechnet. Für jeden Badetag lässt sich somit die durchschnittliche
Temperaturdifferenz darstellen.
3.4.1.5 Durchschnittlicher Immediateffekt
aller Bäder
Zur Darstellung der Immediateffekte unterschiedlicher Bäderanwendungen,
wurde für jede Anwendungsart
- ausschließlich Levico-Bäder
- Levico-Bäder alternierend mit Dampfbädern
- Levico-Bäder alternierend mit
Öldispersionsbädern
- ausschließlich Öldispersionsbäder
Mittelwert, Standardabweichung, Maximum und Minimum ermittelt.
3.4.1.6 Längsschnitt-Beobachtung der
Immediateffekte zur Darstellung der dynamischen Veränderungen.
Zur Darstellung der dynamischen Veränderungen der Temperaturregulation
wurden die Temperaturdifferenzen der jeweils 1., 2., 3., …n. Bäder summiert und
der Mittelwert berechnet.
Im Falle der alternierenden Bäder wurde eine Synchronisation erreicht,
durch das Übereinanderstellen des jeweils 1., 2., 3., …n. Levico-Bades
und dann für alle Badetage der Mittelwert der Temperaturdifferenz ermittelt.
Die Öldispersionsbäder werden, wie auch die Levico-Bäder,
mit einer Badetemperatur von 37°C vorbereitet.
3.4.2 Das Kurtagebuch
Die tägliche Kontrolle von Befindensparametern mit vorgegebenen
Kurtagebüchern, die über subjektive Befindensänderungen Aufschluss geben, hat
in letzter Zeit sehr an Bedeutung gewonnen. Dabei hat sich gezeigt, dass die
Befindensschwankungen einen wichtigen Indikator der vegetativen
Reaktionsdynamik darstellen (Hildebrandt, 1985;
Hildebrandt, 1990; Hildebrandt und Brandt-Reges, 1992). Weiterhin sind
Kurtagebuchuntersuchungen auch zu vergleichenden Untersuchungen von Kureffekt
und
Kurerfolg eingesetzt worden (PRATZEL, und Mitarbeiter, 1993).
Da der Kureffekt besonders am Rückgang von subjektiven Beschwerden
erlebt wird, wurden für diese Untersuchung tägliche Eintragungen in einem
Kurtagebuch ausgewertet. Die Führung von solchen Kurtagebüchern hat sich
bereits in vielen Kurorten bewährt, da von Seiten der Kurpatienten nur wenig
Zeit dafür aufgewendet werden muss und der Tagesablauf nicht durch aufwendige
Messungen gestört wird. Zahlreiche Arbeiten zeigen einen parallelen Verlauf von
subjektiven Befindensänderungen und objektiv gemessenen Funktionsänderungen
(Hildebrandt und Frank, 1974, Lammert, 1986, Muhry, Hildebrandt, Moser, 1994).
Das in den Untersuchungen der Bad Gleichenberger
Forschungsstelle bewährte Kurtagebuch
Wurde von Mitarbeitern des Arbeitskreises um Prof. Gunther Hildebrandt
für Längsschnittuntersuchungen ausgearbeitet. Es stammt aus dem Institut für
Arbeitsphysiologie
und Rehabilitationsforschung der Universität Marburg/Lahn und dem Grote
Institut in Bad Berleburg (vgl. Hildebrandt, 1959, Baier, 1970, Ficker, 1973, Frank, 1974, Riedel, 1977).
Die Fragen sind so gestellt, dass die Beantwortung den Patienten keine
Schwierigkeiten bereitet. Es gibt in der Regel 3-4 Antwortmöglichkeiten, die
jeweils zu einer Ziffer,
entsprechend den Schulnoten, verschlüsselt werden. Durch die tägliche
Dokumentation können kurzfristige Schwankungen des Befindens und
Krisensituationen erfasst werden.
Das Kurtagebuch wurde den Patienten beim ärztlichen Aufnahmegespräch
zusammen mit dem Herdecker Fragebogen zur Lebensqualität übergeben und
erläutert.
Das Kurtagebuch aus dem Institut für Arbeitsphysiologie und Rehabilitationsforschung
der Universität Marburg/Lahn und dem Grote Institut in Bad Berleburg erhielt
ein verändertes Layout. Für die italienischen Patienten wurde der Fragebogen
von Dr. med. Stefano Gasperi in die italienische
Sprache übersetzt. Beide Kurtagebücher sind im Anhang abgedruckt.
3.4.2.1 Auswertungen des Kurtagebuchs
Die Kurtagebucheintragungen wurden über 27 Tage ausgewertet.
Folgende neun Fragen/Items wurden für die Auswertung ausgewählt:
- Wie fühlen Sie sich im Vergleich zu gestern?
- Wie sind Sie gestern eingeschlafen?
- Sind Sie nachts aufgewacht?
- Haben Sie geträumt?
- Fühlen Sie sich ausgeschlafen?
- Wie ist Ihre Stimmung heute?
- Wie war Ihr Appetit heute?
- Haben Sie heute Mittag geschlafen?
- Fühlen Sie sich besser, gleich oder schlechter als vor der Kur? dazu
kamen weitere sechs Items über das Auftreten folgender Beschwerden:
- Kopfschmerz
- Schwindel
- Vermehrtes Schwitzen
- Bauchbeschwerden
- Innere Unruhe
- Angstgefühl
3.4.2.2 Statistische Methodik
Zur Darstellung des mittleren Kurverlaufes wurde für das
Gesamtkollektiv der Patienten für jedes Item und jeden Kurtag der arithmetische
Mittelwert berechnet,
die Standardabweichung, sowie der mittlere Fehler des Mittelwertes,
Das Ergebnis wurde jeweils als Liniendiagramm dargestellt. Dieser
Diagrammtyp eignet sich für die Darstellung von kurzfristigen Veränderungen und
Tendenzen, welche durch die tägliche Befragungsform erfasst werden.
Um die periodischen Strukturen, die dem Reaktionsmuster des Kurverlaufs
zugrunde liegen, deutlicher herauszuarbeiten, wurden die Einzelkurven als
aufsummiertes Liniendiagramm dargestellt.
Anschließend wurden die einzelnen Liniendiagramme einer einmaligen
übergreifenden Dreiermittelung unterzogen und eine Maxima-Minima-Berechnung
durchgeführt.
3.4.2.3 Regressionsanalysen
Um für das Patientenkollektiv die allgemeine Veränderungstendenz der
einzelnen Befindensparameter im Kurverlauf zu beurteilen, wurde jeweils die
lineare Regression
berechnet; nach der Formel Y = a + b x
3.4.3 Systematisierte Erfassung der
Lebensqualität (LQ)
Die in den letzten 15-20 Jahren neu entwickelte Möglichkeit zur
systematisierten Erfassung der Lebensqualität (LQ) von Patienten stellt einen
Fortschritt in der medizinischen Forschung dar. Während bis dahin im
wesentlichen nur durch Erhebung technischer Messdaten der Anspruch auf
Wissenschaftlichkeit erhoben werden durfte, wird dieser nun auch der Befragung
von Patienten zugestanden, nachdem dafür geeignete Methoden entwickelt worden
sind. Damit kommt der Patient selbst in angemessener Weise zu Wort (Olschewski, 1985).
Man verzichtet heute auf eine allgemeingültige Definition der
Lebensqualität und fasst sie stattdessen als mehrdimensionales Merkmal auf, das
sich im Wesentlichen aus drei allgemein anerkannten Komponenten oder
Dimensionen zusammensetzt: körperliche, psychische und soziale Bedingungen (Fletcher, 1995). Wie die Krankheit sich in den körperlichen
Beschwerden, im seelischen Verhalten und im sozialen Kontakt spiegelt, kommt
darin zum Ausdruck.
Zwei Aspekte sind bei den genannten Dimensionen zu wenig
berücksichtigt:
- Persönlichkeitspräsenz. Damit wird die Fähigkeit zu Zielsetzung und
Planung für Lebensaufgaben erfasst – ein wichtiger Aspekt in der
Krankheitsbewältigung und
Lebensgestaltung, der von den Strukturierungsmöglichkeiten der
Individualität des Patienten entworfen und durchgesetzt wird.
- Vitalität. Die vitalen Ressourcen sind während und nach einer
Krankheit häufig reduziert. Für diese vitalen Ressourcen hat der Kranke – auch
mancher Gesunde – oft nicht genügend Bewusstsein, sodass es zur ärztlichen
Beratung gehören sollte diesen Bereich zu erfragen und mit der kurz- und
langfristigen Lebensplanung in Einklang zu bringen.
Beim erkrankten Organismus und im Heilprozess liegen jeweils
unterschiedliche Verschiebungen in den Dimensionen vor. Erst die
Verlaufskontrolle durch Vergleich
mehrerer LQ-Schätzungen ergibt verwertbare
Ergebnisse.
3.4.3.1 Herdecker Fragebogen zu
Lebensqualität (HLQ)
Der von der Abteilung für Klinische Forschung am
Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke entwickelte und 1996 veröffentlichte
Herdecker Fragebogen zu Lebensqualität HLQ ist ein Instrument zur Erfassung der
allgemeinen Lebensqualität bei stationären Patienten (Guyatt,
1986). Der Fragebogen ist ein geeignetes Messinstrument, um
krankheitsübergreifend längerfristige Veränderungen der Lebensqualität zu
dokumentieren (Schulte und Kümmel, 1996) und dient bei ausreichendem zeitlichem
Abstand auch der Erfassung des Kurerfolgs, der etwa 3 Monate nach der Kur
beurteilt werden kann (Hildebrandt, 1985, S.176-181)
Um individuelle Lebensqualität zu beschreiben und die individuellen
Auswirkungen von Krankheit und Therapie gezielt zu erfassen ist es sinnvoll,
sich eines einheitlichen
Organismusbegriffs zu bedienen, in dem die Dimensionen aufeinander
abgestimmt sind und die gleichzeitig den menschlichen Organismus vollständig
erfassen.
Die anthroposophische Auffassung von der Viergliedrigkeit des
Organismus (R.S., 1904, R.S. und Wegmann 1925) erfüllt diese Bedingungen und
wird um die soziale
Dimension ergänzt, welche die menschliche Organisation auf allen
vorgenannten Ebenen umgreift.
Der Herdecker Fragebogen zur Lebensqualität umfasst in der allgemeinen
Fassung 39 allgemeine, nicht krankheitsspezifische Aussagen (Items)
unterschiedlicher Ausprägung, die den folgenden Subklassen zugeordnet werden
können:
- körperliche Verfassung
- Vitalität
- Seelisches Verhalten
- Persönlichkeitspräsenz
- Soziales Umfeld.
Die ersten vier dieser Skalen sind aus dem Konzept der anthroposophischen
Viergliederung des Menschen abgeleitet.
- Die körperliche Verfassung entspricht dem Physischen (Physischer
Leib). Dieses kann gemessen, gewogen, berührt werden. Die anderen Strukturen
projizieren sich unterschiedlich intensiv hinein.
- Die Vitalität entspricht dem Lebendigen (Ätherleib). Die lebendige
Organisation umfasst alle regenerativen, reproduktiven, gesundenden und
ernährenden Vorgänge. Sie unterliegt der Gesetzmäßigkeit des Rhythmischen und
der Gestalt-Verwandlung.
- Das seelische Verhalten entspricht dem Seelischen (Astralleib). Als
Organisation ermöglicht sie nicht nur seelisches Erleben, sondern sie ist so zu
verstehen, dass sie mit einem Teil ihrer Kraftstruktur auch das
Physisch-Lebendige durchdringt und damit alle Formen des Bewegens eines
Organismus ermöglicht. Diese Doppelnatur – Bewusstsein und Bewegung – macht
verständlich, warum sich Krankheitsprozesse des Physisch-Lebendigen im
Seelischen spiegeln können.
- Die Persönlichkeitspräsenz entspricht dem Ich. Dies ist die integrierende
Kraftstruktur, die die anderen drei koordiniert und durchdringt. Als das
eigentlich geistige Prinzip vermag es sich selbst zu erfassen. Dies erlebt man
als Eigenständigkeit der Person, ihr Freiheitsvermögen und ihre Einmaligkeit.
Zu jedem Item gab es 5 Antwortmöglichkeiten, die durch ein Gegensatzpaar
aufgebaut waren und durch die moderateren Übergänge zu einer fünfstufigen Skala
ergänzt wurden. Sie wurden numerisch von 0-4 bewertet.
- Fragen nach Häufigkeit: Antwortskala: nie – selten – gelegentlich –
oft - immer
- Fragen nach Intensität: Antwortskala: gar nicht – kaum – mäßig –
ziemlich – außerordentlich.
Für die italienischen Patienten wurde der Fragebogen von Dr. med.
Stefano Gasperi, zweisprachiger behandelnder Arzt an
der Casa di Salute Rafael, in die italienische Sprache übersetzt.
3.4.3.2 Definitionen des Zeitfensters
Jedes LQ-Messinstrument fragt nach der
Lebensqualität in einem bestimmten Bezugszeitraum, dem so genannten Zeitfenster.
Dieser Zeitraum sollte so gewählt werden,
dass kurzfristige Befindlichkeitsschwankungen das vermittelte Bild
nicht dominieren können. Das Zeitfenster des HLQ bezieht sich auf die
vergangene Woche.
Der Fragebogen wurde den Patienten zu Kurbeginn, während des ärztlichen
Aufnahmegespräches ausgehändigt und vom Patienten unmittelbar ausgefüllt. Der
zweite
HLQ wurde nach 14 Tagen Kur und der 3. Fragbogen 3 Monate nach
Kurbeginn ausgefüllt.
3.4.3.6 Methoden zum Vergleich der Subskalen
untereinander
Zur Darstellung der prozentualen Veränderung der Lebensqualität in den
5 Subskalen wurden
zu Kurbeginn die einzelnen Items des HLQ1 aller Patienten summiert und
anschließend wiederum summiert in der Subskala zusammengefasst. Das gleiche
wurde für den HLQ2
(nach 14 Tagen) und den HLQ3 (nach 3 Monaten) durchgeführt und die
prozentuale Veränderung gegenüber dem Kurbeginn errechnet: (T2-T1)*100/T1 bzw.
(T3-T1)*100/T1
Die Auswertung der HLQ 1-3 wurde für das gesamte Patientenkollektiv von
53 Patienten vorgenommen.
Die Berechnungen der HLQ 1 und HLQ 2 wurde aufgrund des höheren Anzahl
von 105 Patienten weiter differenziert in:
- Kurbeginn bis Juni / Kurbeginn ab Juli
- Patienten unter 55 Jahren / Patienten über 55 Jahren
- Frauen / Männer
- Italienische Patienten / Deutsche Patienten
Die prozentuale Veränderung der Lebensqualität in den 5 Subskalen wird
durch Säulendiagramme dargestellt.
4. ERGEBNISSE
4.1 Immediateffekte
4.1.3 Individuelle Immediateffekte der Levico-Bäder
Die Abb. 4.2 zeigt die Mittelwerte und den Mittleren Fehler der
Mittelwerte der individuellen Temperaturdifferenzen bei der Behandlung mit Levico-Bädern. Die Reihenfolge wurde nach der Reaktionshöhe
angeordnet. Bei Patient 1 ergab sich im Mittel ein Temperaturabfall um 0,133°C.
Patient 35 zeigte mit durchschnittlich 0,775°C die stärkste Temperaturzunahme.
Die übrigen Patienten lagen dazwischen.
Der mittlere Fehler des Mittelwerts der individuellen
Temperaturdifferenzen zeigt ebenfalls von Patient zu Patient eine deutlich
variierende Streubreite, die sich nicht proportional zu der Höhe des
Mittelwertes verhält. So hat Patientin 4 eine minimale Reduktion von T, aber
eine hohe Streubreite, Patientin 5 einen minimalen Anstieg von T, und eine
geringe Streubreite.
Doch können auch Patienten mit einer starken Veränderung von T, wie
Patientin 31, eine geringe Streubreite ihrer Temperaturreaktion, und auch, wie
bei Patientin 32, eine hohe Streubreite aufweisen.
Die erstaunlichen Schwankungen der Streuung von Patient zu Patient, wie
auch der durchschnittlichen Temperaturdifferenz zeigen an, dass die
individuellen Reaktionen von Bad zu Bad erhebliche Unterschiede aufweisen
können. Aufschluss darüber kann nur eine Untersuchung des einzelnen Bades im
Verlauf der Kuranwendungen bringen.
4.1.4 Durchschnittlicher Immediateffekt im
Verlauf der Bäderanwendungen
Zur Beurteilung des durchschnittlichen Immediateffektes der Levico-Bäderanwendung im Verlauf, wurden zunächst drei
definierte Zeitpunkte bzw. Bäder herausgegriffen.
Patientenkollektiv zu überschauen mussten bei Abb. 4.4 Lücken bei den
Messwerten in Kauf genommen werden.
In beiden Abbildungen zeigt sich eine Vereinheitlichung der Reaktion
auf die Levico-Bäder.
Die Abschwächung des Temperaturanstiegs, sowie die Verminderung der
Streubreite und Varianz, entsprechen den Anforderungen einer Adaptation im
Sinne einer Homogenisierung der Reaktion, die eine Anpassungsreaktion des
Organismus an einen Reizfaktor, in unserem Fall an das Levico-Bad,
darstellt.
Die Abbildung 4.5 zeigt die durchschnittliche Temperaturveränderung
durch die tägliche (mit Ausnahme des Sonntags) Anwendung der Levico-Bäder im Verlauf vom 1. bis zum 12. Bad.
Der durchschnittliche Basalwert der
Temperaturen (vor dem Bad) unterliegt deutlichen Schwankungen. So stellt sich
Bad 5 mit einem Minimum, Bad 12 mit einem Maximum des Ausgangswertes dar. Auch
die Streubreite des Basalwertes zeigt erhebliche
Unterschiede wie z.B. im Vergleich zwischen dem 6. Bad mit geringer Spannweite
und dem 7. Bad mit einergroßen Spannweite. Das gleiche gilt für die Höhe und
Streubreite der Temperaturen nach der Anwendung.
Die Temperaturdifferenz zeigt bei der 3., 8. und 11. Anwendung eine
Abflachung, die einem geringeren durchschnittlichen Temperaturanstieg an diesem
Badetag entspricht. Die Variation von Temperatur wird nicht deutlich.
Im Längsschnitt zeigt sich bei den Levico-Bädern
eine reaktive Periodik von jeweils 5 Bädern mit einer zunehmend negativen
Tendenz der mittleren Temperaturdifferenz am 3., 8., 13. und 18. Badetag.
Bei gleicher Badetemperatur von 37°C zeigt der durchschnittliche
Immediateffekt der verschiedenen Bäderanwendungen im Hinblick auf Mittelwert,
Standardabweichung, Minimum und Maximum deutliche Unterschiede.
Reine Levico-Anwendungen führen zu einem
durchschnittlichen Anstieg der Temperaturen von 0,344°, Levico-Bäder
im Wechsel mit Dampfbäder einen geringeren
durchschnittlichen Anstieg von 0,24°C. Levico-Bäder
im Wechsel mit Öldispersionsbädern haben fast den gleichen Anstieg der
mittleren Temperatur wie reine Levico-
Bäderanwendungen mit 0,346°C. Die Anwendungen von ausschließlich
Öldispersionsbädern führen zum stärksten durchschnittlichen Temperaturanstieg
mit 0,51°C.
Die Auslenkung der Minima und Maxima ist am stärksten bei den Levico-Bädern, und mit jeweils 1,9°C identisch in beiden
Richtungen. Ein Überwiegen der Erwärmung zeigt sich am deutlichsten bei den
Öldispersionsbädern mit einer ebenfalls kräftigen Auslenkung des Maximums. Am
geringsten ist die Reaktionsbreite bei den Levico-Bädern
im Wechsel mit den Dampfbädern.
Bis auf die Parameter Appetit, Mittagsschlaf und das Befinden im
Vergleich zum Vortag zeigen die übrigen Parameter eine eindeutige Tendenz der
Besserung des Befindens im Kurverlauf. Insbesondere die Qualität des Schlafs
und die Stimmung haben sich bei den Patienten deutlich verbessert. Auffallend
ist auch die Die zunehmend bessere Beurteilung des Befindens gegenüber der
Situation vor der Kur.
Die zunehmend schlechte Beurteilung des Mittagsschlafs kann sich daher
erklären, dass die Patienten aufgrund der Verbesserung ihres Gesamtbefindens
und Nachtschlafes in der 3. und 4. Kurwoche keinen Mittagsschlaf mehr gehalten
haben. Das entspricht der Beobachtung, dass sie zunehmend nach dem Mittagessen
Unternehmungen geplant haben.
4.2.7 Zusammenfassung der Ergebnisse
Die Ergebnisse der Befindensurteile zeigen im Kurverlauf keine stetige
Veränderung oder gar eine lineare Kurvenform. Vielmehr handelt es sich um einen
gegliederten Kurvenverlauf mit einem periodischen Verlaufsmuster (Abb.
4.12-4.20). Zur Beurteilung der Verlaufsperiodik wurden zusätzlich die
Verlaufskurven nach einfacher Kurvenglättung durch Dreiermittelung dargestellt.
Ein höherer Wert bedeutet eine Verschlechterung, ein niedriger Wert
eine Verbesserung des Befindens.
Für die Befindensurteile über Appetit, Einschlafverhalten,
Durchschlafverhalten, Erholung durch den Schlaf und das Vergleichsurteil
gegenüber dem Kurbeginn kann man ein frühes Maximum zum Anfang der zweiten
Kurwoche und im weiteren Verlauf eine zunehmende Dämpfung der Amplitude
feststellen.
Die Fragen: „Wie fühlen Sie sich im Vergleich zu gestern?“ und „Fühlen
Sie sich besser, gleich oder schlechter als vor der Kur?“ und der
Stimmungsverlauf zeigen eine
Zirkaseptanperiodik mit maximaler Auslenkung Mitte der 3.
Kurwoche. Das Mittagsschlafverhalten hat eine stark ansteigende Tendenz (auch
ansteigende Regressionsgerade) mit Maxima in der 3. und 4. Kurwoche. Ob es sich
hier um ein spätreaktives Muster handelt oder die Patienten, aufgrund des
verbesserten Befindens und der zunehmenden sozialen Aktivität ihre Mittagsruhe
nicht mehr halten, bleibt eine offene Frage.
Insgesamt gibt es eine deutliche Dominanz der Zirkaseptanperiodik,
die für das frühreaktive Reaktionsmuster des Kurverlaufs charakteristisch ist.
Besonders gut lässt sich die Periodik darstellen, wenn die Verlaufskurven
aufsummiert werden und gleichsinnige Tendenzen sich zunehmend verstärken. Auch
die Frühkrise am 3. Kurtag tritt durch diese Art der graphischen Darstellung
gut sichtbar hervor.
Die durchschnittlichen Beschwerdenurteile zeigen im Kurverlauf eindeutig
rückläufige Tendenzen. Weiterhin lässt sich eine klare Reaktionsperiodik
nachweisen.
4.3.4 Vergleichende Ergebnisse des HLQ 1 und
2
Im Vergleich der 5 Subskalen miteinander sieht man wiederum den
deutlichsten Effekt der Therapie mit dem Levico-Wasser
im Bereich der Vitalität, wie auch schon bei dem Patientenkollektiv HLQ 1-3 von
53 Patienten.
Bei der weiteren Differenzierung (Abb. 4.36) der Patienten nach Alter,
Zeitpunkt des Kurbeginns im Jahreslauf, nach Geschlecht und Nationalität,
zeigen sich deutliche
Unterschiede zwischen den Vergleichskollektiven bei den einzelnen
Subklassen. Besonders auffällig sind diese bei der Vitalität und der Dimension
Soziales Umfeld.
Übersicht über die Verteilung der Patienten auf die
Vergleichskollektive:
Kurbeginn: 42 Patienten bis Juni - 63 Patienten ab Juli
Alter: 55 Patienten
unter 55 Jahre - 50 Patienten über 55 Jahre
Geschlecht: 82 Frauen - 23
Männer
Nationalität: 48 Italienische
Patienten - 57 Deutsche Patienten
4.3.5 Differenzierte Ergebnisse des HLQ 1 und
HLQ 2
5.1 Diskussion zur Methodik
5.1.1 Immediateffekte
Durch das Erfassen von Immediateffekten der Temperaturregulation im
Sinne einer Reiz-Reaktions-Therapie im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang
mit dem Levico-Bad, wird eine einzelne Maßnahme
isoliert untersucht, welche den Behandlungsschwerpunkt der Kuranwendung
darstellt.
Mit der epitympanalen Temperaturmessung ist
die Möglichkeit gegeben, die Temperaturmessung in unmittelbarer Nähe zu dem
Bereich der integrierten zentralen
Überwachung der Thermoregulation vorzunehmen: dem Hypothalamus.
Diese Integrationsstufe stellt einerseits eine zentrale Instanz des
gesamten autonomen Systems dar, lässt andererseits aber auch deutliche Merkmale
einer Übergangsstufe zwischen den unteren einfacher strukturierten Regelkreisen
und solchen autonomen Reaktionsmustern erkennen, die bereits die Komplexität
von Verhaltensmustern haben. Dabei lassen sich Areale unterscheiden, deren
Reizung entweder mehr leistungsbetonte, Spannung steigernde autonome Muster (Ergotropie) auslöst, und solche, die auf Entspannung, Ruhe,
Erholung und Befriedigung zielen (trophotrop-endophylaktische
Muster) (Hess, 1948, Koizumi und Brooks, 1972). Die
vielfältigen Wechselwirkungen zwischen diesen beiden Funktionstendenzen und die
Repräsentation zentraler Schaltstellen für die Regulation aller Teilbereiche
des „internen Milieus“ kennzeichnen die Bedeutung dieser Integrationsstufe für
die Aufrechterhaltung vegetativer Gleichgewichte. Diese Funktion der Homöostase ist aufs engste verknüpft mit der Fähigkeit
einer permanenten zeitlichen Gliederung, die dazu führt, dass die
gegensätzlichen Tendenzen der autonomen Funktionen in rhythmischem Wechsel
dominieren (Hildebrandt, 1979). Die in der Bäderheilkunde verwendeten Reize
treffen im Organismus auf besonders vielfältig abgestufte Rezeptorsysteme.
Thermisch empfindliche Strukturen finden sich nicht nur in Haut und
Schleimhäuten, sondern auch in den Geweben, den Transport- und
Verteilungssystemen, sowie als zentrale Fühlerinstanzen im Kopfbereich und in
den regelnden Zentren des Gehirns selbst (Simom,
1974, Werner, 1980). Dort finden sich die Regelzentren, die besonders für die
tiefengestaffelten Rezeptorsysteme der Enterozeption
die oberste Fühlerinstanz darstellen (z.B. für thermische und osmotische
Reize).
Die ausgeprägte Tiefenstaffelung der Rezeptorsysteme lässt die
vielfältigen Möglichkeiten einer Abstufung therapeutischer Reaktionen im
vegetativ-autonomen Bereich erkennen, die allein durch die mehr oder weniger
große „Tiefenwirkung“ von Warn- und Störreizen gegeben sind.
Die rückgekoppelte Kreisstruktur der Regeleinrichtungen macht alle
Funktionskreise in der Regel schwingungsfähig (Drischel,
1973, Rensing, 1973), so dass sie sowohl spontane Rhythmizität, wie auch periodische Antworten zeigen können.
Solche Oszillationen sind aber nicht nur als Abfallprodukte der homöostatischen Regelung zu betrachten, sie erweisen sich
vielmehr als eigenes Ordnungssystem das in einem umfassenden Zusammenhang steht
(Hildebrandt, 1961, 1967, SINZ 1978, 1980).
Eine Abgrenzung reaktiv ausgelöster periodischer Vorgänge gegenüber den
vegetativautonomen Spontanrhythmen wurde erst in den letzten Jahrzehnten
vorgenommen. Dabei konnten folgende charakteristische Eigenschaften der
reaktiven Perioden, die in allen Größenordnungen der Periodendauer zu
beobachten sind, herausgearbeitet werden:
- sie treten nur nach Reizbelastung auf
- die Amplituden werden mit dem Fortschreiten der regulatorischen
Kompensation gedämpft
- die Periodendauer der reaktiven Perioden nicht identisch mit denen
der Spontanrhythmen, stehen aber vorwiegend in einfacher ganzzahliger
Beziehung zu ihnen
- die Phasenlage wird vom Reizzeitpunkt bestimmt
Die Bestimmung der epitympanalen Temperatur
soll überprüfen, ob sich im Bereich des Hypothalamus
spezifische Immediatreaktion nachweisen lassen können, die durch
Reizanwendungen mit den Levico-Bädern
ausgelöst werden.
5.1.1.1 Vergleich der
durchschnittlichen Immediateffekte bei sublingualer und epitympanaler
Temperaturmessung in einer Längsschnittdarstellung.
Die Längsschnittdarstellung der oral bzw. sublingual gemessenen
Temperaturdifferenz zeigt in ihrem Verlauf eine wesentlich andere Dynamik als
die der epitympanalen Messung. Der auffallende
Temperaturabfall, der bei den Levico-Bädern
periodisch bei jedem fünften Bad auftritt (Levico-Effekt),
zeigt sich bei der sublingualen Messmethode erst beim 10. Bad.
5.1.1.2 Vergleich individueller
Immediateffekte bei sublingualer und epitympanaler
Temperaturmessungen in einer Längsschnittdarstellung.
Die sublinguale Temperaturmessung wurde in der 3. Kurwoche unterbrochen
und in der 4. Woche wieder aufgenommen.
Der individuelle Temperaturverlaufs zeigt deutliche Unterschiede
zwischen den sublingual und epitympanal gemessenen
Temperaturen. Die beiden unterschiedlichen Meßmethoden bilden für die ersten 12
Bäder eine gegenläufige Tendenz sowohl bei der Ausgangstemperatur vor dem Bad
(blaue Kurven), wie auch bei der Temperaturreaktion nach dem Bad ab.
Die vor dem Bad gemessenen sublingualen Temperaturen sind bei der
Patientin zunächst sehr niedrig und steigen im Kurverlauf langsam an, während
die epitympanal gemessenen Temperaturen sich auf
einem konstanten Niveau bewegen.
Wie bereits in 3.4.1.1 beschrieben bietet die im äußeren Gehörgang
gemessene Tympanontemperatur eine hohe Korrelation zur Temperatur im Bereich
des Hypothalamus.
(Foltan et al, 2004). So kann mit der
Meßmethode die regulative Reaktion des Organismus auf die Anwendung erfasst
werden.
Eine interessante Beobachtung war, dass die sublingual gemessene
Temperatur dem subjektiven Wärmempfinden der Patienten entsprach
(Körperschale), während die
epitympanale Temperatur, welche die zentrale
Thermoregulation abbildet, von den Patienten häufig mit großem Befremden erlebt
wurde. Sie waren gut in der Lage die sublinguale Temperatur zu schätzen,
während es ihnen nicht gelang, die epitympanale
Temperatur einzuschätzen.
Auffallend ist bei letzteren die negative Temperaturdifferenz beim 12.
Bad.
Das bereits beschriebe Phänomen des Levico-Effekts
kann bei dieser Patientin, die Levico-Bäder im
Wechsel mit Hypericum-Öldispersionsbädern erhielt,
nur mit der epitympanalen Messung dargestellt werden.
Sie tritt im Zusammenhang mit dem 6. Levico-Bad auf
und scheint sich als eine für das Levico-Bad spezifische
modifizierte Reaktion der höheren Regulationsebene, des Hypothalamus,
darzustellen.
Die Methode der epitympanalen
Temperaturmessung ist also geeignet, die reaktiven zentralen
Regulationsprozesse zu erfassen, die durch die diskontinuierlich-iterativen Reizfaktoren
bei Anwendung mit Levico-Bädern als Immediateffekte
ausgelöst werden.
5.1.2 Kurtagebuch
Der Befund einer allgemeinen Befindensverbesserung bzw. Abnahme von
Befindensstörungen im Kurverlauf ist von zahlreichen Autoren und an
verschiedenen Kurorten mit unterschiedlichem Behandlungsregime erhoben und
systematisch ausgewertet worden (Hildebrandt, 1985, Franke, 1962,
Rechtsprecher, 1980, Hoewer, (1980), Wiemann, (1981), Webert, 1981,
Zipp, 1981, Zeising 1982, Sauer, 1983, u.a.).
Engel und Mitarbeiter (1963) haben bei der „Objektivierung
psychophysischer Umstellungen im Kurverlauf“ objektive Verlaufskurven dem
Verlauf subjektiver Befindensschwankungen gegenübergestellt. Hentschel (1968) und Stalling,
(1960), berichteten, dass im Zusammenhang mit vegetativen Umstellungen während
CO2-Sole-Thermalbädern bzw. CO2-Bädern die Verschlechterung objektiver
Kriterien mit einer synchronen Steigerung subjektiver Beschwerden einhergeht. Zeising, Hildebrandt und Stornfels
(1979) konnten einen positiven Zusammenhang zwischen objektiv gemessenen Daten
und subjektiv empfundenen Effekten und ihrer Reaktionsperiodik während
Gruppenübungen beim Autogenen Training nachweisen.
Ob nun subjektive Empfindungen oder objektive Befunde diesen
Untersuchungen zugrunde liegen, so ist allen Beobachtungen eine weitgehend
parallel verlaufende, reaktiv-periodische Gliederung des Kurverlaufs gemeinsam.
Subjektive Aussagen gelten daher heute als sensible Indikatoren für die
Kurverlaufs- und Kurerfolgsbeurteilung. Diese Tatsache kann man einem Einwand,
dass objektive Befunde die körperlichen Umstellungen im Kurverlauf sicherer
wiedergeben können, entgegenhalten.
Das in dieser Studie eingesetzte Kurtagebuch wurde an der
Forschungsstelle für Psychosomatik und Kurmedizin Bad Gleichenberg
in Anlehnung an Vorlagen von Prof.
Gunther Hildebrandt entwickelt. Es bildet kurzfristige Veränderungen
und Schwankungen im Kurverlauf durch tägliche Befragung der Patienten zu ihrem
Befinden ab.
Vor allem das Auftreten von Kurkrisen lässt sich mit diesem Instrument
gut darstellen. Es ist ein häufig eingesetztes Messinstrument, das eine hohe
Korrelation zu den objektiv messbaren physiologischen Parametern besitzt, in
der Durchführung jedoch wesentlich einfacher zu handhaben ist.
5.1.3 Herdecker Fragebogen zur Lebensqualität
Der Herdecker Fragebogen zur Lebensqualität wird als Instrument zur
Erfassung der allgemeinen Lebensqualität im Therapieverlauf zunehmend neben
anderen Formen der Patientenbefragung eingesetzt (Doerfler,
Blank, Eustachi, Gerhard, 2002, Ostermann, Beer, Matthiessen, 2002). Eine Validierung
im Vergleich mit den wissenschaftlich anerkannten Fragebögen NHP (Nottingham
Health Profile) und SF-36 (Fragebogen zum Gesundheitszustand) wurde im Jahr
2003
von D. Bemzinover durchgeführt. Die
Korrelationsanalyse zwischen den 3 Messinstrumenten zeigt eine hohe
Übereinstimmung entsprechender Bereiche. Das bedeutet, dass der HLQ ähnliche
Aufgaben wie der SF-36 und der NHP erfüllt und sowohl in klinischen als auch
epidemiologischen Studien eingesetzt werden kann.
Im Gegensatz zum SF-36 bezieht sich der HLQ nicht auf Situationen des
beruflichen und häuslichen Alltags und ist deshalb als Instrument für eine
prospektive Beobachtung der allgemeinen Lebensqualität bei stationären
Patienten geeignet. Der Herdecker Fragebogen zur Lebensqualität wurde an der
Universität Witten-Herdecke
entwickelt und validiert. Eingesetzt wurde er
unmittelbar vor Kurbeginn am Anreisetag, nach 14 Tagen Kur und 3 Monate nach
Kurbeginn. In der frühen Phase nach 14 Tagen zeigt er durch die Befindensverbesserung
eine mittelfristige Veränderung der Lebensqualität an, und in der
postklinischen Phase eignet er sich mit einem Messzeitpunkt nach 3 Monaten zur
Beurteilung des Kurerfolgs.
5.2 Diskussion der Ergebnisse
5.2.1 Immediateffekte
Von den 35 Patienten, die ausschließlich mit Levico-Bädern
behandelt wurden, waren 27 Frauen, und 8 Männer. Sie erhielten insgesamt eine
Anzahl von 288 Bädern.
Der durchschnittliche Immediateffekt zeigt einen Temperaturanstieg von
0,34°C als eine modifizierte Antwort auf den Bäderreiz.
In warmen Bädern (Temperatur über dem Thermoindifferenzbereich von
34-36°C) werden die ersten Reaktionen in der Regel über die Thermorezeptoren
der Haut ausgelöst. Infolge der differentiellen Empfindlichkeit der
Hautrezeptoren kommt es zu überschießenden Kompensationen, sodass die
Kerntemperatur initial abfällt. Dies kann wegen der
gegenseitigen Beeinflussung der zentralen Rezeptoren zu nachfolgender
Herabsetzung der Reaktionsstärke und dadurch zu phasisch-periodisch
(Witzleb, 1969) fortgesetzten Schwankungen der thermoregulatorischen Aktivität führen. Durch direkte
thermische Beeinflussung wird der Gefäßtonus der Haut
und auch der Gewebsstoffwechsel verändert. Beides geht mit einer veränderten
Durchblutung der Haut einher. Reichen die von der Hautoberfläche ausgelösten
Gegenmaßnahmen nicht aus, kommt es zu Änderung der Bluttemperatur im
Körperkern, die ihrerseits über Erregung der zentralen Temperaturfühler weitere
Reaktionen in Gang setzen. Dabei kommt offenbar den thermosensiblen hypothalamischen Zentren eine übergeordnete Bedeutung zu
(Brück, 1970, Simon, 1974).
Die thermoregulatorischen Maßnahmen des
Körpers in warmen und heißen Bädern werden überwiegend durch die sich ändernden
Kerntemperaturen über die statisch empfindlichen zentralen Rezeptoren bestimmt.
Der Stresscharakter der durch Bäder erzwungenen thermischen Bilanzstörungen
führt bei serieller Wiederholung zweifellos zu längerwelligen
reaktiv-periodischen Gesamtumschaltungen des vegetativen Systems von adaptivem
Charakter, die therapeutisch nutzbar sind (Drexel,
1970)
Die starken, von Mensch zu Mensch deutlich variierenden Schwankungen
der Temperaturreaktion auf die Levico-Bäder, wie auch
die deutlichen intraindividuellen
Schwankungen weisen bereits darauf hin, dass die Reaktionen auf das
einzelne Bad nicht gleichförmig sind.
Weiterhin ließ sich darstellen, dass die durch die Bäder ausgelösten
regulativen Veränderungen der hypothalamischen
Temperatur für die vier verschiedenen Bäderformen deutliche Unterschiede
aufweist (Abb. 4.8 und 4.9). Der deutlich höhere Temperaturanstieg durch die
Öldispersionsbäder kann durch die homogen-feinstverteilten
fetten Öle bewirkt sein, die eine zusätzliche Hülle auf den vorhandenen
Fettfilm auflagern und dadurch das thermische Verhalten des Organismus
verändern. Junge berichtet 1979 von Beobachtungen bei Badeversuchen in Form des
Öldispersionsbades, von einem Anstieg der Körpertemperatur, trotz einer um
1-2°C niedrigeren Badetemperatur. Inwieweit diese Beobachtungen
wissenschaftlich fundiert sind, lässt sich an dieser Stelle nicht klären. Da
die ätherischen Öle gut resorbiert werden, können auch die Einwirkungen auf den
Hautstoffwechsel über die Bildung humoraler
Wirkstoffe (wie z.B. Azetylcholin) Einfluss nehmen.
Im Hinblick auf die thermoregulatorischen
Wirkungen des Levico-Bades scheint eine genauere
Betrachtung des Einzelbades und des Reaktionsverlaufes sinnvoll und notwendig
um festzustellen, ob es eine spezifische modifizierte Reaktion auf den Reiz Levico-Bad gibt. Die Betrachtung der Bäder zu drei
ausgewählten Messzeitpunkten, dem 1., dem 6. und dem 12. Levico-Bad,
zeigt bereits Adaptationsphänomene, als Ausdruck reaktiver Anpassungsleistung
des Organismus an eine regelmäßig wiederholte Auseinandersetzung mit dem
Kurfaktor Levico-Bad. Die ausgelösten Modifikationen
zeigen sich in einer Abschwächung des Temperaturanstiegs und der zunehmenden
Reduktion von Streubreite und Varianz.
Nachdem wir Phänomene der Adaptation bei der punktuellen Betrachtung
einzelner Bäder festgestellt haben, war der nächste Schritt zu untersuchen, ob
es eine zeitliche Gliederung der reaktiven Temperaturveränderungen
gibt, wie auch viele andere bereits ausführlich untersuchte und beschriebene
Funktionsgrößen ein periodisch strukturiertes Reaktionsmuster aufweisen (Hildebrandt,
1975).
Die Längsschnittdarstellung der mittleren Temperaturdifferenzen ließ
eine klare periodische Rhythmizität über den
Kurverlauf erkennen, die einer Periodik von jeweils 5 Levico-Bädern
entspricht.
Die Temperatur-Verlaufskurven einzelner Patienten zeigen, dass es neben
der Temperaturregulation im Sinne eines Temperaturanstiegs auch Behandlungstage
gibt, an denen es zu einer Umkehr der Temperaturreaktion kommt (Levico-Effekt), von welcher anzunehmen ist, dass sie für
das rhythmisch-periodische Bild des durchschnittlichen Temperaturverlaufs
verantwortlich ist. Diese Phänomene müssten weiter systematisch untersucht
werden.
Deutlich ist jedoch auch bei der Längsschnittbetrachtung der mittleren
Temperaturdifferenz, dass die Reaktionsumkehr ein regelmäßiges Phänomen der Levico-Bäderbehandlung darstellt (Levico-Effekt),
das auch bei den alternierend angewandten Bädern auftritt, wenn auch zu einem
späteren Zeitpunkt. Bei den Patienten, die ausschließlich Öldispersionsbädern
erhielten, kann der Levico-Effekt nicht beobachtet
werden.
5.2.2 Kurtagebuch
Der Rückgang der negativen Befindensurteile, wie er sich im Rahmen der
Längsschnittdarstellungen (und letztlich auch an den Regressionsverläufen)
zeigt, vollzieht
sich nicht in einer stetigen oder gar linearen Kurvenform. Vielmehr
handelt es sich um einen gegliederten Kurvenverlauf mit einem periodischen
Verlaufsmuster.
Bei der Reaktionsperiodik des Kurverlaufs handelt es sich um vegetative
Gesamtumschaltungen (Hoff, 1957, 1969), wobei die Reaktionsdynamik einerseits
der funktionellen Adaptation und andererseits der trophisch-plastischen
Adaptation zugeordnet werden kann. Die beiden Formen der Adaptation
unterscheiden sich vor allem in ihrer Zeitstruktur, d.h. in ihrer Peiodendauer
und im Dämpfungsverhalten der reaktiven Periodik, die wiederum von der
vegetativen Ausgangslage abhängig sind (Engel et al, 1963, Baier, 1972, Baier
et al, 1974, Hildebrandt, 1975, 1979).
So dominiert im Bereich der funktionellen Adaption des Kurverlaufs ein
Reaktionsmuster mit etwa 7-tägiger Periodik und früher Lage des
Reaktionsmaximums, im Bereich der trophischplastischen
Adaption dominiert ein Reaktionsmuster mit etwa 10-tägiger Periodik und einem
späten Maximum.
Die während der Kur in Roncegno anhand von
Kurtagebüchern festgestellten Befindensschwankungen entsprechen im Wesentlichen
denen früherer Untersucher
(Schäfer und Hildebrandt, 1954, Meissner, 1967, Gasser,
1970, Heckerth, 1970, Höwer,
1980, Zipp, 1981, Wiemann, 1981, Webert
1981).
Die aufsummierten Liniendiagramme der Befindensverläufe zeigen ein
erstes Maximum am 3. Kurtag. Es handelt sich um ein seit langem bekanntes
Phänomen einer krisenhaften Befindensstörung im Zusammenhang mit dem Komplex
der Kureintrittsreaktion, die vor allem durch Milieu- und Ortwechsel ausgelöst werden
(HILLE, 1967a, 1967b, HILLE et al, 1968). Die Krise des 3. Tages ist v.a. durch die Urlaubsforschung bekannt geworden (Halhuber, 1960, Hittmair, 1960, Webert, 1981 u.a.). Sie ist auch
für Entlastungsreaktionen nachgewiesen worden (Hildebrandt et al, 1975).
Die im weiteren Verlauf der Kur auftretenden krisenhaften Störungen
liegen im Bereich des 10., 17. und 24. Kurtages, wie sich sowohl in den
Längsschnittdarstellungen des Befindensverlaufes, wie auch bei der Berechnung
der Maxima und Minima der Befindensurteile deutlich darstellen lässt. Sie
folgen damit der Zirkaseptanperiodik der
fortgesetzten vegetativen Gesamtumschaltungen im Kurverlauf. Zugleich ist der
erste Krisengipfel meist am stärksten ausgeprägt, was dem frühreaktiven Typus
des Reaktionsmusters bei dieser Periodendauer entspricht (Hildebrandt, 1998).
Trümper beschreibt 1985 eine Häufung schlechter Befindensurteile um die
Kurwochenenden herum. Die Krisentage der Patienten in Roncegno
lagen in etwa am 3en Tag einer jeden Kurwoche, während die durchschnittlichen
Beschwerdeäußerungen an den Wochenenden am niedrigsten ausfallen.
Die Frühkrise im Bereich des 3. Kurtages ist ein typisches Phänomen der
Sympathikotonen Patienten (ihr Fehlen für den Vagotonen) und ein Hinweis auf das weitere Reaktionsverhalten.
So sollte die jeweils adäquate Fortsetzung der Kurbehandlung bei der
Frühkrise des Sympathikotonen zunächst schonend
dosiert und ab der 3. Kurwoche gesteigert werden,
während die spät reagierenden Vagotonen nach
anfänglich kräftigen Behandlungsreizen in der 3. Kurwoche schonender bedacht
werden sollten (Hildebrandt, 1963).
Die Hauptkurkrisen in der 2. und 3. Kurwoche sind ein wichtiger
Indikator für das Eintreten der therapeutisch angestrebten vegetativen
Umstellung, die in der Balneotherapie früherer Zeiten
„provoziert und von Arzt und Patient freudig begrüßt wurden“( Hildebrandt,
1978)
Für die Kuranwendung in Roncegno kann
festgestellt werden, dass die vielfach für Kurverläufe beschriebenen Kureffekte
im Sinne einer typischen Reaktionsperiodik nachweisbar sind. Untersuchungen der
letzten Jahre mit Kurtagebüchern haben ergeben, dass nur bei positiven
Kureffekten eine signifikante Zirkaseptanperiodik im
Kurverlauf entwickelt wurde (Moog und Hildebrandt, 1994)
Um Kureffekte über den Zeitraum von 4 Wochen hinaus und den Kurerfolg
zu beurteilen, haben wir mit der Auswertung des HLQ im folgenden Kapitel ein
Langzeitergebnis.
5.2.3 Herdecker Fragebogen zur Lebensqualität
Für alle 5 Subklassen der Lebensqualität konnte eine deutliche
Verbesserung nach 14 Tagen Kur nachgewiesen werden, die sich auch nach Rückkehr
in den häuslichen Alltag in der Tendenz weiter fortsetzt und in der Befragung
drei Monate nach Kurbeginn erfasst werden konnte. Mit Ausnahme der Subklasse
Soziales Umfeld, die nur signifikante Ergebnisse aufweist, war das Ergebnis für
die übrigen 4 Subklassen hochsignifikant. Die bis zum Kurende eingetretenen
subjektiven und objektiven Veränderungen, die den Kureffekt (Lühr, 1959) bzw. das Kurergebnis (MENGER, 1966) ausmachen,
können nicht ohne weiteres mit dem Erfolg der Kur gleichgesetzt werden. Die
reaktiven Prozesse müssen am Ende einer 4- oder 6-wöchigen Behandlung durchaus
noch nicht abgeschlossen sein. Zum anderen kann die Fortsetzung dieser
reaktiven Vorgänge durch die Rückkehrreaktion mehr oder weniger gestört werden.
Der Kurerfolg ist nicht ein stabiler Zustand, sondern ein dynamischer Ablauf,
der erst Monate nach der Kur beurteilt werden kann.
Vergleichsuntersuchungen zwischen Kureffekt und Kurerfolg nach 3-6
Monaten haben bei verschiedenen Kurformen übereinstimmende Ergebnisse erbracht
(Lachmann et al, 1960, Engle et al, 1963, Baier,
1975).Die häufigste Differenz zwischen Kureffekt und Kurerfolg bestehen darin,
dass sich Befund und Befinden nach der Kur auch dort noch verbessern können, wo
zunächst kein positiver Kureffekt feststellbar war.
Eine Möglichkeit über den Kuraufenthalt hinaus Kureffekte und Kurerfolg
zu beurteilen, ist die fortgesetzte tägliche Kontrolle des Befindens über ein
Nachkurtagebuch, wie es von Muhry, Hildebrandt, Moser
et al 1993 in Bad Gleichenberg eingesetzt wurde, um
den Nachkurverlauf zu beobachten. Beobachtungen von Nesswtha
und Nathusius weisen darauf hin, dass das
individuelle Reaktionsvermögen die Dynamik des Nachkurverlaufs mitgestaltet.
Da das Reaktionsmuster des Kurverlaufs selbst von der individuellen
vegetativen Ausgangslage mitbestimmt wird, ist es nicht verwunderlich, dass die
katamnestisch kontrollierten Kurerfolge von der
Ausgangslage abhängig sind (Schäfer und Hildebrandt, 1954).
Untersuchungen des Nachkurerfolgs sind methodisch besonders aufwändig,
so dass meist auf katamnestische Befragung des
Patienten oder behandelnden Arztes zurückgegriffen wird. Den subjektiven
Angaben der Patienten über Kureffekt und Kurerfolg werden häufig Vorbehalte
entgegengebracht (Stützle, 1960, Schoger,
1967)
Das erneute Aufgreifen eines vor und während der Kur eingesetzten
Befragungsinstruments zur Lebensqualität, scheint ein geeignetes Mittel der katamnestischen Kontrolle des Kurerfolgs zu sein. Die im
Wesentlichen hochsignifikanten Ergebnisse bestätigen sowohl die Langzeitwirkung
und den Kureffekt der Bäderkur mit dem Levico-Wasser,
als auch die Tauglichkeit des Untersuchungsinstruments Herdecker-Fragebogen zur
Lebensqualität/HLQ.
Der Vergleich der prozentualen Veränderung der Lebensqualität in den
verschiedenen Subklassen zeigt für die Vitalität eine überproportional große
Auslenkung, gefolgt von der körperlichen Verfassung sowohl nach den ersten 14
Tagen Kur, wie auch weiterhin in der Nachkurbetrachtung. Auffallend ist auch
die im Nachkurverlauf sich verstärkt fortsetzende Persönlichkeitsentwicklung.
Die deutlichen Unterschiede bei der differenzierten Auswertung der
Fragebögen im Hinblick auf Alter, Geschlecht, Zeitpunkt des Kurbeginns und
Nationalität nach 14 Tagen Kuraufenthalt, weist auf unterschiedliche
Voraussetzung für die Veränderung der Lebensqualitätsparameter hin.
Inwieweit die überproportionalen Veränderungen insbesondere der
Vitalität und im Nachkurverlauf der Persönlichkeitspräsenz eine spezifische
Wirkung der Behandlung durch Levico-Bäder darstellen
könnte, muss durch weitere Untersuchungen geklärt werden.
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