Depression Anhang 2

 

[Margret Madejsky]

Sonnendoping für die Seele: Naturheilkonzepte zur Behandlung depressiver Verstimmungszustände

 

Mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift Naturheilpraxis (Ausgabe 6/2013)

Schätzungen des Bundesgesundheitsministeriums zufolge handelt es sich bei der Depression um die am häufigsten auftretende psychische Erkrankung.

Derzeit sollen mindestens vier Millionen Menschen in Deutschland und mehr als 10% aller Jugendlichen betroffen sein. Daher sehen wir uns in der Naturheilpraxis täglich mit depressiven Gemütszuständen konfrontiert. Auch fragen immer wieder Patienten nach naturheilkundlichen Alternativen zu den chemisch definierten Antidepressiva. Die Antwort lautet: Vor allem leichte bis mittelschwere Depressionen, die keine stationäre Behandlung erfordern, lassen sich mit Naturheilmittel regulieren. Allerdings gibt es auch in der Naturheilkunde kein Universalmittel mit Sofortwirkung und es gilt die Regel: >So lange die Ursache bestehen bleibt, ist Heilung nicht möglich<. Daher sollte bei Depressionen immer nach einer tiefer liegenden Ursache wie etwa einer Grunderkrankung gesucht und nach krankmachenden Lebensumständen gefragt werden.

Zunächst muss geklärt werden, wann man von einer Depression spricht. Die WHO (www.euro.who.int) definiert diese als „weit verbreitete psychische Störung, die durch Traurigkeit, Interesselosigkeit und Verlust an Genussfähigkeit, Schuldgefühle und geringes Selbstwertgefühl, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Müdigkeit und Konzentrationsschwächen gekennzeichnet sein kann.“

In der 256. Auflage des Pschyrembel liest man folgende Definition: „unspezifische Bezeichnung für eine Störung der Affektivität, bei der ein depressives Syndrom im Vordergrund steht.“

Neben den vorgenannten Symptomen sind unter dem depressiven Syndrom noch folgende psychische Beschwerden aufgelistet: Angstzustände, innere Unruhe, Zwänge, Grübelneigung, Reizbarkeit,

Verarmungsideen, hypochondrische Befürchtungen und Beziehungsstörungen. Allerdings lassen sich viele der seelischen und körperlichen Beschwerden wie etwa Schlafstörungen ebenso bestimmten

hormonellen Erkrankungen zuordnen, weswegen vor einer allzu raschen Zuordnung der Symptomatik zum depressiven Syndrom gewarnt sei. Denn sobald die „Psycho-Schublade“ geöffnet ist, wird

möglicherweise versäumt, auf der körperlichen Ebene weiterzusuchen. Dabei hängt das seelische Wohlbefinden erheblich von den Hormonen ab wie auch vom Gesamtstoffwechsel, von der Leber- und Nierenfunktion sowie vom Schlaf und es ist nicht zuletzt auch ein Spiegel der Lebenskraft.

Wenn die Stimmung mit den Hormonen schwankt

In der Frauenpraxis klagen auffällig viele Patientinnen über hormonell bedingte Stimmungstiefs. Die Betroffenen berichten über eine Verschlimmerung Ihrer Gemütssymptome vor der Regel. Ebenso

nehmen Essstörungen meist prämenstruell zu. Daher macht es Sinn, psychotherapeutische Maßnahmen oder auch Antidepressiva durch eine Hormonregulation zu ergänzen. Weil dem Prämenstruellen Syndrom eine Schilddrüsenfehlfunktion zugrunde liegen kann, sollte man die Schilddrüsenwerte in die Beurteilung einzubeziehen. Häufig findet sich nämlich folgende Trias: Prämenstruelle Beschwerden, Schilddrüsenfehlfunktion und Eisenmangel. Fragt man nach, dann gesellen sich oft noch Antriebsschwäche und sexuelle Unlust hinzu, also Symptome, die sich sowohl dem depressiven Syndrom als auch einer Hypothyreose zuordnen lassen. Dann sollte die Schilddrüse der therapeutische Dreh- und Angelpunkt sein (vgl. Madejsky: Problemherd Schilddrüse NHP 5/2009)

Nicht nur die Hormonschwankungen innerhalb des Zyklus machen den Frauen psychisch zu schaffen, sondern auch die Regelblutung selbst. Ist die Blutung zu stark, so begünstigt dies die ntstehung

einer Art Erschöpfungsdepression. Die Frauen bluten dann sozusagen auch seelisch aus. Zuweilen kann man beobachten, dass erschöpfte oder überlastete Frauen besonders stark bluten. Das liegt daran, dass Stress die hormonelle Balance stört und eine Gelbkörperschwäche begünstig.

Ist die Blutung zu schwach oder bleibt ganz aus, dann entfällt dagegen ein Entgiftungsprozess. Nicht umsonst sind die Repertorien voller Gemütssymptome, die im Zusammenhang mit der versiegenden Regelblutung stehen, zum Beispiel: „

Depression in der Menopause“ (nach Schlüren: Cyclamen D12) oder „Psychose statt Periode“ (nach Schlüren: Helleborus D4).

Darüber steigt bei entsprechender Disposition die Anfälligkeit für depressive Gemütszustände in den Phasen hormoneller Umstellung: Pubertät, Schwangerschaft, Wochenbett und Wechseljahre.

Ähnlich wie mit der Schilddrüse, die meist zum ersten Mal in der Pubertät auffällig wird und sich dann spätestens wieder in den Wechseljahren bemerkbar macht, verhält es sich auch mit dem depressiven Syndrom. Gab es in der Pubertät psychische Probleme, dann kehren diese im Klimakterium wieder.

Ebenso massiv sind die hormonellen Umstellungen in der Schwangerschaft und im Wochenbett. Es leiden schätzungsweise bis zu 15% der Schwangeren und Wöchnerinnen unter depressiven

Verstimmungszuständen. Eben weil seelisches und hormonelles Gleichgewicht eng miteinander verknüpft sind, sollte eine psychotherapeutische Betreuung viel häufiger im Zusammenspiel mit einer

sanften Hormonregulation erfolgen. Neben den bewährten Heilpflanzen wie etwa dem Frauenmantel oder den Homöopathika (z.B. Cimicifuga, Pulsatilla), erweisen sich auf diesem Gebiet vor allem potenzierte Hormone als hilfreich.

Eine Sonderstellung unter den hormonell bedingten Depressionen nimmt schließlich noch die Stillzeit ein, die zu den außergewöhnlichen Belastungssituationen im Leben einer Frau gehört. Gefährdet sind vor allem jene „jungen“ Mütter, die unvorbereitet und erschöpft von der Geburt, vor allem ohne Hilfe aus dem Umfeld in die Stillzeit gehen. Die hormonellen Umstellungen, der Schlafentzug sowie Vitamin- und Mineralstoffmangel können in eine Erschöpfungsdepression münden. Bei leichtem Verlauf haben sich morgendliche Gaben von Neurodoron Tabletten (Weleda) zusammen mit einer gezielten Substitution von Mineralstoffen, Spurenelementen und Vitaminen bewährt (z. B. Vitamin C, D, Eisen und Zink). Besser als jedes Antidepressivum wirkt in solchen Fällen eine Umstrukturierung des Alltags, die der Mutter Freiräume verschafft.

Johanniskraut ist eine der am gründlichsten erforschten Heilpflanzen. Seine Inhaltsstoffe wirken ähnlich wie chemisch definierte Antidepressiva, indem sie den Serotonin-Stoffwechsel beeinflussen.

Fuchs (der „kleine“ Fuchs), frühes 16. Jahrhundert

Die natürlichen Rhythmen stärken

Weil bei den körperlichen Beschwerden, die im Rahmen eines depressiven Syndroms auftreten, die Schlafstörungen oftmals im Vordergrund stehen,  muss man das Hauptaugenmerk zwangsläufig auf die Wiederherstellung des Schlaf-Wach-Rhythmus legen. Wenn erst die natürlichen Lebensrhythmen gestört sind, dann beginnt ein Teufelskreis: Die Schlafstörungen führen zu Erschöpfung und verstärken Muskelverspannungen, was die Antriebslosigkeit nährt und die gedämpfte Stimmungslage begünstigt. Dies schlägt sich erneut im gestörten Schlaf nieder...

Schlafstörungen sind für sich genommen bereits ein sehr komplexes Gebiet (vgl. M. Madejsky: Natürliche Wege zum gesunden Schlaf, DVD). Ob der Schlaf eintritt und erholsam ist, hängt nicht nur

von den Hormonen und vom Hirnstoffwechsel ab (Melatonin, Serotonin, Cortisol), sondern ebenso vom Schlafplatz, von den abendlichen Gewohnheiten und Ritualen etc. Dennoch kann man einige

Empfehlungen aussprechen: Bei Einschlafstörungen lohnt es sich, bereits am Nachmittag mit einem milden Tagessedativum zu beginnen, um Atemfrequenz und Erregbarkeit ein wenig abzusenken (Neurapas balance von Pascoe). Abends kann die bewährte Kombination aus Calmvalera Hevert zusammen mit Hevertdorm Tabletten versucht werden, wobei letztere meist nur bei massiven

Schlafstörungen erforderlich werden. Zusätzlich sollte Aromatherapie zum Einsatz kommen. Bewährt haben sich die ätherischen Öle von Angelikawurzel, Lavendel oder Zirbelkiefer. 

Sofern kein organisches Problem vorliegt, wie etwa Leber-, Nieren- oder Schilddrüsenerkrankungen, können rhythmische Arzneigaben nach Paracelsus die Stimmung aufhellen und einen erholsamerem Schlaf begünstigen. Im Kapitel über das Johanniskraut liest man: „Es (das Johanniskraut) soll auch nicht am Nachmittag oder in der Nacht genommen werden, sondern im Aufgang der Sonne oder in der Morgendämmerung.“ (Paracelsus: Sämtliche Werke; Aschner-Ausgabe III/632). Analog sollte man alle Sonnenheilmittel, insbesondere aber Johanniskraut (Hypericum perforatum) und Gold (Aurum metallicum), früh morgens einnehmen, damit sie ihre Licht und Lebenswärme spendenden Heilkräfte im Einklang mit der Sonne entfalten. Den kühlenden Gegenpol bilden dann abendliche Gaben von Mondheilmitteln wie etwa Baldrian (Valeriana officinalis) und Silber (Argentum metallicum). Während Baldrian das Loslassen fördert und das Einschlafen erleichtert, verbessert Silber die Regeneration.

Eine rhythmische Sonnen-Mond-Kur erweist sich vor allem dann als wohltuend, wenn die natürlichen Rhythmen beispielsweise durch Nachtwachen oder Schichtarbeit verloren gegangen sind und es in der Folge zu seelischer und körperlicher Erschöpfung kommt. Eine in der Stillzeit bewährte Kombination besteht bspw. in morgendlichen Gaben von zwei bis drei Neurodoron w Tabletten im Wechsel mit der abendlichen Einnahme von zehn bis 15 Tropfen Bryophyllum Argento cultum Rh Dilutio von Weleda. Hierzu eine kurze Erläuterung: Neurodoron besteht im Wesentlichen aus Tiefpotenzen von Gold, Eisen und Kalium phosphoricum. Gold stärkt das Ich. Das Sonnenmetall hilft, dass man sich in Stresssituationen nicht zerreißt, es hilft bei sich zu bleiben, sich zu (kon)zentrieren. Eisen verleiht auf der seelischen Ebene vor allem Wehrhaftigkeit. Außerdem stärkt Eisen die Willenskraft und erdet den kopflastigen Menschen. Abgerundet wird der Komplex durch Kalium phosphoricum, das Geist und Kreislauf anregende Schüssler-Mittel nach Nachtwachen. Das anthroposophische Kombinationspräparat hat sich daher bei Erschöpfungsdepression bewährt.

Bei mittelschweren Verläufen sei ergänzend zu Neurodoron w auf Injektionskuren mit speziell aufbereiteten Mistelextrakten hingewiesen, die meist spürbar Lebenswärme spenden, die Initiativkraft heben und einen erholsameren Schlaf mit sich bringen. Bei Erschöpfungsdepression kann man die Kur mit Iscucin Abietis Stärke A Ampullen w beginnen; zwei Mal wöchentlich eine Ampulle subkutan im Bauchraum injizieren. Die Tannenmistel von Wala erweist sich in der Praxis als die verträglichste Mistelzubereitung, die auch bei Allergien und Autoimmunprozessen zum Einsatz

kommen kann. Alternativ kann man noch an die Eschenmistel denken, die nach J. Wilkens die „Burn-out-Mistel“ ist (Abnoba Viscum fraxini D6 Ampullen), oder an die Eichenmistel, die vor allem nach Säfteverlusten in Frage kommt (Iscucin Quercus Stärke A/Potenzreihe I).

Madonnenhafte Waldengelwurz: Die Angelikawurzel hieß im Volksmund einst „Angstwurz“, weil sie die Seele durchlichtet, die Nerven stärkt und Ängste lindert.

Wenn die Ängste wachsen

Eine weitere, extrem häufige Begleiterscheinung von Depressionen sind Ängste: „95% der Depressiven weisen Angstsymptome auf und 65% der Angstpatienten werden depressiv.“

Zwar steht uns das pflanzliche Anxiolytikum Kava Kava (Piper methysticum) nicht mehr zur Verfügung, aber auch die Angelikawurzel (= Erzengelwurz, Angelica archangelica) verfügt über

angstlösende Heilkräfte. Dies trug ihr den Beinamen „Angstwurz“ ein. Auf der stofflichen Ebene finden sich in der Angelikawurzel ätherische Öle mit angstlösender und sedierender Wirkung.

Diese Eigenschaften lassen sich nutzen, indem man das ätherische Öl bei Angsterkrankungen zur Raumbeduftung gebraucht oder bei Bedarf wenige Tropfen der Ceres Archangelika Urtinktur in etwas Wasser einnimmt. Erzengelwurz kommt immer dann in Frage, wenn es an Abgrenzungsvermögen, an Lebenswärme, an innerem Licht und an Erdung mangelt. Weil Engel bekanntlich Lichtbringer sind, verstärkt die Engelwurz die Wirkung von UV-Licht. Verantwortlich sind Furanocumarine, welche zusammen mit UV-Licht phototoxisch wirken. Daher eignet sich diese Pflanze weder für den Dauergebrauch noch für Schwangere, Stillende oder lichtempfindliche Personen. Dafür erweist sich dieser Pflanzenengel sogar in der Sterbebegleitung als hilfreich, wenn akute Todesängste gelindert werden müssen. Empfehlenswert sind hier ölige Brusteinreibungen mit dem ätherischen Angelikaöl (1%ig).

Für Schwangere, Stillende und Lichtempfindliche eignet sich dagegen innerlich wie auch äußerlich angewandt Lavendel als aromatherapeutisches Anxiolytikum.

Spezielle Ängste sind natürlich auch ein dankbares Anwendungsgebiet von homöopathischen Einzelmitteln wie etwa Aconitum napellus (Panikattacken, Todesangst, Schockfolgen), Argentum

metallicum (Platzangst), Argentum nitricum (Angst vor Menschenmengen, Prüfungsangst), Arsenicum album (Angst vor Ansteckung; nimmt die Angst im Sterbeprozess), Lachesis (Angst vor Vergiftung), Phosphorus (Angst vor Gewitter), ... Sofern das Mittel passt, empfehlen sich zunächst mittlere Potenzen (z. B. D12) oder für Konstitutionskuren sanfte LM-Potenzen.

Wenn die Angst an die Nieren geht

Beide Leitsymptome des depressiven Syndroms, also Ängste und Schlafstörungen, können ihren Ursprung auch im Nieren-Nebennieren-System haben. Psychosomatiker bezeichnen die Nieren daher

als „Angstorgane“. Kurzfristig greifen großer Schreck oder Schock die Nieren an, es bilden sich im Harn blitzartig Oxalsäurekristalle. Langfristig schädigt vor allem Stress die Nieren und Nebennieren. ben weil Stress und Psychopharmaka die Neben-/Nieren angreifen, stellt deren Stärkung ein wichtiges Therapieziel dar. Bei Angststörungen sowie zur Ausleitung von Psychopharmaka empfiehlt sich das Wala Nierentonikum, das durch Ingwer-Nierenwickeln und Fußmassagen mit Kupfersalbe rot w ergänzt wird. Denn einerseits beginnt an den Fußsohlen der Nierenmeridian, so dass ansteigende Fußbäder und Einreibungen mit Kupfersalbe die Nierenenergie wieder auffüllen.

Andererseits klagen viele Angstpatienten über kalte Füße, was auch ein Zeichen mangelnder Erdung ist. Die Fußsohlen sind schließlich die Kontaktfläche zur Erde. Daher holt man den kopflastigen

Patienten, dessen Ängste, Sorgen oder schwarze Gedanken, die Energien im oberen Pol binden, am besten wieder herunter, indem man gezielt über die Füße ableitet. Eine Ausnahme bildet die agitierte

Depression, bei der kein Wärmeverlangen besteht.

In dem Fall erreicht man mehr durch Schafgarben-Leberwickel, Magnesium- und Bromverbindungen, Schilddrüsenregulation, Jodkarenz, usw.

Nach Yves Réquena (Acupuncture et phytothérapie) gehört noch der Beifuß (Artemisia vulgaris) zu den Spezifika für die Nebennieren. In der Volksmedizin gilt der Korbblütler seit Urzeiten als

Kraftspender und steht in dem Ruf, dass er den Wanderer unermüdlich macht. In der Tat wirkt

Beifußtee spürbar belebend und kann daher beispielsweise bei Erschöpfungsdepression zum Einsatz kommen. Abgesehen von der Einnahme (siehe auch „Mischung für die Nebennieren), bewährt sich

zur Behandlung akuter depressiver Krisen noch die Moxibustion mit Beifußzigarren, vor allem wenn man den Magen 36 bearbeitet, der auch „Punkt des göttlichen Gleichmuts“ heißt, weil er Gelassenheit und neue Seelenkraft spendet. Zudem war und ist der Beifuß weltweit eine Schamanenpflanze. Wenn während dem Moxen Beifußrauch freigesetzt wird, erinnert dies doch ein wenig an die exorzistischen Riten mancher Schamanen. In jedem Fall verändert diese therapeutische Räucherung spürbar die Raumatmosphäre, reinigt die Aura, wirkt entkrampfend und öffnet die Seele. In Seelenkrisen, zum Beispiel nach Fehlgeburt oder Trennung, kann man beobachten, dass durch das Moxen eine mentale Umpolung stattfindet, so dass die Krisenpatienten die Praxis mit neuem Lebensmut verlassen.

Eine spezifische Wirkung auf die durch Dauerstress erschöpften Nebennieren hat nicht zuletzt auch die Rosenwurz (Rhodiola rosea). Das alpine Dickblattgewächs ist bereits seit Jahrzehnten im Fokus

der Wissenschaft und zählt zu den Adaptogenen, die den Menschen leistungsfähiger und vor allem aber anpassungsfähiger gegenüber Stress machen.

Daher empfiehlt sich Rhodiola bei Burn-out, (Erschöpfungs-)Depressionen und Angststörungen. Klinischen Untersuchungen zufolge lindert die Rosenwurz sogar mittelschwere Depressionen. Die Wurzelextrakte verbessern die geistige Leistung, wirken der Antriebslosigkeit entgegen und bessern auch die Schlafstörungen.

„Zusätzlich konnte gezeigt werden, dass SHR-5 (R.-rosea-Extrakt) den Anstieg von Cortisol im Speichel beim Aufwachen signifikant gegenüber Placebo reduziert.“

 (Grünwald: Rhodiola rosea: ein Adaptogen bei Burnout).

Rezept: Mischung für die stressgeplagten Nebennieren

Artemisia vulgaris Dil. D6 (Beifuß)

Aurum metallicum Dil. D8 (Gold)

Eleutherococcus senticosus Dil. D1 (Taigawurzel)

Glandula suprarenales Dil. D8 (Nebenniere)

Juniperus communis Dil. D2 (Wacholder)

Je 20 ml, über eine Apotheke oder direkt bei Spagyra bestellen (www.spagyra.at) und selber mischen; 2 - 3 Mal täglich 15 bis 20 Tropfen in etwas Wasser einnehmen.

Ergänzung: Jeden Morgen zwei Kapseln Rhodiolan von Dr. Loges und zusätzlich zwei Mal wöchentlich ein Ingwer-Nierenwickel oder Fußbäder und Fußeinreibungen mit Kupfersalbe rot w.

Lichtblick aus der Pflanzenwelt

Vor allem muss aber im Zusammenhang mit Depressionen Johanniskraut (Hypericum perforatum), erwähnt werden, eine der Lieblingspflanzen des Paracelsus. Vor rund 500 Jahren empfahl Paracelsus

„Sankt Johannes-Kraut“ als Heilmittel gegen die „Phantasmata“ und definierte dieses Leiden wie folgt:

„(...) die Phantasiegebilde rufen Erscheinungen hervor, so dass der Mensch Geister und Gespenster sieht und Phantasien hört. Es sind die Krankheiten, die die Leute zwingen, sich selbst zu töten.“

(Paracelsus: Sämtliche Werke, Aschner-Ausgabe Bd. III / S. 630). Desweiteren führt er aus, dass „(...)

Phantasmata eine Krankheit ohne Körper und Substanz ist. Nur im Geist wird ein anderer Geist geboren, von welchem der Mensch regiert wird.“ (III / 631)

Seinerzeit hätte man bei dieser Symptomatik vermutlich auf Besessenheit geschlossen und einen kirchlichen Exorzismus angestrebt. Heutzutage bestünde eher Verdacht auf Schizophrenie.

Ebenso könnte auch ein akuter Depressionsschub mit Suizidgefahr gemeint sein. Jedenfalls lag Paracelsus mit seinen Empfehlungen zur Psychoregulation mit Johanniskraut durchaus richtig.

Wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge sind hochdosierte Zubereitungen (als Schwellendosis gilt eine Tagesdosis von 300 mg Hyperforin) chemisch definierten Antidepressiva ebenbürtig und

verfügen auch über einen ähnlichen Wirkungsmechanismus:

„Allerdings wirkt Johanniskraut in erster Linie über die Hemmung der Serotonin-Wiederaufnahme und das bedeutet, dass ein Wirkeintritt genauso wie bei chemisch definierten Antidepressiva erst nach ca. 14 Tagen zu erwarten ist. (...) Eine Hemmung der Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin in die präsynaptische Nervenzelle führt zur Stimmungsaufhellung.“

In der Naturheilpraxis erweist sich Johanniskraut als zuverlässiges pflanzliches Antidepressivum, das sowohl bei leichten bis mittelschweren Depressionen als auch im Entzug von Drogen, Nikotin

oder Schlafmitteln hilfreich sein kann. Weil dieses lichte Gewächs die Kraft der Mittsommersonne in sich speichert, ist die Winterdepression ein weiteres dankbares Anwendungsgebiet. Wegen der

lichtsensibilisierenden Wirkung ist jedoch bei hellhäutigen und lichtempfindlichen Personen sowie bei Schwangeren und Stillenden Vorsicht geboten. In solchen Fällen sollte man lieber auf feinstoffliche Präparate ausweichen, deren Wirkung manchmal sogar rascher eintritt als die von hochdosierten Zubereitungen. Eine wahre Sonnenmedizin ist zum Beispiel das anthroposophische Heilmittel „Aurum/Apis regina comp.“ w, das Johanniskraut in homöopathischer Tiefpotenz enthält und daher keine Lichtsensibilisierung bewirkt. Dennoch hat es sich zur Stimmungsaufhellung bewährt. Egal ob prämenstruelle oder klimakterische Dysphorie, reaktive Depression nach Abort, Trennung oder Todesfall oder Winterdepression – Aurum/Apis regina comp. erweist sich immer wieder als Sonnendoping für die Seele: Basisbehandlung bei depressiver Verstimmung). Als besonders wirksam ist die rhythmische Einnahme im Wechsel mit abendlichen Silbergaben, z.B. in Form von Argentum/Rohrzucker w (bei posttraumatischer Belastungsstörung), Bryophyllum comp. w (bei Hysterie) oder Ovaria comp. w (bei prä-/klimakterischen Depressionen).

Im Solunat Nr. 17 von Soluna findet sich ebenfalls feinstoffliches Johanniskraut. Bei dem spagyrischen Heilpflanzenkomplex handelt es sich nämlich um ein Destillat, in das die lichtsensibilisierenden

Farbstoffe nicht übergehen. Dennoch genügt die morgendliche Einnahme den empfindsamen Personen zur Stimmungsaufhellung und kann auch die Stimmungsschwankungen von Schwangeren

und Wöchnerinnen auffangen. Das Besondere am Solunat Nr. 17, das früher bezeichnenderweise Sanguisol (= Sonne fürs Blut) hieß, ist, dass es zudem noch das Sonnengewürz Safran enthält.

Safran (Crocus sativus) verfügt ebenfalls über antidepressive und euphorisierende Heilkräfte. Sofern man es sich leisten kann, sollte man bei Neigung zu Depressionen täglich eine Messerspitze

davon in die Speisen geben (Kuchen, Reis, Fisch, Currygerichte). Paracelsus lobte das gelbfärbende Sonnengewürz einst als die beste Arznei gegen die Trauer und in der Homöopathie hat es lange

schon den Ruf eine Art sanfter Opiumersatz für Kinder zu sein (z. B. Crocus sativus D4). Interessant ist nun, dass Wissenschaftler genau diese intuitiv und empirisch gewonnenen Erkenntnisse bestätigen konnten:

„Klinische Studien konnten die antidepressive Wirkung des Safrans bestätigen. (...) Der Extrakt wirkte vergleichbar wie 100 mg/d des trizyklischen Antidepressivums Imipramin oder 20 mg/d des selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmers Fluoxetin. Die antidepressive Wirkung des Safrans ist wahrscheinlich auch beteiligt an seinem positiven Einfluss auf das prämenstruelle Syndrom.

(...) Eine Interaktion mit den GABA- und Opioid-Rezeptoren könnte auch zu den angstlösenden und schlaffördernden Effekten des Safrans beitragen.“

Küchenschellenblüte: Zu den Leitsymptomen von Pulsatilla gehören hormonell bedingte Stimmungsschwankungen, wie sie etwa beim prämenstruell-dysphorischen Syndrom oder bei der

Wochenbettdepression vorkommen.

Gediegenes Silber: Silberarzneien stärken die Regenerationskräfte bei Erschöpfungsdepression oder Burn-out und unterstützen die Verarbeitung seelischer Traumen.

Basisbehandlung bei depressiver Verstimmung

Aurum/Apis regina comp. w durchlichtet die Seele Bei Aurum/Apis regina comp. handelt es sich um ein anthroposophisches Heilmittel, das eine goldene Kette von Sonnenheilmitteln enthält: Gold, Bienenkönigin und Johanniskraut. Außerdem runden der nervenstärkende Hafer, die belebende Phosphorsäure sowie das Kummermittel Ignatia diese sonnenhafte Komposition ab. Alle Bestandteile

sind in homöopathischen Tiefpotenzen enthalten, so dass selbst bei Dauereinnahme keine Lichtsensibilisierung durch Johanniskraut zu befürchten ist.

Vielmehr durchlichtet diese Sonnenmedizin die Seele und hellt die Stimmung auf. Aurum/Apis regina comp. bewährt sich als Basismittel bei depressiven Verstimmungszuständen aller Art. Im

Zusammenspiel mit Vitamin D3 lindert es die Winterdepression. Im rhythmischen Wechsel mit Argentum/Rohzucker von Wala kann es bei posttraumatischen Belastungsstörungen hilfreich sein.

Ebenso kommt es als Begleitmittel bei hormonell bedingten Stimmungstiefs zum Einsatz. Nicht zuletzt glättet es die Seelenwogen in akuten Lebenskrisen. Als besonders wirksam erweisen sich im Akutfall intrakutane Injektionen am KG17 (= „Punkt der göttlichen Himmelsenergie“), denen an den injektionsfreien Tagen die morgendliche Einnahme der Globuli folgt. 

Ingwer-Nierenwickel löst seelische Blockaden

Wer ständig kalte Füße und ein großes Wärmebedürfnis im Beckenbereich hat, kann zusätzlich Ingwer-Nierenwickel anwenden. Der erwärmende Ingwer regt die Nieren sowie die Nebennieren an.

Vor allem nach Burnout oder bei seelischer Überlastung füllen die erwärmenden Ingwer-Nierenwickel die Nierenenergie wieder auf und wirken regelrecht entstauend auf die Gefühlswelt. Weil die Nieren auch als „Organe der Angst“ bezeichnet werden, sind solche Kneippschen Wickel speziell bei Angsterkrankungen sowie nach Schock, Trennung und Verlustereignissen hilfreich. 

Anwendung: Ein bis zwei Esslöffel Ingwerpulver in einer Schüssel mit 200 ml kochendem Wasser verrühren und etwas abkühlen lassen. Ein Leintuch mit dem Ingwerbrei bestreichen und über den

Nieren direkt auf die Haut legen. Dann ein Handtuch und eine Wärmflasche darüber geben und das Ganze mit einem Wickeltuch aus Schurwolle bedecken. Schließlich noch eine Wärmflasche an die

Füße legen und den Körper mit einer weiteren großen Decke warm halten. Falls der Ingwer unangenehm brennt, nimmt man die Wärmflasche wieder weg. Der Wickel sollte etwa 15 Minuten

einwirken. Anschließend den Brei mit einem Papiertuch entfernen und die Haut mit einem feucht-warmen Lappen nachreinigen. Abschließend kann man die Nierengegend mit Kupfersalbe rot w oder mit Johanniskrautrotöl einreiben. Dann noch mindestens 15 Minuten nachruhen!

Das Einmaleins der Depressionen 

Heute berücksichtigt man bei der Diagnosestellung vor allem die Hamilton-Angstskala, auch HAM-D genannt (Hamilton rating scale for depression), sowie die Klassifikation nach der ICD-10 welche

die depressiven Episoden in verschiedene Schweregrade unterteilen.

Cave: Bei allen Formen der Depression besteht ein Suizidrisiko!

„Die Selbstmordrate unter Depressiven wird auf 10 bis 20% geschätzt.“ (Otto Benkert: Psychopharmaka, 2001)

• Agitierte Depression: diese geht stets mit auffälligen Unruhezuständen einher, bei denen die Betroffenen kaum stillsitzen oder die Hände ruhig halten können. Außerdem ist die agitierte

Depression sehr häufig mit einer Angststörung vergesellschaftet. Differentialdiagnostisch wäre vor allem eine hyperthyreote Krise auszuschließen (TSH, Puls.). 

Anmerkung: Eine Linderung der Unruhezustände lässt sich am zuverlässigsten durch Bromverbindungen erreichen, zum Beispiel Kalium bromatum D4, bis zu halb/-stündlich eine Tablette. Gleich mehrere Bromverbindungen finden sich im Solunat Nr. 14 von Soluna. Außerdem ist bei agitierter Depression absoluter Jodverzicht ratsam. 

Bei gleichzeitigen Angststörungen wären, abgesehen von professioneller Betreuung (z.B. Konfrontations- oder Verhaltenstherapie), eine Kombination aus Aromatherapie, pflanzlichen oder

homöopathischen Angstlösern zu versuchen.

• Anaklitische Depression: wird auch „Affektentzugssyndrom“ genannt, da es sich um eine typische Kinder- und Säuglingsdepression handelt, die infolge der Trennung von der Bezugsperson auftritt und sich anfangs vor allem durch Weinerlichkeit oder Trinkunlust äußert und sich bis hin zu Entwicklungsstörungen steigern kann.

Anmerkung: Bewährt haben sich abendliche Gaben von Argentum/Rohrzucker Glob. w, die vor allem den Frühchen zu ruhigerem Schlaf verhelfen. Das Mittel wurde speziell für die Behandlung des posttraumatischen Syndroms entwickelt und kann zusammen mit anderen Traumamitteln (Arnica C30 oder Opium C30) auch Jahre später zum Einsatz kommen.

• Endogene Depression: auch „Major Depression“ genannt, gemeint ist die klassische Depression, bei der ein veränderter Hirnstoffwechsel vorliegt und eine familiäre Häufung vorkommt.

Leitsymptome sind neben den psychischen Auffälligkeiten wie den depressiven Zuständen und morgendlichen Stimmungstiefs vor allem Schlafstörungen, bei denen es sich meist um Durchschlafstörungen oder um frühzeitiges Erwachen handelt.

Anmerkung: Bei leichten bis mittelschweren Verlaufsformen erweisen sich hochdosierte Johanniskrautpräparate (z. B. Laif 900) den chemisch definierten Antidepressiva als ebenbürtig.

Empfehlenswert sind hier auch rhythmische Arzneigaben.  

• Larvierte Depression:

 einst „maskierte“ und heute auch „somatisierte Depression“ genannt. Bei dieser Form tritt die depressive Stimmungslage hinter dem körperlichen Unwohlsein zurück. Die Beschwerden reichen von funktionellen Herzbeschwerden über Kopfschmerzen oder Migräne, Rücken- oder Muskelschmerzen bis hin zu gestörtem Appetit („Kummerspeck“), Verdauungsbeschwerden (Gastritis, Reizdarm) und Schlafstörungen.

Anmerkung: Fast immer liegen dem Krankheitsgeschehen unangenehme Lebensumstände zugrunde wie etwa eine unerfüllte Ehe, Probleme in der Schule oder am Arbeitsplatz, so dass das

Hauptaugenmerk auf neue Zielsetzungen in der Lebensorganisation gerichtet werden sollte. Begleitend bewähren sich Stimmungsaufheller wie Aurum/Apis regina comp. w.

• Postpartale Depression:

 betroffen sind zehn bis 15% aller Wöchnerinnen. Dabei kommt es einige Tage nach der Geburt zu den sogenannten „Heultagen“, die durch gesteigerte Empfindsamkeit und Weinerlichkeit gekennzeichnet sind. Bei entsprechender Disposition können die hormonellen Schwankungen (Oxytozin, Östrogene, Progesteron, TSH) sich bis hin zur psychotischen Depression steigern,

die eine stationäre Behandlung erfordert.

Anmerkung: Von der postpartalen Depression scheinen jene Frauen vermehrt betroffen zu sein, die zuvor schon hormonell labil waren (z. B. Schilddrüsen- und Zyklusstörungen in der

Vorgeschichte). Vorbeugend sollte man das Wochenbett gut vorbereiten, indem häusliche Hilfe

und familiärer Beistand sowie eine ausreichend lange Regenerationsphase organisiert werden.

Hilfreich ist nach Kaiserschnitt auch eine Traumabehandlung, die bspw. durch spezialisierte

Hebammen erfolgt und durch homöopathische Traumamittel ergänzt wird (z.B. Arnica C30 morgens und Argentum/Rohrzucker w abends). Begleitend können die feinstofflichen

Johanniskrautpräparate zum Einsatz kommen (z.

B. Aurum/Apis regina comp., w oder Solunat Nr. 17 von Soluna). Ferner empfehlen Hebammen am „Heultag“ Pulsatilla (Einzeldosen der C30 oder tägliche Gaben der D12).

• Prämenstruell-dysphorisches Syndrom: hierunter werden alle psychischen Beschwerden zusammengefasst, die regelmäßig in der zweiten Zyklushälfte auftreten. Verantwortlich ist ein

relativer Gelbkörpermangel, der Heißhungerattacken, Reizbarkeit oder Schlafstörungen begünstigt. Meist bestehen weitere Anzeichen einer Gelbkörperschwäche wie etwa

prämenstruelles Brustspannen, Wassereinlagerungen oder prämenstruelle Schmierblutungen. 

Anmerkung: Eine Alternative zu Antidepressiva sind hier vor allem die Kombination von pflanzlichen Stimmungsaufhellern wie etwa Safran oder Ceres Hypericum Urtinktur mit Progesteron D4 Creme (www.marktapotheke-greiff.de), von der in der zweiten Zyklushälfte je nach Reaktion täglich ein bis zwei Hub Creme in die Armbeugen einmassiert werden.

• Reaktive Depression: auch „depressive Reaktion“ genannt, tritt infolge von Kränkungen, Verlustereignissen oder anderweitig belastender Lebensumstände auf. Als Auslöser kommen

beispielsweise Todesfälle, Trennungen oder der Verlust des Arbeitsplatzes in Frage.

Anmerkung: Bei der reaktiven Depression handelt es sich um eine seelische Blockade, bei der die negative Gefühlsspirale nicht verlassen werden kann. Diese emotionale Starre lässt sich

erfahrungsgemäß gut mithilfe von Ingwer-Nierenwickeln lösen (siehe Therapiekonzept). Weil fast immer ein Verlustereignis wie etwa eine Fehlgeburt oder ein Todesfall die depressive Episode

ausgelöst hat, kommen hier am häufigsten die Trauermittel der Homöopathie zum Einsatz (z.B. Ignatia C30 oder Conium C30). Bewährt hat sich die Kombination von manuellen Verfahren

(Wickel, Moxibustion, FRZ) und Aurum/Apis regina comp. w.

• Somatogene Depression: im Rahmen einer organischen Erkrankung. Diese „exogene“ Depression kann durch verschiedene Grunderkrankungen ausgelöst werden:

a)   Extrazerebral, z.B. nach Virusinfektionen (z. B. EBV) oder bei Schilddrüsenunterfunktion 

b)   Zerebral durch Schädel-Hirn-Traumen, bei Hirntumor, nach Schlaganfall, Epilepsie, etc.

Anmerkung: Je nach Ursache und Schwachpunkt kann eine Stärkung der Organfunktion oder bei toxischer Belastung auch eine gezielte Ausleitungskur hilfreich sein. Einige Beispiele:

- Bei Depressionen nach Schlaganfall empfiehlt sich „Arnica/Aurum“ w.

- Bei Postviraler Defatigatio mit depressivem Syndrom bewährt sich Meteoreisen w.

• Saisonal-affektive Störung oder Winterdepression: wird auch als SAD (= seasonal affective Disorder) bezeichnet. Abgesehen von der gedrückten Stimmung und der Antriebsschwäche

bestehen meist auch ein gesteigertes Schlafbedürfnis und vermehrtes Verlangen nach Süßigkeiten. Als Ursache wird ein in der dunklen Jahreszeit erhöhter Melatoninspiegel sowie der

deswegen erniedrigte Serotoninspiegel diskutiert. Außerdem liegt aufgrund der geringeren Lichtexposition zugleich ein Vitamin-D-Mangel vor.

Anmerkung: Bei nachgewiesenem Vitamin-D-Mangel sollte man im Winterhalbjahr Vitamin D substituieren (Vitamin D3 Hevert Tabletten, 1 - 2 x tgl. 1 Tablette). Hilfreich sind darüber

hinaus die Lichttherapie sowie Naturheilmittel, welche die Lichtwirkung verstärken (z.B. Aurum/Apis regina comp w, Ceres Archangelica oder Ceres Hypericum Urtinktur). 

 

[Mirjam Jenny et al.]

Journal of Applied Research in Memory and Cognition

Originalpublikation:

Simple Rules for Detecting Depression

Eine Forschergruppe am Fachbereich „Adaptive Rationalität“ am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin hat einen neuen Ansatz entwickelt, wie man Depressionen schneller diagnostizieren kann. Sie vereinfachten dazu das in der Psychologie gängige und häufig zur Diagnose von depressiven Verstimmungen herangezogene Beck-Depressions-Inventar mit insgesamt

21 Kriterien. Hintergrund ist eine Annahme aus der Entscheidungsforschung, wonach einfache Mechanismen der Entscheidungsfindung oftmals genauso gut funktionieren wie komplexe. Der von ihnen entwickelte Entscheidungsbaum enthält insgesamt vier Fragen, die mit einem einfachen „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden sollen, etwa „Haben Sie diese Woche mehr geweint als früher?“ oder „Sahen Sie diese Woche besonders mutlos in die Zukunft?“. Werden alle Fragen mit „Ja“ beantwortet, liegt der Verdacht einer klinisch relevanten depressiven Verstimmung nahe.

Getestet wurde der Entscheidungsbaum auf Grundlage der Dresdner Längsschnittstudie zur psychischen Gesundheit – einer epidemiologischen Studie aus dem Jahr 2010, bei der etwa 1.300 junge Frauen zwischen 18 und 25 Jahren in einem Zeitraum von 18 Monaten Auskunft zu depressiven Symptomen geben mussten. „Wir konnten zeigen, dass sich mit dem Entscheidungsbaum Depressionen ähnlich zuverlässig vorhersagen lassen wie mit komplizierteren und langwierigeren Methoden“, sagt Studienleiterin Mirjam Jenny vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Jedoch müsse berücksichtigt werden, dass der Entscheidungsbaum für die Erkennung von Depressionen bei Frauen entwickelt und an dieser Probandengruppe getestet wurde. Männer zeigten oftmals andere Symptome als Frauen – beispielsweise weniger Traurigkeit. Dies müsse sich auch in den Fragen widerspiegeln.

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Frauen:

Haben Sie diese Woche mehr geweint als früher?

Waren Sie diese Woche enttäuscht von sich oder Haben Sie sich gehasst?

Sahen Sie diese Woche besonders mutlos in der Zukunft?

Hatten Sie diese Woche das Gefühl eine Versagerin zu sein?

Langfristig soll der Entscheidungsbaum im allgemeinmedizinischen Bereich zum Einsatz kommen: „Er kann als eine Art Schnelltest verwendet werden“, sagt Mirjam Jenny. Besonders Hausärzte könnten davon profitieren. Denn für viele Patienten mit Depressionen ist der Hausarzt die erste Anlaufstelle. „Die Fragen des Entscheidungsbaums lassen sich leicht in das Anamnese-Gespräch einbauen“, so die Wissenschaftlerin weiter. Der Test kann auch nicht medizinisch-geschultes Personal in Schulen oder im militärischen Bereich sensibilisieren, Depressionen frühzeitig zu erkennen

und weitere Hilfsmaßnahmen für die Betroffenen einzuleiten. „Psychiater, Psychologen oder Psychotherapeuten soll er aber auf keinen Fall ersetzen. Die Diagnose von Depressionen soll letztlich immer im entsprechend professionellen Kontext geschehen“, betont Mirjam Jenny.

 

[Jacquelyn Wilson]

Self-care for the Individual

Depression is a far too common illness in the U.S. where more than 8.000.000 people of all ages suffer from a major depression each year. There are many types of depression, from non-life threat­ening ten days of sadness to a very serious major depression that lasts months and frequently recurs every year, sometimes ending in suicide.

How do you know if you are depressed? Usually you feel tired, cry, feel sad, can't concentrate, are irritable, lose interest in your job, and life doesn't seem fun anymore. You may also feel guilty

or worthless, may sleep too much or too little, lose or gain weight and have various aches and pains.

If you are sad and tired and have several of the above troubles for two weeks or more, this is called a major depression. In such a case be certain to check with your health care provider for the cause and best treatment. At times, a major depression may be due to the side effects of prescription drugs, street drugs, or alcohol, or from thyroid problems or poor nutrition. Medical research has found more than one cause for depression.

For minor depressions lasting less than 2 weeks and where there are no suicidal thoughts, there can be a wonderful self-help in using homeopathic medicines. Every person can learn about self-care

for their depressed moods, irritability, fatigue, and sleep problems that may characterize a "minor depression."

Prescription drug treatment of major depression calls for a drug called an anti­depressant or the new serotonin uptake inhibitors. These drugs work 80% of the time to help depressed people feel well again, as along as they keep taking the drugs. These drugs change the brain's chemistry and when they are stopped the major depression usually comes back very fast, and the drugs have to be restarted and continuously taken. Antidepressant drugs, like Prozac and tricyclics, require a prescription because of potential serious side effects.

Most doctors treat depression only with pills or electroshock be­cause that is all they have been taught in medical school. Most doctors have never heard of, or studied, other ways such as music therapy, transcranial electrostimulation or the homeopathic medicines listed in the official Homeopathic Pharmacopeia of the U.S.

There are over 200 different homeopathic medicines that have been used to naturally treat various types of depression in the past 150 years. These homeopathic medicines are usually made from plants, minerals, and a few animal sub­stances like snake and bee venoms and animal milks.

Homeopathic drug companies put the medicines in special solutions of alcohol, water, or sugar, that retain the healing properties and get rid of all the poisonous properties and side effects. This special homeopathic way of making medicines makes them tasty and safe and much less expensive than chemical drugs.

When homeopathic medicines are taken in C 6 or higher dilution there is no possibility of poisoning, anaphylactic shock, or allergic reaction.

The key to helping depressed people with homeopathic medicines is to find a medicine that is similar to the depressed person's mind and body traits and complaints. Since there are over 200 homeopathic medicines for sadness, the health care provider must take the time to talk with and examine the patient, completely understanding all their bodily complaints. This often requires more than one hour of time and the use of reference books and other tools to find the most similar medicine that includes the treatment of all the patient's complaints, and not just the depression.

For example, a woman with a serious depression who lost her desire to do anything responded to the homeopathic medicine Aur-met. which is the official homeopathic Latin name for gold. Her depression left her several days after taking tablets of Aur-met. She was one of the 20% who did not improve by taking prescription antidepressant medi­cations and she did not want electroshock treatment. Even after she stopped the Aur-met., she remained free of sadness for months. At times her depression returned but never as severe as the first time, when, at the age of 65, her husband of 45 years died.

Every person can learn about self-care for their depressed moods, irritability, fatigue, and sleep problems that may characterize a "minor depression."

Homeopathy is appropriate in stressful situations like the death of a loved one, a separation/divorce/ loss of a job. If left untreated and your mood and body changes last more than a week or so, you may be building a foundation for a future major depression. Your doctor should be consulted to discount other illnesses that could be underlying your depression. Why not try to nip these mind changes in the bud with commonly used homeopathic medicines that have stood the test of time as natural, safe, and effective over-the-counter remedies.

Some degree of individualizing is necessary for homeopathic remedies to help. At the very least you can check in your health food store for a combination homeopathic medicine labeled for nerves, insomnia, stress-calming or the like. These combinations have several medicines in pill or liquid form. Homeopathic remedies always have their official Latin names and strength listed on the label. Ign. Ph-ac. Sep. Puls. Lach. Apis. Gels. Nat-s. Nat-m. Cham. Sulph. Nux-v. are often the ingredients used in combination homeopathic medicines for mood and sleep troubles.

Dosages of the combination homeopathics remedies are on the package or bottle and may be used at any age and with any prescription. If you are already being treated homeopathically, check with your practitioner before adding a homeopathic self-care remedy because one homeopathic remedy may block the action of another remedy.

If you have the time to individualize your self-care for a minor depression you may have better results using a single homeopathic medicine rather than a combination which may not include the medicine that is most similar to your particular needs. For the usual grief from the death of a loved one try Ign. C 6 – C 30.

Ign. used when you feel like you are going to "lose it." You can not even function except to sigh and sob. Your head may ache, tobacco smoke really bothers you. There maybe a lump in your throat that cannot be swallowed. Ign. can help when you notice that eating improves your mood, your sleep, your hiccoughs, your stomach ache. All you want to do is munch to soothe everything. Ign. helps to bring back the menstrual period that you skipped after grief Ign. also helps > itchy skin or hives from nerves especially if < from getting warm. Ign. will not cause daytime drowsiness or impair your ability to drive safely. Remember to stop taking the medicine when you get better. Ign. will not work for everyone with a mild depression, so also consider trying Sep. or Puls.

Your doctor should be consulted to discount other illnesses that could be underlying your depression.

Sep. for those who are tired from overwork, too many kids to raise, who have lost their sex drive, have menstrual problems or PMS, and are sick of being around their loved ones. Hates to be consoled or given sympathy, withdraws, is weepy, irritable, a screamer, tends to have brown spots on their face, a yellowish complexion, has sluggish circulation, feels cold and im­proves with a lot of exercise like aerobics or running miles a day.

Puls. has different and similar characteristics to Sep. and Ign. and is often used to help people over mild depressions and sadness. For those people who are weepy, but love to be consoled and given sympathy and who feel better outdoors in the fresh air or under a fan or with the windows open. Those who get better with Puls. are hot body types, rarely thirsty, often have menstrual and stomach troubles and may have a lot of mucus from their sinuses or nose. They also retain fluid easily.

Just knowing about three homeopathic medicines can give you a start in self-care of minor depression. If these symptoms persist, you must get medical help.

To learn more about homeopathy and to buy books and homeopathic supplies, contact the not-for-profit organization, The National Center for Homeopathy.

The NCH sponsors conferences and courses as well as hundreds of study groups in various states, all to help you under­stand and know when and how to use homeopathic medicines to restore your health.

 

ZEIT ONLINE

Was ist normal?

Ungewöhnliche Lebensentwürfe oder extremes Wetter: Abweichungen vom Gewohnten verunsichern die Menschen.

Ein Soziologe, eine Chemikerin und ein Toxikologe suchen nach Normen und Grenzen

"Das ist doch nicht normal!" Mit der größten Überzeugung erklären wir im Alltag Dinge für normal oder unnormal. Doch wer nachfragt, was genau normal bedeutet, bekommt höchstens eine tautologische Antwort: "Na, normal eben!" Sobald sich aber die Dinge grundlegend ändern, wird "Normalität" zum Streitfall. Zwei Entwicklungen haben dazu geführt: Heute wird eine weit größere Vielfalt von individuellen Entscheidungen und Lebensentwürfen toleriert als noch vor ein paar Jahren – eine Bundespräsidenten-Gattin mit Tatoo, ein schwuler Bürgermeister oder ein Minister mit Patchworkfamilie. Der Literaturwissenschaftler Jürgen Link, der Ende der neunziger Jahre eine Theorie des Normalismus entwarf, formuliert es so: "Offenbar erweitern sich die Normalitätsspektren und ihre Spreizung." Kurz: Es ist heute mehr normal als früher.

Die andere Entwicklung läuft diesem Trend genau entgegen. Die Wirtschafts- und Finanzkrise und all die kleinen Krisen in ihrem Gefolge lassen vieles als nicht mehr normal erscheinen: Sie hätten "eine Explosion von Äußerungen über Normalität, ihren Verlust und die Versuche, die Krise zu ›normalisieren‹, in Medien, Politik und Wirtschaft hervorgerufen", schreibt Link in seinem Buch Normale Krisen?.

Ein aktueller Streit um die Definition des Normalen tobt gerade unter Psychotherapeuten. In dieser Woche erscheint die 5te Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, kurz DSM-V. Hier definieren amerikanische Psychotherapeuten die Grenze zwischen Trauer und Depression, zwischen pubertärer Orientierungssuche und bipolarer Störung, zwischen normalem menschlichem Verhalten und behandlungsbedürftiger Krankheit.

Gibt es einen messbaren Kern des Normalen? Oder ist Normalität nur Ansichtssache? Und wie viel Abweichung von der Norm tolerieren wir?

Drei Normalitätsforscher gehen dieser Frage nach.

1. Gerhard Schulze, Sozialforscher

"Wir sind alle hochsensible Normalitätserspürer", sagt Gerhard Schulze. "Ohne unsere Antenne für das Regelmäßige wären wir nicht lebensfähig." Schulze ist Soziologe, Anfang der Neunziger wurde er mit seiner Theorie der Erlebnisgesellschaft bekannt. In seinem aktuellen Buch Krisen. Das Alarmdilemma beschäftigt er sich mit dem Begriff der Normalität: "Wer Krise sagt, muss sagen können, was normal ist." Eine erste Antwort lautet: Normal ist, was wir gewohnt sind. Und das erfassen wir, indem

wir dauernd gefühlte Statistiken anfertigen – für den Alltag reicht das meist.

Für politische und gesellschaftliche Diskussionen reicht das nicht. Gerhard Schulze war lange Jahre Professor für Methoden der empirischen Sozialforschung an der Universität Bamberg. Er hat versucht, unsere Alltagsempirie zu objektivieren. Mit standardisierten Fragebögen (Prinzip: 0 = trifft gar nicht zu, 10 = trifft voll zu) und der statistischen Analyse der Daten bemüht sich die Sozialforschung, die Wirklichkeit in den Griff zu bekommen: Normalverteilungen, Durchschnitte, Standardabweichungen sind die Ergebnisse. Das ist übersichtlich. Aber ist es aussagekräftig?

"Lächerlich" seien viele Einsichten, sagt Schulze. "Empirische Pseudo-Sozialforschung!" Um dem Normalitätsempfinden auf die Spur zu kommen, reiche die Erfassung von Häufigkeiten nicht aus; dazu brauche es andere Methoden: teilnehmende Beobachtungen, Gruppendiskussionen, Interviews. "Der Trend zur Mathematisierung der Soziologie spiegelt das Streben nach einer Exaktheit, wie sie in den Naturwissenschaften selbstverständlich ist". "Aber das Normale in der Kultur ist unscharf."

In den Naturwissenschaften dagegen erscheint alles präzise. Eine Körpertemperatur knapp unter 37° gilt in der Medizin als normal; schon wenige Grade mehr lassen den Körper heftig reagieren. Und weil wir es uns gern einfach machen, schließen wir oft von unserem Körper auf die Welt, sagt Schulze: "Der Körper ist das älteste und am weitesten verbreitete Normalitätsmodell." Und das geht so: Einen normalen Körper spürt man nicht. Merkt man etwas, ist man krank. Dann müssen Medikamente oder Operationen her, bis alles wieder normal ist. Fertig.

Und wenn wir mit diesem einfachen Normalitätsmodell des Körpers auf die komplizierte Welt losgingen, müsse das schiefgehen, sagt Gerhard Schulze: "Die Normalität von komplexen Systemen wie Gesellschaft, Wirtschaft oder Weltklima verlangt nach eigenen Theorien. Die Körpermetapher passt viel weniger, als sie suggeriert." Beispiel Klimawandel: Oft wird diagnostiziert, dass die Erde Fieber habe. "Da kann man sich nur an den Kopf fassen!", schimpft Schulze. "Was soll denn da bitte die Normaltemperatur sein?" Keine Frage: Wenn das Klima sich erwärmt, wird das Geld und Leben kosten. Aber mit dem Normalitätsbegriff kommt man hier nicht weiter. Selbst wenn man sich auf die Formel "natürlich = normal, menschengemacht = unnormal" einigte – welches der vom Menschen unbeeinflussten Klimata der Erdgeschichte wäre das normale?

Und das Beispiel Klimawandel bringe noch eine weitere Schwierigkeit ans Tageslicht, die auch in vielen Diskussionen über Wirtschaft und Gesellschaft auftauche, sagt Schulze: "Wir schließen oft vom Gewohnten auf das Gewünschte." Denn die Normalität hat zwei Seiten: zum einen die beobachtete und gemessene, von der bisher die Rede war, zum anderen die normative, also gewünschte oder vorgeschriebene. Aus der einen lässt sich die andere nicht ableiten.

2. Die Chemikerin

Noch etwas erschwere das Reden über Normalität, sagt Schulze: Es gibt nicht nur den Normalzustand – sondern auch die normale Veränderung. Häufig klingen gesellschaftliche Debatten aber so, als sei Veränderung an sich ungewöhnlich (empirisch unnormal) oder unerwünscht (normativ unnormal). Ersteres stimmt fast nie, Letzteres oft auch nicht. "Stellen Sie sich eine Automesse vor, auf der keine Innovationen präsentiert werden. Das würde das Publikum als total unnormal beanstanden", sagt Schulze. "Aber die Normalität der Veränderung ist noch schwerer zu erkennen als die Normalität eines Zustands."

Und was ist nun mit der Veränderung der Normalität? Ist bald "das Ende der Normalität" gekommen, wie der Journalist Gabor Steingart in seinem gleichnamigen Buch behauptet? Schulze meint: nein. "Zwar werden in Familie und Partnerschaft heute mehr Varianten toleriert als früher", sagt er. "Aber jeder Einzelne muss sich ja für eine Möglichkeit entscheiden. Sobald man mit einem Menschen mehr als eine Nacht verbringt, konstruiert man mit ihm eine gemeinsame Normalität." Und auch dass der Personenkreis, für den eine Normalität gilt, immer kleiner werde, stimme nicht durchweg: "In der Familie ist das so, aber in der Konsumwelt und im öffentlichen Leben nicht: Da wird der westliche Standard für immer mehr Menschen auf der Welt zur Normalität."

Julia Regnery, Nullliniensucherin

Am anderen Ende der Welt, in der Antarktis, stapft Julia Regnery Tag für Tag durch den Schnee, immer dieselben 1,5 Kilometer, auch wenn es unter minus 40° kalt wird, auch wenn der Wind mit mehr als 100 Kilometern in der Stunde bläst. Wenn Schneetreiben oder Nebel die Grenze zwischen Himmel und Erde verwischen, tastet sie sich an einer Handleine entlang. "Das ist meine Lebensversicherung", sagt die Chemikerin. Auch sie ist auf der Suche nach Normalität. Deshalb überwintert sie an einem extremen Ort, in der Neumayer-Station des Alfred-Wegener-Instituts (AWI), 3.700 Kilometer von der nächsten menschlichen Siedlung (Ushuaia, Argentinien) entfernt. Am anderen Ende ihrer Leine steht ein Container – das Spurenstoff-Observatorium. Hier misst Regnery, wie sich die Atmosphäre fernab der Zivilisation zusammensetzt: Was ist normal, wenn kein Mensch in der Nähe ist?

Auch in den Naturwissenschaften gilt: Um sagen zu können, was außergewöhnlich ist, muss man wissen, was normal ist. "Baseline" nennen das die Forscher – Nulllinie. Für Atmosphärenchemiker ist die Antarktis der Ort, wo sie dieser Linie am nächsten kommen. Hier ist die Luft besonders rein. "Normal ist für uns, was wir hier messen", sagt Julia Regnery am Telefon. Doch selbst am Ende der Welt muss man sehr sorgfältig sein, damit sich nichts Unnormales in die Messung der Normalität mogelt. Deshalb stapft die 31-jährige Chemikerin jeden Tag die 1,5 Kilometer zum Spurenstoff-Container: Stünde der direkt neben der Station, würde diese ständig Kontaminationen verursachen. Im antarktischen Sommer, wenn hier Hochbetrieb herrscht und Pistenbullis über den Schnee brausen, wird es schwierig. "Dann hilft nur eins: Wir müssen einige Messungen unterbrechen", sagt Regnery. "Als ich hier ankam, vor drei Monaten, passierte das häufiger."

Nun ist Ruhe eingekehrt, die 9 Überwinterer sind unter sich. Doch auch jetzt werden ständig Richtung und Geschwindigkeit des Windes kontrolliert, der Kontaminationen von der Station herübertragen könnte, außerdem die Partikelkonzentration in der Luft. Eine erhöhte Konzentration weist auf Verschmutzungen hin. Für diese Größen sind Grenzwerte festgelegt; werden sie überschritten, schalten sich die Messungen automatisch ab. Doch woher soll man wissen, wo die Grenze liegt, ab wann die Hintergrundatmosphäre nicht mehr normal ist? "Das sind Erfahrungswerte", sagt Rolf Weller, Regnerys Chef am AWI. Er ist seit 15 Jahren für das Spurenstoff-Observatorium verantwortlich. "Natürlich ist da Willkür mit dabei. Wir schalten eher zu häufig ab." Abgeschaltet wird übrigens meist nicht wegen menschengemachter Ausnahmesituationen, sondern wegen natürlicher: Schneestürmen.

Für viele Wissenschaftler gibt es so einen Ort wie die Antarktis, an dem sie -wenn auch unter Schwierigkeiten- eine Nulllinie finden könnten, nicht mehr. Welchen Effekt hat Handystrahlung auf

die Gesundheit? Wie hört sich Musik an, die nicht von westlicher Harmonielehre beeinflusst wird? Wer solche Fragen erforschen will, stößt auf ein grundsätzliches Problem: Es findet sich kein Ausgangszustand mehr. Heute ist fast jeder Mensch ab und zu Handystrahlung und westlich geprägtem Radiogedudel ausgesetzt. Die Baseline ist verschwunden.

Doch manchmal kann sie rekonstruiert werden. In alten Sterbetafeln finden Mediävisten Hinweise auf die Verteilung von Todesursachen vor der Ära des Funks, im Keller eines ethnologischen Museums schlummern Wachswalzen mit Tonaufnahmen afrikanischer Chöre, die vor der Erfindung des Radios entstanden. Manchmal braucht es Erfindungsreichtum, um eine Nulllinie wieder aufzuspüren.

Der Toxikologe

3. Alfonso Lampen, Grenzwert-Experte, kümmert sich darum, dass unser Essen sicher ist. Der Toxikologe vom Bundesinstitut für Risikobewertung berät die Bundesregierung in Sachen Lebensmittelsicherheit. Seine Themen machen oft Schlagzeilen: Acrylamid in Pommes frites, Dioxin in Eiern, zuletzt Aflatoxin im Futtermais. Seine Arbeitsfrage lautet: Was ist gefährlich?

Oder: Wie viel Abweichung toleriert der Mensch?

Lampen zeichnet eine ansteigende, s-förmige Kurve an die Tafel in seinem Büro. "Das ist eigentlich alles, was wir brauchen", sagt er. "Die Dosis-Wirkung-Beziehung." Dann markiert er einen Punkt, an dem die Kurve noch ganz flach ist: NOAEL (No Observed Adverse Effect Level). "Das ist die Dosis, bei der sich keine Wirkung feststellen lässt. Die teilen wir durch einen Sicherheitsfaktor von 100 bis 10.000, je nachdem, wie viel wir über den Stoff wissen." Heraus kommt die tolerierbare Tagesdosis TDI (Tolerable Daily Intake).

Eine Rechnung am Beispiel Cumarin, einem Aromastoff aus dem Zimt, der die Leber schädigen kann: NOAEL (ermittelt in Studien mit Cumarin als Arzneimittel):

10 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht. Sicherheitsfaktor: 100. Ergibt als TDI: 0,1 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht. So einfach? "In diesem Fall ja, da gibt es diese Medikamentenstudie", meint Lampen. "Aber oft haben wir wenig Daten, das ist ein Problem." Auch um sagen zu können, was gefährlich ist, braucht man erst einmal Messwerte.

Um sagen zu können, was verboten ist, braucht man Politiker. Der TDI ist nicht der gesetzliche Grenzwert. Der wird nicht im Labor ermittelt, sondern normativ festgelegt, vom Gesetzgeber. "Oft wird er künstlich gering gehalten", sagt Lampen, weit unter dem TDI. Wird so ein Grenzwert überschritten, heißt das also noch nicht, dass etwas tatsächlich gefährlich ist.

Doch selbst wenn der gesetzliche Grenzwert eingehalten werde, reiche das den Menschen oft nicht, sagt Lampen: "Über Pestizide zum Beispiel wissen wir sehr viel. Wir sind sicher, dass kein Risiko besteht, wenn die Grenzwerte eingehalten werden. Das ist aber nicht kommunizierbar." Grundsätzlich stellt der Lebensmitteltoxikologe einen Trend zur Nulltoleranz fest: "Die Leute wollen am liebsten gar keine potenziell schädlichen Stoffe im Essen. Das ist aber nicht realistisch." In einigen Honigsorten wurden Pyrolizidin-Alkaloide gefunden, die Krebs auslösen können. Die Quelle: Korbblütler. "Das kriegen Sie nicht aus dem Honig raus. Sie können den Bienen ja nicht das Anfliegen dieser Blumen verbieten." Verstärkt werde die Tendenz zur Nulltoleranz dadurch, dass man inzwischen auch geringste Konzentrationen nachweisen könne, sagt Lampen.

Normalität ist eine Frage von Messwerten, statistischen Häufigkeiten, Gewohnheiten. Normalität ist aber auch eine Frage von allgemeinen Vorschriften und persönlichen Wünschen. Das erklärt, warum die Toleranz für Abweichungen in einigen Bereichen zunimmt (Homo-Ehe), während sie gleichzeitig in anderen gegen null tendiert (Pyrrolizidin im Honig). So verbreitet das Reden über Normalität im Alltag ist, so kompliziert ist ihre Definition im Detail. Oder, wie der Soziologe Gerhard Schulze sagt: "Es gibt kaum etwas Schwierigeres als eine Theorie des Normalen."

 

[Dr. H. Gutsche]

Depressionen sind psychische Störungen mit Krankheitswert. Wesentliche Merkmale sind die Beeinträchtigung der Stimmung, Verlust der Freude, emotionale Leere, Interessenverlust, Antriebs-

und Motivationsantriebslosigkeit und umfangreiche körperliche Beschwerden unterschiedlichen Charakters.

Diese Störungen sind häufig mit anderen Störungen wie Ängste, Manien, Persönlichkeitsauffälligkeiten (vor allem bei Kindern) verbunden. Deshalb gelten Depressionen auch als häufigste aller psychischen Beeinträchtigungen. Viele Menschen kennen die genannte Symptomatik, ohne gleich als depressiv zu gelten. Wenn die Traurigkeit, Niedergeschlagenheit, Energielosigkeit, Selbstzweifel, Sinnlosigkeit, Appetitstörungen, Libidoverlust, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Konzentrationsprobleme nicht ein gewisses Maß übersteigen, bzw. eine bestimmte Dauer oder auch Reaktionen auf die Erfahrungen von Verlusten, Misserfolgen, Enttäuschung und ungewöhnliche Belastungen darstellen, gelten sie noch als normale gesunde Äußerungen des Menschen. Der "kleine" Unterschied zwischen gesund und krank gehört mit zu den (noch) ungelösten Fragen der depressiven Störungen.

Wie sollte demnach diagnostiziert werden?

Depressive Syndrome sind nur durch die Vielzahl der Auffälligkeiten erkennbar. Wesentlich ist, dass körperliche und psychische Probleme gemeinsam vorkommen. Dazu ist es für den Therapeuten hilfreich, die Symptome gewissermaßen differenziert zu erkennen. Folgende Systematik hat sich in der Praxis bewährt:

    Verhaltensbeobachtung (Motorik/Erscheinungsbild):

    Körperhaltung: verlangsamt, nervös, unruhig

    Gesichtsausdruck: weinerlich, traurig, besorgt, herab gezogene Mundwinkel, vertiefte Falten, angespannte Mimik

    Aktivitätsausdruck: eingeschränkte Bewegung, starre Haltung, Probleme in den alltäglichen Anforderungen (z.B. morgendliches Aufstehen).

 

    gefühlsmäßiges Auftreten: Hilflosigkeit, Leere, Verlassenheit, Unzufriedenheit, Angst und Sorgen, Distanz zu anderen.

    körperlich - nervliches Auftreten: Erregung, Reizbarkeit, Ermüdung, Schwäche, Weinen, Schlafstörungen, Schwankungen in persönlichem Empfinden, Wetterfühligkeit, Appetitverlust, Kopfschmerzen, Magenbeschwerden, Verdauungsprobleme, zu beachten ist ferner: Blutdruck, Zuckerspiegel, Kalziummangel, Eisenwerte, Serotonin/Adrenalinmangel bzw. -überschuß.

    gedankliche Haltung: Pessimismus, negatives Denken, Sackgasse, schwarzes Loch, Selbstzweifel und -kritik, Einfallsarmut, Konzentrationsprobleme, Grübeln, Erwarten von Katastrophen, Ausweglosigkeit, Zwecklosigkeit, Suizidgedanken.

    motivale Haltung: Misserfolgsorientiert, Vermeidung wo immer es geht, keine Verantwortung übernehmen, Hilflosigkeit, Entschlussunfähigkeit, Gefühle des Überfordert werdens, Rückzug, Abhängigkeit von anderen.

 

Für die Diagnostik depressiver Störungen werden heute eine Anzahl von gleichzeitig vorhandenen Symptomen gewertet, die über eine gewisse Zeit andauern müssen und nicht durch andere Erkrankungen bedingt sein dürfen. Der Verlauf und die Schwere/ Ausprägung (somatisch oder psychisch) werden zur Definition von Untergruppen genutzt. Die Schwere der Depression hängt

davon ab, wie viele der angelisteten Symptome jeweils vorkommen. So kann man diagnostizieren, bei einer "leichten" Depression, wenn 4 -5 Indikatoren vorhanden sind. Eine "mittelschwere" beinhaltet davon 6 -7 und eine "schwere" sogar 8 und mehr Indikationen.

Die bipolar verlaufenden affektiven Störungen (unipolar verlaufende Manien werden auch dieser Gruppe zugeordnet, dazu gehören die depressive Episode und die Dysthymia) sind durch wiederholte Episoden gekennzeichnet, in denen Stimmungen und Aktivitätsniveau deutlich gestört sind. Stimmungsschwankungen werden prognostiziert (gehobene und gesenkte Stimmung).

Eine Besserung zwischen den Episoden ist häufig erkennbar.

Sollten wahnhafte Symptome mit vorliegen, wie z.B. Schuld, Sühne, Verarmung, Strafe, so wird eine psychotische Depression diagnostiziert. Deshalb ist das Vorliegen von stimmungspassenden wahnhaften Symptomen erforderlich.

Bei Manien herrschen Inhalte der Wichtigkeit, der Einmaligkeit, der Größe, des Geliebtwerdens vor. Die Schweregrade bewerten die gehobene Stimmung und die Steigerung im Ausmaß und Geschwindigkeit der körperlichen und psychischen Aktivitäten. Manische Episoden beginnen in der Regel abrupt und dauern zwischen 2 Wochen und bis zu 5 Monaten. Die erste Episode kann

im Kindesalter auftreten und verläuft periodisch bis ins hohe Alter. Die chronisch affektiven Störungen, die Dsythymien sind von monatelangen Gefühlen der Müdigkeit und Abgeschlagenheit gekennzeichnet. Es wird sehr viel geklagt und gegrübelt, schlecht geschlafen und sich unzulänglich gefühlt. Aber man kommt mit den Anforderungen des Alltags im wesentlichen zurecht.

Weitere Unterteilungen depressiver Störungen ergeben sich auch durch das jahreszeitlich gebundene Auftreten (saisonal abhängige Depression/Kindbettdepression).

Es gibt Schätzungen, dass 15- 20% der Patienten in einer Allgemeinarzt - Praxis an nicht erkannten depressiven Störungen leiden, die eben diesen Gruppen zugeordnet werden können.

Bei einer Diagnose ist auszuschließen, dass die deutliche depressive - expansiv gehobene Stimmung durch eine körperliche Erkrankung (z. B. Schilddrüsenunterfunktion) bedingt ist. Weiterhin ist

eine direkte Einwirkung von Medikamenten, Drogen und Alkohol zu klären. Anschließend ist zu bestimmen bzw. auszuschließen ob es sich um eine Zyklothymie (lang anhaltende abgeschwächte bipolare affektive Störungen bei denen sich Phasen euphorischer Symptome abwechseln, ohne dass die Kriterien einer bipolaren Störung erfüllt werden) handelt.

Die seltenere Gruppe der unipolaren depressiven Störungen werden noch unterteilt in Dysthymien und Anpassungsstörungen. Erklärungen für depressive Erkrankungen lassen sich vereinfacht in biologische und psychologische Bedingungen des Menschen zuordnen. Aber keine dieser Ansätze ist überzeugend. Das ist auch angesichts der Vielfalt der affektiven Symptome schwierig.

Welche der Faktoren nun für den Ausbruch der Erkrankungen direkt verantwortlich sind, ist unbewiesen. Demzufolge wirken heterogene Bedingungen als Anlage für depressive Störungen.

So weiß man, dass es zu Veränderungen im Zentralnervensystem infolge biochemischer Entgleisung (z. B. Aminstoffwechsel, Neurotransmittersysteme, Rezeptorsensibilität) kommt. Einige Menschen reagieren auf körperliche Probleme (Diabetes, Krebs, HIV u. a.) und auch auf andere psychische Erkrankungen (Angst - und Zwangsstörungen) mit Verzweiflung, Resignation, Hoffnungslosigkeit - also letztlich mit Depressionen. Jede dieser Möglichkeiten kann allein oder mit anderen zu Depressionen führen.

Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens an Depressionen zu erkranken liegt bei Männern bei 12% und bis zu 26% bei Frauen. Depressionen treten in allen Lebensaltern auf. Getrennte, Geschiedene und solche, die ohne vertraute Personen leben, erkranken eher. Sie weisen eine hohe Rate von Verbindungen auf, Frauen sogar mit einem doppelt so hohen Erkrankungsrisiko als Männer.

Belastende Lebensereignisse kommen im Vorfeld depressiver Erkrankungen häufig vor. In Bezug auf den Ausgang der Erkrankung kann gesagt werden, dass etwa die Hälfte bis zu zwei Drittel der Patienten so weit gebessert werden, dass sie wieder die gewohnte Leistungsfähigkeit besitzen und das vor allem das alte Selbst-Ich hervor tritt. Es muss auch darauf hingewiesen werden, dass einzelne Beschwerden weiter bestehen können.

Man lernt jedoch, sich besser zu verstehen und mit persönlichen Defiziten umgehen zu können. Man sollte aber die nicht unerhebliche Auswirkung depressiver Erkrankungen auf das Immunsystem beachten, die darin bestehen, dass in Folge der Störung Herzerkrankungen, Verletzungen des Zentralnervensystems, Asthma bronchiale, Heuschnupfen, Allergien, Magen-Darm Geschwüre,

Diabetes mellitus auftreten können. Infektionserkrankungen sind gleichfalls mit ein Ergebnis depressiver Verstimmungen. Im nächsten Beitrag wird auf die Behandlungen depressiver Störungen

und die einzelnen Therapiemöglichkeiten näher eingegangen.

 

 

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