Geburtsgruppe Anhang 2
Die künstliche Befruchtung ist ein Überbegriff für verschiedene medizinische Methoden, die eine Schwangerschaft herbeiführen. Sie kann Paaren der Kinderwunsch erfüllen,
die auf natürlichem Wege keine Kinder bekommen können. Eine gängige Methode ist die Insemination, bei der das Sperma des Mannes mit
medizinischen Instrumenten in die Gebärmutter der Frau eingeführt wird. Eine weitere Möglichkeit ist die von Robert Edwards und Patrick Steptoe entwickelte
In-vitro-Fertilisation = die Befruchtung im Reagenzglas.
Die In-vitro-Fertilisation (IVF) findet außerhalb des Körpers der Frau in einer Glasschale statt – deswegen in-vitro (Lateinisch: "im Glas"). Die Eizelle wird noch vor dem Eisprung aus dem Eierstock entnommen. Anschließend wird sie mit einer Nährlösung und den Spermien des Mannes vermischt. Die Umgebungsbedingungen aktivieren den Samen – ein notwendiger Schritt für die künstliche Befruchtung, den der Reproduktionsmediziner Robert Edwards entwickeln konnte. Er erhielt 2010 für seine Methode den Nobelpreis.
Nach der Befruchtung beginnt die Eizelle sich zu teilen. Einige Zellteilungen später wird dieser noch winzige Embryo mit einer dünnen Nadel in die Gebärmutter der Frau eingepflanzt. Hier verdoppelt er seine Zellen weiter bis er ein bestimmtes Stadium (Blastula) erreicht hat. Dann vereinigt sich der Embryo mit dem Gewebe der Mutter und wächst weiter – genau wie ein natürlich (!?) gezeugtes Kind.
Eine Sonderform der In-vitro-Fertilisation ist die Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI), bei der ein einzelnes Spermium mit einer sehr feinen Pipette unter dem Mikroskop in die Eizelle injiziert wird.
[Jacob Simmank]
Höherer Blutdruck bei Petrischalenkindern
Im Schweizer Inselspital Bern untersuchten Mediziner und Ärzte für die neuen Belege gesunde Jugendliche. Schon 2012 hatte sich in einer ersten Studie gezeigt (Circulation: Scherrer et al., 2012), dass die Gefäße von Petrischalenkindern vorzeitig gealtert waren. Verschiedene Ultraschallmessungen ergaben, dass ihre Blutgefäße steifer waren und
größere Schwierigkeiten hatten, sich bei Sauerstoffbedarf und durch Medikamentengabe zu weiten, als bei natürlich entstandenen Kindern. Außerdem waren gewisse Schichten
der Gefäßwand dicker als bei Kontrollprobanden, möglicherweise ein Zeichen für eine beginnende Gefäßverkalkung.
Das konnte das Forscherteam am Blutdruck ablesen: Die Petrischalenkinder zeigten geringfügig höhere Werte. Das ist bedenklich, denn Bluthochdruck schädigt Gefäße und gilt als ein Hauptrisikofaktor für Herzerkrankungen und Schlaganfälle. Acht der 52 Petrischalenkinder hatten bereits Bluthochdruck, in der Kontrollgruppe war es nur eins von 40. Für den Hauptautor der aktuellen, Studie Emrush Rexhaj, zeigt dies, dass "auf den ersten Blick gesunde Kinder ernsthafte und besorgniserregende Anzeichen für ein frühes Herz-Kreislauf-Risiko haben." Und in einem Kommentar, der dem Artikel beiliegt, schreiben Ärztinnen und Ärzte aus Harvard (Journal of the American College of Cardiology: Weinrauch et al., 2018): "Sollte das Risiko für einen jugendlichen Bluthochdruck (...) wirklich sechsmal so hoch liegen, wären die Konsequenzen für die Lebensdauer gewaltig (...)."
http://www.onlinejacc.org/content/72/11/1267
Abstract
Background Assisted reproductive technologies (ART) have been shown to
induce premature vascular aging in apparently healthy children. In mice,
ART-induced premature vascular aging evolves into arterial hypertension. Given
the young age of the human ART group, long-term sequelae
of ART-induced alterations of the cardiovascular phenotype
are unknown.
Objectives This study hypothesized that vascular alterations persist in
adolescents and young adults conceived by ART and that arterial hypertension
possibly represents the first detectable clinically relevant endpoint in this
group.
Methods Five years after the initial assessment, the study investigators
reassessed vascular function and performed 24-h ambulatory blood pressure (BP)
monitoring (ABPM) in
54 young, apparently healthy participants conceived through ART and 43
age- and sex-matched controls.
Results Premature vascular aging persisted in ART-conceived subjects, as
evidenced by a roughly 25% impairment of flow-mediated dilation of the brachial
artery (p < 0.001)
and increased pulse-wave velocity and carotid intima-media
thickness. Most importantly, ABPM values (systolic BP, 119.8 ± 9.1 mm Hg vs.
115.7 ± 7.0 mm Hg, p = 0.03;
diastolic BP, 71.4 ± 6.1 mm Hg vs. 69.1 ± 4.2 mm Hg, p = 0.02 ART vs.
control) and BP variability were markedly higher in ART-conceived subjects than
in control subjects.
Eight of the 52 ART participants, but only 1 of the 43 control
participants (p = 0.041 ART vs. controls) fulfilled ABPM criteria of arterial
hypertension (>130/80 mm Hg +/o.
>95th percentile).
Conclusions ART-induced premature vascular aging persists in apparently
healthy adolescents and young adults without any other detectable classical
cardiovascular risk factors
and progresses to arterial hypertension. (Vascular Dysfunction in
Offspring of Assisted Reproduction Technologies; NCT00837642.)
https://www.ahajournals.org/doi/10.1161/CIRCULATIONAHA.111.071183?url_ver=Z39.88-2003&rfr_id=ori%3Arid%3Acrossref.org&rfr_dat=cr_pub%3Dpubmed&
In vitro fertilization has been done for 3 decades, and children born
after assisted reproductive technology (ART) now make up 1% to 4% of the births
in developed countries.1 Epidemiological work in humans has put forward the
hypothesis that environmental influences acting early in life may predispose
the children to chronic cardiovascular and metabolic disease in adulthood.2
Therefore, the safety of ART for long-term health is of utmost importance, but
there is little information.3–6 This may be related, at least in part, to the
young age of the progeny because clinically manifest disease may not yet have
had time to develop.
Among the potential long-term consequences of ART, cardiovascular
disease is an important concern. Therefore, we studied the systemic and
pulmonary vascular function in
healthy children and adolescents conceived by ART and in control
children. To assess the systemic circulation, we measured endothelium-dependent
and -independent dilation
of the brachial artery7–9 and pulse-wave velocity (PVW), a proxy of
elastic artery stiffness.10 To test for structural alterations, we assessed
carotid intima-media thickness.9
To assess pulmonary vascular function, we used high-altitude exposure
(3450 m) because hypoxia induces exaggerated pulmonary hypertension in persons
displaying endothelial dysfunction.11 We found that both systemic vascular
function and pulmonary vascular function were defective in ART children and
started to test for potential underlying mechanisms. Parent-related factors
such as hormonal stimulation to induce hyperovulation
in the mother or infertility could be responsible for long-term health problems
in the offspring. We therefore assessed vascular function in children who were
conceived naturally during hormonal stimulation of superovulation
in the mother. Moreover, we studied vascular function in sterile and fertile
parents and compared vascular function in pairs of siblings in whom one was
conceived by ART and the other was conceived naturally.
https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2018-09/kuenstliche-befruchtung-zeugung-kinderwunsch-fortpflanzung-kinder-gesundheit
Weil nach der In-vitro-Fertilisation oft mehrere Embryos in die Gebärmutter der Frau eingebracht werden, führt sie besonders oft zu Zwillingsschwangerschaften. Und die sind
für Mutter und Kind im Schnitt ein bisschen gefährlicher, denn sie können zu Frühgeburten oder Bluthochdruck in der Schwangerschaft führen.
Zwillingen:
Sep.: Für die
Mutter nach Geburt von Zwillingen (aus eigener Erfahrung: Mütter, die ihre Kinder nicht wirklich lieben,
Als ob das Ganze System der Mutter erschöpft ist.)
[Grandgeorge]
Anacardium is a very useful remedy when twins
run in the family.
Anders sieht es mit Fehlbildungen aus. Studien legen nahe, dass Kinder, die durch künstliche Befruchtung entstanden sind, etwas häufiger Herzfehler oder Fehlbildungen der Gliedmaßen haben.
Anders sieht es mit Fehlbildungen aus. Studien legen nahe, dass Kinder, die durch künstliche Befruchtung entstanden sind, etwas häufiger Herzfehler oder Fehlbildungen der Gliedmaßen haben (Clinical and Molecular Teratology: Källén et al., 2010 & American Society for Reproductive Medicine: Wen et al., 2012). Wenn man die Fruchtbarkeitsprobleme der Eltern, die auch einen Einfluss haben, in die statistische Analyse miteinbezieht, wird der Effekt zwar schwächer (Journal of Assisted Reproduction and Genetics: Rimm et al., 2011). Trotzdem gilt: Es scheint ein Unterschied zu sein, ob ein Embryo im Labor oder im Eileiter entsteht.
Darauf deuten verschiedene Untersuchungen bei Tieren, aber auch bei Menschen hin. Sie stützen die aktuellen Ergebnisse der Schweizer Forscherinnen und Forscher. Mäuse, die durch künstliche Befruchtung entstehen, haben Gefäßprobleme und sterben früher (Journal of Clinical Investigation: Rexhaj et al., 2013); Mäuse wie auch Menschen neigen zu Diabetes, sofern sie nach einer IVF-Behandlung geboren wurden (Endocrinology: Cerny et al., 2018 & Diabetes: Chen et al., 2014); und Menschen haben – das zeigen große Studien – einen statistisch signifikanten, wenn auch nur geringfügig erhöhten Blutdruck (Fertility and Sterility: Guo et al., 2017). Die jetzt erschienene Studie schließt also an eine Reihe von Belegen an und bestätigt, dass die Veränderungen und ihre Folgen bei den gleichen Kindern nicht verschwinden, sondern nach Jahren noch nachweisbar sind oder schlimmer werden.
Was aber nicht so recht zu beantworten ist: "Die Techniken der künstlichen Befruchtung beinhalten die Manipulation von Embryonen zu einer Zeit, in der sie besonders vulnerabel gegenüber externen Störungen sind", sagt Yutang Wang von der Federation University in Australien. "Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass künstliche Befruchtung die Anfälligkeit gegenüber einzelnen Erkrankungen erhöht."
Im Verdacht: das Kulturmedium, in dem die Eizelle schwimmt
Verdächtigt wird das Nährmedium, in dem die befruchtete Eizelle einige Tage lang schwimmt und sich teilt, ehe sie als Zellhaufen in die Gebärmutter verpflanzt wird. Früher
waren das einfache Salzlösungen, inzwischen enthalten sie viele weitere Bestandteile: von Glukose über Laktat bis hin zu hormonell wirksamen Substanzen. "Es ist relativ sicher, dass Kulturmedien einen Effekt haben", sagt auch Michael von Wolff, Professor am Inselspital Bern und Leiter der Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin. "Es gibt jedoch keine schlüssigen Studien, die aufzeigen, welche Zusammensetzung des Kulturmediums das Risiko erhöht oder verringert." Hinzu kommt, dass oft nur die Hersteller, also kommerzielle Firmen, wissen, was genau in einem Medium steckt. Und so beschränkt sich die Forschung oft darauf, ganze Produkte statt einzelne Bestandteile miteinander zu vergleichen (Human Reproduction: Zandstra et al., 2018).
Doch wie kann die Zusammensetzung des Kulturmediums dazu führen, dass Petrischalenkinder mitunter häufiger krank sind? Die schlüssigste Hypothese (Journal of the American College of Cardiology: Weinrauch et al., 2018): Es kommt zu epigenetischen Veränderungen. Die Epigenetik beschäftigt sich anders als die klassische Genetik nicht mit dem Code des langen DNA-Fadens, der unsere Erbinformation enthält, sondern mit allem, was rundherum passiert. Etwa wie das Erbgut verpackt ist und an welchen Stellen kleine Kohlenstoffgruppen an die Bausteine der DNA geklebt wurden. Diese Details bestimmen oft erst, ob ein Gen aktiv ist oder schläft und wie sich eine Zelle verhält. Epigenetische Veränderungen sind zudem viel dynamischer als genetische, die sich häufig erst über viele Generationen durchsetzen. Studien zeigen, dass Embryonen, die durch künstliche Befruchtung entstanden sind, besonders oft bestimmte epigenetische Veränderungen aufweisen (Human Reproduction Update: Lazaraviciute et al., 2014). Auch solche, die Forscherinnen und Wissenschaftler mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Zusammenhang setzen können.
Der vielleicht dringlichste Hinweis für die Epigenetik-Hypothese sind aber Syndrome, die durch genetische Prägung verursacht werden. Hierbei stellen epigenetische Veränderungen die Genvariante eines Elternteils komplett ruhig. Ein Beispiel ist das Beckwith-Wiedemann-Syndrom. Kinder, die damit geboren werden, haben hohe Mengen eines bestimmten Wachstumsfaktors im Blut. Sie entwickeln sich zu schnell, haben eine auffallend große Zunge, oft Herzprobleme und bekommen häufiger bestimmte Krebsarten. Das Risiko, an diesem Syndrom zu erkranken, ist für Kinder nach künstlicher Befruchtung fünfmal höher als bei anderen (Fertility and Sterility: Vermeiden & Bernardus, 2013). Das heißt: Während normalerweise nur eines von ungefähr 14.000 Kindern das Syndrom hat, betrifft es nach künstlicher Befruchtung wohl eines von 3.000.
Die Schweizer Studie, an der die Debatte um die Folgen von künstlichen Befruchtungen nun entbrennt, dürfte nur die Spitze des Eisbergs sein. Denn, so sagte es Michael Davies von der Uni Adelaide in Australien und Experte auf dem Feld dem Science Media Center: "Sie schloss nur dem Anschein nach gesunde Kinder aus unkomplizierten Schwangerschaften ein. Wie die Autoren schon feststellen, legt diese Auswahl nahe, dass die Gesamtzahl der durch Fruchtbarkeitstherapien betroffenen Kinder deutlich höher ist." Immer klarer wird nämlich, dass es bei Schwangerschaften, die durch künstliche Befruchtung entstehen, deutlich mehr Komplikationen gibt: Die Mütter haben häufiger Diabetes und Bluthochdruck während der Schwangerschaft und die Kinder kommen deutlich häufiger zu früh zur Welt (Fertility and Sterility: Qin et al., 2016).
Je älter die Eltern, desto kranker die Kinder
Dazu kommt ein noch größeres Problem: Die meisten angeführten Studien haben Faktoren wie das Alter oder mütterliche Erkrankungen herausgerechnet, um den direkten Effekt der Techniken zur In-vitro-Fertilisation zu messen. In der Wirklichkeit aber gehen diese Dinge oft Hand in Hand. Seit Jahren steigt das Alter der Männer und Frauen, die eine künstliche Befruchtung in Anspruch nehmen. Dabei nimmt die Qualität der Spermien und Eizellen mit dem Alter deutlich ab – und damit die Gefahr zu, dass die Schwangerschaft nicht glatt verläuft, das Kind mit einer Behinderung zur Welt kommt oder im Laufe des Lebens verschiedene Probleme wie ADHS oder Krebs entwickelt (American Journal of Perinatology: Nassar & Usta, 2009). Den riskantesten Einfluss auf die Gesundheit ihrer Kinder haben aber vor allem ältere Menschen und Personen, deren Grunderkrankungen
ihnen womöglich eine Schwangerschaft ohne künstliche Befruchtung nicht erlauben würden.
Die großen Errungenschaften der Reproduktionsmedizin haben Nebenwirkungen. Der Mensch kann die Bedingungen der Natur nur bedingt nachbilden. Wann immer er es
versucht, werden ihm Fehler unterlaufen. Mal gröbere, mal nur winzige. Und diese Fehler können Folgen haben.
"Der allergrößte Teil der
Kinder ist gesund"
Künstliche Befruchtungen könnten
bislang kaum bekannte Risiken für Kinder bergen. Zwei Experten erklären, was
das bedeutet und was sich ändern muss.
Interviewer: Jakob Simmank/Interviews der Kardiologe Urs Scherrer (Professor am Department for Biomedical Research der Uni Bern. Er beschäftigt sich seit Jahren mit den Auswirkungen von IVF auf das Gefäßrisiko) und die Reproduktionsbiologin Verena Nordhoff (Reproduktionsbiologin am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie
des Universitätsklinikums Münster)
22. September 2018, 17:11 Uhr 38
Kommentare
Künstliche Befruchtung: Seit 40
Jahren sind durch künstliche Befruchtung mehr als acht Millionen Kinder
entstanden.
Mehr als acht Millionen Kinder
sind in den letzten 40 Jahren durch künstliche Befruchtung entstanden. © Alex
Pasarelu/unsplash.com
ZEIT ONLINE veröffentlichte
kürzlich den Artikel "Diese Kinder sind doch nicht so gesund". Darin
hieß es, dass Kinder, die durch eine künstliche Befruchtung entstanden sind,
später im Leben womöglich ein höheres Risiko haben, bestimmte Krankheiten zu
bekommen. Dazu zählt vor allem eine frühzeitige Gefäßalterung, die Herzinfarkte
und Schlaganfälle begünstigen könnte. Viele Leserinnen und Leser sendeten
Zuschriften, in denen sie fragten, was die Ergebnisse für ihr Leben oder das
ihrer Kinder bedeuten könnten. Darauf gehen an dieser Stelle in Interviews der
Kardiologe Urs Scherrer und die Reproduktionsbiologin
Verena Nordhoff ein.
In-vitro-Fertilisation
Die künstliche Befruchtung
IVF und ICSI
Die In-vitro-Fertilisation
(IVF) findet außerhalb des Körpers der Frau in einer Glasschale statt –
deswegen in-vitro (Lateinisch: "im Glas").
Die Eizelle wird noch vor dem Eisprung aus dem Eierstock entnommen.
Anschließend wird sie mit einer Nährlösung und den Spermien des Mannes
vermischt. Die Umgebungsbedingungen aktivieren den Samen – ein notwendiger
Schritt für die künstliche Befruchtung, den der Reproduktionsmediziner Robert
Edwards entwickeln konnte. Er erhielt 2010 für seine Methode den Nobelpreis.
Nach der Befruchtung beginnt die
Eizelle sich zu teilen. Einige Zellteilungen später wird dieser noch winzige
Embryo mit einer dünnen Nadel in die Gebärmutter der Frau eingepflanzt. Hier
verdoppelt er seine Zellen weiter bis er ein bestimmtes Stadium (Blastula)
erreicht hat. Dann vereinigt sich der Embryo mit dem Gewebe der Mutter und
wächst weiter – genau wie ein natürlich gezeugtes Kind.
Eine Sonderform der In-vitro-Fertilisation ist die Intrazytoplasmatische
Spermieninjektion (ICSI), bei der ein einzelnes Spermium mit einer sehr feinen
Pipette unter dem Mikroskop in die Eizelle injiziert wird.
ZEIT ONLINE: Herr Scherrer, in Ihrer neuen Studie vergleichen Sie die
Gefäßfunktion und den Blutdruck von Jugendlichen, die durch künstliche
Befruchtung zur Welt gekommen sind, mit solchen, die durch natürliche
Befruchtung entstanden sind (Journal of the American
College of Cardiology: Meister et al., 2018). Das
Ergebnis: Bei ersteren scheinen die Gefäße vorgealtert und der Blutdruck öfter
erhöht. Ist das durch den Prozess der künstlichen Befruchtung selbst zu
erklären?
Urs Scherrer:
Weltweit gibt es unter Experten kaum mehr Zweifel, dass dem so ist. Irgendwo
zwischen Eizell- und Spermiengewinnung und der
Reimplantation des Embryos bei der Mutter scheint dieses Risiko zu entstehen.
ZEIT ONLINE: Die In-vitro-Fertilisation, wie vor allem Medizinerinnen und
Ärzte die Methode nennen, ist eine Technik, die weltweit angewandt wird. Vor
allem ist sie eine große Errungenschaft. Mittlerweile gibt es mehrere Millionen
Eltern, denen die Technik zu einem Kind verholfen hat. Was bedeuten diese Forschung
und die neueren Ergebnisse über die Gesundheitsrisiken der IVF-Behandlung für
die Kinder selbst?
Scherrer:
Jeder Mensch, der dank einer IVF-Behandlung zur Welt gekommen ist, hat
potenziell ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko – und
möglicherweise auch ein erhöhtes Risiko, später im Leben an einem Diabetes zu
erkranken. Das sollte von den behandelnden Ärzten in die Gesamtbetrachtung des
Patienten miteinbezogen werden. Jede Krankenakte sollte Angaben enthalten über
den Modus der Befruchtung, über Schwangerschaftskomplikationen wie eine
Schwangerschaftsvergiftung (mit gefährlichem Bluthochdruck und Wassereinlagerungen
einhergehend, Anm. der Red.), eine Frühgeburt und ein niedriges Geburtsgewicht
– und über Geburtskomplikationen.
ZEIT ONLINE: Größere Studien
zeigen aber, dass der Blutdruck unter Kindern, die dank IVF zur Welt gekommen
sind, nur geringfügig erhöht ist (Fertility and Sterility: Guo et al., 2017).
Scherrer:
Unsere Studie führte zum ersten Mal 24-Stunden Blutdruckmessungen -die
Goldstandarduntersuchung für die Diagnose eines Bluthochdrucks- bei
IVF-Personen durch. Unsere Zahlen zeigen, dass jede sechste oder siebte Person
bereits im Jugendalter einen etablierten Bluthochdruck hat. Das sind keine
kleinen Prozentsätze, denn ein Bluthochdruck in diesem Alter ist ein sehr
seltenes Ereignis. Außerdem gilt: Wer bereits im jugendlichen Alter erhöhte
Blutdruckwerte aufweist, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit im späteren Leben
noch höhere Werte.
ZEIT ONLINE: Bluthochdruck ist
eine behandelbare Erkrankung. Wer seinen Lebenswandel ändert, mehr
Ausdauersport treibt, weniger Alkohol trinkt oder abnimmt, kann seinen
Blutdruck senken. Und die Medikamente, die zur Verfügung stehen, gelten als
sicher. Muss sich ein erhöhter Blutdruck vor diesem Hintergrund überhaupt auf
die Lebenserwartung auswirken?
Scherrer:
Nein. Menschen, die durch IVF entstanden sind und einen hohen Blutdruck haben,
sollten nicht in Panik verfallen.
ZEIT ONLINE: Was sollte man als
Betroffener oder Elternteil stattdessen tun?
Scherrer:
Es wäre gut, wenn die Eltern darauf achten würden, dass die Kinder keine
zusätzlichen Risikofaktoren akkumulieren – Übergewicht oder Bewegungsarmut zum
Beispiel. Die Menschen brauchen bis ins Erwachsenenalter, von ganz wenigen
Ausnahmen abgesehen, jedoch keine spezialisierte Medizin. Außerdem empfehlen
wir, dass diese Menschen im Alter von zwanzig Jahren eine ambulante
24-Stunden-Blutdruckmessung machen. Das Ziel sollte sein, Herzinfarkten und
Schlaganfällen vorzubeugen. Eine frühe Vorstellung dieser Menschen beim Arzt
erlaubt uns, das kardiovaskuläre Risiko abzuschätzen
und das weitere Vorgehen festzulegen. Jeder gute Hausarzt ist absolut in der
Lage, sich um solche Patienten zu kümmern.
ZEIT ONLINE: Was muss sich denn in
der Reproduktionsmedizin noch verbessern, um das Risiko für die Kinder zu
minimieren?
Scherrer:
Wir müssen die schädlichen Faktoren, die auf den Embryo einwirken,
identifizieren und eliminieren. Einer der Wege dorthin könnte sein, Register
einzurichten, in denen genaue Angaben über die bei diesen Personen angewandten
Methoden der In-vitro-Fertilisation hinterlegt
werden. Dann könnte man bei verschiedenen Kohorten untersuchen, welchen
Einfluss welche Methode hat. Aber leider fehlt für das Einrichten solcher
Register etwa in der Schweiz bisher der politische Druck.
ZEIT ONLINE: Was genau verstehen
Sie unter den Methoden zur In-vitro-Fertilisation?
Scherrer: Ein Beispiel: Wir haben eine Studie mit Mäusen gemacht, in der wir durch die Veränderung des Kulturmediums, auf dem Eizelle und Spermium zusammengebracht werden, das kardiovaskuläre Risiko verändern konnten (American Journal of Physiology: Rexhaj et al., 2015). Das ist ein Beweis für das Konzept, dass Veränderungen des Kulturmediums einen Einfluss haben können. Aber es gibt noch eine Vielzahl weiterer möglicher Einflussfaktoren. Ob man den Embryo beispielsweise sehr früh implantiert oder
zu lange wartet, um einen Embryo auszuwählen, der sich besonders gut entwickelt. Es gibt Studien, die zeigen, dass besonders fitte Embryonen womöglich besonders große epigenetische Veränderungen haben und damit ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Aber natürlich könnten auch die Temperatur, die Konzentration von CO2 und Sauerstoff in
der Luft oder mechanische Interventionen am Embryo einen Einfluss haben. Es wird uns nie möglich sein, die Ereignisse, die sich im Mutterleib abspielen, im Reagenzglas genau
zu simulieren und zu reproduzieren.
ZEIT ONLINE: Frau Nordhoff, Sie arbeiten als Reproduktionsbiologin in einem
Kinderwunschzentrum. Waren Sie von den Ergebnissen der Studie, die Herr Scherrer mit Kolleginnen und Kollegen in der Schweiz
durchgeführt hat, erstaunt?
Verena Nordhoff:
Die Gesundheit der Kinder nach künstlicher Befruchtung scheint mehrheitlich
derjenigen von gleichaltrigen natürlich gezeugten Kindern zu entsprechen.
Größere Follow-up-Studien aus Europa und den USA zum
Beispiel zeigen, dass der größte Teil der Kinder gesund ist (Reproductive BioMedicine Online:
Bonduelle et al., 2004). Die Kinder haben ein nur marginal erhöhtes Risiko von
Fehlbildungen (Reproductive BioMedicine
Online: Fauser et al., 2014). Wahrscheinlich liegt
das eher am Risiko, das die Eltern vererben oder an der Tatsache, dass die
Eltern im Durchschnitt älter sind, und nicht an der Technik selbst. Neuere
Studien haben zum Beispiel gezeigt, dass bei jungen Männern nach einer ICSI (Intrazytoplasmatische Spermieninjektion – bei dieser
Methode der künstlichen Befruchtung wird das Spermium des Mannes direkt in die
Eizelle der Frau injiziert, Anm. der Red.) zwar die Spermienwerte leicht
eingeschränkt sind. Das kann jedoch nicht mit den Spermienwerten der Väter in
Verbindung gebracht werden (Human Reproduction: Belva et al., 2016).
Wir sind keine Spezialisten in
diesem Fachgebiet und können die Ergebnisse dieser neuen Studie oder auch die
anderer Gruppen zum Herz-Kreislauf-Risiko nur bedingt beurteilen. Anmerken kann
man wohl, dass es eine Studie mit wenigen Kindern ist, die zudem eine sehr
heterogene Gruppe darstellen. Bei manchen wurde eine ICSI durchgeführt, bei
anderen eine IVF, bei manchen wurden eingefrorene, bei anderen frische
Embryonen verwendet. Die Eltern der Kinder wurden angeschrieben und gefragt, ob
sie teilnehmen wollen. Möglicherweise verzerrt das das Bild, da eventuell
gerade Eltern mit Informationsbedarf geantwortet haben. Man sollte vorsichtig
sein, mit kleinen Datensätzen zu argumentieren. Hier sind große Studien mit großen
Fallzahlen notwendig, um Klarheit zu schaffen.
ZEIT ONLINE: Sollte man Menschen,
die durch IVF zur Welt gekommen sind, ab einem gewissen Alter auf bestimmte
Krankheiten hin untersuchen?
Nordhoff: Wir sollten vorsichtig damit sein, sie von vornherein als kranke Kinder zu bezeichnen oder zu behandeln. Es ist bei der derzeitigen Datenlage unklar, ob alle diese
Kinder später irgendwelche Probleme haben werden. Wahrscheinlich sind die normalen Untersuchungen ausreichend. Deutschland verfügt über ein gutes Gesundheitssystem,
in das die Kinder sehr früh, zum
Beispiel über U-Untersuchungen, integriert werden.
ZEIT ONLINE: Was weiß man darüber,
inwieweit sich Embryonen, die durch IVF entstanden sind, von anderen Embryonen
unterscheiden?
Nordhoff: Es gibt Hinweise, dass es Unterschiede gibt. Mausembryonen zeigten je nach Kulturmedium, in dem sie sich entwickelten, in einem sehr frühen Stadium Unterschiede
in bestimmten Vorläuferzellen, die für eine normale Entwicklung nach der Einnistung wichtig sind (Human Reproduction: Schwarzer et al., 2012). Die daraus resultierenden Feten zeigten jedoch später keine Unterschiede (Human Reproduction: Hemkemeyer et al., 2014). Inwieweit das auf menschliche Embryonen übertragbar ist, ist aber unklar.
In Deutschland dürfen wir aufgrund
des Embryonenschutzgesetzes nicht an menschlichen Embryonen forschen.
ZEIT ONLINE: Dabei wäre das sehr
hilfreich, um mögliche Risiken der IVF zu verstehen.
Nordhoff: In Großbritannien und weiteren europäischen Ländern wird –wohlgemerkt an überschüssigen, also vom Paar nicht mehr gewünschten– Embryonen geforscht.
Die Ergebnisse dieser Forschung
fließen in die Verbesserung der Labormethoden ein, die wir auch in Deutschland
nutzen.
ZEIT ONLINE: Überhaupt gibt es ja
Kritik am Embryonenschutzgesetz.
Nordhoff: Ja, das deutsche Embryonenschutzgesetz ist von 1991. Viele Techniken, zum Beispiel die ICSI oder die Verbesserungen der Methoden, wurden entwickelt, nachdem
das Gesetz in Kraft getreten ist.
Wir müssen ein bis zwei Eizellen in einem extrem frühen Stadium auswählen,
bevor wir überhaupt wissen, ob sie entwicklungsfähig sind. Um die
Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft zu erhöhen, setzen die
Reproduktionsmediziner deshalb oft zwei, selten auch drei Embryonen ein. In
anderen Ländern darf länger gewartet und beobachtet werden, um herauszufinden,
welcher Embryo entwicklungsfähig ist. Dann wird auch nur einer eingesetzt. Die
Folge: In den meisten unserer Nachbarländer liegt die Rate an Mehrlingsschwangerschaften bei 5 – 8%. In Deutschland liegt
sie bei 20%, europaweit einer der höchsten Werte.
ZEIT ONLINE: Halten Sie denn diese
Mehrlingsschwangerschaften für ein Risiko?
Nordhoff:
Natürlich freuen sich die meisten Eltern, die eine IVF in Anspruch nehmen, über
Zwillinge. Aber das ist nicht unser Ziel, wir hätten lieber
"Einlinge". Zwillinge oder vor allem Drillinge stellen aus Sicht der
Geburtshilfe ein Risiko dar. Die medizinische Versorgung in Deutschland ist
aber so gut, dass es eher selten ernste Gesundheitsprobleme gibt.
ZEIT ONLINE: Wünschen Sie sich
also eine Reform des Embryonenschutzgesetzes?
Nordhoff: Es ist Zeit für eine Reform oder ein neues Fortpflanzungsmedizingesetz. Aber natürlich müssen wir auch die gesellschaftlichen Bedingungen dafür schaffen, dass Paare in Deutschland früher Kinder bekommen können. Das Alter der Eltern, vor allem das der Frau und der damit einhergehenden Einschränkung der Eizellreserve, ist ein wichtiger Faktor für den Erfolg einer IVF oder ICSI. Leider steigt das Alter der Frauen, die eine IVF-Behandlung in Anspruch nehmen, immer noch an (Deutsches IVF-Register 2016).