Vergleich Natrium silicium und Kalium silicium

 

[Dr. Ernst Trebin]

Natrium silicium und Kalium silicium - zwei wertvolle Arzneimittel aus dem Nachlass von J.T. Kent

Um einen etwas zurückliegenden Homöopathen-Streit wieder aufzugreifen: André Saine hätte einen guten Grund zur Empörung. Der selbsternannte Bewahrer der reinen Homöopathie aus Kanada  dürfte sich nicht freuen über solche Medikamente, die man als „zusammengesetzte Verschreibung“ bezeichnet, so genannt wohl auch, weil man

sie nicht anders als auf dem Weg über ihre Einzelkomponenten, also Natrium muriaticum und Silicea oder Kalium carbonicum und Silicea, erschließen kann (wobei allerdings von mir weiter unten ein anderer Zugangsweg vorgeschlagen wird). Selbst die Tatsache, dass diese Medikamente aus dem Nachlass von J.T. Kent stammen, würde A. Saine nicht berühren, denn er hält nicht viel vom Schöpfer unseres bahnbrechenden Repertoriums.

Diese seine Einstellung sei ihm nicht verwehrt, wenn er mit dem gängigen Arzneimittelschatz allen seinen Patienten hinreichend helfen kann. Mir war dies nicht gegönnt,

vor allem nicht mit den großen Polychresten, wie er sie wohl gerne verwendet, weshalb ich mich auf die Suche nach besseren Lösungen machte und dabei eine große Hilfe

in solchen kombinierten Arzneien fand. Möglicherweise ging es J.T. Kent (1849-1916) ebenso, denn auch er arbeitete sich vor bis zur -ziemlich späten- Einführung dieser Mittel. Sie sind weder in seinem Repertorium aufgeführt, das er im Jahre 1897 herausbrachte, auch nicht in dessen zweiter und von ihm noch vorbereiteten dritten Auflage, noch in seiner Arzneimittellehre [6], aber sie fanden sich in seinem Nachlass als eine Entdeckung seiner späten Jahre und seiner Schüler und werden als Arzneimittelbilder beschrieben in dem kleinen Band Neue Arzneimittelbilder der homöopathischen Materia medica. Und von da aus sind sie in den moderneren Repertorien wie Synthetisches Repertorium, Synthesis, Complete oder Murphy nachgetragen, wo sie in einigen wenigen Rubriken auftauchen.

In einem früheren Aufsatz aus meiner Hand, Miasmen und Minerale, veröffentlicht in der ZKH 4/2003, zeige ich die Wege meiner Arzneimittelfindung in komplexeren, vor allem chronisch-miasmatischen Fällen auf. Darin beschreibe ich, wie ich zu diesen kleineren Mitteln finde wie Natrium arsenicosum oder Kalium phosphoricum etc., die mir

mit ihren so gegenläufigen Komponenten wesentlich hilfreicher sind als die allgegenwärtigen Polychreste aber auch die Exoten wie Bufo rana oder Naja tripudans o.ä..

Und ich zeige auf, wie diese Mittel nicht nur durch die hohe Repräsentanz ihrer einzelnen Bestandteile in der Repertorisation zu finden sind, also dass Natrium muriaticum oder Natrium carbonicum als Hauptvertreter der Natrium-Salze einerseits und Phosphor oder Acidum phosphoricum andererseits etwa zu Natrium phosphoricum führen können, sondern dass die Wahl solcher Mittel erst dann sinnvoll und strukturiert sein kann, wenn etwa starke Hinweise auf ein vorherrschendes Miasma zu finden sind.

Also kein willkürliches Zusammensetzen aus Verlegenheit und aufgrund des Fehlens einer klaren Linie liegt hier vor.

Dass chronische Fälle vor allem durch mineralische Mittel zu lösen sind, darin bestärkt mich nicht nur eine sinngemäße Aussage Künzlis, widergegeben durch Spinedi,

sondern auch Klunker in seiner Bewertung von Kents Nachlass: „Die Mehrzahl dieser (Mittel) verdient unsere besondere Aufmerksamkeit, weil sie aufgrund ihres mineralischen Charakters zu großen Mitteln der Behandlung tief gewurzelten chronischen Krankseins werden können“.

Ich verweise in meinem Aufsatz auf die von mir beobachtete hohe Prävalenz der Sykose und darauf bezogen auf den sinnvollen und wirksamen Einsatz der wichtigsten Natrium-Salze, die allesamt als Antisykotika zu betrachten sind.

Natrium sulfuricum wurde schon durch von Grauvogl als Hauptmittel der hydrogenoiden Konstitution bezeichnet, Natrium muriaticum, Natrium carbonicum und Natrium phosphoricum durch Calvin B. Knerr, den Schüler und Schwiegersohn Herings, als Mittel der Sykose identifiziert – der Quellenhinweis ist dem Complete Repertory zu entnehmen. Diese Zuordnung konnte ich uneingeschränkt bestätigen und auch Natrium arsenicosum, Natrium silicicum, Natrium fluoratum dieser Reihe anfügen und sogar Aurum muriaticum natronatum, was - ebenfalls gemäß Complete Repertory -schon ein gewisser A.W. Holcombe tat- ein Medikament, das eine starke Brücke zur Syphilinie schlägt.

Diese Arzneimittel sind in unseren Repertorien teils selbstbewusst vertreten, teils kaum zu finden, dennoch sämtlich unterrepräsentiert und in einer Computerrepertorisation ohne Aussicht auf einen der vorderen Plätze. Das mag daran liegen, dass sie als Medikamente eindeutig den chronischen Verläufen dienen, also erst spät im Wirken Hahnemanns zu Bedeutung kamen bzw. erst von nachfolgenden Generationen eingeführt wurden, zum Teil sogar nur aus theoretischen Überlegungen heraus und aufgrund klinischer Erfahrungen eingeführt, wie dies vor allem für die von Schüssler eingeführten Salze gilt. Schüssler brachte uns einen wertvollen Arzneimittelschatz, der aber meines Erachtens nicht hoch genug gewürdigt wird, wohl auch deshalb, weil er den Weg der Arzneimittelprüfung vernachlässigte und Außenseiter in der Homöopathie blieb.

Während Kent und seine Schüler Natrium silicicum und Kalium silicicum offenbar geprüft haben, wie Pierre Schmidt in seiner Biografie zu J.T. Kent andeutet, war mein Weg zu diesen Mitteln erst die theoretische Vermutung, dass sie in unserer Materia medica wohl eine Existenzberechtigung haben müssen, ebenso wie die anderen kleineren Natrium- und Kalium-Salze. Und schließlich zeigte der praktische Einsatz, dass sie sehr nützliche Medikamente sind, nicht nur um langjährig betreute, aber noch unzureichend kurierte Patienten doch noch einer guten Heilung zuzuführen, sondern auch manchen von Anfang an völlig verstockten Fall in Bewegung zubringen.

Synthese von Natrium silicicum

Die Entscheidung für Natrium silicicum führt nach meiner bisherigen Beobachtung nahezu ausschließlich über die Synthese der grundlegenden Charakteristika von Natrium muriaticum einerseits, auch Natrium carbonicum, und Silicea andererseits; das Mittel selbst hat mir bisher keine völlig eigenständigen Merkmale offenbart. Kent betont als höherwertige Merkmale, dem Druckbild nach wohl dreiwertig zu verstehen, < der Beschwerden nachts, die Abneigung gegen frische Luft (mit Empfindlichkeit gegen Zugluft und Wetterwechsel zu kaltem oder nass-kaltem Wetter – beides einwertig). Er verweist auf die nervöse Schwäche und < geistige Anstrengung (jeweils dreiwertig) – siehe auch Vermeulen, der eine Zusammenfassung der Kentschen Arzneimittelprüfung aufführt.

Diese Merkmale kann ich bestätigen, während im übrigen Anamnese und Repertorisation von Fällen, die von diesem Mittel Nutzen hatten, die Charakteristika von Silicea deutlich hervorbrachten wie Frostigkeit oder Kälteempfindlichkeit, auffallende Schweiße, Eiterungsneigung und Furcht vor Prüfungen bzw. öffentlichen Auftritten sowie

die Strukturschwäche der Stützgewebe wie Knochen, Zähne und Nägel; andererseits aber auch Wesensmerkmale -durchaus konträrer Art- der Natriumsalze zu finden waren wie Herpes-Neigung, Hitze- und Sonnenempfindlichkeit sowie die psychischen Elemente der Distanziertheit und Introversion. Und hinter alledem finden sich meist klare Zeichen primärer und sekundärer sykotischer Miasmatik.

Ich vermute, dass der reine Silicea-Zustand - genau genommen eigentlich ein Acidum-silicicum-Zustand, denn es handelt sich ja um eine Säure - eher ein Extremzustand ist, der gar nicht so häufig indiziert ist, wie das Mittel gegeben wird; mit Acidum phosphoricum zu vergleichen, das seine weit wichtigere Funktion in Verbindungen wie Calcium phosphoricum, Natrium phosphoricum oder Kalium phosphoricum erfüllt. (Vielleicht müssen weitreichende konstitutionelle Mittel vollständige Salze sein, mit Kation und Anion, und nicht nur Einzelelemente wie Phosphor oder Sulfur bzw. Säuren?)

So trifft es also auch für eine Reihe von Patienten zu, dass ich sie eingangs mit Silicea behandelte, durchaus für einige Zeit erfolgreich, um dann wegen Stillstand des Heilungsverlaufs oder Versagens beim Übergang in höhere Potenzen auf andere Mittel auszuweichen; um schließlich nach Würdigung von Natrium silicicum nach Umwegen hiermit in passenderer Zusammensetzung die Behandlung fortzusetzen - mit beglückendem Ausgang.

Die Mehrzahl unserer Patienten kommt durch etliche Similia voran, was Skepsis vor schnellen Erfolgsmeldungen wecken muss, denn sie werden definitiv erst mit dem wahren Similimum geheilt.

In der Minderzahl sind die Fälle, die erst dann auf unsere Behandlung ansprechen, wenn wir ins Schwarze treffen. Stellvertretend dafür steht folgende Geschichte:

Bartholinische Zyste

An diesem Fall habe ich ewig lange sozusagen herumgebastelt, bis auch er gelöst war. Ich weiß gar nicht, wie lange die Zyste schon bestand, als ich bei der Patientin 1997, damals 35 Jahre alt, die Anamnese machte. Nur so viel habe ich in Erinnerung, dass sie in der Zeit einer schwärmerischen Zuneigung zu ihrem damaligen Chef entstand, die durch Eifersucht von dessen Ehefrau durchkreuzt wurde. Eine Affinität zu Vaterfiguren habe sie schon immer bewegt, wohl auch, da ihr Vater wegen seiner psychischen Erkrankung keine Stütze war. Ihren Bruder hatte sie auch verloren, nachdem er als junger Mann nach einem Herzstillstand längere Zeit im Koma gelegen hatte. Ihre Knöchel wären schwach, sie sei stark prädestiniert für Bronchitiden. Kurz vor der Anamnese musste sie sich wegen einer schweren Otitis mit Mastoiditis einem operativen Eingriff unterziehen.

Letzteres Krankheitsbild sprach -neben anderen Elementen- schon sehr für Silicea, während etliche weitere Merkmale auf Natrium muriaticum verwiesen, Sepia aber alle leitenden Symptome abdeckte und zahlenmäßig dominierte. Aber keines dieser Mittel vermochte an der Zyste Wesentliches auszurichten. Nicht Sepia, nicht Silicea, keines der Natrium-Salze änderte viel, ebensowenig wie Thuja, Medorrhinum, Apis, Conium, Ignatia und was noch alles. Um Erleichterung zu verschaffen und eine Marsupialisation zu umgehen, punktierte ich dreimal die hühnereigroße Zyste und entleerte 40 bis 60 ml gelben, übelriechenden Eiter. Anfang Januar 2003 gab ich Natrium silicicum C200 und nach einer Woche hatte sich die Zyste um die Häfte verkleinert. Dann war Stillstand, aber mit Thuja C200 und einer weiteren Gabe Natrium silicicum C200 kam es dann im Mai 2003 zu einer spontanen Eröffnung und Entleerung der Zyste, bezeichnenderweise nach einer vorausgehenden Besprechung alter seelischer Traumata. Im Juni darauf, nach einer weiteren Gabe des Mittels, kam es zu einer weiteren vollständigen und bisher endgültigen Entleerung.

Ergänzend wäre ihre Figur noch als klein und untersetzt zu beschreiben und eine Fundstelle zu erwähnen, nämlich im Complete Repertory unter Weibliches Genitale/Tumoren/ Bartholin Drüse die Mittelangabe Silicea (dreiwertig) und Thuja (einwertig).

Asthma bronchiale

Als zweites Beispiel der Fall eines heute elf Jahre alten Jungen: Vor knapp sechs Jahren in meine Behandlung gekommen, behandelte ich ihn mehr recht als schlecht wegen eines endogenen Ekzems zuerst, konnte aber damit nicht verhindern, dass er schließlich noch ein Asthma bronchiale entwickelte. Von seines Vaters Seite her war er zu allergischen Erkrankungen stark prädestiniert. Das Asthma reagierte auffallend auf Feuchtigkeit, sowohl bei entsprechendem Raumklima -die Familie lebt in einem eher feuchten Haus- als auch typischerweise bei herbstlichem Wetter. Wichtigste Modalität aber war die Verschlimmerung bzw. Asthma-Induktion durch körperliche Anstrengung wie etwa durch seinen Lieblingssport Fußballspielen.

Der Junge ist von freundlicher, umgänglicher und fürsorglicher Art, hat einen großen Kopf, einen kurzen, aber stämmigen Körperbau mit Glockenthorax und mittlerweile durch das Asthma bedingt einen Fassthorax. Viele Arzneimittel brachten ein bisschen voran, von Sulfur über Calcium carbonicum bis Graphites, enttäuschend blieben letztlich aber auch die in diesem Fall klar indizierten Sykose-Mittel wie Natrium sulfuricum, Natrium carbonicum, Thuja oder Medorrhinum. Erst die kleine Rubrik Asthma from exertion mit Arnica, Calcium carbonicum, Coca und Silicea ließ mich an Natrium silicicum denken. Hinweise auf den Silicea-Anteil enthalten ja auch alle anderen oben genannten Merkmale wie Asthma bei Kindern, Asthma bei feuchtem Wetter, großer Kopf, Glockenthorax. Im Complete Repertory fand ich schließlich noch die kleine Rubrik Atmung schwierig nach Laufen, welche ebenfalls Silicea enthält im zweiten Grad.

Natrium silicicum hat dem Jungen prompt geholfen, es wurde danach viermal wiederholt nach jeweiliger Zwischengabe von Thuja. Er hat seither sein Asthmaspray, bis dahin vor jeder sportlichen Aktivität prophylaktisch angewendet, vergessen. Nachzutragen und eher verwirrend ist nur, dass er mir stets als warmblütig geschildert wurde und nachts lange Zeit gerne in das Bett der Eltern kroch. Zu letzterem Symptom verweist das Kinder-Repertorium von Hauptmann weder auf Natrium-Salze noch auf Silicea, weshalb ich es bisher eher als Ausschluss-Kriterium dieser Mittel betrachtet habe. Hauptmanns Rubrik enthält aber Medorrhinum, ebenso wie die Rubrik Fear alone night im Murphy (im zweiten Grad), womit wir dieses Symptom dem sykotischen Hintergrund zuschreiben können.

Synthese von Kalium silicicum

Die beiden Beispielfälle für Natrium silicicum trugen klare Merkmale des sykotischen Miasmas und wurden innerhalb dieses Schicht auch geheilt. Für tiefer gehende Pathologien eignet sich dieses Mittel aber nicht auf Dauer. Jenseits der Sykose folgt nach meiner eigenen Miasmenleiter, stützend auf die Einteilung Peter Gienows mit seinem Miasmenkreislauf, das Miasma der Karzinogenie und der Syphilinie, wobei ich mit Gienow die Karzinogenie als Intermediärmiasma zwischen Sykose und Syphilinie betrachte und als Ebene der tiefsten Pathologie die Syphilinie sehe aufgrund ihrer größten Zerstörungskraft.

Bei Vorhandensein karzinogener oder syphilitischer Zeichen in der primären Miasmatik, d.h. der genetischen Aszendenz, oder in der sekundären Miasmatik, d.h. im Erscheinungsbild des Patienten und seines Leidens, sind die Mittel der Sykose –entgegen meinen früheren Auffassungen- nicht mehr brauchbar. Wir nutzen hier vorteilhaft

als Nosode natürlich Carcinosinum oder Syphilinum,

vor allem aber als mineralische Konstitutionsmittel die Kali-Salze. Diese Verknüpfung kam mir vor Jahren zufällig in den Sinn, ohne dass ich hierzu Vordenker anführen könnte, und hat sich mir seither hervorragend bewährt. Schlägt man allerdings in den Repertorien nach unter dem allgemeinen Stichwort Karzinom, z.B. im Murphy, so findet man von den Natrium-Salzen gerade mal Natrium muriaticum, und auch das nur im ersten Grad, wohingegen die Kali-Salze allesamt vertreten sind, in höherer Wertigkeit.

Und Ramakrishnan schätzt wohl, so weit ich weiß, auch die Kali-Salze in der Krebstherapie, aber nur als Beiwerk in niedrigen Potenzen gemäß den Vorgaben der Schüsslerschen Biochemie.

Das Vorkommen von Krebs in der Familie führt bei mir meist, aber nicht zwangsläufig immer, zur Entscheidung für ein Kali-Salz als Rückgrat der Konstitutionsbehandlung, ich suche aber gerne

nach einer Bestätigung in den Gemüts- und Allgemeinsymptomen des Patienten, d.h. ich stütze mich dann eben auf eine gewisse Prävalenz von Kalium-carbonicum-Elementen in der Anamnese,

die aber gewöhnlich nicht so deutlich hervortreten wie Natrium-muriaticum-Merkmale bei den zusammengesetzten Natrium-Salzen. Meist findet sich hier eine klare Kälte-Empfindlichkeit und eine oft uneingeschränkte Wärme-Verträglichkeit, eine hohe Zugluft-Empfindlichkeit, die klassische Verschlimmerung zur Nacht (Hauptzeit 2.00 bis 4.00 Uhr), Probleme im Liegen, Schmerzen von stechendem Charakter, natürlich auch die Persönlichkeitsmerkmale wie hohe Loyalität mit Pflichtbewusstsein, Rationalisieren und Verdrängen von Gefühlen mit erhöhtem Somatisieren bei Stress-Situationen. Sogar in die Physiognomie schlägt sich das Kali-Bild durch in Gestalt einer hohen Stirn (das Frontalhirn als Sitz von Ratio, Ethik und Sozialisation!) und schwerer, oft ödematöser Oberlider.

Auf diesem Weg finde ich in der Ebene der Karzinogenie, aber auch bei syphilitischen Einflüssen, nicht nur zu Kalium carbonicum, sondern vor allem auch zu Kalium phosphoricum, das m.E. eine besonders enge Verbindung zu Carcinosin hat, aber auch zu Kalium arsenicosum, Kalium sulfuricum (welches sonst eigentlich meist nur als die chronische, durstige und reizbare Pulsatilla identifiziert wird) und auch zu Kalium silicicum.

Rezidivierende Tonsillitiden

Im August 2003 übernahm ich die Behandlung eines damals sechseinhalb Jahre alten Mädchens, das an häufig wiederkehrenden Tonsillitiden litt und dafür bis zu viermal pro Jahr Antibiotika verordnet bekam. Kurz vor der Erstanamnese war auch noch eine Zystitis aufgetreten. Das Mädchen war geimpft mit allen derzeit empfohlenen Impfstoffen und reagierte nach einer Masern-Mumps-Röteln-Impfung bei zeitgleicher Verabreichung des Diphtherie-Tetanus-Polio-Impfstoffes mit hohem Fieber und einer starken Schwellung des Armes. Die Entwicklung war regelrecht, sie hatte Angst vor Dunkelheit, brauchte Licht beim Einschlafen und schlief immer bei den Eltern (in deren Mitte), hatte auch Angst bei Gewitter und vor Spinnen. Sie neigte zu raschem Schwitzen, auch zu Kopfschweiß im Schlaf, vor allem beim Einschlafen. Nachts lag sie meist abgedeckt. Sie hatte immer große Erwartungsspannung vor allen neuen Unternehmungen, so auch beim Eintritt in die Schule. Der Stuhlgang war meist erschwert, zeitweise brauchte sie Einläufe zur Darmentleerung. Von Wachstumsschmerzen wurde berichtet und von Schwierigkeiten beim Zahnen bzw. beim Zahnwechsel.

Die Untersuchung zeigte ein zartes Mädchen mit Glockenthorax, sie war von freundlicher, offener Wesensart. In der Familie fanden sich folgende Krankheiten: Pollinose, Migraine und Zystitiden bei der Mutter; Tonsillitiden und Lumbalgien beim Vater; auf der Ebene der Großeltern Allergien, Kopfschmerzen, Gelenksbeschwerden und Blasenkrebs sowie ein Apoplex; bei einer Tante Hydrocephalus und bei den Urgroßeltern Leberkrebs und Kehlkopfkrebs.

Die Repertorisation ist als Beispiel beigefügt, sie zeigt eine hohe Dominanz von Silicea. Da auch Natrium muriaticum gut vertreten ist und ich eher die Sykose als das vorherrschende Miasma betrachtete (z.B. wegen des Harnwegsinfaktes, aber auch wegen der hohen Erwartungsspannung), begann ich die Behandlung mit Natrium silicicum in C200. Dieses ergänzte ich nach 5 Wochen wegen eines neu aufgetretenen Scheidenschmerzes mit Medorrhinum C200 – erfolgreich. So ging das ganz gut über die folgenden Monate mit Natrium silicicum und Medorrhinum sowie Thuja

im Wechsel. Zwischendurch kam mehrmals ihr hoher Ehrgeiz und Perfektionswunsch zur Sprache, was ich aber mit dem ihr zugeschriebenen Zustandsbild in Einklang bringen konnte ohne Veranlassung zu einem Mittelwechsel zu sehen.

Im Januar 2004 trat nun aber erneut ein Racheninfekt auf mit Schwellung der rechten Tonsille, der auf Natrium silicicum C200 nicht mehr ansprach. Auch der Versuch mit Carcinosin C200, das ich nun ins Spiel brachte angesichts der hohen Krebs-Aszendenz, griff nicht, ebensowenig wie eine Rückkehr zu Medorrhinum C200. Nun war schon fast eine Woche vergangen seit Ausbruch des Rezidivs und ich bot schon die Gabe eines Antibiotikums an, entschied mich aber noch zuvor für Kalium silicicum C200 (bezogen von der österreichischen Firma Spagyra), das ich gerade kurz vorher erstmals in mein Arzneimittel-Repertoir aufgenommen hatte: Nach 24 Stunden war das Problem bereinigt - und ein Tonsillitis-Rezidiv drei Monate später als Folge einer Unterkühlung damit ebenso prompt geheilt. Seither ist das Kind gesund.

Studiert man die Repertorisation, so erscheint hier an keiner Stelle Kalium silicicum und auch Kalium carbonicum taucht nur einmal auf bei Auswertung eines vorübergehend und lange zurückliegend aufgetretenen abschuppenden Hautausschlages der Handteller. Die Wahl des Mittels konnte also nur über die Zuordnung zum karzinogenen Miasma angesicht der erblichen Belastung erfolgen.

Nekrose der Achillessehne

Kalium silicicum konnte auch einem Manne helfen, 44 Jahre alt zum Zeitpunkt der Behandlung, der an chronischer Achillodynie litt und bei dem das Computer- bzw. Kernspin-Tomogramm eine tiefe Nekrose der Achillessehne aufdeckte. Er wies in seinen Allgemein- und Gemütssymptomen reichlich Silicea-Merkmale auf, ohne dass ich sie im Einzelnen hier aufführen möchte. Bei seinen Vorfahren wurden Karzinome bei zwei seiner Großeltern vermutet, es gab auch syphilitische Vorkommnisse wie Magendurchbruch und Parkinson. Nach Kalium silicicum C200 verringerten sich rasch seine Schmerzen und konnte im NMR binnen fünf Wochen eine deutliche Verkeinerung der Nekrose nachgewiesen werden. Nach Zwischengabe von Carcinosin C200 und einer weiteren Dosis von Kalium silicicum C200 heilte die Achillessehne völlig aus und konnte der Patient seinen Lieblingssport Tennis wieder in vollem Umfang aufnehmen. Fünf Monate später kam er wegen Halsschmerzen – seine Tonsillen waren in der Kindheit entfernt worden -; Apis C200 und danach Kalium silicicum C200 befreiten ihn auch davon.

Liest man die Arzneimittelbilder von Natrium silicicum und Kalium silicicum bei Kent, so gibt man es nach zwei oder drei Absätzen auf, daraus klüger zu werden oder gar so etwas wie eine Grundlinie, eine Essenz oder ein Persönlichkeitportrait zu erfassen. Es bleibt bei einer strohtrockenen Aufzählung einzelner und völlig unspezifischer Details. Mir persönlich nutzen nur die oben beschriebenen Wege zur Identifizierung dieser Mittel. Dass es auch noch andere Wege gibt, darauf verwies mich ein Kollege aus München, den ich ob einer erfolgreichen Verschreibung von Natrium silicicum bei unerfülltem Kinderwunsch um Auskunft bat, wie er zu diesem Mittel fand. Dr. Reinhard Probst schrieb mir, dass er das Wesen des Patienten, die innere Wahrnehmung und Empfindsamkeit in den Mittelpunkt der Erwägungen stelle und die körperlichen Symptome dann als Bestätigung für die Mittelwahl verwende. Besonders wichtig sei für ihn die Bedeutung und das innere Erleben der Hauptbeschwerde, die er versuche im Lebenskontext der Patienten zu verstehen.

Soweit sein Statement, wobei er mündlich noch ergänzte, dass sich seine Arbeit sehr an Sankaran orientiere, der nach meinen bescheidenen Kenntnissen wohl gut auf die Signaturenlehre setzt. Und so hat besagte Nat-sil.-Patientin nach Auskunft von Dr. Probst als besondere Empfindung angegeben, für andere durchsichtig zu sein, also gewissermaßen wie Glas. Natrium silicicum ist Wasserglas!

Es gibt also verschiedene respektable Wege der Aufdeckung dieser kleinen Mittel, wobei für mich die Stützung auf körperliche wie seelische Zeichen gleichrangig ist, vor allem aber die Wertung der zugrundeliegenden Miasmatik am verlässlichsten erscheint, wohingegen die bevorzugte Bewertung seelischer Element nach meiner Auffassung Gefahren mit sich bringt durch Unkenntnis wichtiger Elemente oder aber durch Fehlinterpretationen.

Schlusswort

Diese vier glücklich verlaufenden Beispiele von etlichen anderen mit Natrium silicicum und Kalium silicicum erfolgreich behandelten Fällen bestärken mich in meiner Arbeitsweise der Synthese mineralischer Arzneien unter Bezugnahme auf miasmatische Strukturen – vielleicht überzeugen sie auch manchen Kollegen. Während meiner Ausbildung zum Homöopathen und bei jeglicher Art der Fortbildung sind mir diese Mittel, exzellente Erweiterungen unserer Materia medica, nie zu Ohren gekommen, Medikamente, denen ich sogar in der Krebstherapie Nutzen zutraue (Kali-sil. vor allem). Das Arzneimittel Silicea wird durch die geschilderte Art der miasmatischen Zuordnung auf den unterschiedlichen Ebenen zu einem erfolgreicheren Medikament und erreicht Heilungen, die ohne diese Kombinatorik mir nicht möglich wären.

 

Bamberg, im Oktober 2004

 

 

Vorwort/Suchen                                Zeichen/Abkürzungen                                    Impressum