Wespen Verhaltensforschung von Ropalidia marginata
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Raghavendra Gadagkar ist ein international bedeutender
Verhaltensbiologe. Am Indian Institute of Science in Bangalore forscht der
55-Jährige über Insekten. Seit 2002 ist er auswärtiges Mitglied des Berliner
Wissenschaftskollegs.
Stefan Klein ist Biophysiker. Der 43-Jährige hat die
Bestseller "Die Glücksformel", "Zeit. Der Stoff, aus dem das
Leben ist" und "Da Vincis Vermächtnis oder Wie Leonardo die Welt neu
erfand" geschrieben.
Für das ZEITmagazin führt Klein regelmäßig Gespräche mit Wissenschaftlern über die großen Fragen, auf die wir keine letzten Antworten haben.
Verhaltensforschung Der Wespenversteher
Der Insektenforscher Raghavendra Gadagkar ist der Charles
Darwin der Moderne. Wer Wespen beobachtet, sagt er, kann viel lernen: Über
Männer, Frauen und Moral
Können ausgerechnet Wespen dazu beitragen, die Welt zu retten? Dem Insektenforscher Raghavendra Gadagkar begegnete ich auf einer Konferenz in den Schweizer Alpen, wo etliche Nobelpreisträger, aber auch
hochrangige Politiker und ein ehemaliger UN-Flüchtlingshochkommissar über neue Wege zur Lösung von Konflikten und zur Stärkung des menschlichen Gemeinsinns nachdachten. Dort hielt Gadagkar einen fulminanten
Vortrag über eine primitive Wespe namens Ropalidia marginata, die seine südindische Heimat bevölkert – ein Tier, das für Laienaugen kaum anders aussieht als die Geschöpfe, die uns im Spätsommer beim Kuchenessen
im Freien terrorisieren, das jedoch ein viel interessanteres
Sozialleben hat.
Mit seinen Untersuchungen über die Natur von Konflikt und Kooperation wurde Gadagkar einer der führenden Verhaltensforscher weltweit – und ein Beispiel gegen den Aberglauben, dass ausgezeichnete Forschung
naturgemäß an Orten wie der Harvard-Universität, Oxford oder allenfalls München entsteht. Nebenbei hat Gadagkar im heimischen Bangalore ein Institut mit dem Ziel gegründet, die Kluft zwischen Geistes- und Naturwissenschaften zu überwinden. Für dieses Gespräch trafen wir uns am Berliner Wissenschaftskolleg, dessen ständiges auswärtiges Mitglied Gadagkar ist. Es war einer jener dunkelgrauen Morgen im deutschen Winter,
die nach einem geradezu religiösen Glauben daran verlangen,
dass die Sonne irgendwann wieder an den Himmel zurückkehren wird. Gadagkar
allerdings, der gerade aus dem heißen Bangalore angereist war, fand den kalten
Nieselregen "erfrischend".
Stefan Klein: Professor Gadagkar, Sie leben mit Ihren
Forschungsobjekten zusammen. Es heißt, Ihr ganzes Haus sei voller Wespennester.
Was sagt denn Ihre Familie dazu?
Raghavendra Gadagkar: Wir haben das Haus sogar nach meinen Wespen "Ropalidia" benannt. Die Tiere gehören einfach zu meinem Leben. Wenn ich verreist bin, kümmert sich meine Frau um sie. Und als unser Sohn
zum ersten Mal bewusst mitbekam, dass er gestochen wurde,
war er begeistert – da fühlte er sich wie ein Mann.
Klein: Und wie oft wurden Sie selber gestochen?
Gadagkar: Sehr oft. Heute immerhin etwas seltener als früher, weil meine Studenten den meisten Umgang mit den Tieren pflegen. Solange sie sich allerdings auf die Tiere konzentrieren, passiert ihnen gar nichts. Die
Wespen stechen nur, wenn die Studenten mit den Gedanken
woanders sind – zum Beispiel wenn sie eine unachtsame Bewegung machen!!
Klein: Jede einzelne Wespe in Ihren Kolonien ist mit einem
winzigen Farbpunkt markiert. Betäuben Sie die Tiere, um die aufzumalen?
Gadagkar: Ach was. Sie müssen nur geduldig neben dem Nest
warten, bis das Tier mit etwas beschäftigt ist und wegschaut, dann können Sie
ihm mit dem Zahnstocher den Brustkorb bemalen.
Klein: Wie kamen Sie dazu, sich mit den Wespen zu
beschäftigen?
Gadagkar: Am Anfang war es ein Hobby. Als ich studierte, war unser ganzes Institut voller Wespen. Sie hausten wirklich überall! So begann ich, die Tiere zu beobachten. Ich las viel über sie und veröffentlichte am Ende
sogar ein paar Forschungsarbeiten. Aber meine Doktorarbeit habe ich in Molekularbiologie gemacht. Um diese Karriere fortzusetzen, hätte ich allerdings Indien verlassen und in die USA gehen müssen. Das wollte ich nicht,
unsere Kultur hätte mir zu sehr gefehlt. Also entschied ich
mich, das Hobby zum Beruf zu machen und in die Verhaltensforschung zu gehen.
Ich habe es nie bereut.
Klein: Was finden Sie so spannend an diesen Insekten?
Gadagkar: Ich betrachte sie wie ein Anthropologe eine fremde
Kultur. Wir haben unser eigenes Zusammenleben im Kopf und begreifen nicht, dass
eine andere Gesellschaft ganz verschieden sein kann – manchmal aber auch
überraschend ähnlich. Die Tiere halten uns einen Spiegel vor.
Klein: Mir erscheinen Wespen sehr weit von uns Menschen
entfernt.
Gadagkar: Wissen Sie, wenn Sie ihnen lange genug zusehen, dann erkennen Sie, dass Wespen eine Persönlichkeit haben. Jede reagiert unterschiedlich, hat ihre eigenen Stärken und Schwächen – und scheint diese sogar zu
kennen. Jedenfalls sucht sich jedes Individuum einen Platz
in der Gesellschaft, der zu seinen Fähigkeiten passt. Das zu beobachten ist
faszinierend: Da gibt es Wettstreit und Zusammenarbeit wie in einer
menschlichen Gesellschaft.
Klein: "So etwas wie 'die Gesellschaft' gibt es
nicht", hat Margaret Thatcher, die ehemalige britische Premierministerin,
einmal erklärt. Es gebe nur Individuen. Jeder müsse für sich selbst sorgen.
Gadagkar: Da hat sie sich sehr geirrt. Die eiserne Lady hätte sich einmal eine Wespenkolonie ansehen sollen.
Klein: Thatcher hätte sich auf Charles Darwin berufen
können. Er behauptete, dass jedes Geschöpf mit jedem anderen um Ressourcen und
die besten Fortpflanzungschancen ringt.
Gadagkar: Ja, aber Darwin war sich eines großen Paradoxons in seiner Lehre bewusst. So etwas wie einen Bienenstich dürfte es nach Darwins Auffassung der Evolutionstheorie nicht geben. Dass eine Biene stirbt, wenn sie
zusticht, und es trotzdem tut, hat ihn sehr verwirrt.
Klein: Die Biene begeht Harakiri für ihre Verwandten. So
leben immerhin die Gene fort, die sie mit ihren Schwestern teilt.
Gadagkar: Das ist, wie wir heute wissen, die Erklärung: Die
Evolutionstheorie trifft zu, doch man muss sie auf genetische Verwandtschaft
erweitern. Deshalb verzichten auch die miteinander verwandten Arbeiterinnen
unter meinen Wespen darauf, selbst Kinder zu haben. Stattdessen sorgen sie alle
für eine unter ihnen, die Königin, die sich als Einzige vermehrt.
Klein: Wie entscheidet sich, wer Königin wird?
Gadagkar: Zur Königin der Bienen oder auch der europäischen Wespen wird man geboren. Meine Wespen sind viel interessanter: Da kann im Prinzip jedes Weibchen als Königin seinen eigenen Staat gründen. Aber nur die
Tiere, die besonders fruchtbar sind, tun es. Alle anderen
unterwerfen sich und ziehen lieber den Nachwuchs der Königin auf. Weil die
Königin in der Regel mit allen im Nest verwandt ist, werden die eigenen Gene
auch so weitergegeben – und sogar zuverlässiger, als wenn jede Arbeiterin
selbst Kinder bekäme. Irgendwie scheinen die Tiere das zu wissen. Aber woher?
Diese Frage treibt mich seit 25 Jahren um.
Klein: Eine perfekte sozialistische Gesellschaft: Selbst die
Fortpflanzung ist kollektiviert. Die 68er hätten an Ihren Wespen ihre helle
Freude gehabt.
Gadagkar: Und dann auch wieder nicht. Denn sobald ein Tier
den Status der Königin erreicht hat, verteilt es im Nest chemische Substanzen,
Pheromone, die den Sexualtrieb aller anderen unterdrücken.
Klein: Die Königin stellt ihr Gefolge mit Drogen ruhig.
Gadagkar: Man kann es so sagen. Aber sobald ihre Fruchtbarkeit nachlässt, wird sie zugunsten einer anderen Königin entmachtet. Die Tiere beugen sich nur dann einer Herrscherin und kooperieren miteinander, wenn es
ihnen selbst nützt.
Klein: Von den Männern in der Wespengesellschaft war noch
gar nicht die Rede.
Gadagkar: Sie lassen sich von den Weibchen großziehen,
führen ein kurzes nomadisches Leben, haben Sex und sterben. Für die
Gemeinschaft arbeiten sie nie. Wir fragten uns, warum. Unsere Experimente
zeigten, dass die Wespenmännchen, die Drohnen, sehr wohl zur Larvenaufzucht
beitragen könnten, solange sie im Nest sind. Aber sie tun es nicht, weil die
Weibchen den Job viel besser erledigen. Im Grunde sind die Männer überflüssig.
Klein: Wie eigentlich überall in der Natur, nicht wahr?
Gadagkar: Ja. Bei den Wespen, auch bei den Bienen und den Ameisen sieht man es überdeutlich: Da werden Männer nicht einmal zur Fortpflanzung unbedingt gebraucht. Die Söhne der Königin schlüpfen aus unbefruchteten
iern. Nur um Töchter zu bekommen, müssen sich die Königinnen einmal begatten lassen. Sie nehmen das Sperma dann in ein Täschchen in ihrem Leib auf, wo es frisch bleibt und bei Bedarf verwendet werden kann.
Die Königin
hat also völlige Kontrolle darüber, ob sie Söhne oder Töchter haben will!
Klein: Die Königin könnte doch auch den weiblichen Nachwuchs
aus unbefruchteten Eiern herstellen. Dann könnten sich die Tiere die Aufzucht
von Männchen ganz sparen. Warum gibt es überhaupt Sex?
Gadagkar: Das ist eines der Rätsel der Evolutionstheorie: Eine nur aus Weibchen bestehende Art könnte sich mit dem halben Aufwand fortpflanzen – ein gewaltiger Vorteil. Sie wäre aber auch anfälliger gegen
Krankheitserreger. Diese Parasiten werden bei ihrem Werk dadurch gebremst, dass die geschlechtliche Vermehrung die Gene ihrer Wirte immer wieder neu mischt…
Klein: …was bei Ihren Wespen aber nur teilweise geschieht. Sämtliche Drohnen einer Kolonie gleichen ja genetisch ihrer Mutter, der Königin. Folglich sind auch die Nachkommen viel enger miteinander verwandt als bei
anderen Tieren. Das würde die extreme
Kooperationsbereitschaft erklären. Alle Wohltaten bleiben in der Familie.
Gadagkar: So hat man es sich lange erklärt. Aber wir konnten zeigen, dass die Dinge nicht so einfach liegen. Beispielsweise haben wir zwei Wespenvölker miteinander vereinigt. Wie erwartet rissen die ansässigen
Arbeiterinnen die fremde Königin in Stücke. Deren Gefolge aber, die jungen Arbeiterinnen, wurde anstandslos in die Kolonie aufgenommen. Es stellte sogar die nächste Königin. Nun waren die Tiere im Nest also gar nicht
mehr alle miteinander verwandt und arbeiteten trotzdem
zusammen.
Klein: Was allen Beteiligten besser bekam.
Gadagkar: Eben das ist der Punkt. Viel wichtiger als die
Verwandtschaftsbeziehungen ist, ob Kooperation jedem Individuum mehr nützt, als
sie kostet. Das hängt von den äußeren Bedingungen ab. Solange die
Lebensumstände entspannt sind, machen sich zum Beispiel ziemlich viele Wespen
selbstständig und gründen ihren eigenen Staat. Ist dagegen das Futter knapp und
die Kolonie von Fressfeinden bedroht, sind viel mehr Tiere zur Hingabe an das
Gemeinwesen bereit.
Klein: Die Hilfsbereitschaft unter den Londonern soll nie so groß gewesen sein wie zu der Zeit, als die deutsche Luftwaffe die Stadt bombardierte. Ähnliches berichtet man aus New York von den Tagen nach dem
11. September. Die Soziobiologie behauptet, menschliches
Verhalten folge denselben Gesetzen wie das Ihrer Insekten.
Gadagkar: Selbstverständlich gilt die Abwägung von Kosten und Nutzen des Altruismus auch für uns. Nur ist diese Abwägung bei unserer Art sehr viel komplizierter. Anders als Insekten sind wir nicht nur von der Natur,
sondern auch stark von kulturellen Werten bestimmt.
Klein: In unserer westlichen Kultur ist die Vorstellung
verbreitet, der Mensch sei von Natur aus rein eigennützig. Erst die Erziehung
mache ihn zu einem moralischen Wesen, das bereit ist zu teilen.
Gadagkar: Viel mehr als auf die gepredigte Moral kommt es auf die Bedingungen an, unter denen wir leben. Je geringer der Aufwand ist, je höher der Gewinn, je enger die Verwandtschaft, umso eher werden Tiere wie
Menschen bereit sein, sich für andere einzusetzen. Wenn beispielsweise der Altersunterschied zwischen zwei Geschwistern groß ist, kostet es den Älteren wenig Mühe, etwas für den Jüngeren zu tun und damit viel zu
bewirken. Bei einem kleineren Abstand an Jahren ist das
Verhältnis nicht so günstig, folglich sind die Geschwister auch zu weniger
Einsatz füreinander bereit. In unseren indischen Großfamilien beobachten Sie
diesen Effekt ständig.
Klein: Aber eine Gesellschaft ist keine Großfamilie. Da
nicht jeder von uns mit jedem verwandt ist, sind wir viel weniger zu teilen
bereit.
Gadagkar: Nur haben wir ja gezeigt, dass selbst unter Wespen Verwandtschaft nur als ein Faktor unter mehreren die Bereitschaft zur Kooperation bestimmt. Und es gibt Hinweise darauf, dass diese Gesetze von den Insekten
über die Vögel bis hin zu den Säugetieren und den Menschen
gelten. Wenn Sie also wollen, dass Menschen kooperieren, müssen Sie die Umwelt
entsprechend einrichten. Altruismus darf nicht zu viel kosten und muss etwas
bringen.
Klein: Glauben Sie, dass die biologische Forschung uns sagen
kann, wie wir leben sollen?
Gadagkar: Nein. Aber sie kann uns helfen, eine bestimmte Lebensweise, die wir uns wünschen, zu ermöglichen. Insektengesellschaften haben zwar den Vorteil, dass Sie mit ihnen recht einfach experimentieren können. Seit
ein paar Jahren wird jedoch auch erforscht, welches die besten Strategien sind, um Menschen zur fairen Zusammenarbeit zu bringen. Biologen, Psychologen, Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler ziehen an einem
Strang, um so etwas wie eine Wissenschaft der Kooperation zu
entwickeln. Das macht mir großen Mut.
Klein: Was kommt dabei heraus?
Gadagkar: Zum Beispiel, wie mächtig unter Menschen aller Kulturen die Abneigung gegen Zeitgenossen ist, die andere ausnutzen. Die meisten von uns sind bereit, solche Menschen sogar dann zu bestrafen, wenn sie erstens
selbst von der Mogelei gar nicht betroffen sind und zweitens
für die Bestrafung auch noch persönliche Nachteile in Kauf nehmen müssen.
Klein: Offenbar hat sich ein solcher Gerechtigkeitssinn
evolutionär durchgesetzt, weil er jedem Einzelnen langfristig nützt – selbst
wenn er kurzfristig draufzahlen sollte.
Gadagkar: Jedenfalls scheint es sich um eine sehr wirkungsvolle Strategie zu handeln. Gerade die größten Egoisten sind ja auf die Gemeinschaft angewiesen – sie wollen mehr von ihr, als sie geben. Manche Kollegen
glauben sogar, dass wir Menschen nicht so sehr deswegen kooperieren, weil wir einen sonderlichen Drang dazu empfinden, sondern vielmehr, weil wir nicht als Schlawiner dastehen wollen.
Klein: In Ihrer Kultur spielt das Kollektiv eine viel
größere Rolle als bei uns individualistischen Westlern. Hilft ein indischer
Blick, das Funktionieren von Gemeinschaften zu verstehen?
Gadagkar: Unsere Gesellschaft ist überaus komplex. Vielleicht hat dieser Hintergrund mein Interesse an sozialen Insekten überhaupt erst geweckt. Die Arbeitsteilung und das Zusammenleben verschiedener Generationen in
einem Wespennest sind überaus delikat geregelt – ganz
ähnlich wie in unserer Gesellschaft. Und die Verwandtschaftsverhältnisse in der
Kolonie sind noch verzwickter als in jedem indischen Klan.
Klein: Ihr Kollege, der amerikanische Evolutionsbiologe
Richard Lewontin, sprach von den "tief sitzenden Vorurteilen, die die
Ergebnisse eines jedes Wissenschaftlers prägen". Welche sind die Ihren?
Gadagkar: Ist es schlimm, wenn Forscher Vorurteile haben?
Starke Meinungen geben die Energie, unbeirrt in eine bestimmte Richtung zu
gehen.
Klein: Aber wenn jemand zum Beispiel glaubt, dass das Leben
auf der Erde entstand, indem Samen aus dem Weltraum auf unseren Planeten
regneten…
Gadagkar: …dann lasst ihn machen! Wenn sich herausstellen sollte, dass er wirklich recht hat, sind alle klüger geworden. Und wenn er auf die Nase fällt, auch. Es ist übrigens leichter, einen eigenen Weg zu gehen, wenn man
nicht in Harvard oder Oxford oder auch Berlin arbeitet,
sondern irgendwo an der Peripherie.
Klein: In Bangalore.
Gadagkar: Genau. Da werden Sie weniger beäugt, und Ihre
Freiheiten sind größer.
Klein: Sie sind davon überzeugt, dass man Ihren Wespen
Intelligenz und womöglich sogar eine bestimmte Form von Bewusstsein zusprechen
muss?
Gadagkar: Sicherlich lassen sich Intelligenz und Bewusstsein so definieren, dass Insekten automatisch außen vor bleiben. Aber solche Sprachregelungen interessieren mich nicht. Denn es ist klar, dass Wespen nicht einfach
Roboter sind. Sie lernen, und ihr Verhalten ist nicht leicht
vorhersagbar.
Klein: Was lernen sie denn?
Gadagkar: Wo ihre eigenen Stärken und Schwächen liegen – zum
Beispiel, wie erfolgreich sie beim Futtersammeln sind. Man könnte sagen, sie
kennen ihre eigene Persönlichkeit.
Klein: Aber bedeutet dies schon Intelligenz, gar
Bewusstsein?
Gadagkar: In Ansätzen, ja. Sie können nicht eine scharfe
Linie ziehen zwischen vernunftbegabten Geschöpfen hier und rein
instinktgesteuerten dort. Die Übergänge sind fließend.
Klein: Einen der Vorfälle, die Sie aus Ihren Wespennestern berichten, finde ich besonders merkwürdig. Es war eine Art Rebellion: Eine Gruppe von Arbeiterinnen stellt die Zusammenarbeit mit der Königin ein, bestimmt
eine Anführerin aus ihrer Mitte und gründet ein paar Tage
später eine neue Kolonie – als hätten sie sich untereinander abgesprochen.
Gadagkar: So war es. Wir wissen nicht, wie diese Entscheidung entstand. Offenbar haben die Wespen Mittel der Kommunikation, die uns noch ganz unbekannt sind. Eine Vermutung ist, dass sie über ihren Speichel
Informationen austauschen. Die Arbeiterinnen berühren, umsorgen und füttern einander nämlich unablässig.
Klein: Dass ihre Sprache die Zusammensetzung des Speichels sein könnte, finde ich erstaunlich genug. Doch die Abspaltung, die Sie beschreiben, bedeutet, dass die Tiere ihr Verhalten Tage im Voraus geplant haben müssen.
Das erscheint mir unglaublich.
Gadagkar: Gewiss, diesen Schluss muss man ziehen. Tiere sind zu deutlich mehr in der Lage, als wir heute verstehen. Dass wir sie fortwährend unterschätzen, hängt damit zusammen, dass wir uns von ihnen isoliert haben.
In der modernen Gesellschaft sind Tiere uns so fremd
geworden, dass wir vergessen haben, wie viele Arten uns Menschen auf einzelnen
Gebieten überlegen sind. Wir haben den Respekt vor der Natur verloren.
Klein: Gehen Sie gerne in den Zoo?
Gadagkar: Nein. Ich fühle mich in Gegenwart von Tieren in Gefangenschaft nicht sonderlich wohl. Viel lieber als einen Löwen oder Menschenaffen hinter Gittern beobachte ich eine Wespe – auch wenn diese nicht einer
sozialen Art angehört. Selbst bei solch scheinbar unspektakulären Geschöpfen ist so viel zu sehen: wie das einsame Tier Schlamm holt, ihn mit seinem Speichel vermischt und daraus ein Nest baut; wie es dann eine Raupe
holt, sie in den Schlamm legt und mit ihrem Stich betäubt;
wie es das Nest mit Eiern füllt und es verschließt… Man kann ein ganzes Leben
lang zuschauen und würde doch immer wieder Neues entdecken.
Klein: Die moderne Biologie verdanken wir einzig der Gabe
eines Mannes, genau hinzusehen. Charles Darwin muss ein phänomenaler Beobachter
gewesen sein. Und aus dem, was er an den Vögeln und Schildkröten der
Galapagosinseln, an Rankenfußkrebsen, an Tauben, die er selbst züchtete,
erkannte, schuf er die ganze Evolutionstheorie. Er hatte keine anderen
Werkzeuge als seine Augen und seinen Verstand.
Gadagkar: Heute beruht die Wissenschaft auf aufwendigen Experimenten. Wir verlassen uns auf teure Geräte. Ich verlange dagegen von meinen Studenten, dass sie viel mehr Zeit mit Nachdenken als mit Technik verbringen.
Bei den Materialschlachten der Kollegen aus den reichen Ländern können wir ohnehin nicht mithalten. Diesen Rückstand müssen wir mit mehr Hirneinsatz ausgleichen. Das mag ein Vorteil sein, weil wir so eher zu einem
tiefen Verständnis gelangen.
Klein: Die Evolutionstheorie wird dieses Jahr 150 Jahre alt.
Aber viele Menschen haben sich mit ihr noch immer nicht abgefunden und
versuchen sogar, sie zu bekämpfen. Sie empfinden Darwins Lehre als
blasphemisch, vermissen in ihr einen göttlichen Plan.
Gadagkar: Im Westen ist das so. Bei uns in Indien hat niemand Schwierigkeiten mit der Evolutionstheorie. Dass die Welt in ständiger Entwicklung begriffen ist, dass Zerstörung und Neuschöpfung miteinander einhergehen,
dass die Naturgeschichte kein Ziel hat – all das lehrt die
hinduistische Philosophie seit jeher.
Klein: In Ihrem Land lebt noch immer fast die Hälfte der
Bevölkerung am Existenzminimum oder sogar darunter. Stoßen Sie da eigentlich
auf großes Verständnis, wenn Sie Geld einfordern, um Wespen zu erforschen?
Gadagkar: Unbedingt. Indien hat eine sehr lange Tradition der Gelehrsamkeit. Und alle sind sich einig darin, dass wir nur durch den Erwerb von Wissen einen Sprung nach vorne machen können. Selbst in den ärmsten Dörfern
wird das verstanden.
Klein: Was gibt die Naturforschung Ihnen selbst?
Gadagkar: Wenn ich den Wespen dabei zusehe, wie sie ihre Larven füttern, werde ich ganz ruhig. Diese Insekten erinnern mich immer wieder daran, dass ich Teil einer Gemeinschaft bin – und wie wichtig diese Gemeinschaft
ist. Andere Forscher, die sich etwa nur mit Molekülen
befassen, vergessen das leicht. Und für Tiere da zu sein lehrt schließlich,
sich selbst weniger wichtig zu nehmen.
Klein: Wer sich um andere Menschen kümmert, lernt das auch.
Gadagkar: Ja. Aber Menschen geben Ihnen fast immer etwas zurück. Von einer Wespe dagegen bekommen Sie gar nichts. So lernen Sie wahre Hingabe. Deswegen sollten wir alles dafür tun, dass unsere Kinder ein inniges Verhältnis zur Natur entwickeln.
Vergleich: Siehe: Insecta.
From
Wikipedia, the free encyclopedia
Ropalidia
marginata is an Old World species of paper wasp found in Pakistan, peninsular
India, Sri Lanka, South-east Asia and Australia.
The
nominate subspecies (R. m. marginata) has been studied extensively in India,
though little is known of its biology elsewhere within its range, or the
biology of any of the other subspecies. In India, it has an aseasonal,
indeterminate and perennial colony cycle, which means that nest initiation
occurs round the year, and nests are active throughout the year.
These wasps
make gymnodomous nests (open, not covered by an envelope) with one or more
petioles, which they coat with ant-repellant chemicals. The nests are usually
found in closed spaces with small openings, inside
bushes and
within various man-made structures like electric poles, broken pillars,
crevices of buildings, electric cable boxes, switch boards, tube light holders,
the bottom of park benches, and even from within dustbins and
letter
boxes. Nests that can be accessed only through very small openings are well
protected from the hornets Vespa tropica, which are the prime predators of
these wasps. Nest sizes range from 0 to 722 cells with 1 to 200
females and 0 to 33 males.
Males are
produced aseasonally, and are thus found throughout the year in a subset of
nests in the population. There is only a single queen in any nest of R.
marginata, and she is not morphologically distinguishable from the workers. The
nests are made of paper, which is produced by masticating cellulose (collected
usually from plant sources) and mixing it with saliva.
The queen
lays a single egg per cell, and the larvae grow inside the cells, being fed by
the workers. The largest larvae spin a cap of silk on their cells and pupate
inside. R. marginata nests can be founded either by solitary or multiple
foundresses, and nest usurpation, adoption and joining are also quite commonly
observed.
A female
wasp eclosing on a nest at any time of the year has several options open to
her. Can
1. leave her natal nest and start her own
single foundress colony;
2. leave her natal nest and initiate or join
other multiple foundress colonies along with her nestmates or with wasps from
other nests;
3. stay in her natal nest as a worker;
4. stay in the natal nest as a worker for some
time and then drive away the queen and take over as the new queen of the
colony.
It is clear
that this versatility in the options for the workers provides a platform for
potential conflict in the R. marginata society, and the fact that the queen is
able to maintain complete reproductive monopoly makes this an excellent model
for studying the evolution of co-operation in a primitive society.
The queen
Primitively
eusocial societies are typically headed by behaviourally aggressive queens, who
use aggression to suppress worker reproduction. The queen in R. marginata,
however, is a "docile sitter" who does not use physical aggression to
maintain her reproductive monopoly in the colony.
The queen
is also not responsible for maintaining worker activity in her colony, as in
similar species. However, the queen in R. marginata is able to maintain
complete reproductive monopoly in the colony. It has been argued
for several
years that the R. marginata queen uses a pheromone to signal her presence and
fecundity to her workers, and this signal is perceived by the workers who
refrain from reproducing; however, it has been shown that
any such
pheromone is non-volatile.
The queen
interacts very rarely with her workers, and direct or indirect physical
interactions are not used by the workers to perceive their queen. The queen
probably uses abdomen-rubbing behaviour to apply her pheromone
on the nest
material, through which the workers perceive her presence in the colony.
When the
queen is removed from the colony, the pheromone decays
role of the queen.
The potential queen
Primitive
wasp societies are known to have distinguishable succession hierarchies, i.e.,
the loss of the queen results in her successor becoming the next egg-layer. Typically,
such hierarchies are based on dominance rank, age
or in some
cases, body size.
In R.
marginata, the potential queen, or the individual who steps up her aggression
immediately after queen removal and eventually becomes the queen, seems to be
an unspecialized individual in the presence of the queen.
She is not
unique in her dominance rank, behavioural repertoire, age, body size or ovarian
condition. However, within minutes of queen removal, the potential queen
becomes obvious to an observer due to her heightened aggression. Interestingly,
the potential queen maintains this high aggression for only a few days, and
gradually reduces the levels of aggression over a week or so, while she
develops her ovaries.
Contrary to
popular belief among scientists, the potential queen seems to require this
heightened aggression, not to suppress the ovarian development in her
nestmates, but to boost her own development.
Typically,
this heightened aggression is one-way, and shown by a single individual. She
hardly even receives any aggression from the others in the colony. It has now
been established that though the identity of the potential
queen is
cryptic to the observer in the presence of the queen, the wasps "know"
who their successor is, and hence she does not face any challenge from her
nestmates.