Tattoo-Fails:

 

„Think before you ink!!!“

https://www.menshealth.de/artikel/der-weg-zum-ersten-tattoo.163797.html

https://www.zeit.de/2021/49/tattoo-farben-verbot-eu-verordnung

https://www.zeit.de/gesundheit/2021-12/tattoo-farben-verbot-eu-inhaltsstoffe-gesundheitsschaedlich?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

https://www.zeit.de/zett/politik/2022-05/gesichtstattoo-tik-tok-kulturelle-identitaet?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

https://www.br.de/mediathek/video/ciao-tattoo-aufgedeckt-illegale-tattoo-entfernung-av:63750e628dd498000889950a?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

https://www.t-online.de/nachrichten/panorama/buntes-kurioses/id_100127000/-arschgeweih-was-ist-aus-dem-lower-back-tattoo-trend-geworden-.html

https://www.vogue.de/artikel/tattoo-stechen-lassen-mark-mahoney-interview?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

 

Vergleich: Siehe: Haut + Schriftgruppe

 

[Sarah Bayerschmidt, Christoph Drösser und Max Rauner]

Tätowierungen sind nicht verbale Kommunikation, sagt die Wissenschaft. Was erzählen sie über einen Menschen?

15% der Deutschen sind tätowiert, bei den unter 34-Jährigen sogar 30%. Kann man von den Tattoos auf die Persönlichkeit oder die Biografie eines Menschen schließen?

Wie haben sich Tattoo-Motive im Laufe der Zeit verändert? Und was sagt uns eigentlich ein Arschgeweih? Die Psychologie sucht nach Zusammenhängen von Tattoos

und Persönlichkeitsmerkmalen. Die Semiotik versucht die Symbole zu entschlüsseln. Und die Kunstgeschichte hat den Tattoo-Künstler in Hamburg St. Pauli aufgespürt,

der das Tätowieren in Deutschland populär gemacht hat. Eine Reportage zwischen Tattoo-Studio und Psychologieseminar.

Warum bleibt Tattoo-Tinte so lange unter der Haut, ohne vom Körper abgebaut zu werden? Christoph Drösser berichtet über den Stand der Forschung (17:30).

Shownotes:

    Das Buch des Soziologen Chris Martin über die Bedeutung von Tattoos: The Social Semiotics of Tattoos

    Erich Kastens Fachartikel über die Beweggründe, sich tätowieren zu lassen, ist hier zu finden.

            Large Tattoos and Personality: which Women are at Risk?

    Der Instagram-Kanal von Serras Tattoo-Studio: @atelier.sensi

 

https://www.fluter.de/vorurteile-wie-tattoos-auf-menschen-wirken-koennen?utm_source=pocket-newtab-de-de

Wie unterschiedlich Menschen mit und ohne Tattoos wirken, zeigt der Fotograf Steven Burton: Er entfernt digital die Tätowierungen von Ex-Bandenmitgliedern

[Steven Burton]

In der U-Bahn sind noch zwei Sitzplätze frei: neben dem Fahrgast mit der bunten Pudelmütze auf dem Kopf und dann noch neben dem Mann mit den Tätowierungen im Gesicht. Schwere Entscheidung? Für die meisten Fahrgäste wohl eher nicht.

Die Porträtserie „Skin Deep“ des britischen Fotografen Steven Burton verdeutlicht, wie sehr Tattoos den Blick auf Menschen und unsere Meinung über sie beeinflussen.

Burton fotografierte frühere Gangmitglieder aus Los Angeles und entfernte die zahlreichen Tätowierungen auf ihren Körpern und Köpfen digital. 400 Stunden lang ließ

er Bandennamen und Gefängnissymbole, nackte Frauen und Totenköpfe verschwinden, bis die 27 fotografierten einstigen Kriminellen komplett tintenfrei waren.

Wie anders die retuschierten Porträts auf den Betrachter wirken, überraschte nicht nur Steven Burton, sondern auch die Porträtierten selbst: Viele hatten sich Jahre oder sogar Jahrzehnte lang nicht mehr ohne Tattoos gesehen. Die Schriften und Bilder waren ein Teil von ihnen geworden – und blieben es, auch nachdem sie sich für ein Leben ohne Bandenkriege, Drogendeals und Drive-by-Shootings entschieden hatten.

Viele der Porträtierten schafften diesen Absprung mit Hilfe der Stiftung Homeboy Industries. Sie bietet ehemaligen Gangmitgliedern neben Lebens- und Rechtsberatung,

Nachhilfe- und Arbeitsplätzen auch kostenlose Tattooentfernung an: Das Leben der Aussteiger werde dadurch weniger gefährlich und die Stigmatisierung durch die

Gesellschaft weniger.

 

[Annika Leister ]

Was du aus den Sünden anderer Menschen lernen kannst

http://www.bento.de/tv/tattoo-fails-cover-up-und-horror-tattoos-zeigen-die-schlimmsten-suenden-414072/#ref=recom-plista

11.03.2016 · Aktualisiert: 11.03.2016

Cover Up und Horror-Tattoos zeigen die schlimmsten Fails.

Tattoos sollen Denkmale setzen. Einer Person, einem Erlebnis oder eben dem eigenen Körperkult. Umso schlimmer, wenn am Ende der Nadelstecherei statt Freude

ewige Verbitterung steht.

Zwei TV-Sendungen widmen sich zurzeit dem Tattoo-Fail: Das aufwendig produzierte "Horror-Tattoos – Deutschland, wir retten deine Haut" tourt als Castingshow

durch deutsche Städte und ist auf Sixx bereits in der zweiten Staffel. ProSieben versucht seit Mittwochnacht mit dem nur halbstündigen "Cover Up" im Schnelldurchlauf nachzuziehen. Für die Chance auf einen Neustich von Profis zeigen Tätowierte hier die heftigsten Fails.

Dabei zeigt sich: Es gibt diese Fehler, die immer wieder begangen werden – aber auch ganz neue Gefahren. Denn es scheitert nicht immer zwangsweise nur an der

Unbedachtheit der Tätowierten. Anhand der aktuellen Beispiele aus beiden Sendungen ein kleines Do’s und Don’ts zu Motivwahl, Durchführung und Korrektur:

Don’t go with the flow

Pin-Ups, Tribals, Totenköpfe – auch bei Tattoos sind immer wieder neue Trends angesagt. Doch die in Masse gewählten Mode-Erscheinungen werden schnell zum Stigma:

Ein Tribal über dem Steiß entwickelte sich in den neunziger Jahren in der öffentlichen Wahrnehmung erst zum "Arschgeweih" und dann zum "Schlampenstempel".

Mancher traut sich deswegen nicht mehr an den Strand und jammert: "Das ist der größte Fehler, den ich je gemacht hab".

Lass die Liebe nicht unter die Haut

So groß die gerade empfundene Emotion auch sein mag: Tattoos überdauern jede Liebe. Statt sich wie Tamara von einer flüchtigen Internetbekanntschaft einen Liebesbeweis

in Romanlänge aufs Dekolleté diktieren zu lassen, greife man doch lieber zu Henna oder Flash-Tattoos – die entsprechen eher der postmaritalen Realität und sind nach 4 - 6

Tagen wieder verschwunden.

Wähle ein eindeutiges Motiv

 

Mikrofon oder Penis? Wolken oder Ärsche? Bei manchen Motiven ist von vornherein klar, dass sie zu nah beieinander liegen. Bei anderen ist erst ein miserabler Tätowierer

nötig, um die Ähnlichkeit herzustellen. Wer sicher sein will, dass das Portrait seiner Tochter später nicht ausschaut wie E.T., nachdem er mit dem Rad vom Himmel gestürzt ist,

sollte sich in wirklich erfahrene Hände begeben.

Behalt die Kontrolle

Dem Tätowierer freie Hand lassen - klingt nach Überraschung, Aufregung, Nervenkitzel. Bedenken muss man allerdings, dass dem Tätowierer vielleicht Muße und Motivation fehlen - und er auf dem Rücken einfach einen raumgreifenden, blauen Tintenklecks hinterlässt.

 

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Sprich die Sprache

Mehr als 80.000 Schriftzeichen hat die chinesische Schrift. Sogar gebildete Chinesen kennen nur einen Bruchteil davon. Dass dein Tätowierer zu dieser exklusiven Gruppe gehört,

ist äußerst unwahrscheinlich. Wer wie Teilnehmerin Christin mit dem puren "Bösen" statt einem verspielten "Teufelchen" auf dem Rücken herumläuft, hat noch Glück gehabt –

im schlimmsten Fall liegt im Studio einfach die Speisekarte vom China-Restaurant nebenan aus.

Don’t do it drunk!!

Ein Klassiker unter den Fails: Nachts um 3 h. mit 3 Promille unter die Nadel gehen. Besonders mies ist das Ergebnis, wenn man sich zuvor mit seinem Tätowierer betrunken hat.

Zu welchem Fußballer gehört dieses Tattoo?

Üb‘ woanders, Bro!

Dein bester Freund hat sich gerade eine Tätowier-Maschine auf Ebay ersteigert?

Bei einfachen Sätzen wie "I love vagina" oder den simplen Konturen eines Bart Simpson kann jawohl nix schief gehen? Schau die "Horror Tattoos". Dort sind die selbst- und freundgestochenen Tattoos mit am häufigsten vertreten.

Check den Tätowierer

Zwingende Zertifikate braucht es in Deutschland nicht, um sich auf fremden Körpern zu verewigen. Dementsprechend hoch ist die Versagerquote in dem Segment. Die Profis packt regelmäßig das Grausen beim Anblick der Werke ihrer selbsternannten Kollegen. Ausliegende Fotos sind neben Sauberkeit und Freundlichkeit im Laden zwar ein guter Hinweis, lebende Beispiele sind aber noch ein bisschen besser.

Wirklich! Check den Tätowierer!

Wenn man den Horror-Stories lauscht, ist dieser Hinweis definitiv zwei Punkte wert: Dominiks Tattoo wurde nie fertig, weil die Polizei den Laden vorher schloss. Sein Tätowierer in Köln habe mehrere Personen mit HIV infiziert, erzählt der bärtige Mittdreißiger vor der Kamera.

Bleib nicht standhaft!

Mag Durchhaltevermögen sonst im Leben auch mal belohnt werden – hier ist Ausdauer fehl am Platz. Kündigt sich das Verderben durch krumme Linien und seltsame Platzierungen schon früh in der Nadelsitzung an, ist Abbrechen die einzige Chance auf eine Entfernung in wenigen Sitzungen.

Wähl die richtige Show!

Wer bereit ist, seine Jugendsünden vor laufenden Kameras auszupacken, um professionell von ihren Folgen erlöst zu werden, der sollte die richtige Show wählen.

Die drei Tätowierer in Sixx‘ "Horror-Tattoos" diskutieren ausführlich über die Vorstellungen der Kunden und zaubern am Ende auch aus einem vollkommen misslungenen noch einen lebensechten Paul Walker.

In ProSiebens "Cover Up" endet „Arschgeweih“-Sarah hingegen mit einem raumgreifenden Blumen-Über-Tattoo, für das schnellstmöglich das Sendeformat "Cover Up Cover Up" erfunden werden sollte.

 

[Emmitt Teodoro]

Berbertradition: Schutz vor Böseblick. Um Unglück abzuwehren muss Blut fließen. Nach einem Unfall und bei Schmerzen kann ein Tattoo heilen. Russ (= Fuligo ligni) gebraucht um Tattoo sichtbar zu machen

[Pia Steinbrück, Hebeamme]

Hat in 15 Jahren mehr als 1000 Geburten begleitet. Während die Ärzte früher mit Chloroform, Lachgas oder Äther betäubten, hilft heute die rückenmarksnahe Regionalanästhesie oder kurz PDA.

Das Thema Schmerz in der Geburt, sagt Steinbrück, würden Hebammen heute gern auslassen. Sie würden keine schlafenden Hunde wecken und die Frauen beunruhigen wollen. Steinbrück ist der Ansicht, dass der Schmerz viel zu sehr zum Tabu gemacht werde.

»In den Vorbereitungen zu einer Geburt muss man darüber sprechen«, sagt die Hebamme. In ihren Kursen geht sie detailliert auf die verschiedenen Faktoren im Schmerzempfinden ein. Die Männer erhalten einen Extrakurs. »Männer wollen unbedingt etwas machen«, sagt Steinbrück, »aber sie können nicht viel tun«.

“Die Hebamme benutzt dann ein männeraffines Bild. Sie sollten sich vorstellen, ihre Frau führe Fahrrad auf der Tour de France. Die Frau sitzt im Sattel, ihr Mann im Besenwagen. »Ihr dürft sie mit Bananen beschmeißen, ihnen Wasser reichen und sie anfeuern«, erklärt Steinbrück den Männern dann, »aber fahren müssen eure

Frauen, und sie müssen ins Ziel kommen. “Schmerz sei außerdem nicht gleich Schmerz. Entscheidend sei, wie sehr man ihn noch kontrollieren könne, ob der Zeitrahmen absehbar sei und ob ein lohnendes Ziel in Aussicht stehe. Gerade hat sie selbst entbunden, und fast hätte sie sich gegen Ende der Geburt wie so viele Frauen dem überwältigenden Gefühl des Kontrollverlusts ergeben und sich eine PDA setzen lassen. Steinbrück widerstand diesem Impuls. »Ich hatte Presswehen und wusste, das war’s jetzt. “Das Wissen um die Schmerzvorgänge hatte ihr die Kontrolle über diesen extremen Schmerz erhalten. Sie verzichtete auf die Betäubung. »Obwohl ich nicht grundsätzlich gegen die PDA bin«, beteuert sie. Und dann erzählt sie den Teilnehmern der Vorbereitungskurse vom Tattowierstudio. Ob jemand schon mal gesehen habe, dass dort jemand eine Betäubungsspritze erhalten habe? Pia Steinbrück, weiß worüber sie spricht. Ihr Rücken ist ausgiebig tattowiert. Sie gibt zu, dass dieser Schmerz etwas ganz anderes als der ohnmächtig ertragene Kopfschmerz oder eine Wehe sei. »Es ist wie eine Sucht, hinterher bin ich immer ganz high.«

 

[Richard Friebe]

Tattoos bleiben ein Leben lang, weil der Körper sie ständig erneuert

Tattoo-Pigmente überleben Generationen von Fresszellen in der Haut. Während die Zellen kommen und gehen, bleibt die Farbe. Der Körper renoviert seine bunten Hautgemälde.

Haut und Kunst: Tattoos erneuern sich in der Haut selbst – hier haben sie dabei ganz schön viel zu tun.

Die Haut ist eines der Organe, die sich ständig erneuern. Nachdem das nachgewiesen war, fragten sich Dermatologen, warum Tattoos nicht ziemlich schnell verschwinden. Logischerweise nahm man bald an, dass die Tinte sich in speziellen Zellen, die nicht ständig absterben und sich abschälen, dauerhaft untergebracht wird. Nun stellt sich durch die Arbeit zweier französischer Forscher heraus, dass diese Annahme komplett falsch ist.

Pigment in Immunzellen

Lange gingen Forscher davon aus, dass die Tinte in Bindegewebszellen (Fibroblasten) in einer tieferen Hautschicht gespeichert würde. Bei genauerem Hinsehen aber zeigte sich,

dass es Immunzellen sind, die den Fremdstoff -die Farbpigmente- aufnehmen. Wenn die Haut beim Tätowiervorgang verletzt wird, werden solche Zellen praktischerweise massenhaft zum Ort des Geschehens beordert. Dort sollen sie Infektionen bekämpfen und eindringende Stoffe unschädlich machen. Sie nehmen, so die bisherige Theorie, das Tintenpigment auf und bleiben für den Rest des Lebens vor Ort, schön blau, oder schwarz oder bunt. Richtig ist das aber, so stellt sich nun heraus, nur zum Teil: Was bleibt,

ist nur die Tinte, nicht die Zellen. Denn auch in der Haut ist das Leben stets ein dynamischer Prozess. Zellen wachsen, teilen sich ständig, sterben ab und werden von anderen aufgefressen und ersetzt. Das gilt auch für jene Immunzellen, "Fresszellen" (Macrophagen) genannt, die das Tätowierungspigment aufnehmen.

Dass das Tattoo lebenslang an Ort und Stelle bleibt, liegt nicht etwa daran, dass diese Fresszellen ewig leben würden, sondern daran, dass diese immer wieder ausgetauscht werden. Und es liegt offenbar vor allem daran, dass die neuen Makrophagen extrem effizient darin sind, nicht nur die Abwehr-Funktion ihrer Vorgänger zu über-, sondern auch die Tintenpigmente aufzunehmen.

Körpereigene Restaurierung

Sandrine Henri und Bernard Malissen vom Centre d'Immunologie in Marseille-Luminy untersuchten Mäuse, deren Schwänze tätowiert wurden. Zum Teil waren die Tiere genetisch so verändert, dass Fresszellen gezielt zum Absterben gebracht werden konnten. Hätte die Vorstellung von den ewig lebenden Makrophagen, in denen der Farbstoff für immer bleibt, gestimmt, dann hätte dieses Absterben genau eine Folge haben müssen: Der Farbstoff hätte sich im Gewebe verteilt und wäre über das Lymphsystem letztlich abtransportiert worden. Tatsächlich blieb er aber an Ort und Stelle, weil neu einwandernde Fresszellen, deren Vorläufer Wochen zuvor noch im Knochenmark gesessen hatten, den Farbstoff direkt vor Ort aufnahmen. Und wurde einer Maus ein Stück Tattoo von einer anderen transplantiert, fanden sich einige Wochen später fast nur noch neue, von der Empfängermaus gebildete Fresszellen im Tattoo. Diese waren allesamt vollgepumpt mit Tintenpigment.

Malissen und Henri präsentieren ihre Befunde im Journal of Experimental Medicine. Sie zeigen, dass eine Tätowierung im Grunde ein Bild ist, das an Ort und Stelle stetig und immer wieder neu kopiert und restauriert wird, inklusive Recycling der Farbe. Und "rein biologisch".

Wahrscheinlich liegt in diesem Prozess auch der Grund, warum Tattoos über die Jahre unschärfer werden und etwas ausbleichen. Auch dafür gab es bisher nur hypothetische Erklärungen:

Die Zellen würden sich mit der Zeit etwas verschieben; schwächer werdendes Bindegewebe würde sie mit sich ziehen; oder die Zellen würden ein wenig lecken mit der Zeit.

Nun sieht es so aus, als ob die Ersatzzellen nicht mehr ganz präzise den Platz ihrer Vorgänger einnehmen können und als ob bei jedem solchen Vorgang ein wenig Pigment verlorenginge.

Praktische Bedeutung haben die Ergebnisse bislang nicht. Für jene, die ein Tattoo loswerden wollen, könnten sie aber noch wichtig werden. Denn es gibt Menschen, die irgendwann nicht mehr in Renate verliebt sind oder einsehen, dass Geweihe nur auf die Köpfe von Hirschen gehören.

Immunzellen blockieren, Tattoos eliminieren

Henri und Malissen sind jedenfalls der Meinung, dass es sinnvoll sein könnte, bei der Entfernung von Tattoos die Fresszellen davon abzuhalten, in die Haut einzuwandern.

Denn das würde verhindern, dass die per Laser freigesetzte Tinte wieder neu aufgenommen wird. Sie könnte dann, so nehmen die beiden Autoren der Studie an, mit der Lymphe abtransportiert werden und letztlich im Urin und in der Kloschüssel landen.

Die philosophische Bedeutung allerdings dürfte eindeutig sein: Tattoos sind keine leblosen Bilder, sondern sehr lebendige. Sie sind nicht für immer und ewig, sondern immer neu. Sie sind kein Sein, sondern ein stetiges Werden. So wie das Leben selbst.

 

Die Tattoofarbe rot verursacht die meiste Ärgernis. Die helle Farben verursachen oft Ärger (im medizinische Sinne).

 

[Urs Wälterlin]

Tattoos waren in Polynesien von höchster kultureller Bedeutung, wurden aber lange von der Kirche verboten. Nun erlebt die Körperkunst eine Renaissance.

Der Gesang einer Gruppe von Frauen und Männern erfüllt den kleinen Hafen von Tahuata. Begleitet von Trommeln und Ukulelen, gekleidet in farbigen Gewändern, begrüßen die Künst­le­r*in­nen im Licht der Nachmittagssonne die Gäste eines Kreuzfahrtschiffes. Wer ein Klischeebild eines Südseeparadieses sucht, findet es hier in den Marquesas-Inseln

von Französisch-Polynesien.

Die Frauen tragen selbstgemachte Kränze auf den Köpfen, geflochten aus farbigen Blumen und grünen Blättern. Umrandet von dichtem Urwald, gesäumt vom kristallklaren Wasser des Südpazifiks, liegt Tahuata buchstäblich am Ende der Welt. Über drei Stunden Flug sind es in die Hauptstadt Papeete auf Tahiti, Tage mit dem Schiff. Luftlinie liegt die Insel näher an Südamerika als an Australien.

Doch es sind nicht nur die exotischen Klänge, die den Besuchern zeigen, wo sie angekommen sind. Spektakuläre Tätowierungen schmücken die Sänger*innen. Nur schwarz, keine Farben, aber exakt gestochene, schematische Muster zieren große Teile ihrer Körper – schnurgerade Motive oder auch schwunghafte. „Jedes Symbol hat eine Bedeutung für uns“, erklärt eine junge Frau einer neugierigen Touristin. „Es zeigt, wo ich herkomme, wer meine Ahnen sind, es zeigt den Kreis des Lebens.“

Noch bis vor ein paar Jahrzehnten hätten Besucher Polynesiens kaum je solche Tattoos gesehen, erklärt die gebürtige Schweizerin Heidy Baumgartner. Die Expertin für polynesische Felskunst lebt seit den achtziger Jahren in Tahiti. „Als ich hier angekommen bin, gab es kein einziges Tattoo“, erinnert sie sich. Erst nach ein paar Jahren sah sie zum ersten Mal einen traditionell geschmückten Mann: „Er war von Kopf bis Fuß tätowiert“, sagt die Wissenschaftlerin.

Dabei war das Tattoo über Jahrhunderte ein unverzichtbarer Bestandteil traditioneller Kultur und Religion unter den Völkern Polynesiens. Die begabten Seefahrer, die das „polynesische Dreieck“ im Verlauf der Jahrhunderte besiedelt hatten, entwickelten auf den isolierten Inseln des Pazifiks ein reiches Geflecht von Kulturen, unter denen Tätowierungen eine wichtige, ja zentrale Rolle spielten. Das Wort „Tattoo“ stammt vom polynesischen Wort „tatau“, das bis heute verwendet wird – von Tahiti bis Tonga. Der britische Entdecker James Cook hatte den Begriff nach seiner Reise nach Polynesien im Jahr 1771 nach England gebracht. Ein tätowierter Tahitianer namens Ma’i begleitete Cook damals zurück nach London. Seither ist das Wort im Westen bekannt.

Da es in der polynesischen Kultur historisch keine Schrift gab, waren Tätowierungen eine wichtige Form der Kommunikation. Laut dem führenden amerikanische Tattoo-Anthropologen Lars Krutak zeigten sie den sozialen Status des Trägers, die Geschlechtsreife, die Herkunft und den Rang einer Person. So waren in der traditionell sehr hierarchischen polynesischen Gesellschaft fast alle Erwachsenen tätowiert – ob in Samoa, Tonga, oder die Maori im heutigen Neuseeland (Aotearoa).

Ein Mann mit kurz frisiertem Bart und grauen Haaren blickt in die Kamera

Er verkörpert das Bild eines polynesischen Kriegers: Der gebürtige Marqueser, Pascal Erhel Foto: Urs Wälterlin

So vielseitig die Völker Polynesiens sind, so vielseitig sind auch die spirituellen, kulturellen und gestalterischen Hintergründe dieser permanenten Form von Körperkunst. Praktisch alle Völker dort aber glaubten, Tätowierungen seien „ein Geschenk des Himmels an die Menschheit“, so Anthropologen. Einer tahitianischen Legende zufolge waren die Söhne

von Ta’aroa, dem obersten Schöpfer, die ersten Wesen, die sich tätowierten.

Auch die verwendeten Muster und ihre Platzierung am Körper galten als heilig und unterlagen strikten Regeln. Zwar unterscheiden sich die Tätowierungen von Inselkette zu Inselkette. Oftmals sollten Motive das „Mana“ bewahren, die in den polynesischen Völkern bis heute wichtige „göttliche Essenz“. Von ihr nahm man an, dass sie die Gesundheit, das Gleichgewicht und die Fruchtbarkeit bestimme. So war das Anbringen von Tattoos immer auch mit „Tapu“ belegt. Auch dieser Begriff, der im übertragenen, weitesten Sinne „Verbot“ bedeutet, hat seinen Weg in die westliche Welt gefunden –„Tabu“.

Polynesien – Inseln der Südsee

Dreieck aus mehr als 1.000 Inseln

Von der chilenischen Osterinsel im Südosten bis zu Neuseeland im Südwesten und nach Hawaii im Norden erstreckt sich das polynesische Dreieck (Polynesien = „viele Inseln“)

im Pazifik. Es umfasst mehr als 1.000 Inseln. Die Herkunft der Polynesier wird unter Wissenschaftlern debattiert. Forschungen lassen auf eine Herkunft vom heutigen Taiwan über Neuguinea schließen. Die Bewohner der Osterinseln hingegen haben eine genetische Verwandtschaft mit Südamerikanern.

Die Seefahrer der Lapitas

Als die ersten Europäer Ende des 16. Jahrhundert an den Stränden Polynesiens ankamen, lebten auf den Inseln etwa 500.000 Menschen. Sie stammten von den großen Seefahrern Lapitas ab, die Fidschi, Tonga und Samoa schon 1500 bis 1100 vor Chr. erreicht hatten. Diese „Wikinger des Pazifiks“ hatten große Entfernungen zurückgelegt und ohne Hilfe von Instrumenten nach den Sternen navigiert.

Tätowierwerkzeuge und -muster

Für ihr Leben auf den Korallenatollen und Vulkangipfeln brachten die Lapitas Saatgut und landwirtschaftliche Geräte mit und domestizierte Tiere. Sie erzählten Geschichten über die Abstammung der Häuptlinge von den Göttern, über Reisen der Helden der Vorfahren und über Schöpfungsmythen. Sie hinterließen Tätowierwerkzeuge und Keramikfragmente, die Tätowiermustern ähneln. (uw)

So durften nur speziell ausgebildete Tätowierer die Tintenkunst anbringen. Während Tattoos heute fast immer mit feinen, sterilisierten Nadeln und automatischen Tätowierpistolen gestochen werden, war die Prozedur in ihrer ursprünglichen Form deutlich weniger angenehm. Eine Tätowierung nach traditioneller Methode war mit monatelangen, kaum zu ertragenen Schmerzen verbunden.

In Samoa, einer Inselgruppe mit einer besonders starken Tätowierkultur, wurde von jugendlichen Männern erwartet, dass sie sich – quasi als Übergangsritus zum Erwachsensein – einer täglichen über bis zu vier Monate dauernden Tätowierprozedur unterziehen. Dabei wurde ein mit Tinte versetzter Kamm oder eine Nadel aus Knochen buchstäblich unter die Haut gehämmert – ohne jegliche Betäubung. Danach wurde die Wunde mit Salzwasser gereinigt und zum Schutz vor Infektionen massiert.

Ein aus Mustern bestehendes Tatoo rund um das Knie von einem Mann

„Der gesellschaftliche Druck sorgte dafür, dass die meisten Männer den Prozess abschlossen“, meint der mit den Traditionen vertraute Journalist Jonathan DeHart. „Denn sie wollten nicht als Feiglinge gelten und von den anderen Mitgliedern ihres Stammes gemieden werden.“ Jene, die den Schmerz nicht mehr ertragen wollten und aufgaben, „trugen ihre unvollständige Tinte ein Leben lang als Zeichen der Schande“.

Pascal Erhel Hatuuku passt kaum in den Sessel, so wuchtig ist der Mann gebaut. Mit hüftlangem Haar und einer prominenten Tätowierung auf dem rechten Bein verkörpert der gebürtige Marqueser das Bild eines polynesischen Kriegers. Tatsächlich diente Erhel Hatuuku mehrere Jahre lang in der französischen Armee, bevor er sich in seiner pazifischen Heimat der Förderung polynesischer Kultur verschrieb. Er erzählt, wie die Tradition des Tätowierens mit der Ankunft christlicher Religion vor rund 150 bis 200 Jahren ein abruptes Ende gefunden hatte.

Christliche Missionare und der Vormarsch des katholischen Glaubens bis ins hinterste Tal und auf das kleinste Atoll brachten neue Werte und neue Verbote nach Polynesien.

Ein ganz besonderer Dorn im Auge war den Geistlichen aus fernen Landen die Nacktheit der Polynesierinnen und der freizügige Umgang mit der Sexualität. Dieses Attribut der Bewohnerinnen auf einigen Inseln hatte es Jahre zuvor den Matrosen britischer Schiffe angetan. Einige waren von der Schönheit polynesischer Frauen so begeistert, dass sie sich trotz Androhung schärfster Strafen von ihrer Schiffsmannschaft trennten und sich unter tropischer Sonne mit einer Polynesierin im Arm ihren eigenen Südseetraum erfüllten.

Mit dem Alten Testament kam auch das Verbot der absichtlichen Veränderung des Körpers in den Pazifik. „Gott – der katholische Gott, oder Jesus, wenn Sie wollen – die hätten den Menschen nicht mit einem Tattoo geschaffen“, habe die Botschaft der weißen Priester geheißen, so Erhel Hatuuku. „Denn ein Mensch sei auch ohne Tätowierung schön“,

sagt die Bibel.

Es habe zwar vereinzelt Widerstand gegen die Zerstörung der Tätowierungstraditionen gegeben, vor allem von den Tahitianern auf den Gesellschaftsinseln, schreibt Jonathan DeHart. Eine Gruppe einflussreicher Dichter, Priester und Historiker habe Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts eine Reihe von „Tattoo-Rebellionen“ durchgeführt, mit denen sie ihre Souveränität und ihre religiösen Wurzeln behaupten wollten. Auch in Samoa und Tonga gab es Versuche, die heilige Tradition bewahren zu können. Doch auf vielen Inseln wurde der katholische Glaube im Verlauf der Jahre derart dominant, dass polynesische Traditionen kaum noch Überlebenschancen hatten.

Dieser Zustand hielt in weiten Teilen Polynesiens in unterschiedlichem Ausmaß bis in die 1970er und 1980er Jahre an. Dann erlebten Tätowierungen eine kulturelle Wiedergeburt. „Zu diesem Zeitpunkt waren die alten Muster und Bedeutungen bereits völlig verloren“, wird der Anthropologe und Filmemacher Jean-Philippe Joaquim zitiert. „Als die Menschen begannen, sich wieder Tätowierungen anzueignen, verwendeten sie Material, das von einigen deutschen und amerikanischen Wissenschaftlern aus dem 19. Jahrhundert dokumentiert und gesichert worden war“. Die Forscherin Heidy Baumgartner hat die „Wende“ in den frühen achtziger Jahren selbst miterlebt. „Es kam in Polynesien zu einem Wiederaufleben des Interesses an der eigenen Kultur“, zu einem Wiedererwachen der Identität. „Tätowierungen waren die ersten Zeichen dieser Renaissance.“ Seither wurde die Praxis wieder so populär, dass heute auf vielen Inseln im Pazifik ein großer Teil der Erwachsenen eine Tätowierung trägt.

Zeichnung eines Morimann mit drei Federn, zurückgebundenen Haaren, sein Gesicht ist bemalt und er trägt Schmuck

Pascal Erhel Hatuuku zeigt auf das Tattoo auf seinem Bein. „Es ist wie ein Markierungszeichen für uns. Das Tattoo zeigt, dass man aus Polynesien stammt, aus Tahiti, Tuamotu oder aus Neuseeland.“ Zudem kanalisiere eine Tätowierung „die Kraft, die aus der Umwelt kommt – der Tiere, der Pflanzen, der Landschaft“. Trotzdem: Gerade unter älteren Generationen sei die Warnung der Missionare noch spürbar, das Anbringen eines Tattoos sei ein Vergehen gegen Gott, gegen die Schöpfung. Für seine betagten Eltern etwa seien Tätowierungen „unsauber“, wie er es ausdrückt, „weil sie den Körper verändern“.

Solche Argumente hört man unter jüngeren Menschen kaum noch. Selbst Polynesier, die sich als gläubige Christen bezeichnen, tragen gerne ein traditionelles Tattoo.

Denn nebst Kultur und Identität haben junge Menschen noch einen anderen Grund, sich ein Tattoo stechen zu lassen: Eitelkeit. Pascal Erhel Hatuuku: „Ein Grund ist die Ästhetik. Ein Tattoo ist einfach auch schön.“

 

[Deutschland Funk Nova]

Bei Lili hat es mit einem Anker angefangen und mit Zahn und Qualle nicht aufgehört. Sie entscheidet nach Gefallen. Zwischen Schmuck, Lebensgeschichte und Fandom: ein Tattoo will immer etwas konservieren, sagt der Soziologe Oliver Bidlo.

Bereits mit zwölf Jahren war Lili von Tattoos fasziniert, sagt sie. Ihr erstes Tattoo, einen Anker, hat sie sich dann mit 19 Jahren zusammen mit Freundinnen in Thailand zum Zeichen der gegenseitigen Verbundenheit stechen lassen. Damit war die erste Schwelle überwunden, so Lili. Seitdem seien viele Tattoos dazugekommen. Anfangs habe sie noch sehr lange über das nächste Tattoo nachgedacht, bei kleineren Tattoos entscheide sie mittlerweile teils recht spontan.

Tattoos haben für Lili heute nicht mehr zwingend eine spezielle Bedeutung, im Vordergrund stehen vor allem Ästhetik und der Selbstausdruck, sagt sie – ähnlich wie bei Schuhe oder Schmuck, den Menschen tragen.

    "Mittlerweile ist es oft nur noch das Ästhetische, dass es einfach gefällt. Und es ist ja auch irgendwie eine Art Selbstausdruck, genauso wie bei den Klamotten, die man trägt, Schmuck oder Make-up."

Lili bereut keines ihrer vielen Tattoos, sagt sie. Manche Motive würden heute zwar nicht mehr ganz ihrem Stil entsprechen, aber es sei halt Teil des Deals, dass Tattoos für die Ewigkeit gestochen werden. Meist habe sie ihre Motive aber auch so gewählt, dass sie vom Stil her möglichst zeitlos bleiben.

Allerdings lässt Lili sich in Kürze ein Tribal stechen, ähnlich wie es in den 90er Jahren modern war. Fast hätte sie sich sogar für ein Arschgeweih entschieden, sagt sie. Den Platz auf ihrem Rücken wollte sie dann aber lieber für ein anderes großes Motiv frei lassen.

Das erste Motiv mit Edding aufmalen

Wer sich zum ersten Mal ein Tattoo stechen lassen möchte, dem rät Lili, sich ausreichend Zeit für das Motiv zu nehmen und vielleicht auch eine nicht so prominente Stelle zu wählen. Helfen bei der Entscheidung könne auch, das Tattoo erst mal mit Edding auf die Haut zu malen, um ein erstes Gefühl für das Motiv zu bekommen. "Ich habe die mir früher auch immer einfach so aufgemalt. Und da hatte ich auch manchmal welche, die fand ich nach einem Monat dann doch scheiße", sagt Lili.

Tattoo - Schmuck, Biografie, Begeisterung

 

Dass Menschen sich Tattoos stechen lassen, dafür gibt es drei Hauptgründe, sagt Oliver Bidlo, der Soziologie und Kommunikation an der Fachhochschule Düsseldorf lehrt und zu dem Thema forscht: das Tattoo als eine Art Schmuck, das Tattoo als Erinnerung an ein Lebensereignis und das Tattoo als Ausdruck der Begeisterung – zum Beispiel für eine Band, einen Verein oder eine Gemeinschaft.

 

    "Ein Tattoo will etwas konservieren, ein Gefühl, eine Überzeugung oder ein Ereignis."

 

Oliver Bidlo, Soziologe

 

Tattoos wollen ein Gefühl, eine Überzeugung oder ein Ereignis konservieren, sagt Oliver Bidlo – und das nicht nur für einen Tag oder eine Woche, sondern in der Überzeugung, dass es ein Leben lang gilt.

Die 90er Jahre als Zeitenwende

Darüber hinaus hätten Tattoos auch einen inszenierenden, theatralen Charakter. "Ein Tattoo will gesehen werden und vielleicht auch so etwas wie Fragen anstoßen", sagt Oliver Bidlo. Das gelte auch für Intim-Tattoos, wenngleich der Kreis der Rezipienten hier extrem eingeschränkt sei.

    "Ein Tattoo will gesehen, will rezipiert, will wahrgenommen werden, will vielleicht auch so etwas wie Fragen anstoßen."

Oliver Bidlo, Soziologe

Das Tattoos heute Mainstream sind, liege vor allem an den Entwicklungen der 90er Jahre. Stars und Sternchen hätten angefangen, ihre Tattoos offen zu zeigen und damit zum Nachahmen angeregt.

Die 90er-Jahre, mit der an Fahrt aufnehmenden Globalisierung, der Wiedervereinigung und später dem Euro, sei zeitgleich auch eine Dekade des Wandels gewesen. "Genau in der Zeit stellt das Tattoo plötzlich das Gegenteil dar. Es bietet einen Schutz vor Veränderungen, ist ein Anker, das bleibt bestehen, egal wie die Zeit sich verändert", so der Soziologe.

Oliver Bidlo forscht zum Thema Tattoos

Je mehr Menschen tätowiert seien, umso mehr werde das Besondere und Individuelle der gestochenen Motive ausgehöhlt. In der Szene habe es deshalb vor einiger Zeit Gegenbewegungen gegeben.

Das eine sei der sogenannte Ignoranz-Style, bei dem sich Menschen absurd triviale Sachen stechen lassen, eine Gurke oder einen Apfel zum Beispiel, um bedeutungsschweren Motiven Ignoranz entgegenzusetzen, sagt Oliver Bidlo. Das andere seien Tattoos auf Stellen am Körper, die auch heute noch als grenzwertiges betrachtet werden – die Hände,

der Hals oder das Gesicht zum Beispiel.

 

[Urs Wälterlin]

Tattoos waren in Polynesien von höchster kultureller Bedeutung, wurden aber lange von der Kirche verboten. Nun erlebt die Körperkunst eine Renaissance.

Der Gesang einer Gruppe von Frauen und Männern erfüllt den kleinen Hafen von Tahuata. Begleitet von Trommeln und Ukulelen, gekleidet in farbigen Gewändern, begrüßen die Künstler*innen im Licht der Nachmittagssonne die Gäste eines Kreuzfahrtschiffes. Wer ein Klischeebild eines Südseeparadieses sucht, findet es hier in den Marquesas-Inseln von Französisch-Polynesien.

Die Frauen tragen selbstgemachte Kränze auf den Köpfen, geflochten aus farbigen Blumen und grünen Blättern. Umrandet von dichtem Urwald, gesäumt vom kristallklaren Wasser des Südpazifiks, liegt Tahuata buchstäblich am Ende der Welt. Über drei Stunden Flug sind es in die Hauptstadt Papeete auf Tahiti, Tage mit dem Schiff. Luftlinie liegt die Insel näher an Südamerika als an Aus­tralien.

Doch es sind nicht nur die exotischen Klänge, die den Besuchern zeigen, wo sie angekommen sind. Spektakuläre Tätowierungen schmücken die Sänger*innen. Nur schwarz, keine Farben, aber exakt gestochene, schematische Muster zieren große Teile ihrer Körper – schnurgerade Motive oder auch schwunghafte. „Jedes Symbol hat eine Bedeutung für uns“, erklärt eine junge Frau einer neugierigen Touristin. „Es zeigt, wo ich herkomme, wer meine Ahnen sind, es zeigt den Kreis des Lebens.“

Noch bis vor ein paar Jahrzehnten hätten Besucher Polynesiens kaum je solche Tattoos gesehen, erklärt die gebürtige Schweizerin Heidy Baumgartner. Die Expertin für polynesische Felskunst lebt seit den achtziger Jahren in Tahiti. „Als ich hier angekommen bin, gab es kein einziges Tattoo“, erinnert sie sich. Erst nach ein paar Jahren sah sie zum ersten Mal einen traditionell geschmückten Mann: „Er war von Kopf bis Fuß tätowiert“, sagt die Wissenschaftlerin.

Dabei war das Tattoo über Jahrhunderte ein unverzichtbarer Bestandteil traditioneller Kultur und Religion unter den Völkern Polynesiens. Die begabten Seefahrer, die das „polynesische Dreieck“ im Verlauf der Jahrhunderte besiedelt hatten, entwickelten auf den isolierten Inseln des Pazifiks ein reiches Geflecht von Kulturen, unter denen Tätowierungen eine wichtige, ja zentrale Rolle spielten. Das Wort „Tattoo“ stammt vom polynesischen Wort „tatau“, das bis heute verwendet wird – von Tahiti bis Tonga. Der britische Entdecker James Cook hatte den Begriff nach seiner Reise nach Polynesien im Jahr 1771 nach England gebracht. Ein tätowierter Tahitianer namens Ma’i begleitete Cook damals zurück nach London. Seither ist das Wort im Westen bekannt.

Da es in der polynesischen Kultur historisch keine Schrift gab, waren Tätowierungen eine wichtige Form der Kommunikation. Laut dem führenden amerikanische Tattoo-Anthropologen Lars Krutak zeigten sie den sozialen Status des Trägers, die Geschlechtsreife, die Herkunft und den Rang einer Person. So waren in der traditionell sehr hierarchischen polynesischen Gesellschaft fast alle Erwachsenen tätowiert – ob in Samoa, Tonga, oder die Maori im heutigen Neuseeland (Aotearoa).

Ein Mann mit kurz frisiertem Bart und grauen Haaren blickt in die Kamera

Er verkörpert das Bild eines polynesischen Kriegers: Der gebürtige Marqueser, Pascal Erhel

So vielseitig die Völker Polynesiens sind, so vielseitig sind auch die spirituellen, kulturellen und gestalterischen Hintergründe dieser permanenten Form von Körperkunst.

Praktisch alle Völker dort aber glaubten, Tätowierungen seien „ein Geschenk des Himmels an die Menschheit“, so Anthropologen. Einer tahitianischen Legende zufolge waren

die Söhne von Ta’aroa, dem obersten Schöpfer, die ersten Wesen, die sich tätowierten.

Auch die verwendeten Muster und ihre Platzierung am Körper galten als heilig und unterlagen strikten Regeln. Zwar unterscheiden sich die Tätowierungen von Inselkette zu Inselkette. Oftmals sollten Motive das „Mana“ bewahren, die in den polynesischen Völkern bis heute wichtige „göttliche Essenz“. Von ihr nahm man an, dass sie die Gesundheit, das Gleichgewicht und die Fruchtbarkeit bestimme. So war das Anbringen von Tattoos immer auch mit „Tapu“ belegt. Auch dieser Begriff, der im übertragenen, weitesten Sinne „Verbot“ bedeutet, hat seinen Weg in die westliche Welt gefunden –„Tabu“.

Polynesien – Inseln der Südsee

Dreieck aus mehr als 1.000 Inseln

Von der chilenischen Osterinsel im Südosten bis zu Neuseeland im Südwesten und nach Hawaii im Norden erstreckt sich das polynesische Dreieck (Polynesien = „viele Inseln“)

im Pazifik. Es umfasst mehr als 1.000 Inseln. Die Herkunft der Polynesier wird unter Wissenschaftlern debattiert. Forschungen lassen auf eine Herkunft vom heutigen Taiwan

über Neuguinea schließen. Die Bewohner der Osterinseln hingegen haben eine genetische Verwandtschaft mit Südamerikanern.

Die Seefahrer der Lapitas

Als die ersten Europäer Ende des 16. Jahrhundert an den Stränden Polynesiens ankamen, lebten auf den Inseln etwa 500.000 Menschen. Sie stammten von den großen Seefahrern Lapitas ab, die Fidschi, Tonga und Samoa schon 1500 bis 1100 vor Chr. erreicht hatten. Diese „Wikinger des Pazifiks“ hatten große Entfernungen zurückgelegt und ohne Hilfe

von Instrumenten nach den Sternen navigiert.

Tätowierwerkzeuge und -muster

Für ihr Leben auf den Korallenatollen und Vulkangipfeln brachten die Lapitas Saatgut und landwirtschaftliche Geräte mit und domestizierte Tiere. Sie erzählten Geschichten über die Abstammung der Häuptlinge von den Göttern, über Reisen der Helden der Vorfahren und über Schöpfungsmythen. Sie hinterließen Tätowierwerkzeuge und Keramikfragmente, die Tätowiermustern ähneln. (uw)

So durften nur speziell ausgebildete Tätowierer die Tintenkunst anbringen. Während Tattoos heute fast immer mit feinen, sterilisierten Nadeln und automatischen Tätowierpistolen gestochen werden, war die Prozedur in ihrer ursprünglichen Form deutlich weniger angenehm. Eine Tätowierung nach traditioneller Methode war mit monatelangen, kaum zu ertragenen Schmerzen verbunden.

In Samoa, einer Inselgruppe mit einer besonders starken Tätowierkultur, wurde von jugendlichen Männern erwartet, dass sie sich – quasi als Übergangsritus zum Erwachsensein – einer täglichen über bis zu vier Monate dauernden Tätowierprozedur unterziehen. Dabei wurde ein mit Tinte versetzter Kamm oder eine Nadel aus Knochen buchstäblich unter

die Haut gehämmert – ohne jegliche Betäubung. Danach wurde die Wunde mit Salzwasser gereinigt und zum Schutz vor Infektionen massiert.

Ein aus Mustern bestehendes Tatoo rund um das Knie von einem Mann

Pascal Erhels Tattoo am Bein

„Der gesellschaftliche Druck sorgte dafür, dass die meisten Männer den Prozess abschlossen“, meint der mit den Traditionen vertraute Journalist Jonathan DeHart. „Denn sie wollten nicht als Feiglinge gelten und von den anderen Mitgliedern ihres Stammes gemieden werden.“ Jene, die den Schmerz nicht mehr ertragen wollten und aufgaben, „trugen ihre unvollständige Tinte ein Leben lang als Zeichen der Schande“.

Pascal Erhel Hatuuku passt kaum in den Sessel, so wuchtig ist der Mann gebaut. Mit hüftlangem Haar und einer prominenten Tätowierung auf dem rechten Bein verkörpert der gebürtige Marqueser das Bild eines polynesischen Kriegers. Tatsächlich diente Erhel Hatuuku mehrere Jahre lang in der französischen Armee, bevor er sich in seiner pazifischen Heimat der Förderung polynesischer Kultur verschrieb. Er erzählt, wie die Tradition des Tätowierens mit der Ankunft christlicher Religion vor rund 150 bis 200 Jahren ein abruptes Ende gefunden hatte.

Christliche Missionare und der Vormarsch des katholischen Glaubens bis ins hinterste Tal und auf das kleinste Atoll brachten neue Werte und neue Verbote nach Polynesien.

Ein ganz besonderer Dorn im Auge war den Geistlichen aus fernen Landen die Nacktheit der Polynesierinnen und der freizügige Umgang mit der Sexualität. Dieses Attribut der Bewohnerinnen auf einigen Inseln hatte es Jahre zuvor den Matrosen britischer Schiffe angetan. Einige waren von der Schönheit polynesischer Frauen so begeistert, dass sie sich trotz Androhung schärfster Strafen von ihrer Schiffsmannschaft trennten und sich unter tropischer Sonne mit einer Polynesierin im Arm ihren eigenen Südseetraum erfüllten.

Mit dem Alten Testament kam auch das Verbot der absichtlichen Veränderung des Körpers in den Pazifik. „Gott – der katholische Gott, oder Jesus, wenn Sie wollen – die hätten den Menschen nicht mit einem Tattoo geschaffen“, habe die Botschaft der weißen Priester geheißen, so Erhel Hatuuku. „Denn ein Mensch sei auch ohne Tätowierung schön“,

sage die Bibel.

Es habe zwar vereinzelt Widerstand gegen die Zerstörung der Tätowierungstraditionen gegeben, vor allem von den Tahitianern auf den Gesellschaftsinseln, schreibt Jonathan DeHart. Eine Gruppe einflussreicher Dichter, Priester und Historiker habe Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts eine Reihe von „Tattoo-Rebellionen“ durchgeführt, mit denen

sie ihre Souveränität und ihre religiösen Wurzeln behaupten wollten. Auch in Samoa und Tonga gab es Versuche, die heilige Tradition bewahren zu können. Doch auf vielen Inseln wurde der katholische Glaube im Verlauf der Jahre derart dominant, dass polynesische Traditionen kaum noch Überlebenschancen hatten.

Dieser Zustand hielt in weiten Teilen Polynesiens in unterschiedlichem Ausmaß bis in die 1970er und 1980er Jahre an. Dann erlebten Tätowierungen eine kulturelle Wiedergeburt. „Zu diesem Zeitpunkt waren die alten Muster und Bedeutungen bereits völlig verloren“, wird der Anthropologe und Filmemacher Jean-Philippe Joaquim zitiert. „Als die Menschen begannen, sich wieder Tätowierungen anzueignen, verwendeten sie Material, das von einigen deutschen und amerikanischen Wissenschaftlern aus dem 19. Jahrhundert dokumentiert und gesichert worden war“. Die Forscherin Heidy Baumgartner hat die „Wende“ in den frühen achtziger Jahren selbst miterlebt. „Es kam in Polynesien zu einem Wiederaufleben

des Interesses an der eigenen Kultur“, zu einem Wiedererwachen der Identität. „Tätowierungen waren die ersten Zeichen dieser Renaissance.“ Seither wurde die Praxis wieder so populär, dass heute auf vielen Inseln im Pazifik ein großer Teil der Erwachsenen eine Tätowierung trägt.

Zeichnung eines Morimann mit drei Federn, zurückgebundenen Haaren, sein Gesicht ist bemalt und er trägt Schmuck

Pascal Erhel Hatuuku zeigt auf das Tattoo auf seinem Bein. „Es ist wie ein Markierungszeichen für uns. Das Tattoo zeigt, dass man aus Polynesien stammt, aus Tahiti, Tuamotu oder aus Neuseeland.“ Zudem kanalisiere eine Tätowierung „die Kraft, die aus der Umwelt kommt – der Tiere, der Pflanzen, der Landschaft“. Trotzdem: Gerade unter älteren Generationen sei die Warnung der Missionare noch spürbar, das Anbringen eines Tattoos sei ein Vergehen gegen Gott, gegen die Schöpfung. Für seine betagten Eltern etwa seien Tätowierungen „unsauber“, wie er es ausdrückt, „weil sie den Körper verändern“.

Solche Argumente hört man unter jüngeren Menschen kaum noch. Selbst Polynesier, die sich als gläubige Christen bezeichnen, tragen gerne ein traditionelles Tattoo.

Denn nebst Kultur und Identität haben junge Menschen noch einen anderen Grund, sich ein Tattoo stechen zu lassen: Eitelkeit. Pascal Erhel Hatuuku: „Ein Grund ist die Ästhetik. Ein Tattoo ist einfach auch schön.“

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