Dasypus novemcinctus = Gürteltier
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Umwelt
Das unterschätzte Tier Gnaaag oder doch Gnirrrk?
Gürteltiere müssen einiges verkraften: Landstraßen, lateinamerikanische Küche, Kevin Costner; auch gegen Häme schützt ihr dicker Panzer kaum.
Es gibt einen Haufen Gründe, um den Film Tin Cup nicht anzugucken. Weil man die Ballade eines Golflehrers und einer golfenden Psychologin irgendwie narkotisierend findet, oder weil Kevin Costner unentwegt frischgeduscht in die Ferne schaut. Unter filmhistorischen Gesichtspunkten hingegen ist der Streifen interessant: Er ist einer der wenigen, in dem Gürteltiere durchs Bild knurpseln. Ja, das Gürteltier, dieses gepanzerte Nebengelenktier, wie der Zoologe sagt, kann in seiner 60 Millionen Jahre alten Geschichte auf wenige Höhepunkte zurückblicken. Weswegen
dieser Film von Texas bis Südamerika in der Gürteltier-Community wohl auch ausgelassen gefeiert wurde. Sonst hat das Tier heutzutage nur selten etwas zu lachen.
Gürteltierverächter sagen nämlich, es sei dumm. Weiter ließe sich einwenden: Es setzt Prioritäten. Seine Hirnkapazität ist mit dem Geruchssinn ausgelastet. Würmer, Insekten und andere Kriechtiere sind selbst in 20 Zentimetern Tiefe nicht vor der Gürteltiernase sicher. Und wenn es dann nach ihnen buddelt, dann buddelt es eben. Modernem Multitasking genügt das Tier nur
bedingt, sein geistiger Hubraum kann mit dem eines Delfins natürlich nicht mithalten. Dafür muss es aber auch nicht mit verhaltensauffälligen Kindern herumplanschen oder sich für Dekobilder fotografieren lassen. Ein Gürteltier lässt sich nur ungern anpatschen, zähmen oder dressieren. So gesehen – es kommt zurecht. Ohne zivilisationskritischen Summs müssen wir allerdings
feststellen: Wäre da nicht der Mensch.
Gürteltiere sind eine Säugetierfamilie der gepanzerten Nebengelenktiere. Sie leben hauptsächlich in Südamerika. Zwei der 20 Gürteltierarten bewohnen auch Mittelamerika und das südliche Nordamerika – wie das berühmte Neunbinden-Gürteltier, das im Allgemeinen meist gemeint ist, wenn über das Tier geredet wird. Gürteltiere werden je nach Art zwischen 15 Zentimeter (Gürtelmull) und 1,5 Meter (Riesengürteltier) lang. Sie ernähren sich hauptsächlich von Insekten und anderen wirbellosen Kleintieren. Manche Arten wählen aber auch Mäuse und Eidechsen
als Nahrung. Ein Gürteltier ist zumeist nachtaktiv. Seine bevorzugten Lebensräume sind Sumpfgebiete, Savannen, Steppen und Wüsten. Es schläft etwa 16 Stunden täglich und wird bis zu 18
Jahre alt.
Die Evolution schenkte dem Gürteltier zwar ein Panzerhemd, an dem sich jedes Tier die Zähne ausbeißt. Aber der Mensch baute Landstraßen. Und da auch die Natur einen seltsamen Humor
hat, bekam das Gürteltier unter der Schale ein dünnes Nervenkostüm: Erschrickt es sich, hüpft es bis zu 80 Zentimeter in die Luft, was ungefähr der Höhe eines herkömmlichen Kühlergrills entspricht. Es bemerkt die Autos fast immer zu spät. Gürteltiere sind nämlich sehr kurzsichtig.
In Texas kursieren darum einige Witze, gegen die keine schicke Rüstung hilft: "Warum laufen die Hühner über die Straße? Um Gürteltieren zu zeigen, wie es geht." Und noch im Jenseits wird
das Gürteltier gepiesackt: Texanische Truckertrinkhallen schmücken ihre Tische mit ausgestopften Exemplaren. Oft wurde ihnen eine Bierdose zwischen die Pfoten geklemmt, worüber
Besucher von Truckertrinkhallen dröhnend lachen. In manchen Ländern Lateinamerikas landet es sogar auf dem Grill.
Und was sagt das Gürteltier dazu? Nichts. Es ist stumm, obwohl in Internetforen empört von nächtlichen Geräuschen berichtet wird, wenn ein Gürteltier mal wieder einen Gartenstuhl zu spät gesehen hat oder trotzig durch Gemüsebeete knuspert. Das klänge wie Gnaaag oder Gnirrrk. Dem Gürteltier bleibt bei allem Mobbing nur der Rückzug in seine Höhle, die es sich in 7 Metern
Tiefe einrichtet und darin 16 Stunden, vielleicht mit unruhigen Träumen, verschläft. Es kann nicht erzählen, dass es sechs Minuten die Luft anhalten kann, dass es ein famoser Taucher ist und
dass es doch täglich ein Maxi-Menü Schädlinge von den Blättern frisst, also von all jenen Dingen berichten, die der Mensch von heute coole Features nennen müsste.
Dem Gürteltier fehlt es an Fürsprechern. Sein berühmtester ist schon acht Jahre tot. Sam Lewis war ein Cowboy alter Schule mit seltsamen Hobbys, der den Jalapeño-Lutscher erfand.
Er züchtete die Tiere nicht nur und warb für diese besondere Spezies, sondern veranstaltete Rennen, denn Gürteltiere sind, erstmal in Fahrt gekommen, recht schnell. Einmal (auch davon
würden Gürteltiere erzählen) verlieh er ein paar von ihnen für ein Konzert der Rolling Stones. Auch für Kevin Costner hatte Lewis sie gecastet.
Wie es aber ihre Art ist, sind Gürteltiere am liebsten allein. Der Nachwuchs des Neunbinden-Gürteltiers wächst in eineiigen Vierlings-Würfen auf, und geht schnell seiner eigenen Wege,
spaziert friedlich durch die Landschaft des südlichen amerikanischen Kontinents. Sie leben dort in der Hitze, gegen die manchmal nur ein Schlammbad hilft, worin sie sich von allen erduldeten Strapazen erholen können. Selten verschlägt es sie in ein kaltes, steriles Labor fern der staubigen Heimat. Aber wenn, dann raunt die New York Times, staatliche Forscher hätten etwas herausgefunden: Gürteltiere können Lepra auf den Menschen übertragen. Ihre schwankende Körpertemperatur mache sie zu idealen Trägern. Gnaaag oder Gnirrrk, jedenfalls: Auch das noch.
Vergleich: Leprominum
(Gürteltier kann mit Lepra angesteckt sein). Siehe: Mammalia
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