Miasmen Anhang Kritik

 

Vergleich: Siehe: Zuordnung der Mitteln nach Miasmen

 

[Roland Methner]

Hahnemanns Miasmenmodell

a) Definition von Chronischen Erkrankungen

Chronische Erkrankungen sind für Hahnemann alle Krankheiten, welche im Laufe des Lebens stetig zunehmen, nie von alleine heilen und auch bei bester Lebensführung und Ernährung nicht besiegt werden können. Er teilt sie in drei Untergruppen ein:

I)  Chronische Krankheiten, verursacht durch chronische ungesunde Lebensweise.

Hahnemann nennt sie ..uneigentliche" Krankheiten und zählt sie nicht zu den chronischen Erkrankungen, da sie -bei Vermeidung der Schädlichkeiten- von selber wieder verschwinden.

„Uneigentlich werden diejenigen Krankheiten chronische benannt, welche Menschen erleiden, die sich fortwährend vermeidbaren Schädlichkeiten aussetzen, gewöhnlich schädliche Getränke oder Nahrungsmittel genießen, sich Ausschweifungen mancher Art hingeben, welche die Gesundheit untergraben, zum Leben nöthige Bedürfnisse anhaltend entbehren,

in ungesunden, vorzüglich sumpfigen Gegenden sich aufhalten, nur in Kellern, feuchten Werkstätten oder ändern verschlossenen Wohnungen hausen, Mangel an Bewegung oder freier Luft leiden, sich durch übermäßige Körper oder Geistes-Anstrengungen um ihre Gesundheit bringen, in stetem Verdrusse leben, u.s.w. Diese sich selbst zugezogenen Ungesundheiten vergehen, (wenn nicht sonst ein chronisches Miasm im Körper liegt) bei gebesserter Lebensweise von selbst (!) und können den Namen chronischer Krankheiten.

II)  Chronische Krankheiten, verursacht durch allopathisch angewendete Arzneien und Kunstfehler, die sogenannte Arzneikrankheit. Diese beurteilt Hahnemann äußerst kritisch

und sieht für sie fast keine Heilungsmöglichkeit (siehe Kapitel Arzneikrankheit).

III)  Chronische Krankheiten, erworben durch miasmatische Ansteckung mit Psora, Syphilis oder Sykose.

Nur diese drei Miasmen sind für Hahnemann natürliche chronische Erkrankungen.

Wahre natürlichen, chronischen Krankheiten sind die, von einem chronischen Miasm entstandenen, welche, sich selbst überlassen und ohne Gebrauch gegen sie specifischer Heilmittel, immerdar zunehmen und selbst bei dem besten, geistig und körperlich diätetischen Verhalten, dennoch steigen und den Menschen mit immerdar erhöhenden Leiden bis ans Ende des Lebens quälen.

Außer jenen, durch ärztliche Mißhandlung erzeugten [und den uneigentlichen chronischen Krankheiten - s.o.], sind diese die allerzahlreichsten und größten Peiniger des Menschengeschlechts, indem die robusteste Körper-Anlage, die geordnetste  Lebensweise und die thätigste Energie der Lebenskraft, sie zu vertilgen außer Stande sind."

b) Anzahl und Einteilung der Miasmen:

Es gibt für Hahnemann nur drei chronische Miasmen: Psora, Sykose, Syphilis

Hahnemann unterteilt die Miasmen nochmals in akute und chronische Miasmen:

Akute Miasmen: akute Infektionserkrankungen mit festen Krankheitsabläufen, z.B. Pocken, Masern, Keuchhusten, Scharlach, Mumps, Pest, Gelbfieber, Cholera u.a.

Neben den „akuten Miasmen" führt Hahnemann als Ursachen für akute Erkrankungen noch auf: Epidemien, mechanische oder psychische Traumen, Erkältungen oder Überhitzungen, Überessen oder Essensmangel.

Chronische Miasmen: Psora, Sykose, Syphilis.

Sein Schwerpunkt in Theorie und Praxis sind aber fast ausschließlich die chronischen Miasmen. Daher spricht man auch heute in der Homöopathie nur noch von „akuten Erkrankungen" und (chronischen) „Miasmen", d.h. der Begriff Miasma impliziert immer etwas Chronisches, länger zurückliegendes.

c) Definition von Miasma -Miasmen sind Infektionskrankheiten-  Eine Ansteckung mit diesen Miasmen ist leicht möglich. Sie haben mindestens zwei verschiedene Stadien, bzw. genauer gesagt ein den Zustand beschwichtigendes „Lokalübel" und einen chronischen Zustand.

Psora                Lokal: krätzeähnliche Bläschen, mit spezifischem und starkem Juckreiz.

Chronischer Zustand: diverse Hautausschläge, unzählige verschiedene Erkrankungen und Störungen.

Syphilinie         Lokal: lokales Geschwür im Genitalbereich (Schanker), evtl. gefolgt von einer Schwellung der Leistenlymphknoten (Schooßbeule).

Chronischer Zustand: schmerzhafte Geschwüre der Tonsillen; kupferfarbene Flecke auf der Haut; nicht juckende Ausschläge auf blau-rotem Grund;

Geschwüre; nächtliche Exostosen-Schmerzen

Sykose              Lokal: Feigwarzen, evtl. mit tripperartigem Ausfluss

Chronischer Zustand: filiforme Warzen („große, erhabene, braune, trockene Knollen") und ähnliche „Auswüchse"; Leukoplakien („weißliche, schwammige, empfindliche, platte Erhöhungen in der Mundhöhle"); Dupuytren-Kontrakturen.

Alle Miasmen sind in ihren Anfangsstadien, während dem Bestehen des Lokalübels, leicht und schnell durch ihr Spezifikum zu heilen. Sie schreiten -trotz gesunder Lebensführung u.a.- in unaufhaltsam Richtung Destruktion voran und enden unbehandelt mit dem Tod; hierin  ähneln sie der Syphilis.

- Die Lebenskraft kann -ohne die Hilfe der Homöopathie- diese Miasmen nicht heilen oder loswerden, nur die Bildung von Lokal-Übeln kann die miasmatische Dynamik „beschwichtigen", quasi auf die Haut „ableiten".

- Diese drei Miasmen Psora, Syphilis und Sykose (plus die Arzneikrankheit) sind getrennte Krankheiten, die sich zwar addieren können und dann komplizierter zu behandeln sind, aber sie bilden keine festen untrennbaren Zusammenschlüsse (wie später von J.H. Allen, Laborde, u.a. behauptet wird).

„Nach genauen Versuchen und Heilungen dieser Art complicirter Krankheiten, bin ich nun fest überzeugt, daß sie keine Zusammenschmelzung sind, sondern daß in solchen Fällen die eine nur neben der ändern im Organism besteht, jede in den Theilen, die für sie geeignet sind, denn ihre Heilung wird vollständig bewirkt durch eine zeitgemäße Abwechselung der besten antisyphilitischen mit den die Krätze heilenden Mitteln (...)

d) Ursache der Miasmen - Ansteckung oder Vererbung?

Dynamisch, nicht materiell (genaueres s.u. bei Krankheitsbegriff). Eine Infektion bzw. durch Ansteckung erworben. Da Hahnemann nicht mehr als eine Ahnung über Erreger als Ursachen der Infektionskrankheiten hatte, bedeutet Infektion oder Ansteckung bei ihm primär ein nicht sichtbarer (daher vermutet energetischer) Übertragungsweg. Miasmen sind für ihn ansteckende Erkrankungen oder „Ansteckungsmiasmen".

„.. solche Krankheiten, welche (...) sie {die Lebenskraft} aber, durch eigne Kraft, nicht in sich selbst auslöschen kann, sondern unmächtig dieselbe fortwuchern und sich selbst

immer innormaler umstimmen lassen muß, bis zur endlichen Zerstörung des Organism; man nennt sie chronische Krankheiten. Sie entstehen von dynamischer Ansteckung durch

ein chronisches Miasm." {!/§ 72}

Dieser Punkt ist insofern von besonderer Bedeutung, da fast alle späteren „Miasmatiker" -z.B. Kent, J.H. Allen, Ortega, Sankaran, Gienow- zwar die Hahnemannschen Worte (Miasma, Psora, Sykose, etc.) beibehalten haben, aber die Bedeutung dieser Worte veränderten. Sie veränderten den Sinn von „Miasma", variierten teilweise oder vollständig das gesamte Denksystem und produzierten damit ein „Miasmen-Chaos", welches der Homöopathie insgesamt, v.a. ihren Studenten, zunehmend Probleme bereitet.

Damit der Ausgangspunkt -Miasmen sind ansteckende Infektionserkrankungen- klar bleibt, nochmals die Miasmen-Sicht Bönninghausens (1785-1864), der ja Hahnemanns engster Vertrauter war:

Chronische Krankheiten entstehen durch die Ansteckung mit einem Miasma, durch einen, Ansteckungsstoff\ ein „Kontagium". Dieses Kontagium ist„..ein Krankheitsstoff, welcher durch Krankheit in einem lebenden Organismus ausgebildet, die Kraft besitzt, in einem anderen gesunden lebenden Körper, wenn er damit in Berührung gebracht wird, dieselbe Krankheit zu erzeugen."{Bönninghausen, Die Homöopathie, 1834; in Klunker, S. 23}.

Und zur Präzisierung: Dass Miasmen „.. umso mehr das Prädikat kontagiös verdienen, weil hier die Ansteckung gewöhnlich nur durch wirkliche Berührung entsteht." {Bönninghausen, Die Homöopathie, 1834; in Klunker, S. 23}

Seine Miasmen-Definition:

„In der Homöopathie bezeichnet man (...) mit dem Wort Miasma (...) jeden eine Krankheit erzeugenden Ansteckungsstoff, mit Beifügung des Wortes chronisch die drei unter sich verschiedenen Siechtume Psora, Syphilis und Sykosis, worin, soviel jetzt bekannt ist, alle chronischen Krankheiten ihren Ursprung zu haben scheinen." {Bönninghausen, Die Homöopathie, 1834; in Klunker, S. 24}

Es wurde unter Homöopathen viel darüber gerätselt, ob Hahnemann schon die Vererbung von chronischen Erkrankungen (bzw. Miasmen) kannte oder beobachtet hatte.

Wenn man die Heilung wird vollständig bewirkt durch eine zeitgemäße Abwechselung der besten antisyphilitischen mit den die Krätze heilenden Mitteln (...)•" {l/Fuß

note zu § 40}

 

Er vermutet z.B. 1831 in seinem „Ein Appell an denkende Menschenfreunde bezüglich der Übertragungsweise der asiatischen Cholera" dass die Ursache der Cholera „..möglicherweise aus Millionen dieser miasmatisch belebten Wesen zusammengesetzt ist..". Erst 1882 wurde diese Idee durch Koch mit der Entdeckung des Cholera-erregers bestätigt.

 

„Auch eine Enttäuschung, wenn sie nur gründlich und endgültig ist, bedeutet einen Schritt vorwärts" (Max Planck)

 

Versuch einer Zusammenfassung:

Aussagen zu den Miasmen

l.) Nachdem ich versucht habe, die Entwicklungsgeschichte der verschiedenen Miasmenrichtungen mit deren Gemeinsamkeiten und v.a. deren Unterschieden herauszuarbeiten, und nachdem ich versucht habe die Aussagen mehrerer Miasmenrichtungen zu verifizieren, sind einige Aspekte und Zusammenhänge klarer geworden. Es bleibt aber noch vieles unklar und ungelöst.

2.) Es wäre falsch, die Erkenntnisse der Miasmenlehre grundsätzlich zu verwerfen.

Es gibt zahlreiche auffällige und statistisch signifikante Zusammenhänge zwischen Erkrankungen.

Diese Zusammenhänge sind z.T. in der Medizin bekannt (z.B. Rachitis bzw. pathologischer Vitamin D-Spiegel zu Knochenerkrankungen), z.T. aber noch nicht ausreichend erforscht.

Im Grunde füllt die miasmatische Homöopathie Lücken in der medizinischen Grundlagenforschung welche durch die derzeitige reduktionistische und profitorientierte Medizin entstanden sind. Voraussetzung für eine fruchtbare Forschung von Medizin und Homöopathie ist, dass die Sprache und Methodik der Miasmatiker (weiter-)entwickelt wird, damit sie endlich wissenschaftlichen Kriterien entspricht.

3.) Es wäre genauso falsch, den bisherigen zahlreichen Miasmensystenien gläubig zu folgen.

Alle derzeitigen Miasmensysteme sind falsch und unvollständig.

Dies bezieht sich auf:

Alle Miasmatiker haben falsche Aussagen zu miasmatischen Zuordnungen gemacht.

Alle Miasmenrichtungen beruhen auf Glauben statt auf Verifizierung.

Alle Miasmatiker lassen ihre Entstehungsgeschichte, ihre Methodik, ihre Unterschiede zu anderen Systemen im Unklaren.

Alle Miasmenrichtungen fokussieren auf eine Strategie für alle Erkrankungen.

4.) Die Miasmenforschung war und ist methodisch völlig unzureichend.

Es gibt keine definierten oder gar einheitlichen Kriterien wie Zuordnungen (Symptome/Zeichen/Erkrankungen und Mittel) erforscht werden sollen.

-    Zuordnungen werden/wurden meist deduktiv bzw. aufgrund unzulässiger Analogien erarbeitet.

Beispiele: Nosode = Miasma oder Lues connata {Zahndeformationen, Zwillinge Foumier} = syphilitisches Miasma oder Exostose = Wucherung = Sykose.

-   Es werden Kausalitäten angenommen, die letztlich nur in der Welt des Betrachters existieren (siehe die Beschreibung des „Weil-Denkens" im Kapitel 7).

Beispiel: Die Beobachtung: Gonorrhö Fluor - Ovariitis/Prostatitis - Arthritis; daraus dann die falsche Schlussfolgerung:

Also ist Fluor, Ovariitis/Prostatitis, Arthritis gonorrhoisch/sykotisch; Cave: „Wenn es regnet sind Wolken am Himmel - wenn Wolken am Himmel sind regnet es".

-   Der Blick ist in der Regel subjektiv, das Problem selektive Wahrnehmung wird nicht reflektiert („Das sehe ich doch täglich in der Praxis") und es wurde bisher

nirgends der Versuch einer Objektivierung unternommen.

-   Miasmatiker benutzen für ihre Argumentation meist einen Zirkelschluss. Damit wird ihre Theorie unbeweisbar.

Die Miasmenlehre kann sogar keine „richtige" Theorie sein, weil ihr die Grundlage jeder wissenschaftlichen Theorie fehlt, nämlich die Möglichkeit einer Widerlegung:

Sie ist ein Zirkelschluss, der nirgends widerlegbar ist.

Beispiele:

- Wenn viele der sykotischen Symptome bei 40-50% unserer Patienten auftreten, kann man in die Mehrheit der Fälle eine Sykose rein lesen.

- Wenn in einem Fall z.B. syphilitische Zeichen bei  Geburt auftreten (etwa Skoliose oder Hüftdysplasie) und dann den Rest des Lebens nicht mehr, dann ist die Syphilis

eben „im Untergrund", d.h. die Abwesenheit von Miasmen lässt sich immer mit ihrer „Latenz" erklären.

- Wenn die Psora die Grundlage aller Erkrankungen bzw. Miasmen sein soll, wird sie immer „nachweisbar" sein.

- Wenn jede Krankheit und jede Pathologie miasmatisch bedingt ist, wird man immer irgendwelche Miasmen „sehen" können

- Wenn fast alle wichtigen derzeitigen homöopathischen Mittel psorisch oder so gar mehr-miasmatisch bedeutsam sind, kann ich jede Heilwirkung eines Mittels auch irgendwie

eine miasmatische Bestätigung sehen.

5.) Solange das Bedürfnis bei Homöopathen nach schematischen Lösungen bleibt, solange nicht verstanden wird, das Homöopathie eine individuelle Therapie ist, solange

wird es immer wieder neue Miasmenmodelle und einfache Scheinlösungen

Wie der Philosoph Karl Popper bereits nachwies, ist die Falsifizierbarkeit (das heißt die Möglichkeit einer Widerlegung) die conditio sine qua non jeder wissenschaftlichen

Theorie.

Nach den Zahlen meiner Untersuchung an 400 Patienten ergibt sich z.B. folgende Verteilung: 41% hatten/haben filiforme Warzen, 42% red moles, 41% Verruca vulgaris,

53% der Frauen hatten Vaginalpilz, 55% der Frauen Zystitis.

6.) Ich habe mit der statistischen Untersuchung von 400 Patientendaten versucht, einen Anfang in Richtung methodenunabhängiger Miasmenforschung zu machen.

Es wäre wünschenswert, wenn nach einer Phase der Auswertung und Verbesserung andere mit größeren Patientenkollektiven weiterforschen.

7.) Da es scheinbar kein Miasmensystem gibt, welches allen anderen überlegen ist (= theoretisch schlüssig und praktisch verifiziert), bleibt die Entscheidung über die

„richtige" Miasmenrichtung subjektiv. Die Frage nach einem besseren Outcome in der Praxis ist damit aber noch völlig unbeantwortet.

8.) Die -abgesehen von einem möglichen vorübergehendem subjektiven Gewinn- allgemein schlechteste Strategie bei der Wahl der „geeigneten" Miasmenrichtung ist,

sich einen „Mischmasch" aus mehrderen verschiedenen Richtungen zu basteln. Das Ergebnis muss, wie ich gezeigt habe in Beliebigkeit oder Bedeutungslosigkeit resultieren.

Damit ist auch schon gesagt, dass die verschiedenen Miasmenrichtungen untereinander nicht kompatibel sind.

9.) Völlig unklar und auch bisher nicht ehrlich diskutiert ist die Frage, welche der bestehenden Miasmensysteme welche Vor- und Nachteile haben.

Und für welche Erkrankungen sie geeignet bzw. ungeeignet sind [Sankaran = Psychische Pathologien?, Vijayakar oder Risch/Laborde = Schwere Pathologien oder

(epi-)genetische Erkrankungen? Burnett = Krebs?].

10.) Solange keine nachvollziehbaren, klaren und wissenschaftliche Kriterien definiert werden, beruhen die Werbeaussagen und Versprechungen („Folge mir, dann

wirst du erfolgreicher in der Praxis") der Miasmatiker lediglich auf Glauben und Verkaufstalent.

11.) Die Theorie der Miasmen und Praxis eines Homöopathen sind zwei verschiedene Dinge, die nicht notwendigerweise zusammengehören.

Hering schreibt dazu richtig: „Ob nun Hahnemanns Theorie sich längere oder kürzere Zeit erhalten wird, ob sie die beste ist oder nicht, darüber wird die Zeit entscheiden,

aber darauf kommt jetzt gar nichts an. Man hält mich allgemein für einen Schüler und Anhänger Hahnemanns, und ich erkläre, daß ich zu denen gehöre, die ihm am

getreuesten anhängen und zu denen, die seiner Größe mit Begeisterung huldigen, aber „In dem Moment, in dem man beginnt, jemandem zu folgen, hört man auf, der

Wahrheit zu folgen." (Krishnamurti).

Eine kritische Analyse aller relevanten Miasmenkonzepte von Hahnemann bis heute.

 

In den letzten 20 Jahren hat es innerhalb der Homöopathie einen erstaunlichen Meinungswandel bezüglich der Miasmen gegeben. Waren vorher "Miasmatiker" eher

unverstandene Exoten, so ist es heute genau umgekehrt: Die deutliche Mehrheit der Kollegen berücksichtigt, mehr oder weniger regelmäßig, Miasmen in ihrer Fallanalyse.

Es ist sogar so, dass man heute in der Regel auf Unverständnis stößt, wenn man behauptet, dass man grundsätzlich nicht miasmatisch arbeitet.

Die Versprechungen und Verheißungen miasmatisch orientierter Homöopathen klingen oft derart beeindruckend, dass man sich diesem Trend scheinbar nur schwer entziehen

kann.

Macht man sich dann aber motiviert an das Studium der Miasmen, wird es allerdings schwierig. Man versteht vieles nicht, man entdeckt Widersprüche und Unklarheiten und

man sieht viele verschiedene sich widersprechende Arten von Miasmenlehren mit der Folge, dass man zunehmend Zeit und Energie in das Verstehen dieses undurchdringlichen Dschungels steckt.

Verstärkt wird das „Problem Miasmenlehre“ noch durch die völlig unklare Quellenlage

Der australische Kollege George Dimitriadis formuliert es folgendermaßen: „Ich war immer sehr beunruhigt, wenn ich Kollegen zuhörte, die über Miasmen und ihre klinische Bedeutung sprachen, weil es dabei zu viele unüberprüfbare Annahmen gab, die ohne viel Nachdenken oder Nachprüfen von Lehrern an die empfänglichen Schüler weitergegeben wurden - man konnte den zahllosen Meinungen aus den unterschiedlichsten Quellen nur glauben oder nicht glauben. Es gab keinerlei Bezug auf Originalquellen, keine Fakten. Wenn Lehrer der verschiedenen Richtungen der ‚Miasmentheorie’ genauer nach den Quellen ihrer Aussagen befragt wurden, konnten sie in der Regel keine Antwort geben und mussten meist zugeben, dass sie den alten ’Autoritäten’ auf diesem Gebiet blind vertraut hatten. Als ich dann die Schriften dieser Autoritäten las, konnte ich auch dort keine echten Quellen oder konkrete Tatsachen entdecken.“

Spricht man diese "Autoritäten" auf die vielen Widersprüche innerhalb der Miasmenszene an, bekommt man oft die Antwort, dass "die anderen" eben die Miasmen (noch) nicht richtig verstanden haben, dass sie Hahnemann falsch oder einseitig interpretiert hätten oder dass sich eben ihre eigene Miasmeninterpretation in der Praxis "bewährt" habe.

Damit ist man aber weder insgesamt in der Diskussion, noch in seiner persönlichen Wahl der "richtigen" Miasmenvariante weitergekommen (außer man glaubt dem Lehrer einfach blind).

Forschung innerhalb der Miasmenlehren

Wie kommt man denn nun in dieser vertrackten Miasmendiskussion weiter? Wo liegt die „Wahrheit“ zwischen den Extremen

 

? Welche der vielen verschiedenen miasmatischen Richtungen hat denn nun Recht, welcher sollte man folgen?

Ich habe versucht, diese Fragen in intensiver, über 3 jähriger Forschungsarbeit zu beantworten und meine Ergebnisse liegen nun in Buchform vor.

J.H. Allen: „Tatsache ist, dass wir das allerähnlichste Mittel nicht auswählen können, wenn wir die Phänomene der wirkenden und zugrunde liegenden Miasmen nicht kennen.“

(1, S. 3)

C. Hering: „Was macht es aus, ob ein Arzt die Psoratheorie annimmt oder verwirft, solange er immer das allerähnlichste Mittel auswählt.“ (1, S. 3)

Strategien zur Lösung

Als Strategien zur Lösung des „Miasmenproblems“ fielen mir drei Wege ein:

1. Man analysiert das Miasmenverständnis jeder einzelnen Miasmenrichtung:

Sofern es mehrere sich voneinander unterscheidende Miasmenmodelle gibt und genau das ist ja das aktuelle Problem, gilt es herauszuarbeiten, was für jede Miasmenrichtung spezifisch ist und worin sie sich von den anderen Richtungen unterscheidet. Das sollte unter Berücksichtigung des

Historischen und medizinischen Kontexts geschehen (daher gibt es in dem Buch diverse Exkurse zu den entsprechenden Infektionskrankheiten wie Krätze, Tuberkulose, Syphilis, Gonorrhoe etc. und ein gesondertes Kapitel zur genauen Differenzierung von Warzen), denn wir werden sehen, dass alleine hier schon (z.B. durch fehlendes medizinisches Wissen) diversen Miasmatikern Fehler unterlaufen sind. Durch das Studium aller miasmatischer Richtungen versteht man zunehmend, dass die Mehrheit der verschiedenen Miasmenrichtungen -wenn auch sprachlich modifiziert- im Wesentlichen auf

Hahnemanns, Kents und J.H. Allens Gedanken bzw. Miasmenmodellen beruhen. Daher widmete ich diesen drei "Miasmatikern" besonders viel Raum.

2. Nach der Analyse aller Miasmenrichtungen vergleicht man alle Aussagen und schaut, ob es überhaupt gemeinsame Grundlagen gibt, ob es gar miasmatische Informationen gibt, über die sich (fast) alle einig sind -denn diese könnten ja für den an den Widersprüchen verzweifelnden Miasmen-Lernenden hilfreiche Fixpunkte sein. Hierfür habe ich die wesentlichen Aussagen und miasmatischen Zuordnungen (sowohl von 175 Erkrankungen/ Zeichen als auch von über 200 Mitteln) in Tabellen geordnet. Eventuell gibt es aber gar keine Gemeinsamkeiten, hat also jeder sein eigenes Miasmen-Weltbild? Und wenn das so wäre, wie kann das sein, dass jeder die Realität "Krankheit" so verschieden interpretiert?

3. Man versucht, die miasmatischen Informationen der verschiedenen Autoren anhand seiner eigenen Praxis zu verifizieren.

Wir haben ja bisher immer nur die Begeisterung des einzelnen Miasmatikers über "seine" Theorie und dann entsprechende Einzelfälle, die sein Konzept belegen sollen.

Wenn Miasmen existieren, also eine energetische bzw. pathologische Realität sind, dann sollten sie auch in einer Untersuchung an einem etwas größeren Patientenklientel - auch für den noch nicht entsprechend "geschulten" Beobachter - sichtbar werden. Anhand der Patientendaten von 400 Erwachsenen aus meiner Praxis habe ich versucht, mit statistischen Werkzeugen über 60 "typische" bzw. konsensfähige miasmatische Parameter genauer zu untersuchen. Ich muss allerdings einschränken, das sich dies v.a. bezogen auf die "klassischen" Miasmenrichtungen (Hahnemann, Kent, J.H. Allen, Burnett, Risch/Laborde, u.a.) machen musste, da nur diese von feststehenden Krankheits-Entitäten bzw. miasmatischen Zuordnungen ausgehen.

Eine statistische Verifizierung "moderner" oder "dynamischer" Miasmenideen - welche sich ja schon konzeptionell radikal von den traditionellen Miasmenschulen unterscheiden –

ist leider aus grundsätzlichen Überlegungen gar nicht möglich, können also weiterhin lediglich mit "gutem Glauben" bewertet werden.

Das Thema Miasmen ist sicher das schwierigste und komplizierteste Thema in der gesamten Homöopathieausbildung. Viele kluge Homöopathen haben sich zu allen Zeiten und

in verschiedenen Teilen der Welt die Köpfe darüber zerbrochen und es gibt die verschiedensten Interpretationen und Sichtweisen. Wenn man alle wichtigen Werke zum Thema Miasmen studiert, ist es allerdings interessant zu sehen, wie sehr sie aufeinander aufbauen, wie manchmal die "modernen" Strömungen lediglich Variation en der alten Werke sind. Das beleuchtet dann eines der Probleme in der modernen Homöopathie: das fehlende Studium, das fehlende Verständnis und die zu geringe Wertschätzung der alten Meister.

Analyse und Vergleich von 143 verschiedenen Miasmenströmungen

Untersucht habe ich sowohl die "klassischen" Miasmenrichtungen (Hahnemann, Kent, J.H. Allen, Burnett, Patel, Banerjea, Risch/Laborde, Jus), als auch "moderne" Miasmenkonzepte (Ortega, Vijayakar, Gienow, Sankaran, Klein). Die Ergebnisse hieraus versuche ich nun -so gut es in einem Artikel geht- zusammenfassen:

Jedes einzelne dieser 14 Miasmenkonzepte unterscheidet sich fundamental von den anderen Richtungen. Oft sogar so radikal bzw. antagonistisch, dass man von Paradigmenwechseln sprechen sollte.

Hahnemann und Kent:

Für Hahnemann waren Miasmen Infektionserkrankungen mit einer Ansteckung als Ursache; Kent veränderte dieses Konzept -unter dem Einfluss von Swedenborgs Ideen- zu einer religiös-moralischen Ideologie mit der Ursünde als Ursache.

War für Hahnemann die Psora noch die Mutter aller nicht venerischen Erkrankungen, so machte Kent sie zur Urkrankheit für alle Erkrankungen.

J.H. Allen war als Schüler Kents noch religiöser -dogmatischer als sein Lehrer (man studiere seine Bücher). Entsprechend übernahm er auch Kents strikte Hierarchie mit einer Dominanz der Geistes- und Gemütssymptome (und einer weitgehenden Missachtung der Pathologie). Laborde preist Allen zwar als "größten Homöopathiker seit Dr. S. Hahnemann" und übernimmt in sein Miasmenmodell viele seiner Ideen und miasmatischen Zuordnungen, blendet jedoch den Swedenborg-Kent ́schen Hintergrund seiner Ideologie völlig aus und verdreht Allens Hierarchie in ihr Gegenteil; nun mit der Pathologie/dem Miasma an der Spitze und den Geistes- und Gemütssymptomen am Schluss.

Hahnemann und Ortega:

Für Hahnemann waren Miasmen Krankheiten, die den Menschen gar nicht, einzeln oder in Kombination infizieren konnten. Für Ortega waren Miasmen -in Variation zu Kents-existenzielle Seinszustände, die alle Menschen und immer in (dreifacher) Kombination betrafen.

Ortega und Sankaran:

Versuchte Ortega noch, Hahnemanns drei Miasmen zu übernehmen, so löste Sankaran diese Beschränkung auf und vermehrte die Zahl der möglichen Miasmen auf zehn. Die konsequente weitere (zahlenmäßige) Auflösung betreibt aktuell Klein mit dem Konzept "Jede Infektionserkrankung ist ihr eigenes Miasma".

Diese Modifizierungen wurden in der Regel aber von den Autoren gar nicht klar formuliert, im Gegenteil, sie schienen unter dem Deckmäntelchen der "Weiterentwicklung" und "Anknüpfung an Hahnemanns Miasmenlehre" mehr den Eindruck von Kontinuität und Einheitlichkeit erwecken zu wollen, als ehrlich einen Bruch mit Hahnemanns Homöopathie zu gestehen. Dass daraus (Verwendung der gleichen Ausdrucksweise: Miasmen, Sykose, Ansteckung, aktives Miasma etc.) bei gleichzeitiger Veränderung der Bedeutung von Worten, Verwirrung folgen muss, ist leicht einsehbar.

Mehrere Miasmatiker bauten ihre Konzepte auf medizinischen Irrtümern und falschen Analogien auf:

Viele Bücher über Miasmen sind nur lauwarme Aufgüsse bereits formulierter Konzepte und Ideen.

Daher beschränkt sich meine Analyse auf "nur" 14 relevante Miasmenkonzepte.

Dass bereits Hahnemann sein Miasmenmodell auf falschen Annahmen aufbaut, überrascht nicht, wenn man bedenkt, wie wenig er und seine Zeitgenossen über die medizinischen Hintergründe von Infektionserkrankungen wussten. Dass auch J.H. Allen bei der Tuberkulose noch medizinische Irrtümer unterlaufen, ist ebenfalls erklärlich, da man selbst zum Ende des 19. Jahrhunderts in der medizinischen Welt die infektiöse Übertragung der Tuberkulose noch nicht wahrhaben wollte und daher die Idee einer "hereditären Tuberkulose" noch Standard war. Für mich (heute!) ist hingegen unverständlich, dass Laborde immer noch diverse Irrtümer wiederholt und auch Gienow mit seiner "Skrophulose" ein längst überholtes Missverständnis mystifiziert.

Auch das Konzept eines "kanzerinischen" Miasmas ist eine nette Idee, aber faktisch falsch.

Es erfolgte in den meisten miamatischen Werken in der Regel keine schlüssige und nachvollziehbare Herleitung der jeweiligen Miasmentheorie, noch eine klare Beschreibung, nach welchen Kriterien miasmatische Zuordnungen zu Mitteln und Krankheiten/Zeichen getroffen wurden. Viele Miasmatiker benutzen monokausale Denkmodelle oder wertlose Kreisargumentationen.

Keine einzige der 14 Miasmenrichtungen basiert auf einem plausiblen, in sich stimmigen theoretischen Konzept, statt dessen sind sie eine Mischung aus medizinischen Fakten, willkürlich zusammengestellten Praxis -Beobachtungen, weitgehenden Analogien, eigenen philosophischen Elementen und einer großen Portion gutem Glauben.

Es war für mich geradezu erschreckend, zu sehen, wie dünn und widersprüchlich die Argumentation häufig geführt wird. Und dies konnte ich -peinlich genug für unseren Berufsstand- erkennen, nicht, weil ich besonders geschult in wissenschaftlichem Denken bin, sondern schlicht dadurch, dass ich die gesamte diesbezügliche Literatur studiert habe.

Z.B. bezüglich der Krätze, der Psora, der Syphilis, der Lokalübel und seiner Unterdrückungs-Hypothese und der Dynamik von Infektionserkrankungen. Überdies kann ich -mit etwas Hintergrundwissen über Medizingeschichte- deutlich zeigen, dass etliche der Ideen über die Miasmen bzw. die Psora gar nicht von Hahnemann selbst stammen, sondern dem damaligen Zeitgeist entspringen.

Z.B. "Tuberkulinie" als Kombination aus Psora und Syphilis, als hereditäre erregerlose Erkrankungsdynamik; Skrophulose.

Z.B. seine Informationen über "syphilitische Stigmata", seine Hypothese einer "sykotischen Tuberkulinie", die Behauptung es gebe "(Krebs-)Stellvertreter-Krankheiten", seine Thesen über die miasmatische Bedeutung von Kinderkrankheiten, die Behauptung Krebs und Tuberkulose würde häufig in der Familienvorgeschichte miteinander abwechseln, u.a. bei dem Begriff "Skrophulose" wurden früher (aus Mangel an Wissen) völlig verschiedene Erkrankungen miteinander vermischt. Im Kern ist das Erkrankungsbild eine Halslymphknotentuberkulose, also eine sehr milde und durch rohe Milch (daher seit den 1960er Jahren ausgerottete) übertragene Form der Tuberkulose.

Krebs ist weder eine "primär hereditäre" Erkrankung, noch unbedingt eine Mischung aus allen Miasmen; auch Labordes Behauptungen zu "Stellvertreter-Erkrankungen" sind medizinisch falsch und werden von mir (anhand von 400 Patientenchronologien) klar widerlegt.

Z.B. Hahnemann mit der Psora: Eine von Hahnemanns Thesen besagt, dass den meisten chronischen Erkrankungen ein unterdrückter krätzeähnlicher Hautausschlag voranging, was für ihn die Ursache des Krankwerdens ist. Nun dient als Beleg dieses Zusammenhanges bei ihm nicht nur der "geständige" Krätzausschlag (so zweifelhaft das ja bereits als Beleg ist; siehe seine 97 Fälle dazu), sondern es gelten für ihn auch die Fälle, wo der Patient sich nicht mehr daran erinnern kann und er gesteht sogar ein, dass die gleichen nachteiligen Folgen auftreten können, wenn der Krätzausschlag " von selber" verschwindet (9, S. 121).

Durch den Vergleich von 175 miasmatischen Parametern und 200 Mittelzuordnungen ergibt sich folgendes Fazit aus diesem Vergleich.

Es gibt insgesamt nur wenige gemeinsame Zuordnungen von Krankheiten unter den einzelnen Miasmatikern. Hier im Ausschnitt von Tabelle 1 -mit zufällig gerade vielen Übereinstimmungen-

wären das z.B.: Alzheimer, Astigmatismus, Gallensteine, Geschwüre, Gicht, Gonorrhoe, Rachitis, evtl. Gastritis.

Meistens werden sehr unterschiedliche und oft sich widersprechende Zuordnungen vorgenommen, was bei der Uneinheitlichkeit der theoretischen Grundlagen nicht verwundert. So sind z.B. Exostosen für die "klassischen" Miasmatiker syphilitisch, weil Hahnemann, J.H. Allen und andere Klassiker dies so schreiben und weil das Thema Knochen eben per se syphilitisch sein soll.

Für "moderne" Miasmatiker ist jede Wucherung/Hyperthrophie sykotisch und daher auch Exostosen.

Zudem gibt es diverse Krankheitsbilder (hier im Beispiel: Abszesse, Aborte, Akne, Alkoholismus, Asthma, Furunkel) die so variabel und breit gestreut zugeordnet werden, dass sie keinerlei miasmatische Diagnose ermöglichen Fazit aus diesem letztem Vergleich

Bei den miasmatischen Mittelzuordnungen ist die Variationsbreite, die Widersprüchlichkeit, die Unklarheit, warum ein Autor wie zugeordnet hat und hiermit letztlich die Beliebigkeit noch viel ausgeprägter, als bei den Zuordnungen vom erste Vergleich.

Wie ist das möglich?

Wie lässt sich das verstehen, dass 14 (und mehr) Miasmatiker über das gleiche Thema sprechen und zu solch unterschiedlichen, ja völlig widersprüchlichen Ergebnissen kommen? Gibt es überhaupt "die" Miasmen oder bastelt sich nicht jeder seine eigene Miasmenlehre? Diese und weitere grundlegende Fragen würden den Umfang dieses Es gibt moderne Miasmenrichtungen, für die gerade

die Variabilität der Parameter konzeptionell wichtig ist. Z.B. ob eine Pathologie einem Mangel bzw. einer beginnenden Entzündung (Psora), einer Hypertrophie (Sykose) oder einer Destruktion (Syphilis) entspricht.

Diese scheinbar sinnvolle Differenzierung vermehrt allerdings aus meiner Sicht die Beliebigkeit miasmatischer Diagnosen und löst nicht die Grundprobleme der Miasmentheorie Artikels allerdings sprengen. Nur soviel: Es gibt in der Medizin bzw. den Naturwissenschaften sehr wohl das Phänomen von "Parallel-Welten". Und es ist entscheidend, dass diese Welten nicht miteinander vermischt werden, sondern streng die Prämissen jeder Welt beachtet und eingehalten werden. Da her jeder Versuch, sich aus den verschiedenen Miasmenrichtungen einfach "das Beste" herauszupicken, führt zwangsläufig zu sinnlosen Ergebnissen.

 

Analyse von 400 eigenen Patientendaten

Der interessanteste und vom Ergebnis völlig offene Teil meiner Forschungen war nun, die "typischen" konsensfähigen miasmatischen Parameter einem Praxistest mit statistischen Methoden zu unter ziehen.

Ich versuchte also bewusst eine andere Ebene, als die sattsam bekannte subjektive Glaubensebene "Ich sehe meine Miasmenlehre täglich und mit großem Erfolg bestätigt, daher

ist sie richtig, wahr und die Beste".

Das war ein zeitaufwändiges, aber aufregendes Projekt, denn es hatte bis heute ja noch nie eine methodenunabhängige Untersuchung der Miasmen gegeben.

Da ich seit Anbeginn meiner Praxistätigkeit, also seit über 20 Jahren, alle Anamnesen "miasmatisch" führte (= in 2,5 - 4 Stunden Anamnesezeit sehr genau die Vorgeschichte aller Patienten untersuchte auf eigene Erkrankungen und Erkrankungen der Familie hin), besaß ich einen hervorragenden  Informationspool, den ich für eine Untersuchung nun nutzen konnte. Eine Untersuchung aller meiner 2000 Patientendaten neben meiner Praxis -und Ausbildungstätigkeit, Supervision und Familie war unrealistisch- deshalb wählte ich zufällig 400 Erwachsene aus und gab etwa 100 "typische" miasmatische Parameter aus deren Vorgeschichte

in ein Computerprogramm ein. Mit dieser Datei konnte ich nun diversen möglichen Fragestellungen nachgehen:

Lassen sich alle oder nur bestimmte oder keine miasmatische Informationen bestätigen?

Lässt sich gar (ähnlich wie im Repertorium mit den Wertigkeiten von 1 - 3) eine qualitative Rangfolge der Wichtigkeit/Häufigkeit miasmatischer Informationen herausarbeiten?

Zeigen sich alle Miasmen gleich deutlich oder treten heute nur noch einzelne Miasmen auf?

Lässt sich die Überlegenheit oder Richtigkeit/Falschheit von einzelnen Miasmenrichtungen zeigen?

Der Philosoph und Naturwissenschaftler Prof. Fasching formuliert es folgendermaßen: "Wenn man das erste mal davon hört, dass es mehrere Wirklichkeiten gibt, dann sagt sich vielleicht der eine oder andere, dass es dann doch auch zulässig sein müsste, sich nach eigenem Gutdünken aus diesen Wirklichkeiten die schönsten Details herauszusuchen, um

sich auf diese Weise eine private Misch-Wirklichkeit zusammen zu zimmern. Es klingt im ersten Moment verständlich und vielleicht auch attraktiv, dass man sich gleichsam die Rosinen aus verschiedenen Kuchen herausnimmt. Abgesehen davon, dass sich so etwas nicht gehört, versteht man sofort, dass das auch beim Wirklichkeitspluralismus unzulässig

ist. Denn unterschiedliche Wirklichkeiten kommen durch unterschiedliche Verknüpfungsinstrumente zustande. Das bedeutet, dass eine solche Wirklichkeitsmischung nicht mehr

aus einem einheitlichen, autonomen, unabhängigen Verknüpfungsinstrument entsteht!

Misch-Wirklichkeiten sind also Pseudo-Wirklichkeiten, sie sind ‚pseudo’, weil sie eben unecht und bloß vorgetäuscht sind. Sie sind nicht aus einer Wurzel, also nicht aus einem einheitlichen Verknüpfungsinstrument entstanden, sie sind bloß zusammengestoppelt. Man kann sie also -kurz gesagt- nicht {wirklich} verstehen." (10, S.45; die Hervorhebungen stammen von mir.)

Natürlich diskutierte ich die Frage, welche Größe ein aussagekräftiges Patientengut haben müsse.

Mit Hilfe eines renommierten Medizin-Statistikers verstand ich aber, dass die Qualität von Daten wesentlich wichtiger ist, als ihre Quantität.

Ich konzentrierte mich zunächst auf die Frage, welche der vielen möglichen miasmatischen Informationen denn überhaupt verifizierbar sind.

Daher versuchte ich, aus dem breiten Angebot an miasmatischen Hinweisen diejenigen zu extrahieren, die für die meisten Miasmatiker einigermaßen "konsensfähig" sein können.

Da es darüber keine formalen Beschlüsse gibt, griff ich auf meine eigenen Tabellen zurück (s.o.) und extrahierte diejenigen miasmatischen Parameter bzw. Zeichen, bei denen einigermaßen Übereinstimmung sichtbar war. Das ist natürlich kein Qualitätsmerkmal per se, aber für die weitere Diskussion hilfreich. Vereinzelt ergänzte ich interessante Parameter der "klassischen" Miasmenrichtung (z.B. Risch/Laborde) und einzelne Fragestellungen (z.B. ob es einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Krebs und der Art, Zahl und dem Zeitpunkt von Kinderkrankheiten gibt).

 

Untersuchte Themen:

Syphilis: 15 syphilitische Parameter

Tuberkulinie: 14 tuberkulinische Parameter

Sykose: 29 sykotische Parameter

Kanzerinie: 8 kanzerinische Parameter

Zusammenhang Krebs und Miasmen

Krebs und Krebs in der Familie

Kinderkrankheiten (KK)

Zahl der Kinderkrankheiten

Art der Kinderkrankheiten

KK im Erwachsenenalter

Zusammenhang

Zahl der KK und eigene Krebserkrankung

Zusammenhang Art der KK und eigene Krebserkrankung

 

Ich konnte natürlich nur diejenigen Miasmenrichtungen miteinander vergleichen bzw. verifizieren, die in ihren Miasmen-Modellen überhaupt fixierte Zuordnungen von Zeichen/ Krankheiten definieren. Das sind bis auf Sankaran eigentlich alle.

Genauer gesagt: bei den "klassischen" Miasmenrichtungen (Hahnemann, Kent, J.H. Allen, Burnett, Risch/Laborde, z.T. Banerjea) gehören feste Zuordnungen explizit zum

System. Sie ermöglichen überhaupt erst eine miasmatische Diagnose und Unterscheidung und ihre Kenntnis soll dem Behandler ja gerade eine interpretations unabhängige Erkennung von Miasmen erleichtern. Feigwarzen sind sykotisch, Geschwüre syphilitisch und Pneumonien tuberkulinisch - solche schematischen Zuordnungen machen die „Diagnose“ einfach.

Bei den "modernen" Miasmatikern (Ortega, Vijayakar, Gienow, Sankaran) wird es schwieriger. Einerseits lehnen sie feste Zuordnungen ab und betonen die Variabilität miasmatischer Informationen und die Notwendigkeit, miasmatische Diagnosen im Einzelfall und in Abhängigkeit vom Reaktionsmuster des Patienten zu treffen. Anderseits geben sie als Orientierung dann doch ausführliche und z.T. genaue miasmatische Hinweise und legen sich in Listen/Tabellen auf vorher definierte Zuordnungen von Zeichen/Krankheiten zu ihren Miasmen fest (siehe die Tabellen im Buch).

Ich konnte nicht alle miasmatischen Parameter untersuchen. Es gab Zeichen/Krankheiten, die von sehr vielen Miasmatikern zugeordnet worden waren, z.B. Asthma, Exostosen,

Das Miasma "Psora" ist als einziges nicht untersuchbar, da der Begriff Psora derart diffus ist und schlüpfrig wie ein Aal, sich jeglicher systematischer Betrachtung entzieht. Im Grunde machen die Psora und ihre Parameter nur Sinn als grober Maßstab für "Der Patient ist nicht gesund" und als Verlaufsparameter für "Der Patient wird mit dem Verschwinden von Psora Zeichen gesünder".

Furunkel, Geschwüre, Gicht, Gonorrhoe etc. Diese eigneten sich natürlich gut zum Vergleich. Und es gab Zeichen/Krankheiten, die nur von einigen wenigen beschrieben wurden, z.B. Chlamydien, Colitis ulcerosa/Morbus Crohn, Encephalitis, Hyperthyreose, Keuchhusten, Mononukleose, Trichomonaden, Schielen, Thrombose, etc. Hier habe ich trotzdem einige dieser Zuordnungen in meine Liste der zu untersuchenden Parameter mit hinein genommen.

Dies weniger zum Vergleich der Miasmenrichtungen, sondern im Sinne einer Miasmenforschung, um die Bedeutung dieser Parameter zu untersuchen. Schließlich ist eine miasmatische Zuordnung nicht alleine deshalb wertvoll, weil viele Miasmatiker diese beschreiben.

Somit konnte ich also, trotz der großen inhaltlichen Differenz der Miasmenkonzepte, alle Miasmenrichtungen (bis auf Sankarans) hinsichtlich gewisser Parameter mit einander vergleichen.

Untersuchtes Patientenkollektiv Zufällige Auswahl von 400 meiner Patienten aus den letzten 15 Jahren (Gesamtpool ca. 1500 Patienten aus dieser Zeit).

Davon 255 (= 64%) Frauen und 145 (= 36%) Männer

Durchschnittsalter: 53 Jahre (20 - 29 Jahre: 3%, 30 - 39 Jahre: 10%, 40 - 49 Jahre: 33%, 50 - 59 Jahre: 26%, 60 - 69 Jahre: 15%, 70 - 79 Jahre:11%, >80 Jahre: 2%)

Verwendetes Programm: Praxis Organisation/Your Datamed

Ich habe selbstverständlich nur Erwachsene (hier: Patienten über 20 Jahre) in meine Untersuchung aufgenommen, da sonst jeder Miasmatiker kritisieren könnte, dass sich bei zu vielen jungen Patienten die miasmatische Fülle an Pathologien noch gar nicht ausbilden konnte. Mein (mit anderen  homöopathischen Praxen verglichen) eher älteres Patientenkollektiv (Durchschnittsalter 53 Jahre) und mein hoher Patientenanteil mit schweren Pathologien (z.B. fast 30% Krebspatienten) war eher hilfreich für die Aussagekraft meiner miasmatischen Untersuchung.

 

Ergebnisse

Ich kann die Tabellen und Schlussfolgerungen von über 80 Seiten hier natürlich nur verdichtet und ausschnittweise wiedergeben. Ich möchte im Folgenden als interessante

Beispiele die Themen Tuberkulose und Tuberkulose in der Familie besprechen.

 

Beispiel Tuberkulose

Von den von mir untersuchten 400 Erwachsenen hatten 18 PatientInnen eine Tuberkulose. Die Frage für mich war nun, hatten/haben diese 18 Patienten weniger, genauso häufig oder seltener andere miasmatische Zeichen/Erkrankungen, sowohl aus der Klasse der tuberkulinischen Parameter, als auch aus der Gruppe anderer Miasmen-Parameter? Da ein direkter Vergleich der Zahlen (z.B.: von den 18 Tuberkulose-Patienten waren zwei auch einmal an einer Pneumonie erkrankt; von den 400 Gesamt-Patienten hatten 78 eine Pneumonie) aus statistischen Gründen ungeeignet ist, war es notwendig, andere (in der Medizinstatistik übliche) Methoden (wie OddsRatio, p-Wert) zu verwenden, da sie wesentlich genauere Ergebnisse über die Verlässlichkeit von Daten liefern (nur Werte mit einem p-Wert unter/nahe 5 sind statistisch relevant) und Auskunft über die Chancen/Risiken für eine Erkrankung (OddsRatio 15) geben.

Ich wählte die letzten 15 Jahre, da erst in diesem Zeitraum eine ausreichende Konstanz, Erfahrung und Genauigkeit in meiner Anamnesetechnik und Dokumentation gegeben ist.

+ größere Chance

Fazit

Bestimmte "typische" tuberkulinische Parameter (z.B. Pneumonie, Trichterbrust, Nasenbluten) bestätigen sich nicht, im Gegenteil treten sie sogar seltener bei Tuberkulose-Patienten auf!

Tuberkulinisches Miasma: Der Zusammenhang Tuberkulose und Furunkel ist auffällig, aber nur grenzwertig statistisch signifikant. Erklärung? Der Zusammenhang Tuberkulose und

Tuberkulose in der Familie ist auffällig, aber nur grenzwertig statistisch signifikant. Er ist medizinisch/infektiös erklärbar. Der Zusammenhang Tuberkulose und Pleuritis/Asthma/Rachitis ist auffällig,

aber nicht statistisch signifikant.

Andere Miasmen: Es gibt auffällige Zusammenhänge zwischen Tuberkulose und syphilitischen Parametern (Magengeschwüre, „Darmgeschwüre“, Exostosen) und sykotischen Parametern (Gonorrhoe,

Ovariitis, Prostatitis und Arthritis/Rheuma). Erklärung?

Eine statistische Signifikanz besteht nur bei Magengeschwüren, Darmgeschwüren und Prostatitis, eingeschränkt bei Tuberkulose in der Familie, Furunkeln, Ovariitis und Rheuma/Arthritis - also v.a. bei nicht - tuberkulinischen Parametern (Ausnahme: Tuberkulose in der Familie und Furunkel).

Insgesamt zeigt sich eine wichtige, miasmenunabhängige (!) Bedeutung der Erkrankung Tuberkulose für diverse andere Erkrankungen.

 

Fazit

Der Zusammenhang

Tuberkulose und Tuberkulose in der Familie ist auffällig und statistisch (grenzwertig) signifikant. Er ist aber medizinisch leicht erklärbar.

Der Zusammenhang Tuberkulose in der Familie und Urtikaria ist auffällig, aber nicht statistisch signifikant.

Alle weiteren "typischen" Parameter wie Pneumonie, Pleuritis, Asthma etc. lassen sich nicht bestätigen!

Kontrolle sykotischer und syphilitischer Parameter: Abgesehen von einer nur leichten Auffälligkeit bei den filiformen Warzen ist keine Häufung von syphilitischen bzw. sykotischen

Parametern sichtbar. Erklärung für filiforme Warzen?

Auf diese Weise analysierte ich also in über 80 Tabellen diverse miasmatische Parameter und die Ergebnisse sind verblüffend, unerwartet, und sie stellen die meisten bisherigen

Miasmensysteme in Frage.

Mit dieser statistischen Untersuchung von 400 Patientendaten habe ich versucht, einen Anfang in Richtung methodenunabhängiger Miasmenforschung zu machen. Es wäre wünschenswert, wenn nach einer Phase der Auswertung und Verbesserung andere mit größeren Patientenkollektiven weiterforschen.

 

Schlussfolgerung

Es wäre falsch, die Erkenntnisse der Miasmenlehre grundsätzlich zu verwerfen. Es gibt zahlreiche auffällige und statistisch signifikante Zusammenhänge zwischen Erkrankungen.

Diese Zusammenhänge sind z.T. in der Medizin bekannt (z.B. Rachitis bzw. pathologischer Vitamin D-Spiegel und Knochenerkrankungen), z.T. aber noch nicht ausreichend erforscht. Im Grunde füllt die miasmatische Homöopathie Lücken in der medizinischen Grundlagenforschung, welche durch die derzeitige reduktionistische und profitorientierte Medizin entstanden sind. Voraussetzung für eine fruchtbare Forschung von Medizin und Homöopathie ist, dass die Sprache und Methodik der Miasmatiker (weiter-)entwickelt wird, damit sie endlich wissenschaftlichen Kriterien entspricht.

Es wäre jedoch genauso falsch, den bisherigen zahlreichen Miasmensystemen gläubig zu folgen.

Miasmatiker haben unvollständige und z.T. falsche Aussagen zu miasmatischen Zuordnungen gemacht.

Die Miasmenrichtungen beruhen auf Glauben statt auf Verifizierung.

Die Miasmatiker lassen ihre Entstehungsgeschichte, ihre Methodik, ihre Unterschiede zu anderen Systemen im Unklaren. Miasmenrichtungen fokussieren auf eine Strategie für alle Erkrankungen.

Gibt, welches allen anderen überlegen ist (= theoretisch schlüssig und praktisch verifiziert), bleibt die Entscheidung über die "richtige" Miasmenrichtung subjektiv. Die Frage nach einem besseren Outcome in der Praxis ist damit aber noch völlig unbeantwortet.

Die allgemein schlechteste Strategie bei der Wahl der "geeigneten" Miasmenrichtung ist, sich einen "Mischmasch" aus mehren verschiedenen Richtungen zu basteln. Das Ergebnis muss, wie ich gezeigt habe, in Beliebigkeit oder Bedeutungslosigkeit resultieren. Damit ist auch schon gesagt, dass die verschiedenen Miasmenrichtungen untereinander nicht kompatibel sind.

Völlig unklar und auch bisher nicht ehrlich diskutiert ist die Frage, welche der bestehenden Miasmensysteme welche Vor- und Nachteile haben bzw. für welche Erkrankungen

(Sankaran = psychische Pathologien? Vijayakar oder Risch/Laborde = schwere Pathologien oder (epi-)genetische Erkrankungen? Burnett = Krebs?) sie geeignet/ungeeignet sind.

Solange keine nachvollziehbaren, klaren und wissenschaftliche Kriterien definiert werden, beruhen die Werbeaussagen und Versprechungen ("Folge mir, dann wirst du erfolgreicher in der Praxis") der Miasmatiker lediglich auf Glauben und Verkaufstalent.

Die Theorie der Miasmen und die Praxistätigkeit eines Homöopathen sind zwei verschiedene Dinge, die nicht notwendigerweise zusammengehören.

Um eine erfolgreiche und befriedigende Homöopathie -selbst schwerer Pathologien- durchzuführen, benötigt man nicht notwendigerweise die Miasmen. Es gibt andere Faktoren und Kenntnisse, die dafür wesentlich wichtiger sind: eine genaue und umfangreiche Materia medica-Kenntnis (beruhend auf verlässlichen Quellen), eine exakte umfassende Anamnese, eine flexible an analytische Fallanalyse (mit der man in der Lage ist, verschiedene Krankheitsdynamiken zu identifizieren), gute medizinische Kenntnisse und eine psychologisch geschickte Patientenführung. Dies sage ich bewusst und ausdrücklich nach dem Studium von über 1000 eigenen und fremden Krebsfällen und 20 Jahren homöopathischer Praxis mit Schwerpunkt auf schweren Pathologien.

Um "miasmatische" Zusammenhänge zu erkennen oder zu erklären, braucht man weder die Begriffe, noch die Modelle der Miasmatiker. Sie lassen sich auch durch andere, z.B. medizinische Terminologien erklären.

"Miasmatische Zeichen" können gute Verlaufsparameter sein - man braucht dafür aber keine Miasmen.

Hering schreibt dazu: "Ob nun Hahnemanns Theorie sich längere oder kürzere Zeit erhalten wird, ob sie die beste ist oder nicht, darüber wird die Zeit entscheiden, aber darauf kommt jetzt gar nicht an. Man hält mich allgemein für einen Schüler und Anhänger Hahnemanns, und ich erkläre, daß ich zu denen gehöre, die ihm am getreuesten anhängen und zu denen, die seiner Größe mit Begeisterung huldigen, aber dennoch erkläre ich auch, daß seit meiner ersten Bekanntschaft mit der Homöopathik (im Jahre 1821) bis auf den heutigen Tag ich noch niemals, auch keine einzige der Theorien im Organon so angenommen habe, wie sie da gegeben werden. (...)

Wer also die Theorie Hahnemanns angreifen will, der thue es; wer sie allesamt verwerfen will, der thue dies auch; aber er bilde sich nicht ein, dass damit etwas Erwähnenswerthes geschehen sei.

Es ist eine, in jeder Hinsicht ganz unbedeutende Sache." (Hering 1836 in der ersten Amerikanischen Ausgabe des Organon der Heilkunst; Übersetzung dieses Zitates aus: 11, S. 425)

Einige der bisherigen Annahmen und miasmatischen Modelle können getrost aufgegeben und als medizingeschichtlich erklärbare Irrtümer erklärt werden.

Da diese These verständlicherweise Widerstand bei einigen überzeugten Miasmatikern hervorrufen wird, habe ich mich in meinem Buch bemüht, meine Aussagen so genau wie möglich zu belegen (Hunderte von Zitaten, über 400 Fußnoten), damit klar wird, dass es sich hier nicht um (m)eine Meinung, sondern um Wissen und Fakten handelt.

 

Ausnahmen

Die (aus meiner Sicht) einzig relevanten Miasmenmodelle sind die Konzepte der "Folgen von Tuberkulose" und "Sykose".

Tuberkulose

Man kann in meiner Untersuchung klar und gesichert erkennen, wie umfassend eine Tuberkulose in einer Immunschwäche bzw. Hypo-Immunität resultieren kann, die dann

sekundär zu vielen Verschiedenen (nicht auf bestimmte Miasmen fixierten) Erkrankungen führen kann. Es ist weiterhin auch vorstellbar, dass diese Immunschwäche über epigenetische Wege an die eigenen Kinder vererbt wird.

Gleichzeitig sind die Folgen einer Tuberkulose in der Familie nicht so deutlich erkennbar, wie man das aufgrund der miasmatischen Literatur hätte vermuten können. Auch ein "typisches" tuberkulinisches Bild ist nicht so klar nachweisbar, wie oft behauptet wird.

Ich folgere daher daraus, dass eine erlebte Tuberkulose in jedem Falle eine anamnestisch wichtige Information ist, während Tuberkulose in der Familie oder "typische tuberkulinische" Symptome/

Zeichen/Erkrankungen -bis zum Beweis des Gegenteils- als Parameter nicht absolutiert oder kultiviert werden sollten.

 

Sykose

Ganz anders dagegen bei der "Sykose". Es ist erstaunlich zu sehen, wie weitsichtig Hahnemann und J.H. Allen in ihrer Beobachtung von sexuell übertragbaren Erkrankungen in Verbindung mit einer "Warzenkrankheit" waren. Viele der "sykotischen" Parameter haben sich in meiner Untersuchung deutlich bestätigt. Wenn man in der "Sykose" eine Kombination von sexuell übertragbaren Erregern

(z.B. Gonokokken, Chlamydien, Trichomonaden, Gardnerellen, Mykoplasmen, u.a.; Herpes-Viren; Candida albicans u.a. Mykosen), Warzen-Viren (Kondylome, Verruca filiformis) und einer

hormonellen Störung (z.B. Sterilität, Ovarialzysten, Ovariitis, Myome, Aborte; sekundär gestörtes Scheidenmilieu: Zystitis, Vaginalpilz, Kondylome, etc.; Östrogen-Naevi: Red moles, Spider naevi)

sieht, kann man den Großteil der sykotischen Parameter mühelos medizinisch erklären. Nimmt man noch andere sykotische Parameter hinzu (z.B. Nierensteine, Gallensteine, Gicht; Mykosen, Gastritis, Sinusitis; Rheuma/Arthritis), dann scheint es gerechtfertigt, weiterhin -im "klassisch miasmatischen" Sinne- von einem sykotischen Miasma zu sprechen.

Eine zeitlos funktionierende Strategie ist, die Erkrankungen +/o. Charakteristika der Familie mit in die Mittelwahl hineinzunehmen.

Die homöopathische Literatur ist voller Fälle, wo entweder die Erkrankung selber (z.B. Vater mit Tuberkulose oder Gonorrhoe) oder die Charakteristika eines Elternteils zur Mittelwahl geführt haben.

Kent: "Man kann in vielen Familien Charakteristika und Besonderheiten im Erbgang weitergehen sehen. (... ) es ist nicht selten, daß die ganze Familie dasselbe oder ein demselben verwandtes Medikament braucht, um sie zu heilen."

Die Macht des Glaubens und das Bedürfnis nach Sicherheit

Das Bedürfnis der Homöopathen (bzw. der Menschen) nach Sinn, Ordnung und Struktur ist so stark, dass es schwierig zu sein scheint, ihm nicht zu verfallen. Wie Nietzsche

schon sagt:

„Wer ein Warum zu leben hat, fast jedes Wie erträgt". Das bedeutet: Anstatt zu verstehen, dass die Homöopathie H.s eine individuelle Therapie ist, mit der jeder Fall neu und

ohne Abkürzungen, Gesetze (abgesehen vom Ähnlichkeitsgesetz) oder Ordnungssysteme (Miasmen, Periodensystem, Kingdoms oder Familien etc.) nach Hahnemanns Vorgaben gelöst werden muss (und gelöst werden kann!), suchen die modernen Homöopathen nach ordnenden Strukturen hinter dem Symptom/Zeichen - und laufen damit (wie ich am Beispiel der Miasmen zeigen konnte) beständig einer Illusion hinterher.

Bertolt Brecht beschreibt dieses Problem sehr anschaulich in seinen Geschichten vom Herrn Keuner:

"Einer fragte Herrn K., ob es einen Gott gäbe. Herr K. sagte:‚ Ich rate dir, nachzudenken, ob dein Verhalten je nach der Antwort auf diese Frage sich ändern würde.

Würde es sich nicht ändern, dann können wir die Frage fallen lassen.

Würde es sich ändern, dann kann ich dir wenigstens noch so weit behilflich sein, dass ich dir sage, du hast dich schon entschieden:

Du brauchst einen Gott’ "

Solange das Bedürfnis der Homöopathen nach schematischen Lösungen besteht, solange nicht verstanden wird, dass die Homöopathie eine individuelle Therapie ist, so lange wird es immer wieder neue Miasmenmodelle und einfache Scheinlösungen geben, welche alle (mehr oder weniger) sinnvoll und falsch sein werden.

Was mache ich denn ohne Miasmen?

Ich habe bei vielen Miasmen - Diskussionen immer wieder erlebt, dass miasmatisch arbeitende Kollegen irgendwann verzweifelt sagten: "Ja, wenn das gar nicht stimmt, was ich bisher bei xy gelernt habe, was mache (bzw. wie arbeite) ich denn ohne Miasmen"? Diese Frage offenbart ein groteskes Missverständnis über den Wert der Miasmenlehren für den Praktiker. Denn das Wesentliche der Homöopathie liegt außerhalb der Miasmen. Wie im obigen Merksatz bereits erwähnt, sind die wesentlichen Faktoren für eine erfolgreiche

homöopathische Praxis eine exzellente Materia medica - Kenntnis, eine exakte Anamnese und Fallanalyse, eine korrekte Verlaufsbeurteilung und eine gute Patientenführung unter Berücksichtigung der Lebensführung (Salutogenese) des Patienten.

Sie begeben sich damit in den Gegensatz zur Hahnemannischen Homöopathie (siehe Organon § 6 - 7). Siehe hierzu den hervorragenden Artikel von Anton Rohrer "Die Gewissheit in der homöopathischen Arzneifindung“ unter www.grundlagen-praxis.de.

Um es klar zu sagen: Wer mit "seiner" Miasmenlehre (vorübergehend) zufrieden und v.a. erfolgreich ist, der sollte (bis er an dessen Grenze stößt) bei seinem System bleiben.

Aber die vielen Kollegen/innen, die sich vergeblich um ein miasmatisches Verständnis bemühen, denen will ich sagen: Wendet Eure Zeit und Energie lieber für Wichtigeres auf!

Da hier, bei diesen grundsätzlichen Themen, offensichtlich noch viel Klärungsbedarf unter Homöopathen besteht, versuche ich in meinem Buch verschiedene Fragestellungen diesbezüglich zu beantworten. Zusätzlich dokumentiere ich im Anhang zwei kommentierte Fälle von mir, um zu zeigen, wie man auch ohne Miasmen erfolgreich homöopathisch

bei schweren Pathologien arbeiten kann.

Es geht mir letztlich auch darum, eine Orientierung, eine Richtung, ein Ziel zu geben.

Diejenigen, die bereits einen sicheren Standpunkt haben, werden diese Orientierungshilfen vielleicht als überflüssig oder störend empfinden, die anderen Leser werden dies hoffentlich schätzen. Denn es geht in der ganzen Diskussion um die Miasmen auch darum, in welche Richtung sich die Homöopathie zukünftig bewegen wird. Der Streit über die "richtige" Richtung war schon immer ein Charakteristikum der Homöopathen und der Menschen. Aber die Geschichte der Homöopathie lehrt auch, dass sie ohne ein klares und kompromissloses Bekenntnis zu der Homöopathie Hahnemanns weit unter ihren Möglichkeiten -nämlich der Heilung selbst schwerster Pathologien- bleibt.

Wie Hering bereits kurz vor seinem Tod 1880 mahnend sagte: “Wenn unsere Schule jemals die streng induktive Methode Hahnemanns aufgibt, sind wir verloren und verdienen nur, als Karikatur in der Geschichte der Medizin erwähnt zu werden.”

 

[Angelika Franz]

Praktische Ärztin in München

Wo der Himmel die Erde berührt - Eine Annäherung an die Miasmen der Klassischen Homöopathie.

1. Die Entwicklung des ersten homöopathischen Miasmenkonzeptes durch Hahnemann

Das Wort "Miasma" -von griechisch miaíno: ich beflecke- entstammt der medizinischen Fachsprache und war bis zum angehenden 19. Jahrhundert in Gebrauch. Es bedeutete in

etwa das, was wir heute als "infektiöses Agens" bezeichnen würden, war aber wesentlich weiter gefaßt und umschloß alle negativen Umwelteinflüsse, die Krankheit auslösend

sein konnten, wie z.B. klimatische Faktoren.

Der Entwickler der Klassischen Homöopathie, H. (1755 - 1843) benutzte diesen Begriff zunächst auch in diesem Sinne, wenn er z.B. von den "akuten Miasmen" spricht oder

von "festständigen Krankheiten" = "festständigen Miasmen" wie etwa bei Masern, Scharlach etc. Er war einer der ersten, denen bewußt war, daß die Krätze und die Cholera von kleinen Tierchen -in der Sprache der Zeit "Animalcula"- übertragen werden. Dennoch maß er dem materiellen Erreger bei der Entstehung von Krankheiten nicht die entscheidende Rolle zu.

Im Zentrum seiner Betrachtungen stand stets die "dynamisch verstimmte Lebenskraft".

Gänzlich verläßt er die Vorstellung einer materiellen Übertragung von Krankheiten bei der Entwicklung seines Konzeptes von den chronischen Krankheiten. Ausgehend von jahrzehntelangen Beobachtungen bei der homöopathischen Behandlung seiner Patienten entwickelte er die Vorstellung, daß jeder chronischen Krankheit eines von den drei "chronischen Miasmen" "Psora" (Krätze), "Sykose" (Feigwarzen, Gonorrhoe) und "Syphilis" zugrunde liege. Alle beobachtbaren Symptome einer chronischen Krankheit seien lediglich Manifestationen des zugrundeliegenden chronischen

Miasma. Zu behandeln sei dann dieses Miasma durch die entsprechende "antimiasmatische" homöopathische Arznei.

Dabei komme freilich der Psora eine Sonderstellung zu, da sie allen chronischen Krankheiten als Urgrund der Krankheit, als "Mutter aller Krankheiten" zugrunde liege. So müsse man zunächst

-sofern vorhanden- die darüberliegende Sykose oder Syphilis behandeln, was ziemlich schnell vonstatten gehe, sofern nicht eine unterdrückende allopathische Vorbehandlung oder stark

ausgeprägte Psora den Fall verkompliziert habe. Jede chronische Krankheit müsse dann sorgfältig mit der passenden "antipsorischen" Arznei therapiert werden, ehe sie stabiler Gesundheit weichen

könne.

Geschehe dies nicht, sondern würden vielmehr nur die jeweils offen zutage liegenden aktuellen Symptome mit dem aktuell auf die Hauptbeschwerden passenden Mittel behandelt, so folge der

ersten Manifestation der nicht geheilten Psora bald eine andere und dieser wiederum eine neue mit immer schlechterer Prognose.

Hier wird er nicht müde zu betonen, daß es auf das immaterielle Krätzmiasm ankomme, auch dynamisches Krätzmiasm genannt, welches sich aber gleichwohl von Mensch zu Mensch übertragen

lasse, aber eben nicht im Sinne einer materiellen Ansteckung etwa durch die Skabiesmilbe, sondern durch eine immaterielle, dynamische Ansteckung. Und das, obwohl er selbst die Milben unter

der Lupe gesehen und sie beschrieben hatte und um ihre Beteiligung an dem Krankheitsphänomen "Krätze" wußte. Auch die Ansteckung mit den beiden anderen chronischen Krankheiten beim

"unreinen Beischlaf" wird immateriell gedacht. Doch nicht nur per Ansteckung könne man ein Miasma erwerben, vielmehr könne es auch von Eltern an ihre Nachkommen vererbt werden.

Auch hierbei handele es sich um eine dynamische Weitergabe. Später wurden noch zwei weitere Miasmen, die sich aus den klassischen Miasmen zusammensetzen, sogenannte Mischmiasmen,

beschrieben: das tuberkulinische Miasma, auch Pseudopsora genannt als eine Mischung aus Psora und Syphilis (J.H. Allen, 1987), und das Krebsmiasma eine Verbindung von Sykose und Syphilis.

Obwohl Hahnemann dem Begriff des Miasma schon eine deutlich andere Bedeutung gibt als seine Zeitgenossen es taten, trennt er sich nirgendwo ausdrücklich von der überkommenen Begrifflichkeit.

Sein Miasmen begriff bleibt seltsam in der Schwebe zwischen alter Bedeutung eines schädlichen Umwelteinflusses als Krankheitsverursachung, vor allem bei den akuten Krankheiten, und einer neuen

inhaltlichen Ausfüllung bei den chronischen Leiden. Dies erschließt sich mühsam aus dem Gesamtzusammenhang, wird aber von ihm nicht klar definiert.

Dies liegt daran, daß H. in erster Linie Praktiker war. Eine nach seinen Anweisungen vorgenommene Behandlung einer chronischen Krankheit führt zur Heilung, heute wie vor 150 Jahren. Dieser

kompromißlose Pragmatismus ist seine Stärke und hebt seine Werke weit über diejenigen seiner zeitgenössischen Fachkollegen hinaus; mochten sie auch eine größere akademische Reputation haben,

so sind ihre Werke heute weitestgehend nur noch von historischem Interesse. Wenn wir heute weitergehende theoretische Bedürfnisse haben, dann müssen wir selbst seine begonnene Theoriebildung

fortführen. Eine Annäherung daran soll der vorliegende Aufsatz sein.

2. Vorschläge für ein modernes Verständnis der Miasmen -

Das Miasmenmodell

In meinem Verständnis handelt es sich bei einem Miasma um einen bestimmten dynamischen Ordnungsgrad eines Organismus in seiner Gesamtheit von Körper, Seele und Geist, das heißt um einen

bestimmten Ordnungsgrad seiner Fießgleichgewichte in den Reifeprozessen des Lebens. Dieser Ordnungsgrad geht mit einer bestimmten Erkrankungsbereitschaft einher, also mit einer Disposition

zu einer Klasse von Krankheiten mit bestimmten gemeinsamen Struktureigenschaften. Benannt wird diese Krankheitsklasse nach dem Namen einer Modellkrankheit von großer epidemischer

Bedeutung in unserem Kulturkreis, die zu dieser Krankheitsklasse gehört, wobei ich die Krankheitsnamen, mit denen auch heute noch (Infektions-) Krankheiten bezeichnet werden, leicht abwandle,

um zu verdeutlichen, daß sich die Krankheitsklassen nicht in der jeweiligen einen Modellkrankheit erschöpfen.

Bei diesen Krankheitsklassen, den Miasmen, handelt es sich selbstverständlich -wie bei allen Kategorienbildungen- um theoretische Konstrukte, da die verbindenden Struktureigenschaften nur dem

ordnenden und einordnenden Verstande erkennbar sind; daher möchte ich auch lieber von einem Miasmenmodell als von einer Miasmentheorie sprechen.

Dieses Modell hat eine zweifache praktische Relevanz: Zum einen wird so der Schweregrad der Krankheit eines erkrankten Menschen für die besonderen Belange der Klassischen Homöopathie

beschreibbar oder -anders ausgedrückt- das energetische Niveau, wobei hier nicht der physikalische Energiebegriff zugrunde gelegt wird, sondern der auf die Lebenskaft (Vis vitalis) bezogene.

Denn die fünf großen Miasmen -Psora, Tuberkulinie, Sykose, Karzinosinie und Syphilinie- entsprechen in dieser Reihenfolge einer zunehmenden Schwere der Krankheit eines Organismus aufgrund

von zunehmender Unordnung. Dem entsprechend läßt sich sowohl die Zeitdauer abschätzen, die die antimiasmatische Behandlung einer chronischen Krankheit bei optimalem Verlauf benötigt, als

auch deren Prognose, da die Heilungschancen bei stark entwickelter syphilinisch-zerstörerischer Komponente zweifelhaft werden (Karzinosinie, Syphilinie; fortgeschrittene Organdestruktion, Sucht,

Psychose etc.).

Zum anderen hilft uns das Miasmenmodell bei der Wahl des passenden homöopathischen Heilmittels bei der Behandlung einer chronischen Krankheit, da die miasmatische Dynamik dieser Arznei

der derzeit vorherrschenden miasmatischen Dynamik des erkrankten Menschen ähnlich sein muß.

3. Die grundlegenden Struktureigenschaften der Miasmen

Der in Mexiko lebende homöopathische Arzt Proceso Sanchez Ortega beschrieb in seinem Buch "Anmerkungen zu den Miasmen oder chronischen Krankheiten im Sinne Hahnemanns" seine in

Jahrzehnten homöopathischer Praxis entwickelte Philosophie zu den Miasmen. Dabei erkannte er für jedes der drei klassischen Miasmen Hahnmanns eine vorherrschende Struktureigenschaft, die

alles Handeln, Denken, Fühlen und Erleben eines Menschen durchzieht, seine körperlichen Funktionen prägend beeinflusst und zu bestimmten Krankheiten prädisponiert. Auch ordnete er jedem

Miasma ein Grundgefühl und eine Farbe zu.

Die Psora ist hierbei gekennzeichnet durch Mangel und Hemmung auf allen Ebenen; funktionelle Beschwerdekomplexe, körperliche Abwehrschwäche, seelische Überempfindlichkeit, Ängstlichkeit,

Schüchternheit und Mangel an Selbstwertgefühl belasten die Patienten. Häufige Infekte der Atemwege, Allergien, Neurodermitis und Asthma sind hier die häufigsten Erkrankungen. Die zugehörige

Farbe ist blau.

Die Sykose ist durch Übermaß und Exzeß charaktrisiert. Das Metabolische Syndrom mit einem erhöhten Blutspiegel an Fetten (Cholesterin oder Triglyzeride), Zucker (Diabetes mellitus, Typ II b)

oder Harnsäure, "essentieller" Hypertonus, Herz-Kreislauf-Krankheiten und Tumoren aller Art gehören auf der körperlichen Ebene zu diesem Miasma. Psychisch führen Ehrgeiz, übertriebene

Erfolgsorientiertheit, aufgeblähtes Selbstbewußtsein, übermäßiges Verantwortungsgefühl, Hypersexualität und Raubbauan den energtischen Quellen nur allzu leicht zu einem kompensatorischen

Missbrauch von Kaffee, Tabak, Alkohol oder Medikamenten. Die zugehörige Farbe ist gelb.

Die Syphilinie das ich zur Unterscheidung von der klinischen Syphilis (Treponemeninfektion) Syphilinie nennen will, bringt eine erhöhte Neigung zu zerstörerischen und pervertierten Prozessen mit sich. Hierzu gehören unheilbare und stigmatisierte Krankheiten wie AIDS und Syphilis sowie andere Erkrankungen, die mit massiver Gewebezerstörung einhergehen wie Autoaggressionskrankheiten (Kollagenosen, MS, etc.), nicht heilen wollende Geschwüre usw. Psychisch können Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit zu Suizidalität (Gewalt gegen sich selbst)

oder zu Haß, Gewalt und zum Verlust aller moralischen Werte führen. Auch eine brüchige Identität (Borderline-Syndrom) oder der Verlust der persönlichen Identität (Psychose) gehört zu diesem

Miasma. Die zugehörige Farbe ist rot.

Die Mischmiasmen

Tuberkulinie

[J.H. Allen]

Beschrieb in seinem zweibändigen Werk "Die chronischen Krankheiten – Die Miasmen" die Tuberkulinie als viertes Miasma und verstand darunter eine Mischung von psorischer Schwäche

und syphilinischer Zerstörungsneigung. Er nannte es auch Pseudopsora. Ausdrücklich wollte er das tuberkulinische Miasma geschieden wissen von der manifesten Infektion mit Tuberkelbakterien,

der klinischen Tuberkulose. Die massive Durchseuchung der Bevölkerung mit Tuberkulose in der zweiten Hälfte des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Gefolge der Industriellen

Revolution brachte Allen auf diese Idee; zu Hahnemanns Zeiten hatte die Tuberkulose noch längst nicht diese Rolle gespielt. Psychisch ist dieses Miasma meines Erachtens durch Depression und

das Gefühl der Verlassenheit gekennzeichnet.

[J.H. Allen]

Karzinosinie

Heute läßt sich unschwer ein weiteres Mischmiasma beschreiben, das Krebsmiasma, das ich Karzinosinie nennen möchte. Es liegt auf der Hand, daß es aus Sykose (Übermaß: autonomes Zellwachstum) und Syphilinie (Zerstörung: infiltratives Zellwachstum, Tumornekrose) zusammengesetzt ist. Psychisch gehören zu diesem Miasma nach meinem Dafürhalten eine ausgeprägte Unsicherheit gegenüber den eigenen Gefühlen, unterdrückte, nach innen gerichtete Aggressionen und eine ausgeprägte Abneigung oder Scheu, sich mit der eigenen seelischen Befindlichkeit zu befassen.

Kompensationsmöglichkeiten sind Arbeitssucht und legale Drogen (Alkohol und Tabak) weshalb es vielleicht kein Zufall ist, daß beide anerkanntermaßen karzinogen sind.

 

[Darius Ploog]

Erstes Trauma – Verlusttrauma Einführung

Das Thema des Verlassenwerdens ist eines der häufigsten Traumata, das Kinder, teilweise sehr früh in ihrem Leben, erfahren. Häufig denken wir dabei an die hohe Scheidungsrate, die bei über 50% liegt, oder den Tod eines Familienmitgliedes, wodurch sich Kinder (und Eltern) verlassen fühlen. Aber nicht nur die scheinbar großen Ereignisse führen zu einem Verlusttrauma, auch die alltäglichen

Geschehnisse können traumatisch erlebt werden.

Wenn die Schwangerschaft gut lief (was nicht immer der Fall ist), birgt allein die Geburt ein großes Potenzial für das Kind traumatisch zu enden. Es wird von der Mutter getrennt, abgenabelt - aber

häufig sind Mutter und Kind noch gar nicht bereit dazu. Das kann daran liegen, dass die Schwangerschaft nicht sehr bewusst erlebt wurde oder nicht viel Zeit für die Veränderungen bei Mutter und

Kind war. In der heutigen Gesellschaft geht die Schwangerschaft schnell in dem schnellen Tempo und den Anforderungen unserer Zeit unter.

Auch die Ereignisse, die der Mutter in der Schwangerschaft widerfahren sind, haben große Wirkung auf das Kind. Wird die Mutter in der Schwangerschaft von dem Partner verlassen oder muss sie

einen großen familiären Verlust hinnehmen, kann das Ungeborene traumatisiert sein, da es die Emotionen der Mutter eins zu eins übernimmt.

Die Geburt an sich kann traumatisch sein. Nach der Geburt können Kinder das Trauma des Verlassenwerdens erfahren, denn einige müssen medizinisch versorgt werden oder sind zu früh geboren und verbringen die erste Zeit ihres neuen Lebens auf der Intensivstation. Jedes Frühchen erfährt die frühe Trennung von der Mutter, obwohl es noch nicht reif ist.

Nicht immer muss das traumatische Folgen haben, aber immer wieder erleben wir, dass viele dieser Kinder große Schwierigkeiten mit der Trennung haben.

Das früheste Trennungstrauma, das ein Kind erleben kann, ist der Verlust des eigenen Zwillings in der Schwangerschaft. Jede zehnte Schwangerschaft ist eine Zwillingsschwangerschaft, davon

werden aber bei Weitem nicht alle Kinder geboren. Die emotionale Verbindung zwischen Zwillingen ist sehr tief und intensiv, auch wenn sie nur kurze Zeit zu sammen im Mutterleib verbracht haben.

Verlässt ein Geschwisterkind das andere während der Schwangerschaft, sucht das verbliebene ein Leben lang nach dieser innigen Verbindung.

In der Regel kann man sagen:

■ Je kleiner das Kind ist, desto schwerer fällt ihm eine Trennung.

■ Kleine Kinder haben keine Zeitvorstellung. Erst größere Kinder lernen die Zeit kennen. Deshalb fallen Kleinen auch kurze Trennungen schwer.

■ Ein Verlusttrauma kann nicht nur durch die Trennung von den Eltern, sondern auch von anderen nahestehenden Personen wie Erziehern, Lehrern, Freunden, Geschwistern, Haustieren etc.

ausgelöst werden.

Ursachen eines Trennungstraumas

■ Geburt, Abnabelung, Abstillen, Auszug aus elterlichem Bett, Schnullerentzug

■ Übergang in Kindergarten, Schule oder weiterführende Schule

■ Auszug und Umzug der Eltern

■ Scheidung oder Trennung der Eltern

■ Krankenhausaufenthalt, medizinische Eingriffe

■ schwere Krankheit oder Tod eines Elternteils, der Oma, eines Tier u.v.m.

■ Tod eines Geschwisterkindes (Abort der Mutter)

■ Verlaufen in der Stadt oder am Strand

■ lange Arbeitszeiten oder Abwesenheit der Eltern oder alleinerziehenden Eltern

■ psychische Krankheit der Eltern u.v.m,

Einige Kinder fühlen sich von Gott verlassen, besonders wenn sie große Probleme in der eigenen Familie haben und nicht verstehen können, dass Gott ihnen nicht hilft.

Das Resultat in der Psyche des Kindes ist die Vorstellung: Ich kann mich nicht auf diese Menschen verlassen, ich habe sie verloren und werde sie wieder verlieren. Ich kann mich nur auf mich selbst

verlassen, selbst Gott hat mich verlassen.

Die Folge ist, dass die Kinder sehr früh Verantwortung für sich und andere Menschen übernehmen, versuchen, eigene Regeln aufzubauen, und später als Erwachsene kein Vertrauen haben, dass der

Partner bei ihnen bleibt.

Durch das Erwarten des Verlassenwerdens ziehen diese traumatisierten Menschen genau diesen Umstand an und werden häufig verlassen oder fühlen sich verlassen.

Peter-Pan-Syndrom

In der Literatur finden wir Helden wie Peter Pan und seine „verlorenen Kinder“, die nach ihren eigenen Regeln leben und den Erwachsenen (im Buch von James Matthew Barrie den Piraten) auf

der Nase herumtanzen. Diese verlassenen Kinder ziehen sich in ihr eigenes Reich zurück, denn nur dort sind sie sicher. Homöopatisch betrachtet verkörpert Peter Pan Teile des Argentum-nitricum-Kindes, das verlassen wurde, das Gefühl hat, den Boden unter den Füßen zu verlieren, jedem Impuls, der ihm in den Sinn kommt, spontan folgt und ständig am Kämpfen ist.

Die Erwachsenen (Eltern oder Lehrer) sind die Gegner. Die Kinder stellen ihre eigenen Regeln auf und können sich nur auf sich selbst verlassen, leben in der eigenen, sicheren Welt, sind ständig

überfordert von der frühen Verantwortung und bleiben schulisch weit hinter ihren Möglichkeiten zurück.

Selbst im Erwachsenenalter bleiben diese Kinder Rebellen und weigern sich, Verantwortung zu tragen. (Das Peter-Pan-Syndrom ist die Furcht vor Verpflichtungen.) Sie meiden feste Bindungen,

leben lieber allein, neigen zur Verbitterung oder klammern sich kontrollierend und eifersüchtig an einen Partner.

Verlassenheit:

Wichtige Rubriken im Complete Repertory zu dem Thema „Verlassenheit“ sind:

■ Gemüt, verlassen zu sein, Gefühl, Isolation, Vereinsamung, Gefühl von

■ Gemüt, Wahnidee, verlassen, im Stich gelassen

■ Gemüt, verlassen zu sein, Gefühl

■ Gemüt, Wahnidee, allein zu sein, meint

Verlassen und zornig:

Verlassen und ängstlich: Anac., Phos., Lyc., Carc. Aur-met., Puls.

Verlassen und introvertiert:

Verlassen und ruhelos: Puls., Aur-met., Nat-m. Arg-n., Aur-m-n., Lac-h., Lach., Mag-c., Carc., Sac-alb. Anacardium orientale

Materia Medica: Verlust

Traumata:

■ Verlassenwerden, Ignoriertwerden, als ob er nicht existieren würde, Demütigung, Mobbing, Folgen von Dominanz und Unterdrückung, unterdrückt durch Vater, Kummer

■ Missbrauch, Misshandlung in der Familie

■ Folgen von Bestrafung, übertriebene Strenge der Eltern, hohe Erwartungen

■ Erwartungsspannung, Prüfungsangst, Überanstrengung beim Lernen

■ unerträglicher innerer Konflikt, unterdrückte Wut (Staph.)

■ Kummer durch Kränkung

Reaktionsweise/Miasma:

■ L – Lähmung, Gedächtnisschwäche (schwerhörig, schwache Verdauung)

■ T – Zittern, Nervosität, wechselhaft, Mangel an Achtung

■ C – Dissoziation

Klinik:

■ Minderwertigkeitsgefühle, Grausamkeit, Hartherzigkeit, Dissoziation, Depression, Legasthenie, Lernstörungen, Alkohol- und Drogenmissbrauch, manisch-depressiv, suizidal, Verhaltensstörungen

Psyche:

■ ist den ganzen Tag fleißig, hat jedoch das Gefühl, nichts geleistet zu haben

Teil 3 –

■ muss sich ständig beweisen, dass er ein Recht hat, existieren zu dürfen; will es anderen und sich beweisen, erträgt dafür viel, aber nichts klappt

■ glaubt aus zwei Personen zu bestehen, Gespaltenheit (Lach., Lac-h., Lac-c., Phos.)

■ glaubt verfolgt zu werden (Chin., Lach., Ign.)

■ große Vergesslichkeit (Namen, Lyc.), unentschlossen, da Entscheidungen Leiden bringen

■ Lachen bei ernsten Themen (Ign., Nat-m.)

■ Hellsichtigkeit, Furcht, es sei jemand hinter ihm (Med., Lach., Thuj.)

■ Boshaftigkeit, Furcht vergiftet zu werden, schnell jähzornig, Grausamkeit gegen Tiere (Med.), flucht gern (Nit-ac., Nux-v., Verat.), kämpft mit anderen

■ Wechsel zwischen Laune und Ausgeglichenheit, psychische Spaltung, innere Zerrissenheit, fehlende Moral

■ Angst vom Teufel geholt zu werden (Manc.) (Engel – Teufel)

Hinweise: vergleichbar mit Nux-v, Med., Staph., Lyc.

 

Anacardium-Kind

 

Argentum nitricum

Materia Medica: Verlust

Traumata:

■ Verlassenwerden, Trennung von Mutter, Alleinsein

■ nicht gewollte, unerwünschte Kinder (Mutter oder Familie)

■ uneheliche Kinder

■ versuchte Abtreibung

■ übernommene Ängste der Mutter

■ Geburtstrauma, wird gezwungen, früher zu kommen, obwohl noch nicht bereit, eingeleitete Geburt

■ Demütigung, Kränkung

■ Erwartungsspannung

■ sexueller Missbrauch

Reaktionsweise/Miasma:

■ L – Kontrolle

■ T – Nervosität, Flucht, extrovertiert, impulsiv, kann Spannungen nicht ertragen

■ C – pathologisch offen, distanzlos, mitfühlend

Klinik:

■ Angstzustände, zwanghaftes Verhalten, Aberglaube, Phobien, chronische Erschöpfung, Klaustrophobie, Höhenangst, Hyperaktivität, Schulängste

Psyche:

■ Impulse: springen, werfen, verletzen, zerstören

■ Anarchist

■ Gefühl, nicht erwünscht zu sein, zu stören

■ Mangel an Geborgenheit

 

 

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